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Kapitel 6

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Und nun soll der Leser, indem wir über eine kurze Zeitspanne hinweggehen, in unseren glücklichen Kreis eingeführt werden. Adrian, Idris und ich nahmen unseren Wohnsitz in Schloss Windsor; Lord Raymond und meine Schwester bewohnten ein Haus, das der Erstere an der Grenze des großen Parks errichtet hatte, in der Nähe von »Perditas Hütte«, wie das niedrige Häuschen noch immer genannt wurde, wo wir beide, arm selbst an Hoffnung, das Faustpfand unserer Glückseligkeit erhalten hatten. Wir hatten getrennte Beschäftigungen und gemeinsame Vergnügungen. Zuweilen verbrachten wir ganze Tage mit unseren Büchern und Musik im belaubten Schutz des Waldes. Dies geschah während jener seltenen Tage in diesem Land, wenn die Sonne in ungetrübter Majestät ihren Äther-Thron besteigt und die windstille Atmosphäre wie ein Bad aus klarem und wohltuendem Wasser ist, das die Sinne in Gelassenheit hüllt. Wenn die Wolken den Himmel verschleierten und der Wind sie hierhin und dorthin blies, sie zerteilte und ihre Bruchstücke durch die luftigen Ebenen verstreute – dann ritten wir aus und suchten neue Stellen der Schönheit und der Ruhe. Wenn die häufigen Regenfälle uns ins Haus verbannten, folgte abendliche Erholung, von Musik und Gesang eingeleitet, dem morgendlichen Studium. Idris hatte ein natürliches musikalisches Talent; und ihre Stimme, die sorgfältig ausgebildet worden war, war voll und süß. Raymond und ich waren Teil des Konzerts, Adrian und Perdita die ergebenen Zuhörer. Dann waren wir heiter wie sommerliche Insekten, verspielt wie Kinder; wir trafen uns stets mit einem Lächeln und lasen Zufriedenheit und Freude in den Gesichtern der anderen. Unsere schönsten Feste fanden in Perditas Hütte statt; auch wurden wir es nicht müde, von der Vergangenheit zu reden oder von der Zukunft zu träumen. Eifersucht und Unruhe waren uns unbekannt; und nie störte eine Angst oder Hoffnung auf Veränderung unsere Ruhe. Andere sagten: Wir könnten glücklich sein – wir sagten – wir sind es.

Wenn irgendeine Trennung zwischen uns stattfand, so geschah es für gewöhnlich, dass Idris und Perdita zusammen fortgingen und Adrian, Raymond und ich zurückblieben, um politische und philosophische Themen zu besprechen. Gerade die Verschiedenheit unserer Anlagen verlieh diesen Unterhaltungen einen besonderen Reiz. Adrian war in Gelehrsamkeit und Beredsamkeit überlegen; Raymond hingegen besaß eine schnelle Auffassungsgabe und praktische Lebenserfahrung, die sich gewöhnlich gegensätzlich zu Adrians darstellten, und hielt so die Diskussion aufrecht. Zu anderen Zeiten unternahmen wir mehrtägige Exkursionen und durchquerten das Land, um jeden Ort zu besuchen, der seiner Schönheit oder seines historischen Bezuges wegen bekannt war. Zuweilen gingen wir nach London und mengten uns in die Vergnügungen der geschäftigen Menge; zuweilen fielen Besucher aus ihrer Mitte in unseren Rückzugsort ein. Diese Veränderung machte uns nur um so empfänglicher für die Freuden des vertraulichen Umgangs unseres eigenen Kreises, der Ruhe unseres ehrwürdigen Waldes und unserer glücklichen Abende in den Hallen unseres geliebten Schlosses.

Das Wesen Idris’ war besonders offen, sanft und zärtlich. Ihr Gemüt war unveränderlich heiter; und obschon sie in jedem Punkt, der ihr Herz berührte, fest und entschieden war, war sie doch denen ergeben, die sie liebte. Das Wesen Perditas war weniger vollendet, doch Zärtlichkeit und Glück veredelten ihren Charakter und milderten ihre natürliche Zurückhaltung. Ihr Verständnis war klar und umfassend, ihre Vorstellungskraft lebendig; sie war aufrichtig, großzügig und vernünftig. Adrian, der unvergleichliche Bruder meiner Seele, der einfühlsame und vortreffliche Adrian, der jeden liebte und von jedem geliebt wurde, schien jedoch dazu bestimmt zu sein, seine andere Hälfte, die sein Glück vervollständigen sollte, nicht zu finden. Er verließ uns oft und wanderte allein in den Wäldern oder segelte in seinem kleinen Boot, mit seinen Büchern als seinen einzigen Begleitern. Er war oft der Fröhlichste unserer Gesellschaft, dann wiederum war er jedoch auch der Einzige, der von Anfällen der Verzweiflung heimgesucht wurde. Sein schmaler Körper schien unter dem Gewicht des Lebens zu straucheln, und seine Seele schien eher seinen Körper zu besetzen als sich damit zu vereinigen. Ich war meiner Idris kaum ergebener als ihrem Bruder, und sie liebte ihn als ihren Lehrer, ihren Freund und den Wohltäter, der ihr die Erfüllung ihrer innigsten Wünsche gesichert hatte. Raymond, der ehrgeizige, ruhelose Raymond, thronte in der Mitte der großen Straße des Lebens und war damit zufrieden, all seine Pläne der Souveränität und des Ruhms aufzugeben, um eine von uns, die Blume des Feldes, zu gewinnen. Sein Königreich war das Herz Perditas, seine Untertanen ihre Gedanken; durch sie wurde er geliebt, als überlegenes Wesen respektiert, bedient, ihm gehorcht. Kein Dienst, keine Andacht, kein Anschauen war ihr lästig, soweit es ihn betraf. Sie pflegte abseits von uns zu sitzen und ihn zu beobachten; sie weinte vor Freude, wenn sie daran dachte, dass er ihr gehörte. Sie errichtete in der Tiefe ihres Wesens einen Tempel für ihn, und jede ihrer Fähigkeiten war eine Priesterin, die seinem Dienst verpflichtet war. Zuweilen war sie eigensinnig und launisch, doch ihre Reue war stets bitter, ihre Umkehr umfassend, und sogar diese Unausgewogenheit ihres Temperaments passte zu ihm, der von der Natur nicht dazu geschaffen wurde, sich müßig den Strom des Lebens hinabtreiben zu lassen.

