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Kapitel 4[a]
ОглавлениеExistiert ein solches Gefühl wie die Liebe auf den ersten Blick? Und falls dem so wäre, worin unterscheidet sich ihre Natur von der Liebe, die sich auf eingehende Beobachtung und langsames Wachstum gründet? Vielleicht sind ihre Auswirkungen nicht so dauerhaft; doch sie sind, solange sie bestehen, heftig und intensiv. Wir wandeln freudlos durch die unwegsamsten Irrgärten des Lebens, bis wir jenen Schlüssel in Händen halten, der uns durch dieses Labyrinth ins Paradies führt. Unsere trübe Natur schlummert wie eine unentzündete Fackel in formloser Leere, bis das Feuer sie erreicht; diese Essenz des Lebens, dieses Licht des Mondes und die Herrlichkeit der Sonne. Was spielt es für eine Rolle, ob dieses Feuer aus Feuerstein und Stahl geschlagen, vorsichtig zu einer Flamme genährt und langsam dem dunklen Docht mitgeteilt wird, oder ob die strahlende Kraft von Licht und Wärme rasch von einer verwandten Seele ausgeht und zugleich das Leuchtfeuer und die Hoffnung entzündet. In der tiefsten Quelle meines Herzens wurden die Takte gerührt; um mich herum, über und unter mir umfing mich die anhaftende Erinnerung wie ein Umhang. In keinem einzigen Augenblick der zukünftigen Zeit empfand ich wie damals. Der Geist von Idris schwebte in der Luft, die ich atmete; ihre Augen waren immer und ewig auf die meinen gerichtet; ihr Lächeln, an das ich mich erinnerte, blendete mich und ließ mich als einen Blinden zurück, nicht in die Finsternis, nicht in Dunkelheit und Leere – sondern in ein nie gekanntes, strahlendes Licht eingehend, das zu neu, zu gleißend für meine menschlichen Sinne war. Jedem Blatt, jedem kleinen Teil des Universums (wie auf der Hyazinthe ein Ai eingraviert ist) war der Talisman meiner Existenz aufgeprägt – SIE LEBT! SIE EXISTIERT! – Ich hatte noch nicht die Zeit gefunden, mein Gefühl zu untersuchen, mich selbst zur Vernunft zu rufen und in der unbezwinglichen Leidenschaft anzuleiten; alles war ein Gedanke, ein Gefühl, ein Wissen – es war mein Leben!
Doch die Würfel waren gefallen – Raymond würde Idris heiraten. Die Hochzeitsglocken läuteten fröhlich in meinen Ohren; ich hörte die Gratulationen des Volks, das dem Brautpaar folgte, sah den ehrgeizigen Adligen mit raschem Adlerflug sich vom untersten Rang zum Königtum erheben – und zur Liebe Idris’. Doch halt, dies nicht! Sie liebte ihn nicht; sie hatte mich ihren Freund genannt; mich hatte sie angelächelt; mir hatte sie die größte Hoffnung ihres Herzens, das Wohlergehen Adrians, anvertraut. Diese Erinnerung erwärmte mein erstarrendes Blut, und wieder strömte die Flut des Lebens und der Liebe ungestüm heran und verebbte wieder, als sich meine geschäftigen Gedanken veränderten.
Die Debatte endete um drei Uhr morgens. Meine Seele war in Aufruhr; ich überquerte die Straßen mit eifriger Hast. Wahrlich, ich war in dieser Nacht verrückt – die Liebe, welche ich von Geburt an als eine Riesin bezeichnet habe, rang mit der Verzweiflung! Mein Herz, das Schlachtfeld, wurde von der eisernen Ferse des einen verwundet, von den Tränen der anderen getränkt. Der mir verhasste Tag dämmerte heran; ich zog mich in mein Quartier zurück – ich warf mich auf eine Liege – ich schlief – war es Schlaf? –, denn meine Gedanken waren noch wach – Liebe und Verzweiflung kämpften noch immer, und ich krümmte mich unter unerträglicher Pein.
