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Kapitel 3

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Glück, dreifaches Glück, brachten die Monate, Wochen und Stunden jenes Jahres. Freundschaft, Hand in Hand mit Bewunderung, Zärtlichkeit und Respekt, erbaute eine Laube der Freude in meinem Herzen, das unlängst noch roh wie eine unbetretene Wildnis in Amerika, wie der heimatlose Wind oder das öde Meer gewesen war. Unersättlicher Wissensdurst und grenzenlose Zuneigung zu Adrian vereinten sich, um mein Herz und meinen Verstand zu beschäftigen, und ich war durchaus glücklich. Welches Glück ist so rein und ungetrübt, wie das überschwängliche und redselige Entzücken junger Menschen? In unserem Boot auf meinem heimatlichen See, neben den Bächen und den blassen Pappeln am Ufer, im Tal und über dem Hügel – meinen Hirtenstab beiseitegeworfen, da ich eine edlere Herde zu hüten hatte als törichte Schafe: eine Herde neugeborener Ideen – las ich oder lauschte Adrian; und seine Worte, ob sie seine Liebe oder seine Theorien für die Verbesserung des Menschen betrafen, verzauberten mich gleichermaßen. Zuweilen kehrte meine gesetzlose Stimmung zurück, meine Liebe zur Gefahr, mein Widerstand gegen die Autorität; aber das geschah in seiner Abwesenheit; unter dem milden Einfluss seiner freundlichen Augen war ich gehorsam und brav wie ein fünfjähriger Knabe, der die Gebote seiner Mutter erfüllt.

Nachdem er sich etwa ein Jahr am Ullswater aufgehalten hatte, besuchte Adrian London und kam voller Pläne für uns zurück. »Du musst das Leben beginnen«, sagte er. »Du bist siebzehn, und eine längere Verzögerung würde die notwendige Ausbildung immer verdrießlicher machen.« Er sah voraus, dass sein eigenes Leben mühevoll sein würde und ich seine Anstrengungen mit ihm teilen müsste. Um mich besser tauglich zu dieser Aufgabe zu machen, müssten wir uns nun trennen. Er fand heraus, dass ich durch meinen Namen bevorzugt wurde, und hatte mir die Stelle eines Privatsekretärs beim Botschafter in Wien besorgt, wo ich unter besten Bedingungen meine Laufbahn beginnen sollte. In zwei Jahren sollte ich mit einem bekannten Namen und einem guten Ruf in mein Land zurückkehren.

Und Perdita? – Perdita sollte die Schülerin, Freundin und jüngere Schwester von Evadne werden. Mit seiner üblichen Bedachtsamkeit hatte er in dieser Lage für ihre Unabhängigkeit gesorgt. Wie hätte ich die Angebote dieses großzügigen Freundes abschlagen können? – Ich wollte sie nicht ablehnen; doch in meinem innersten Herzen legte ich das Gelübde ab, mein Leben, mein Wissen und meine Kraft – alles, was davon von irgendeinem Wert war, hatte er mir geschenkt – alles, all meine Fähigkeiten und Hoffnungen, ihm allein zu widmen.

Dieses Versprechen gab ich mir selbst, als ich mit geweckter feuriger Erwartung auf mein Ziel zusteuerte: Erwartung der Erfüllung all dessen, was wir uns in jungen Jahren an Macht und Vergnügen in der Reife versprechen. Mich dünkte, dass nun die Zeit gekommen sei, in welcher ich, aller kindlichen Beschäftigungen entledigt, ins Leben eintreten sollte. Selbst auf den elysischen Feldern, schreibt Vergil, dürsteten die Seelen der Glücklichen danach, von den Wassern zu trinken, die ihre sterbliche Hülle wiederherstellen sollten. Die Jungen sind selten im Elysium, denn ihre Begierden, die alles Mögliche überflügeln, lassen sie so arm wie einen mittellosen Schuldner zurück. Wir werden von den weisesten Philosophen über die Gefahren der Welt, die Täuschungen der Menschen und den Verrat unserer eigenen Herzen unterrichtet. Doch nicht weniger furchtlos legt jeder mit seiner zerbrechlichen Barke vom Hafen ab, hisst das Segel und legt sich ins Ruder, um in die mannigfaltigen Strömungen im Ozean des Lebens zu gelangen. Wie wenige legen in den besten Jahren der Jugend mit ihren Booten an den »goldenen Stränden« an und sammeln die bunten Muscheln, mit denen sie bestreut sind. Doch sie alle machen sich am Ende des Tages mit zerbrochenen Planken und zerrissener Leinwand zum Ufer auf und gehen entweder leck, bevor sie es erreichen, oder finden einen wellengepeitschten Hafen, einen verlassenen Strand, worauf sie geworfen werden und unbetrauert sterben.