Im ersten Jahr ihrer Ehe schenkte Perdita Raymond ein hübsches Mädchen. Es war seltsam, in diesem Miniaturmodell die Züge seines Vaters wiederzufinden. Die gleichen halb spöttischen Lippen und das triumphierende Lächeln, die gleichen intelligenten Augen, die gleiche Stirn und das kastanienbraune Haar; selbst ihre Hände und Finger ähnelten den seinen. Wie sehr Perdita sie liebte! Nach einer Weile wurde auch ich Vater, und unsere kleinen Lieblinge, unsere Kostbarkeiten und Freuden, riefen tausend neue und köstliche Gefühle hervor.

So vergingen Jahre – gleichförmige Jahre. Monat folgte auf Monat, und Jahr auf Jahr; wahrhaftig, unser Leben war ein lebendiger Kommentar zu diesem schönen Ausspruch von Plutarch, dass »unsere Seelen eine natürliche Neigung haben zu lieben, dazu geboren werden, ebenso zu lieben, als zu fühlen, zu denken, zu verstehen und zu erinnern«. Wir sprachen von Veränderung und davon, diese in die Tat umzusetzen, blieben aber in Windsor, unfähig, den Zauber zu brechen, der uns an unser abgeschiedenes Leben fesselte.

Ich bin es, der in vollem Zug genießt,

Was Menschenkindern beut der Glückesbronnen,

Der stets nur spärlich, niemals reichlich fließt.

Jetzt, da unsere Kinder uns Beschäftigung gaben, fanden wir in der Idee, sie zu einer glanzvolleren Laufbahn anzuleiten, Entschuldigungen für unser Nichtstun.

Schließlich wurde unsere Ruhe gestört, und der Strom der Ereignisse, der seit fünf Jahren in stiller Ruhe dahingeflossen war, wurde von Wogen und Hindernissen durchbrochen, die uns aus unserem angenehmen Traum weckten.

Ein neuer Lordprotektor für England sollte gewählt werden; und auf Raymonds Bitte hin zogen wir nach London, um das Geschehen aus der Nähe zu verfolgen und sogar an der Wahl teilzunehmen. Wenn Raymond mit Idris vereinigt gewesen wäre, wäre dieser Posten sein Sprungbrett zu höherer Würde geworden; und sein Verlangen nach Macht und Ruhm wäre in vollstem Maß gekrönt worden. Er hatte ein Zepter gegen eine Laute getauscht, ein Königreich für Perdita.

Dachte er daran, als wir in die Stadt reisten? Ich beobachtete ihn, konnte aber nur wenig aus ihm herausbringen. Er war außerordentlich fröhlich, spielte mit seinem Kind und konterte jedes ausgesprochene Wort. Vielleicht tat er das, weil er sah, wie sich Perditas Stirn umwölkte. Sie versuchte sich zu fassen, aber ihre Augen füllten sich ab und zu mit Tränen, und sie sah Raymond und ihr Mädchen wehmütig an, als fürchte sie, dass etwas Böses sie bedrohe. Und so empfand sie es auch. Eine Vorahnung von Übel schwebte über ihr. Sie lehnte sich aus dem Fenster und blickte auf den Wald und die Türmchen des Schlosses, und als diese durch dazwischenliegende Gegenstände verdeckt wurden, rief sie leidenschaftlich: »Schauplätze des Glücks! Schauplätze, die der hingebungsvollen Liebe heilig sind, wann soll ich euch wiedersehen! Und wenn ich euch sehe, soll ich noch immer die geliebte und glückliche Perdita sein, oder soll ich mit gebrochenem Herzen und verloren durch eure Haine wandern, als ein Geist derer, die ich bin!«

»Närrin«, rief Raymond, »worüber grübelst du in deinem kleinen Kopf, dass du plötzlich so trübselig geworden bist? Sei guten Mutes, oder ich werde dich zu Idris bringen und Adrian in den Wagen rufen, der, wie ich durch seine Gebärden sehe, meine gute Laune teilt.«

Adrian war zu Pferd; er ritt zum Wagen auf, und seine Fröhlichkeit, zusätzlich zu der von Raymond, zerstreute die Melancholie meiner Schwester. Wir kamen am Abend in London an und begaben uns zu unseren verschiedenen Unterkünften in der Nähe des Hyde Parks.