Ein Waffenstillstand mit der Philosophie! – Das Leben liegt vor mir, und ich stürze mich darauf, um von ihm Besitz zu ergreifen. Hoffnung, Ruhm, Liebe und untadeliger Ehrgeiz sind meine Führer, und meine Seele kennt keine Furcht. Das Vergangene, wenn es auch süß war, ist vorbei; die Gegenwart ist nur gut, weil sie in der Veränderung begriffen ist, und das Kommende gehört mir allein. Fürchte ich mich, weil mein Herz klopft? Hohe Bestrebungen bewirken den Fluss meines Blutes; meine Augen scheinen in das trübe Zwielicht der Zeit einzudringen und in den Tiefen ihrer Dunkelheit die Erfüllung all meiner Seelenwünsche zu erkennen.

Nun still! – Während meiner Reise möchte ich träumen und mit kräftigen Schwingen den Gipfel des höchsten Gebäudes des Lebens erreichen. Nun, wo ich an seinem Fundament angelangt bin, sind meine Flügel gefaltet, die mächtige Treppe liegt vor mir, und Schritt für Schritt muss ich den wundersamen Bau erklimmen –

Sprich! – Welche Tür wird geöffnet?

Seht mich in einer neuen Funktion. Ein Diplomat: einer unter den Vergnügungssüchtigen einer munteren Stadt; ein verheißungsvoller Jüngling; der Liebling des Botschafters. Alles war seltsam und großartig für den Hirten aus Cumberland. Mit atemlosem Erstaunen trat ich in die heitere Gesellschaft ein, deren Akteure wie

– die Lilien waren, prächtig wie Salomon,

und weder werkten, noch spannen.

Bald, viel zu bald, betrat ich den wirbelnden Strudel; vergessen waren meine Stunden des Studiums und der Gesellschaft Adrians. Leidenschaftliches Verlangen nach Zugehörigkeit und heißes Streben nach einem ersehnten Gegenstand zeichneten mich noch immer aus. Der Anblick von Schönheit bezauberte mich, und anziehendes Betragen in Mann oder Frau gewannen meine ganze Aufmerksamkeit. Ich hielt es für Verzückung, wenn ein Lächeln mein Herz erbeben ließ; und ich spürte, wie das Blut des Lebens durch meinen Körper brauste, wenn ich mich der Person näherte, die ich für eine Weile verehrte. Die vorbeiströmenden triebhaften Geister waren das Paradies, und am Ende der Nacht sehnte ich mich schon nach einer Erneuerung der berauschenden Täuschung. Das blendende Licht geschmückter Räume, reizende Gestalten in prächtigen Kleidern, die Bewegungen eines Tanzes, die schwelgerischen Töne exquisiter Musik umhüllten meine Sinne in einem nicht enden wollenden herrlichen Traum.

Und ist dies nicht auf seine Weise Glück? Ich wende mich an die Moralisten und Weisen. Ich frage, ob sie in der Ruhe ihrer gemessenen Träumereien, wenn sie tief in Meditationen versunken ihre Stunden füllen, die Ekstase eines jungen Neulings in der Schule des Vergnügens fühlen? Können die ruhigen Blicke ihrer himmelsuchenden Augen den Blitzen verschiedenartiger Leidenschaft entsprechen, die ihn blenden? Oder stürzt der Einfluss trockener Philosophie ihre Seele in ein Entzücken, das dem seinem gleicht, wenn er

In diesem Akt jugendlichen Vergnügens

begriffen ist?

Doch in Wahrheit vermögen weder das einsame Nachsinnen des Einsiedlers noch die berauschten Verzückungen des Nachtschwärmers, das Herz des Menschen zu befriedigen. Durch das eine sammeln wir rastlose Mutmaßungen, durch die anderen Übersättigung. Der Geist erbebt unter dem Gewicht des Gedankens und versinkt in der herzlosen Gesellschaft jener, deren einziges Ziel die Belustigung ist. Es liegt keine Erfüllung in ihrer hohlen Gefälligkeit, und unter den lächelnden Wellen dieser seichten Gewässer lauern schroffe Felsen.

So empfand ich es, als Enttäuschung, Ermüdung und Einsamkeit mich dazu zwangen, die verlorene Freude wieder in meinem ausgedorrten Herzen zu suchen. Meine ermattenden Lebensgeister verlangten nach etwas Zuneigung, und da ich sie nicht fand, ließ ich mich fallen. So ist der Eindruck, den ich von meinem Leben in Wien habe, trotz der gedankenlosen Freude, die mich zu Beginn erwartete, ein schwermütiger. Goethe hat gesagt, dass wir in der Jugend nicht glücklich sein können, wenn wir nicht lieben. Ich liebte nicht; doch zehrte an mir der rastlose Wunsch, anderen etwas zu bedeuten. Ich wurde zum Opfer der Undankbarkeit und der kalten Koketterie – dann verzagte ich und gelangte zur Überzeugung, dass meine Unzufriedenheit mir das Recht gebe, die Welt zu hassen. Ich zog mich in die Einsamkeit zurück; ich las wieder in meinen Büchern, und meine Sehnsucht nach der Gesellschaft Adrians wurde zu einem brennenden Durst.

Begeisterung, die in ihrem Übermaß fast die giftigen Eigenschaften von Neid annahm, versetzte diesen Gefühlen einen Stich. Zu dieser Zeit erfüllten der Name und die Heldentaten eines meiner Landsleute die Welt mit Bewunderung. Berichte dessen, was er getan hatte, und Vermutungen bezüglich seiner zukünftigen Handlungen waren die nie versagenden Themen der Stunde. Ich ärgerte mich nicht für mich selbst, sondern empfand es so, als ob das Lob, das dieses Idol erhielt, Blätter seien, die den für Adrian bestimmten Lorbeerkränzen entrissen wurden. Doch zuvorderst muss ich etwas über diesen Liebling der Gesellschaft berichten – diesen Günstling der wunderliebenden Welt.

Lord Raymond war der einzige Überlebende einer adligen, aber verarmten Familie. Seit frühester Jugend war er über die Maßen stolz auf seinen Stammbaum gewesen und hatte bitter seinen Mangel an Vermögen beklagt. Sein größter Wunsch war eine Erhöhung, und welche Mittel zu diesem Zweck führten, waren zweitrangige Erwägungen. Er war hochmütig und erzitterte doch davor, den ihm gebührenden Respekt einzufordern, ehrgeizig, aber zu stolz, um seinen Ehrgeiz zu zeigen, willens, Ehre zu erlangen, aber ein Liebhaber des Vergnügens. So trat er in die Gesellschaft ein. An der Schwelle wurde er von einer Beleidigung getroffen, ob es nun eine wirkliche oder eine eingebildete war; eine gewisse Ablehnung, wo er sie am wenigsten erwartete; eine gewisse Enttäuschung, die für seinen Stolz schwer zu ertragen war. Er krümmte sich unter einer Verletzung, die er nicht rächen konnte; er verließ England und schwor, erst zurückzukehren, wenn es die Macht dessen fühlen könnte, den es jetzt verachtete.

Er wurde ein Abenteurer in den griechischen Kriegen. Sein waghalsiger Mut und seine großen Begabungen brachten ihm Ruhm ein; er wurde der Lieblingsheld dieses aufstrebenden Volkes. Allein seine ausländische Geburt, denn er weigerte sich, seine Loyalität zu seinem Heimatland aufzugeben, verhinderte, dass er die obersten Posten im Staat besetzte. Doch obgleich andere in Titel und Zeremoniell höher rangierten, stand Lord Raymond über ihnen. Er führte die griechischen Armeen zum Sieg, all ihre Triumphe waren die seinen. Wo er erschien, schwärmten ganze Stadtbevölkerungen aus, um ihn zu sehen, ihren Nationalhymnen wurden neue Liedtexte gegeben, die von seinem Ruhm, seiner Tapferkeit und Freigebigkeit sangen.