Am nächsten Morgen besuchte Lord Raymond mich zu früher Stunde. »Ich komme zu dir«, sagte er, »nur halb versichert, dass du mich bei meinem Vorhaben unterstützen wirst, aber entschlossen, es auszuführen, ob du mir hilfst oder nicht. Versprich mir jedoch Geheimhaltung, denn wenn du nicht zu meinem Erfolg beiträgst, darfst du ihn mir wenigstens nicht vereiteln.«

»Gut, ich verspreche es. Und nun –«

»Und nun, lieber Freund, wofür sind wir nach London gekommen? Um bei der Wahl eines Lordprotektors anwesend zu sein und unser Ja oder Nein für Seine schlurfenden Gnaden von –––– abzugeben? Oder für diesen lauten Ryland? Glaubst du, dass ich dich dafür in die Stadt gebracht habe, Verney? Nein, wir werden einen eigenen Protektor haben. Wir werden einen Kandidaten aufstellen und seinen Erfolg sichern. Wir werden Adrian nominieren und unser Bestes geben, um ihm die Macht zu verleihen, zu der er durch seine Geburt berechtigt ist, und welche er durch seine Tugenden verdient.

Antworte nicht, ich kenne alle deine Einwände und werde ihnen in der richtigen Reihenfolge antworten. Erstens: Ob er einwilligen wird, ein großer Mann zu werden, oder nicht? Überlass mir die Sache der Überredung; ich bitte dich nicht, mir dabei Unterstützung zu leisten. Zweitens, ob er seine Beschäftigung mit dem Pflücken von Brombeeren und dem Pflegen von verwundeten Rebhühnern im Wald für die Befehlsgewalt über eine Nation eintauschen sollte? Mein lieber Lionel, wir sind verheiratete Männer und finden Beschäftigung darin, unsere Frauen zu unterhalten und mit unseren Kindern zu tanzen. Aber Adrian ist allein, unverheiratet, kinderlos, unbeschäftigt. Ich habe ihn lange beobachtet. Er sehnt sich nach einer Beschäftigung im Leben. Sein Herz, erschöpft von seinen frühen Leiden, ruht wie ein frisch geheiltes Glied, und er schreckt vor aller Aufregung zurück. Aber sein Verstand, seine Wohltätigkeit, seine Tugenden, wollen ein Feld zur Übung und Zurschaustellung, und wir werden es für ihn beschaffen. Nebenbei, ist es nicht eine Schande, dass das Genie Adrians fruchtlos auf Erden verblassen sollte wie eine Blume auf einem verlassenen Bergpfad? Glaubst du, die Natur schuf seinen überragenden Geist ohne eine dahinterstehende Absicht? Glaube mir, er ist dazu bestimmt, der Ursprung von unendlich viel Gutem in seinem heimatlichen England zu sein. Hat es ihm nicht jede Begabung in verschwenderischer Fülle geschenkt – Geburt, Reichtum, Talent, Güte? Liebt und bewundert ihn nicht jedermann? Und erfreut er sich nicht allein an solchen Bemühungen, die allen seine Liebe offenbaren? Komm, ich sehe, dass du bereits überzeugt bist und mir sekundieren wirst, wenn ich ihn heute Abend im Parlament vorschlage.«

»Du hast alle deine Argumente ausgezeichnet angebracht«, antwortete ich; »und wenn Adrian zustimmt, sind sie unantastbar. Ich habe nur eine einzige Bedingung, – dass du nichts ohne seine Zustimmung beginnst.«

»Ich glaube, du hast recht«, sagte Raymond; »obwohl ich zuerst vorgehabt hatte, die Angelegenheit anders zu bewerkstelligen. Sei es so. Ich werde sofort zu Adrian gehen; und wenn er dazu neigt, seine Zustimmung zu geben, wirst du meine Arbeit nicht zunichtemachen, indem du ihn überredest, zurückzukehren und wieder ein Eichhörnchen im Wald von Windsor zu werden. Idris, du wirst mich nicht verraten?«

»Vertraue mir«, antwortete sie, »ich werde eine strenge Neutralität wahren.«

»Ich für meinen Teil«, sagte ich, »bin zu sehr vom Wert unseres Freundes und der Fülle von Vorteilen überzeugt, die ganz England von seinem Protektorat zu erwarten hätte, um meine Landsleute solch eines Segens zu berauben, wenn er zustimmt, ihn ihnen zu schenken.«

Am Abend besuchte Adrian uns. – »Schmiedest auch du Ränke gegen mich«, sagte er lachend; »und wirst du mit Raymond gemeinsame Sache machen, indem du einen armen Visionär aus den Wolken zerrst, um ihn mit den Feuerwerken und Explosionen irdischer Größe statt himmlischer Strahlen und Lüfte zu umgeben? Ich dachte, du kennst mich besser.«

»Ich kenne dich in der Tat besser«, erwiderte ich, »als zu glauben, dass du in einer solchen Situation glücklich sein würdest; aber das Gute, das du anderen tust, mag ein Ansporn sein, da wahrscheinlich die Zeit gekommen ist, in der du deine Theorien in die Tat umsetzen kannst, und du eine solche Reformation und Veränderung herbeiführen könntest, dass sie zu dem perfekten Regierungssystem beitragen wird, das du dir gerne vorstellst.«

»Du sprichst von einem beinahe vergessenen Traum«, sagte Adrian, über dessen Gesicht ein Schatten fiel, als er sprach. »Die Visionen meiner Kindheit sind im Licht der Wirklichkeit längst verblasst, ich weiß jetzt, dass ich kein Mann bin, der dazu geeignet ist, Nationen zu regieren; mir ist es genug, wenn ich das kleine Königreich meiner eigenen Sterblichkeit hinlänglich regiere.