Ein Waffenstillstand wurde zwischen den Griechen und Türken geschlossen. Zur gleichen Zeit wurde Lord Raymond durch einen unerwarteten Zufall der Besitzer eines ungeheuren Vermögens in England, wohin er mit Ruhm gekrönt zurückkehrte, um den Ehrenlohn und die Auszeichnung zu erhalten, die ihm zuvor verweigert worden waren. Sein stolzes Herz rebellierte gegen die geänderte Behandlung. War er nicht noch immer derselbe, der einst verachtete Raymond? Wenn der Erwerb von Macht in der Gestalt von Reichtum diese Veränderung verursachte, sollten sie diese Macht als ein eisernes Joch fühlen. Macht war daher das Ziel all seiner Bestrebungen; die Erhöhung des Stands war das, worauf er stets abgezielt hatte. In offenem Ehrgeiz oder heimlicher Intrige war sein Ziel dasselbe: die oberste Stellung in seinem eigenen Land zu erreichen.

Diese Sache hatte meine Neugier erregt. Die Ereignisse, die auf seine Rückkehr nach England folgten, verschärften meine Gefühle. Abgesehen von seinen anderen Vorzügen war Lord Raymond äußerst gut aussehend, jeder bewunderte ihn, Frauen liebten ihn. Er war höflich, konnte in süßen Worten sprechen – er war ein Meister der Verführungskunst. Was konnte dieser Mann in der geschäftigen englischen Gesellschaft nicht alles erreichen! Der Veränderung folgten weitere Veränderungen; die ganze Geschichte hat mich allerdings nicht erreicht, denn Adrian hatte aufgehört zu schreiben, und Perdita schickte stets nur kurze Nachrichten. Es ging das Gerücht, Adrian sei – wie das fatale Wort niederschreiben? – geisteskrank; dass Lord Raymond der Liebling der einstigen Königin sei und der von ihr für ihre Tochter bestimmte Ehemann. Mehr noch, dass dieser aufstrebende Adlige den Anspruch des Hauses Windsor auf die Krone wiederbelebe und dass die Stirn des ehrgeizigen Raymond, im Falle der Unheilbarkeit von Adrians Krankheit und seiner Ehe mit dessen Schwester, mit dem magischen Reif des Königtums bekränzt werden könnte.

Jene ruhmvolle Geschichte erscholl überall; jene Geschichte machte meinen weiteren Aufenthalt in Wien, fern von dem Freund meiner Jugend, unerträglich. Jetzt musste ich meinen Schwur erfüllen, jetzt mich ihm zur Seite stellen und sein Verbündeter und Unterstützer sein bis zum Tode. Leb wohl, höfisches Vergnügen, auf zur politischen Intrige, auf ins Labyrinth der Leidenschaft und Torheit! Sei gegrüßt, England! Heimisches England, empfange dein Kind! Du bist der Schauplatz all meiner Hoffnungen, die gewaltige Bühne, auf der das einzige Drama gespielt wird, das mich fesseln kann. Eine unwiderstehliche Stimme, eine allgewaltige Macht zog mich dorthin. Nach einer Abwesenheit von zwei Jahren landete ich an seinen Ufern und wagte nicht, irgendwelche Fragen zu stellen, so sehr fürchtete ich mich vor den Antworten. Meinen ersten Besuch würde ich meiner Schwester abstatten, die ein kleines Häuschen, auch dies war Adrians Geschenk, am Rande des Waldes von Windsor bewohnte. Von ihr sollte ich die Wahrheit über unseren Gönner erfahren; ich sollte hören, warum sie sich aus dem Schutz Prinzessin Evadnes zurückgezogen hatte, und über den Einfluss unterrichtet werden, den dieser gewaltig emporragende Raymond auf die Geschicke meines Freundes ausübte.

Ich war noch nie zuvor in der Nähe von Windsor gewesen; die Fruchtbarkeit und Schönheit des Landes um mich herum flößten mir jetzt Bewunderung ein, die sich vertiefte, als ich mich dem altehrwürdigen Wald näherte. Die Stümpfe majestätischer Eichen, die im Laufe der Jahrhunderte gewachsen, gediehen und verfallen waren, markierten die einstige Grenze des Waldes, während die zerbrochenen Umzäunungen und das verfilzte Unterholz anzeigten, dass dieser Teil zugunsten der jüngeren Anpflanzungen verlassen worden war, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts angelegt wurden und jetzt in voller Reife standen. Perditas bescheidene Behausung lag an den Rändern des ältesten Teils; vor ihr lag Bishopsgate Heath, das sich, so weit das Auge reichte, nach Osten erstreckte, und im Westen von Chapel Wood und dem Hain von Virginia Water begrenzt wurde. Dahinter wurde die Hütte von den ehrwürdigen Riesen des Waldes beschattet, unter denen Hirsche grasten, und welche, größtenteils hohl und zerfallen, phantastische Gruppierungen bildeten, die mit der gewöhnlichen Schönheit der jüngeren Bäume kontrastierten. Diese, die Nachkommen einer späteren Periode, standen aufrecht und schienen bereit, furchtlos in die kommende Zeit vorzustoßen; während jene abgekämpften Gerippe sich ausgedörrt und zerschmettert aneinanderklammerten und ihre schwachen Äste im sie schüttelnden Wind seufzten – eine wettergegerbte Truppe.

Eine zierliche Umzäunung umgab den Garten der Hütte, welche mit ihrem niedrigen Dach der Majestät der Natur zu unterliegen und sich inmitten der ehrwürdigen Überreste vergangener Zeit niederzukauern schien. Blumen, die Kinder des Frühlings, schmückten Garten und Fenster; inmitten der Einfachheit herrschte ein Hauch von Eleganz, der auf den anmutigen Geschmack der Bewohnerin hindeutete. Mit pochendem Herzen betrat ich den Garten; als ich am Eingang der Hütte stand, hörte ich ihre Stimme, die so melodisch klang wie in meiner Erinnerung und die mich, noch ehe ich sie sah, ihres Wohlergehens versicherte.

Einen Augenblick darauf erschien Perdita; sie stand vor mir in der frischen Blüte jugendlicher Fraulichkeit, anders als das Bergbauernmädchen, das ich verlassen hatte, und doch dieselbe. Ihre Augen konnten nicht tiefsinniger sein als in der Kindheit und ihr Antlitz nicht ausdrucksvoller; aber der Ausdruck war verändert und verfeinert; Intelligenz sprach daraus. Als sie lächelte, wurde ihr Gesicht von der sanftesten Empfindsamkeit versüßt, und ihre leise, wohlklingende Stimme schien von der Liebe gestimmt. Ihre Gestalt hatte äußerst weibliche Formen erhalten. Sie war nicht groß, doch das Leben in den Bergen hatte ihre Bewegungen beflügelt, so dass ihr leichter Schritt ihre Fußtritte kaum hörbar machte, als sie mir durch den Flur entgegenging. Als wir uns getrennt hatten, hatte ich sie voller Wärme an meine Brust gezogen; wir trafen uns wieder, und neue Gefühle wurden erweckt. Als wir einander erblickten, verging die Kindheit, nun begegneten wir uns als Erwachsene in dieser wechselvollen Szene. Dies Innehalten dauerte nur einen Augenblick; die Flut von Zuneigung stürzte wieder mit voller Kraft in unsere Herzen, und wir umarmten uns mit den zärtlichsten Empfindungen.

Als dieser Ausbruch leidenschaftlichen Gefühls vorüber war, saßen wir mit wieder beruhigten Gedanken beisammen und redeten von Vergangenheit und Gegenwart. Ich spielte auf den kühlen Ton ihrer Briefe an, aber die wenigen Minuten, die wir zusammen verbracht hatten, erklärten die Ursache dafür hinreichend. In ihr waren neue Gefühle entstanden, die sie einem Menschen, den sie nur in der Kindheit gekannt hatte, nicht schriftlich ausdrücken konnte; doch nun, da wir uns wiedersahen, wurde unsere Nähe erneuert, als ob nichts sie je unterbrochen hätte. Ich berichtete ausführlich über die Geschehnisse während meines Aufenthalts im Ausland und fragte sie dann nach den Veränderungen, die zu Hause stattgefunden hatten, nach den Ursachen für Adrians Abwesenheit und ihr zurückgezogenes Leben.