Aber siehst du nicht, Lionel, den Lauf unseres edlen Freundes, einen Lauf, der vielleicht ihm selbst unbekannt, aber für mich offensichtlich ist. Lord Raymond war nie dazu geboren, um eine Drohne im Bienenstock zu sein und in unserem ländlichen Leben Zufriedenheit zu finden. Er glaubt, dass er zufrieden sein sollte, er stellt sich vor, dass seine gegenwärtige Situation die Möglichkeit der Erhöhung ausschließt, deshalb plant er nicht einmal in seinem eigenen Herzen, sich zu verändern. Aber siehst du nicht, dass er unter der Idee, mich zu erhöhen, einen neuen Weg für sich selbst beschreitet, einen tätigen Weg, von dem er lange abgekommen war?

Lass uns ihm helfen. Er, der Edle, der Streitbare, der Große in jeder Eigenschaft, die den Geist und die Person des Menschen schmücken kann; er ist geeignet, der Lordprotektor von England zu sein. Wenn ich – das heißt, wenn wir ihn vorschlagen, wird er gewiss gewählt werden und in den Funktionen dieses hohen Amtes genug Raum für seine überragenden Geisteskräfte finden. Selbst Perdita wird sich freuen. Perdita, die ihren Ehrgeiz unterdrückte, bis sie Raymond heiratete, welches Ereignis für eine Weile die Erfüllung ihrer Hoffnungen war; Perdita wird sich erfreuen am Ruhm und Aufstieg ihres Gebieters – und, scheu und artig, nicht unzufrieden mit ihrem Anteil sein. In der Zwischenzeit werden wir, die Weisen des Landes, in unser Schloss zurückkehren und uns wie Cincinnatus unseren üblichen Arbeiten widmen, bis unser Freund unsere Anwesenheit und Hilfe hier verlangen wird.«

Je mehr Adrian über diesen Plan sprach, desto durchführbarer erschien er. Seine eigene Entschlossenheit, nie ins öffentliche Leben einzutreten, war unüberwindlich, und die Zartheit seiner Gesundheit war ein hinlängliches Argument dagegen.

Der nächste Schritt bestand darin, Raymond dazu zu bringen, sich zu seinem geheimen Sehnen nach einem hohen Rang und Ruhm zu bekennen. Er trat ein, während wir sprachen. Die Art und Weise, in der Adrian seinen Vorschlag aufgenommen hatte, ihn als Kandidaten für die Schutzherrschaft einzusetzen, und seine Antworten hatten in ihm bereits eine Ahnung von dem Gegenstand geweckt, über den wir jetzt diskutierten. Sein Gesichtsausdruck und sein Betragen verrieten Unentschlossenheit und Angst; doch die Angst entstand aus der Furcht, dass wir unseren Plan nicht verfolgen oder nicht erfolgreich sein sollten; und seine Unentschlossenheit aus einem Zweifel, ob wir eine Niederlage riskieren sollten. Ein paar Worte von uns überzeugten ihn, und Hoffnung und Freude funkelten in seinen Augen; der Gedanke, sich auf eine Laufbahn zu begeben, die seinen frühen Gewohnheiten und gehegten Wünschen so angenehm war, machte ihn wie zuvor energisch und kühn. Wir besprachen seine Aussichten, die Vorzüge der anderen Kandidaten und die Neigungen der Wähler.

Dennoch hatten wir uns verrechnet. Raymond hatte viel von seiner Popularität verloren und war von seinen früheren Anhängern verlassen worden. Während seiner Abwesenheit von der geschäftigen Bühne hatte das Volk ihn vergessen; seine ehemaligen parlamentarischen Unterstützer bestanden hauptsächlich aus Royalisten, die bereit gewesen waren, ein Idol aus ihm zu machen, als er als der Erbe der Grafschaft Windsor erschien, die ihm gegenüber aber gleichgültig waren, als er mit keinen anderen Eigenschaften und Unterscheidungen hervortrat, als viele unter ihnen aufwiesen. Dennoch hatte er viele Anhänger, Bewunderer seiner umfassenden Talente; mit seiner Anwesenheit im Parlament, seiner Redegabe, seiner Gewandtheit und seinem guten Aussehen gelang es ihm, eine elektrisierende Wirkung zu erzeugen. Zudem besaß Adrian trotz seiner dem gesellschaftlichen Leben entgegenstehenden Einsiedlergewohnheiten und Theorien viele Freunde, und diese konnten leicht überzeugt werden, für einen Kandidaten seiner Wahl zu stimmen.

Der Herzog von –––– und Mr. Ryland, Lord Raymonds alter Widersacher, waren die anderen Kandidaten. Der Herzog wurde von allen Aristokraten der Republik unterstützt, die ihn für ihren angemessenen Vertreter hielten. Ryland war der Volkskandidat; als Lord Raymond das erste Mal der Liste hinzugefügt wurde, erschienen seine Erfolgsaussichten gering. Wir zogen uns aus der Debatte zurück, die seiner Nominierung gefolgt war: wir, seine Ernenner, waren gekränkt; er war gänzlich entmutigt. Perdita tadelte uns bitterlich. Ihre Erwartungen waren geweckt worden; sie hatte keine Einwände gegen unser Projekt geäußert, im Gegenteil, sie war offensichtlich erfreut darüber; aber sein offensichtlicher Misserfolg änderte die Strömung ihrer Gedanken. Sie hatte das Gefühl, dass Raymond, wenn er erst einmal zu sich gekommen wäre, nie wieder ohne Murren nach Windsor zurückkehren würde. Seine Gewohnheiten waren aus dem Ruder gelaufen; sein ruheloser Geist aus seinem Schlaf erwacht, Ehrgeiz musste jetzt sein Begleiter durch das Leben sein; und wenn er bei seinem gegenwärtigen Versuch nicht erfolgreich wäre, sah sie voraus, dass Unglück und unheilbare Unzufriedenheit folgen würden. Vielleicht fügte ihre eigene Enttäuschung ihren Gedanken und Worten einen Stich hinzu; sie verschonte uns nicht, und unsere eigenen Gedanken trugen zu unserer Unruhe bei.

Es war notwendig, unsere Nominierung weiterzuverfolgen und Raymond zu überreden, sich am folgenden Abend den Wählern zu präsentieren. Er war lange Zeit halsstarrig. Er wäre lieber in einen Ballon gestiegen und in einen fernen Teil der Welt gesegelt, wo sein Name und seine Demütigung unbekannt waren. Aber das war nutzlos; sein Bestreben war registriert, sein Entwurf der Welt kundgetan; seine Schande könnte niemals aus den Erinnerungen der Menschen ausgelöscht werden. Es war ebenso gut, am Ende nach einem Kampf versagt zu haben, als jetzt zu Beginn seines Unternehmens zu fliehen.

Von dem Augenblick an, als er diesen Gedanken fasste, war er verändert. Seine Niedergedrücktheit und Ängstlichkeit vergingen; er wurde ganz Leben und Regsamkeit. Das Lächeln des Triumphes lag auf seinem Antlitz; entschlossen, seine Sache bis zum Äußersten zu verfolgen, schienen sein Betragen und sein Ausdruck für die Erfüllung seiner Wünsche verhängnisvoll zu sein. Nicht so Perdita. Sie war erschrocken über seine Fröhlichkeit, denn am Ende fürchtete sie einen umso größeren Umschwung. Wenngleich sein Anblick uns mit Hoffnung inspirierte, machte er doch den Zustand ihres Geistes nur schmerzhafter. Sie fürchtete, ihn aus den Augen zu verlieren; dennoch schrak sie davor zurück, irgendeine Änderung in der Stimmung seines Geistes zu bemerken. Sie hörte ihm eifrig zu, quälte sich jedoch, indem sie seinen Worten eine Bedeutung gab, die ihrer wahren Auslegung fremd und ihren Hoffnungen abträglich war. Sie wagte nicht bei der Wahl anwesend zu sein; doch zu Hause verdoppelte sich ihre Sorge. Sie weinte über ihrem kleinen Mädchen; sie sah, sie sprach, als ob sie das Auftreten eines schrecklichen Unglückes fürchtete. Sie war halb verrückt unter der übergroßen Spannung.

Lord Raymond stellte sich dem Parlament mit furchtlosem Selbstvertrauen und fesselnder Ansprache vor. Nachdem der Herzog von –––– und Mr. Ryland ihre Reden beendet hatten, begann er. Gewiss hatte er seine Lektion nicht vergessen; doch zuerst zögerte er, wählte seine Gedanken und die Worte mit Bedacht. Nach und nach erwärmte er sich; seine Worte flossen mit Leichtigkeit, seine Sprache war voller Nachdruck und seine Stimme voller Überzeugung. Er kehrte zu seinem früheren Leben zurück, zu seinen Erfolgen in Griechenland, zu seinem Erfolg zu Hause. Warum sollte er dies aufs Spiel setzen, jetzt, da zusätzliche Jahre, Klugheit und das Versprechen, das seine Ehe seinem Land gab, seine Vertrauenswürdigkeit eher erhöhen als vermindern sollten? Er sprach vom Zustand Englands, den notwendigen Maßnahmen, die nötig wären, um seine Sicherheit zu gewährleisten und seinen Wohlstand zu mehren. Er zeichnete ein leuchtendes Bild seiner gegenwärtigen Lage. Während er sprach, war jedes Geräusch gedämpft, jeder Gedanke durch intensive Aufmerksamkeit verhindert. Seine elegante Rede fesselte die Sinne seiner Zuhörer. In gewissem Grade war er auch dazu geeignet, alle Parteien zu versöhnen. Seine Geburt gefiel der Aristokratie; seine Kandidatur, die von Adrian, einem Mann, der eng mit der Volkspartei verbunden war, empfohlen wurde, überzeugte eine Anzahl an Unterstützern, die weder dem Herzog noch Mr. Ryland nahestanden.

Der Wettstreit war heftig und der Ausgang ungewiss. Weder Adrian noch ich wären so besorgt gewesen, wenn unser eigener Erfolg von unseren Anstrengungen abhängig gewesen wäre; aber wir hatten unseren Freund zu dem Unternehmen ermuntert, und es war an uns, ihm seinen Triumph zu sichern. Idris, die die höchste Meinung über seine Fähigkeiten hegte, war sehr an dem Ereignis interessiert: und meine arme Schwester, die nicht zu hoffen wagte und für die Angst Elend bedeutete, war in ein nervöses Fieber gesunken.

Tag für Tag verging, während wir unsere Pläne für den Abend diskutierten, und jede Nacht wurde mit endlosen Debatten verbracht. Endlich kam der Höhepunkt: die Nacht, in der das Parlament, das seine Wahl so lange hinausgezögert hatte, entscheiden musste: Sobald Mitternacht vorüber war und der neue Tag begann, musste es sich kraft der Verfassung auflösen, seine Macht war vergangen.