Die Tränen, die meiner Schwester in die Augen strömten, als ich unseren Freund erwähnte, und ihre geröteten Wangen schienen für die Wahrheit der Berichte zu bürgen, die mich erreicht hatten. Doch ihre Bedeutung war zu schrecklich für mich, um meine Ahnung sofort zur Wahrheit werden zu lassen. Gab es wirklich eine Unordnung im erhabenen Universum von Adrians Gedanken, brachte der Wahnsinn die wohlgeordneten Legionen durcheinander und war er nicht mehr der Herr seiner eigenen Seele? Geliebter Freund, das Klima dieser unseligen Welt war schädlich für deinen sanften Geist; du gabst seine Herrschaft zugunsten falscher Menschlichkeit auf, die ihn vor der Winterzeit seiner Blätter beraubte und sein nacktes Leben dem unheilvollen Einfluss rauer Winde preisgab. Haben diese sanften Augen, diese »Kanäle zur Seele«, ihre Sinnhaftigkeit verloren, oder offenbaren sie in ihrem Blick nurmehr die schreckliche Geschichte ihrer Verirrungen? Sollte diese Stimme nicht mehr die »beredteste Musik sprechen«? Schrecklich, überaus schrecklich! Ich bedecke meine Augen vor Entsetzen über die Veränderung, und die strömenden Tränen bezeugen mein Mitleid für diesen unvorstellbaren Untergang.

Auf meine Bitte hin führte Perdita die traurigen Umstände auf, die zu diesem Ereignis geführt hatten.

Adrian, dessen aufrichtiger und argloser Geist mit aller natürlichen Anmut begabt war, mit transzendenten Geisteskräften ausgestattet, die durch keinen Mangel überschattet waren (sofern seine furchtlose Unabhängigkeit des Denkens nicht zu einem solchen erklärt werden sollte), hatte sich, bis zur völligen Selbstaufopferung, ganz seiner Liebe zu Evadne hingegeben. Er vertraute ihr die Schätze seiner Seele an, sein Streben nach dem Guten und seine Pläne zur Verbesserung der Menschheit. Als die Männlichkeit in ihm erwachte, erlangten seine Pläne und Theorien, weit davon entfernt, durch persönliche und berechnende Motive beeinflusst zu werden, neue Stärke von der Kraft, die er in sich aufsteigen fühlte; und seine Liebe zu Evadne schlug tiefere Wurzeln, als er mehr und mehr zur Gewissheit gelangte, dass der Weg, den er verfolgte, voller Schwierigkeiten war und dass er seine Belohnung nicht im Beifall oder der Dankbarkeit seiner Mitgeschöpfe, und kaum im Erfolg seiner Pläne, erwarten durfte, sondern in der Billigung seines eigenen Herzens und in ihrer Liebe und Zuneigung, die jede Mühe erleichtern und jedes Opfer entschädigen sollte.

In der Abgeschiedenheit und auf vielen einsamen Wanderungen fernab aller Zivilisation reiften seine Ideen für die Reform der englischen Regierung und die Verbesserungen für das Volk heran. Es wäre besser gewesen, wenn er seine Gedanken verborgen hätte, bis er in den Besitz der Macht gekommen wäre, die für ihre praktische Ausführung sorgen würde. Doch aufrichtig und furchtlos wie er war, plagte ihn eine Ungeduld bezüglich der Jahre, die zuvor verstreichen müssten. Er lehnte nicht nur die Pläne seiner Mutter kurzerhand ab, sondern gab seine Absicht bekannt, seinen Einfluss darauf zu verwenden, die Macht des Adels zu verringern, einen besseren Ausgleich von Reichtum und Privilegien zu bewirken und ein ausgeklügeltes System der Republik in England einzuführen. Zuerst behandelte seine Mutter seine Theorien als wilde Ausbrüche, die seiner Unerfahrenheit geschuldet waren. Aber sie waren so systematisch geordnet und seine Argumente so gut begründet, dass sie, wenngleich sie immer noch ungläubig wirkte, begann, ihn zu fürchten. Sie versuchte, ihn umzustimmen, und als ihr dies nicht gelang, lernte sie ihn zu hassen.