Wir versammelten uns bei Raymond, wir und unsere Mitstreiter. Um halb sechs gingen wir zum Parlament. Idris bemühte sich, Perdita zu beruhigen; aber die Aufregung des armen Mädchens beraubte sie aller Selbstbeherrschung. Sie ging im Zimmer auf und ab und warf wilde Blicke auf jeden, der eintrat, im Glauben, dass dieser der Überbringer ihres Schicksals sein könnte. Ich muss meiner süßen Schwester Gerechtigkeit widerfahren lassen: Sie quälte sich nicht wegen ihrer selbst. Sie allein kannte das Gewicht, das Raymond seinem Erfolg beimaß. Selbst vor uns gab er sich fröhlich und hoffnungsvoll und tat dies so gut, dass wir die geheimen Regungen seines Geistes nicht erkannten. Zuweilen zeigten ein nervöses Zittern, ein scharfer Missklang der Stimme und vorübergehende Anfälle von Abwesenheit Perdita die Gewalt, die er sich selbst antat; aber wir, ganz in unsere Pläne vertieft, bemerkten nur sein stetes Lachen, seinen Witz, der bei allen Gelegenheiten hindurchdrang, die Flut seiner Heiterkeit, die vor der Ebbe sicher schien. Außerdem war Perdita in seiner Unterkunft bei ihm; sie sah die Launenhaftigkeit, die dieser erzwungenen Heiterkeit folgte; sie bemerkte seinen gestörten Schlaf, seine gequälte Gereiztheit – einmal hatte sie seine Tränen gesehen – ihre hatten kaum aufgehört zu fließen, seit sie die großen Tropfen gesehen hatte, die der enttäuschte Stolz in seinen Augen gesammelt hatte, die Stolz jedoch nicht wieder zerstreuen konnte. Wen sollte es da wundernehmen, dass ihre Gefühle auf diese Spitze gebracht wurden! So begründete ich mir selbst ihre Aufregung; doch dies war noch nicht alles, und das darauffolgende Geschehen offenbarte eine andere Begründung.

Ehe wir losgingen, nutzten wir einen Augenblick, um Abschied von unseren geliebten Mädchen zu nehmen. Ich hatte wenig Hoffnung auf Erfolg und bat Idris, auf meine Schwester achtzugeben. Als ich mich der Letzteren näherte, ergriff sie meine Hand und zog mich in ein anderes Zimmer; sie warf sich in meine Arme und weinte und schluchzte eine geraume Zeit bitterlich. Ich versuchte, sie zu beruhigen, sprach ihr Mut zu, fragte, welche gewaltigen Konsequenzen sich selbst auf unser Versagen hin ergeben würden. »Mein Bruder«, rief sie, »Beschützer meiner Kindheit, lieber, lieber Lionel, mein Schicksal hängt an einem seidenen Faden. Ich bin jetzt ganz von euch umgeben – dir, dem Begleiter meiner Kindheit, Adrian, der mir so lieb ist als ob wir durch Bande des Blutes miteinander verbunden wären, Idris, der Schwester meines Herzens, und ihren entzückenden Kindern. Dies, o dies mag das letzte Mal sein, dass wir alle beisammen sind!«

Plötzlich hielt sie inne und rief aus: »Was habe ich gesagt? – dummes närrisches Mädchen, das ich bin!« Sie sah mich wild an, und, sich plötzlich beruhigend, entschuldigte sich für das, was sie ihre bedeutungslosen Worte nannte, und sagte, dass sie tatsächlich von Sinnen sein müsse, denn so lange Raymond lebte, müsse sie glücklich sein; und dann ließ sie mich ruhig gehen, wenngleich sie noch weinte. Raymond nahm nur ihre Hand, als er ging, und sah sie ausdrucksvoll an; sie antwortete mit einem Blick voller Weisheit und Einverständnis.

Armes Mädchen! Was sie damals durchlitten hat! Ich konnte Raymond nie die Prüfungen verzeihen, die er ihr auferlegt hatte, weil sie von einem selbstsüchtigen Gefühl seinerseits ausgingen. Er hatte geplant, wenn er in seinem gegenwärtigen Versuch fehlschlagen sollte, sich, ohne sich von irgendeinem von uns zu verabschieden, nach Griechenland zu begeben und nie mehr nach England zurückzukehren. Perdita beugte sich seinen Wünschen, denn seine Zufriedenheit war das Hauptziel ihres Lebens, die Krone ihres Genusses; aber uns alle, ihre Gefährten, die geliebten Teilhaber ihrer glücklichsten Jahre, zu verlassen und in der Zwischenzeit diesen schrecklichen Entschluss zu verbergen, war eine Aufgabe, die ihre seelische Stärke beinahe überstieg. Sie war beauftragt worden, ihre Abreise vorzubereiten; während dieses entscheidenden Abends hatte sie Raymond versprochen, aus unserer Abwesenheit Nutzen zu ziehen, um bereits eine Etappe der Reise vorauszufahren, und er würde, nachdem seine Niederlage gewiss war, uns verlassen und sich ihr anschließen.

Obschon ich, als ich über dieses Vorhaben informiert wurde, bitter beleidigt von der geringen Rücksicht war, die Raymond den Gefühlen meiner Schwester entgegenbrachte, fand ich mich durch Überlegung darein, zu bedenken, dass er unter der Macht einer so starken Erregung handelte, dass sie ihm das Bewusstsein und folglich die Schuld an seinem Fehlverhalten nahm. Wenn er uns erlaubt hätte, an seiner Aufregung teilzuhaben, wäre er mehr unter der Führung der Vernunft gewesen. Sein Ringen um den Anschein von Gelassenheit wirkte jedoch mit solcher Heftigkeit auf seine Nerven, dass er nicht mehr befähigt war, seine Selbstbeherrschung zu wahren. Ich bin überzeugt, dass er im schlimmsten Fall von der Küste zurückgekehrt wäre, um sich von uns zu verabschieden und sich mit uns zu beraten. Doch die Aufgabe, die Perdita auferlegt wurde, war nicht minder qualvoll. Er hatte von ihr ein Schweigegelübde erpresst; und ihre Rolle in dem Theaterstück, da sie es allein aufführen sollte, war die quälendste, die ersonnen werden konnte. Um jedoch zu meiner Erzählung zurückzukehren:

Die Debatten waren bisher lang und laut gewesen; sie waren oft nur aus Gründen der Verzögerung in die Länge gezogen worden. Doch jetzt schien jeder Angst zu haben, dass der verhängnisvolle Augenblick vorübergehen sollte, während die Wahl noch unentschieden war. Ungewohnte Stille herrschte im Parlament, die Mitglieder sprachen flüsternd, und die gewöhnlichen Geschäfte wurden rasch und still abgewickelt. In der ersten Phase der Wahl war der Herzog von –––– ausgeschieden; die Entscheidung sollte daher zwischen Lord Raymond und Mr. Ryland getroffen werden. Letzterer hatte sich des Sieges gewiss geglaubt, bis Raymond auftauchte; und seit dessen Name als Kandidat hinzugefügt worden war, hatte er mit Eifer um Stimmen geworben. Er war jeden Abend erschienen, Ungeduld und Wut zeichneten sich in seinen Blicken ab, wenn er uns von der anderen Seite von St. Stephen’s anstarrte, als ob sein bloßes Stirnrunzeln unsere Hoffnungen überschatten könnte.

Alles in der englischen Verfassung war auf die bessere Erhaltung des Friedens hin ausgestaltet worden. Am letzten Tag durften nur zwei Kandidaten verbleiben; und um, wenn möglich, den letzten Kampf zwischen diesen zu vermeiden, wurde demjenigen ein Bestechungsgeld angeboten, der freiwillig seine Ansprüche aufgeben sollte; ihm würde ein ehrenhafter Posten mit einer großzügigen Entlohnung zuteil und sein Erfolg bei künftigen Wahlen erleichtert werden. Seltsamerweise war jedoch noch kein Fall eingetreten, in dem einer der beiden Kandidaten auf dieses Mittel zurückgegriffen hätte; in der Folge war das Gesetz obsolet geworden, und in unseren Diskussionen wurde es von keinem von uns erwähnt. Zu unserer äußersten Überraschung wurden wir, als wir uns in einem Komitee für die Wahl des Protektors zusammensetzen sollten, von dem Mitglied, das Ryland nominiert hatte, darüber benachrichtigt, dass dieser Kandidat seine Ansprüche aufgegeben hatte. Die Neuigkeit wurde zunächst schweigend aufgenommen; ein verwirrtes Murmeln erhob sich; und als der Vorsitzende Lord Raymond für rechtskräftig gewählt erklärte, erhob man sich zu einem einstimmigen Applaus und Jubelrufen. Es schien, als ob jede Stimme, unabhängig von der Angst vor einer Niederlage, selbst wenn Mr. Ryland nicht zurückgetreten wäre, sich zugunsten unseres Kandidaten vereint hätte. In der Tat kehrten jetzt, da die Idee des Wettstreits abgelehnt war, alle Herzen zu ihrem früheren Respekt und ihrer Bewunderung für unseren fähigen Freund zurück. Jeder empfand, dass England niemals einen Protektor gesehen hatte, der wie er geeignet dafür gewesen wäre, die anstrengenden Pflichten dieses hohen Amtes zu erfüllen. Einstimmig dröhnte der Name Raymonds durch die Kammer.

Er trat ein. Ich saß auf einem der am höchsten gelegenen Sitze und sah ihn den Gang zum Rednertisch hinaufgehen. Die natürliche Bescheidenheit seines Wesens überwand die Freude seines Triumphes. Er sah sich zaghaft um; seine Augen verschleierten sich. Adrian, der neben mir war, eilte die Bänke herabspringend zu ihm und war im nächsten Augenblick an seiner Seite. Seine Gegenwart belebte unseren Freund wieder; und als er begann zu sprechen und zu handeln, verschwand sein Zögern, und er glänzte voller Erhabenheit und Siegesbewusstsein. Der ehemalige Lordprotektor nahm ihm den Eid ab, überreichte ihm die Amtsabzeichen und führte die Einsetzungszeremonie durch. Die Versammlung löste sich danach auf. Die Obersten des Staates drängten sich um den neuen Magistrat und führten ihn zum Regierungspalast. Adrian verschwand plötzlich und kehrte zu der Zeit, als Raymonds Anhänger nur auf unsere vertrauten Freunde reduziert waren, mit Idris zurück, damit sie ihren Freund zu dessen Erfolg beglückwünschen konnte.