Seltsamerweise war dieses Gefühl ansteckend. Seine Begeisterung für das Gute, das es nicht gab, seine Verachtung für die Unantastbarkeit der Autorität, sein Eifer und seine Unbesonnenheit standen alle im völligen Gegensatz zum üblichen Lebensalltag. Die Weltlichen fürchteten ihn, die Jungen und Unerfahrenen verstanden weder die hohe Strenge seiner moralischen Ansichten, noch mochten sie ihn, da er sich so von ihnen unterschied. Evadne konnte sich nicht recht für seine Pläne erwärmen. Sie hielt es für gut, dass er seinen Willen durchsetzte, aber sie wünschte, dass dieser Wille für die Masse verständlicher wäre. Sie hatte nichts vom Geist eines Märtyrers an sich und war nicht geneigt, die Schande und Niederlage eines gefallenen Patrioten zu teilen. Sie war sich der Reinheit seiner Motive, der Großzügigkeit seiner Veranlagung, seiner aufrichtigen und glühenden Liebe zu ihr bewusst, und sie empfand eine große Zuneigung für ihn. Er erwiderte diesen Geist der Güte mit liebevoller Dankbarkeit und machte sie zur Schatzkammer all seiner Hoffnungen.

Zu dieser Zeit kehrte Lord Raymond aus Griechenland zurück. Keine zwei Personen könnten gegensätzlicher sein als Adrian und er. Trotz all der Widersprüchlichkeiten seines Charakters war Raymond eindeutig ein Mann von Welt. Er neigte zur Unbeherrschtheit; da seine Leidenschaften oft die Kontrolle über ihn erlangten, konnte er sein Verhalten nicht immer zu seinen Gunsten steuern, doch er handelte stets voller Selbstsucht. Er betrachtete die Struktur der Gesellschaft als einen Teil der Maschinerie, die das Netz, auf dem sein Leben beruhte, stützte. Die Erde breitete sich vor ihm aus wie eine Straße, der Himmel türmte sich über ihm als ein Baldachin auf.

Adrian fühlte, dass er Teil eines großen Ganzen war. Er empfand nicht nur eine Verbundenheit mit den Menschen, sondern zur ganzen Natur; die Berge und der Himmel waren seine Freunde, die Winde des Himmels und der Bewuchs der Erde seine Spielkameraden. Während er sich nur auf diesen mächtigen Spiegel konzentrierte, spürte er, wie sich sein Leben mit dem Universum der Existenz vermischte. Seine Seele war voller Zuneigung und ganz dem Schönen und Guten gewidmet. Adrian und Raymond kamen nun in Kontakt, und es entwickelte sich eine Abneigung zwischen ihnen. Adrian lehnte die engstirnigen Ansichten des Politikers ab, Raymond wiederum verachtete die wohltätigen Visionen des Philanthropen zutiefst.

Mit der Ankunft Raymonds kam der Sturm auf, der auf einen Schlag die Gärten der Freude und der lauschigen Pfade verwüstete, die Adrian sich als eine Zuflucht vor Niederlage und Schmach gesichert zu haben glaubte. Raymond, der Befreier Griechenlands, der elegante Soldat, der in seiner Miene einen Hauch von allem, was ihrer Heimat zugehörig war, trug, wurde von Evadne verehrt – er wurde von Evadne geliebt. Überwältigt von ihren neuen Empfindungen, hielt sie nicht inne, um sie zu bedenken oder ihr Verhalten durch irgendwelche anderen Gefühle zu steuern außer dem unwiderstehlichen, das plötzlich Besitz von ihrem Herzen ergriff. Sie gab seinem Einfluss nach, und die nur zu natürliche Konsequenz eines Geistes, der sanfte Gefühle nicht gewohnt ist, war, dass die Aufmerksamkeit Adrians ihr unangenehm wurde. Sie wurde launisch; ihr zärtliches Verhalten ihm gegenüber wich Schroffheit und zurückweisender Kälte. Wenn sie den gefühlvollen Ausdruck seines Gesichtes wahrnahm, gab sie zuweilen nach und nahm für eine Weile wieder ihre alte Freundlichkeit an. Aber diese Schwankungen erschütterten die Seele des empfindsamen Jünglings bis ins Mark; er glaubte nicht mehr, dass die Welt ihm gehörte, weil er Evadnes Liebe besaß; er fühlte in jedem Nerv, dass die schrecklichen Stürme des geistigen Universums seine zerbrechliche Seele angreifen würden, die in der Erwartung ihres Erscheinens zitterte.