Aber wo war Perdita? Als Raymond sich im Falle eines Misserfolgs um einen unbeobachteten Rückzug bemüht hatte, hatte er zu bestimmen vergessen, auf welche Weise sie von seinem Erfolg hören sollte; und sie war zu aufgeregt gewesen, um auf diesen Umstand zurückzukommen. Als Idris eintrat, hatte Raymond sich so weit selbst vergessen, dass er nach meiner Schwester fragte; erst, als er von ihrem mysteriösen Verschwinden hörte, fiel es ihm wieder ein. Adrian jedoch war bereits ausgegangen, um die Flüchtige zu suchen, sich vorstellend, dass ihre unbezähmbare Angst sie in die Nähe des Parlaments getrieben und vielleicht irgendein unglückliches Ereignis sie aufgehalten habe. Aber Raymond verließ uns plötzlich, ohne sich zu erklären, und im nächsten Moment hörten wir ihn die Straße herabgaloppieren, trotz des Windes und des Regens, die stürmisch über die Erde fegten. Wir wussten nicht, wie weit er gehen musste, und trennten uns bald, da wir annahmen, dass er in Bälde mit Perdita in den Palast zurückkehren würde und dass sie es nicht bedauern würden, Zeit alleine miteinander verbringen zu können.

Perdita war weinend und untröstlich mit ihrem Kind in Dartford angekommen. Sie richtete sich ganz darauf ein, sich auf den Fortgang ihrer Reise vorzubereiten, und verbrachte, nachdem sie ihre süße schlafende Last auf ein Bett gelegt hatte, mehrere Stunden in äußerster Anspannung. Zuweilen beobachtete sie den Kampf der Elemente und dachte, während sie in düsterer Verzweiflung dem Regen lauschte, dass auch diese sich gegen sie verschworen hätten. Im nächsten Moment beugte sie sich über ihre Tochter, suchte Ähnlichkeiten mit dem Vater in ihren Zügen und fragte sich, ob sie im weiteren Leben dieselben Leidenschaften und unkontrollierbaren Impulse aufweisen würde, die ihn unglücklich machten. Dann wiederum bemerkte sie mit einer Aufwallung von Stolz und Freude in den Gesichtszügen ihres kleinen Mädchens das gleiche schöne Lächeln, das Raymonds Gesicht oft erstrahlen ließ. Der Anblick beruhigte sie. Sie dachte an den Schatz, den sie in der Zuneigung ihres Lords besaß; seine Leistungen, welche die seiner Zeitgenossen übertrafen, seine Intelligenz, seine Hingabe an sie. Bald dachte sie, dass sie außer ihm alles, was sie in der Welt besaß, entbehren könnte, ja, es mit Freuden einem Sühneopfer gleich hingeben würde, wenn es ihr denn nur das höchste Gut sichern könnte, das sie in ihm hatte. Bald stellte sie sich vor, dass das Schicksal dieses Opfer von ihr verlangte, als ein Zeichen, dass sie Raymond gänzlich ergeben war, und dass sie es mit Freuden tun müsste. Sie malte sich ihr Leben auf der griechischen Insel aus, die er als ihren Rückzugsort ausgewählt hatte; ihre Aufgabe, ihn zu beruhigen; ihre Sorge um die schöne Clara, ihre Ausritte in seiner Gesellschaft; wie sie ihn hingebungsvoll tröstete. Das Bild stellte sich ihr dann in solch leuchtenden Farben dar, dass sie das Gegenteil und ein Leben der Großartigkeit und Macht in London fürchtete; wo Raymond nicht mehr nur der Ihrige sein würde, noch sie die einzige Quelle der Glückseligkeit für ihn. Soweit es sie betraf, begann sie auf die Niederlage zu hoffen; und nur seinetwegen schwankten ihre Gefühle, als sie ihn in den Hof des Gasthauses galoppieren hörte. Dass er allein zu ihr kommen sollte, durchnässt vom Sturm, auf nichts achtend, abgesehen von Schnelligkeit; was konnte es sonst bedeuten, als dass sie besiegt und einsam aus dem heimatlichen England, dem Schauplatz der Schande, fortgehen und sich in den Myrtenhainen der griechischen Inseln verstecken sollten?

Im nächsten Augenblick lag sie in seinen Armen. Das Wissen um seinen Erfolg war so sehr zu einem Teil von ihm selbst geworden, dass er vergaß, dass er es seiner Gefährtin noch vermitteln musste. Sie fühlte nur in seiner Umarmung eine liebe Versicherung, dass, solange er sie hätte, er nicht verzweifeln würde. »Es ist gut«, rief sie, »es ist edel, mein Geliebter! O fürchte keine Schande oder Armut, während du deine Perdita hast; fürchte kein Leid, während unser Kind lebt und lächelt. Lass uns gehen, wohin du willst; die Liebe, die uns begleitet, wird unser Bedauern verhindern.«

So sprach sie, in seine Umarmung eingehüllt, und warf den Kopf zurück, um in seinen Augen eine Zustimmung zu ihren Worten zu suchen – sie funkelten vor unaussprechlicher Freude. »Ach, meine kleine Beschützerin«, sagte er neckend, »was redest du da? Und welchen hübschen Entwurf aus Verbannung und Dunkelheit hast du gesponnen, während es doch ein leuchtenderes Gewebe ist, ein golddurchwirktes Gewebe, worüber du in Wahrheit nachdenken solltest?«

Er küsste sie auf die Stirn – doch das eigensinnige Mädchen, seinen Triumph halb bedauernd, aufgeregt vom schnellen Gedankenwechsel, barg ihr Gesicht an seiner Brust und weinte. Er tröstete sie und flößte ihr seine eigenen Hoffnungen und Wünsche ein; und bald strahlte ihr Antlitz voller Zuneigung. Wie glücklich waren sie in jener Nacht! Wie barsten sie beinahe vor Freude!

Der letzte Mensch

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