Perdita, die damals bei Evadne lebte, sah die Marter, die Adrian erduldete. Sie liebte ihn als einen freundlichen älteren Bruder; einen Verwandten, der sie führte, schützte und unterrichtete, ohne die allzu häufige Tyrannei der elterlichen Autorität. Sie verehrte seine Tugenden und sah mit gemischter Verachtung und Entrüstung, wie Evadne wegen eines andern, der sie kaum beachtete, düstere Trauer über ihn brachte. In seiner einsamen Verzweiflung besuchte Adrian oft meine Schwester und drückte in verdeckten Begriffen sein Elend aus, während Stärke und Pein um den Thron seines Geistes rangen. Bald, ach! würde einer besiegt sein. Wut machte keinen Teil seiner Gefühle aus. Auf wen sollte er wütend sein? Nicht auf Raymond, der von dem Elend, das er verursachte, nichts wusste; nicht auf Evadne, für sie weinte seine Seele blutige Tränen – das arme, fehlgeleitete Mädchen, das Sklavin, nicht Tyrannin war, und unter seiner eigenen Qual betrauerte er ihr zukünftiges Schicksal. Einmal fiel Perdita ein Schreiben von ihm in die Hände; es war mit Tränen befleckt – möge ein jeder es damit beflecken –

»Das Leben« – so begann es – »ist nicht das, als was Romanschreiber es beschreiben; die Schritte eines Tanzes machen und nach verschiedenen Drehungen zu einem Abschluss kommen, worauf die Tänzer sich setzen und ausruhen können. Im wahren Leben gibt es Handlungen und Veränderungen. Wir gehen voran, in Gedanken stets mit unserm Ursprung verbunden, jede Handlung folgt einer früheren Handlung. Keine Freude oder Trauer stirbt ohne Nachkommenschaft, welche, stets hervorgebracht und selbst Neues hervorbringend, die Kette flicht, die unser Leben ist:

Tage rufen andre Tage

Und verketten je und je

Klag um Klage, Weh um Weh.

Wahrhafte Enttäuschung ist die Schutzgöttin des menschlichen Lebens; sie sitzt an der Schwelle der ungeborenen Zeit und ordnet die zukünftigen Ereignisse. Einst hüpfte mein Herz leicht in meiner Brust; die ganze Schönheit der Welt war doppelt schön, bestrahlt von dem aus meiner eigenen Seele gegossenen Sonnenlicht. O warum verbindet sich die Liebe in unserem sterblichen Traum stets mit dem Untergang? So dass, wenn wir unser Herz zu einem Lager für dies sanft anmutende Geschöpf machen, stets sein Gefährte mit ihm eintritt und erbarmungslos in Schutt und Asche legt, was ein Zuhause und eine Zuflucht hätten sein können.«

Nach und nach wurde seine Gesundheit durch sein Elend erschüttert, und dann gab auch sein Verstand der Marter nach. Sein Benehmen wurde wild; er war zuweilen rasend, zuweilen in stumme Melancholie versunken. Plötzlich verließ Evadne London und reiste nach Paris; er folgte ihr und holte sie ein, als das Schiff im Begriff war abzusegeln; niemand wusste, was zwischen ihnen vorfiel, doch Perdita hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen; er lebte in Abgeschiedenheit, niemand wusste, wo, in der Begleitung von Personen, die seine Mutter für diesen Zweck ausgewählt hatte.

Der letzte Mensch

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