Ich erwachte halb betäubt; ich fühlte eine schwere Last auf mir, wusste aber nicht woher; ich trat gewissermaßen in das Kabinett meines Geistes ein und befragte die verschiedenen Minister, die darin versammelt waren. Nur zu bald erinnerte ich mich an alles, nur zu bald zitterten meine Glieder unter der Marter, nur zu bald erkannte ich, dass ich ein Sklave war!
Plötzlich betrat Lord Raymond unangekündigt meine Unterkunft. Er kam fröhlich herein und sang das Tiroler Freiheitslied, bedachte mich mit einem gnädigen Nicken und warf sich auf ein Sofa gegenüber der Kopie einer Büste des Apollo von Belvedere. Nach einer oder zwei trivialen Bemerkungen, auf die ich mürrisch antwortete, rief er plötzlich, indem er die Büste betrachtete, aus:
»Ich werde nach diesem Sieger benannt! Kein übler Gedanke; der Kopf soll auf meinen neu geprägten Münzen prangen und allen pflichtbewussten Untertanen ein Wahrzeichen meines zukünftigen Erfolges sein.«
Er sagte das auf seine heitere, aber wohlwollende Art, und lächelte nicht verächtlich, sondern in spielerischem Spott über sich selbst. Dann verdüsterte sich sein Antlitz jäh, und er rief in jenem ihm eigenen schrillen Ton: »Ich habe gestern Abend eine gute Schlacht geschlagen; eine größere Eroberung sah mich Griechenland nie erzielen. Jetzt bin ich der erste Mann in diesem Staat, Teil jeder Ballade und Gegenstand der gemurmelten Andachten alter Weiber. Was sind Ihre Gedanken dazu? Sie, der Sie sich vorstellen, dass Sie die menschliche Seele lesen können, wie Ihr heimatlicher See jeden Felsspalt und jede Vertiefung der ihn umgebenden Hügel widerspiegelt – sagen Sie, was Sie von mir denken: Königsanwärter, Engel oder Teufel, was davon bin ich?«
Dieser ironische Ton erhitzte mein berstendes, überkochendes Herz über die Maßen; ich war von seiner Unverschämtheit überwältigt und antwortete mit Bitterkeit: »Es gibt einen Geist, der weder Engel noch Teufel ist, sondern nur auf ewig zum Limbus verdammt ist.« Ich sah seine Wangen erblassen und seine Lippen beben. Sein Zorn diente jedoch nur dazu, meinen zu entflammen, und ich antwortete mit einem entschlossenen Blick in seine Augen, die mich anfunkelten. Plötzlich wurden sie abgewandt, niedergeschlagen, eine Träne, dachte ich, benetzte die dunklen Wimpern. Ich wurde milder und fügte mit unwillkürlichem Mitleid hinzu: »Nicht, dass Sie ein solcher wären, mein lieber Lord.«
Ich hielt inne, selbst von der Bewegung betroffen, die er zeigte.
»Ja«, sagte er endlich, erhob sich und biss sich auf die Lippen, als er sich bemühte, seine Leidenschaft zu zügeln; »Sie kennen mich nicht, Verney; weder Sie noch unser Publikum von letzter Nacht noch ganz England wissen etwas von mir. Ich stehe hier als ein, wie es scheint, auserwählter König, diese Hand ist im Begriff, ein Zepter zu ergreifen, diese Stirn fühlt in jedem Nerv die sie bald drückende Krone. Ich wirke, als verfügte ich über Stärke, Macht und Sieg, und stände so fest wie ein Kuppelpfeiler, und ich bin – ein Schilfrohr! Ich habe Ehrgeiz und erreiche damit mein Ziel, meine nächtlichen Träume werden wahr, meine wachenden Hoffnungen erfüllt, ein Königreich erwartet mich, meine Feinde werden gestürzt. Doch hier«, und er schlug sich auf die Brust, »hier sitzt der Aufrührer, das ist der Stolperstein, dieses beherrschende Herz, das ich seines heißen Blutes berauben will; doch solange noch ein flatterndes Pulsieren bestehen bleibt, bin ich sein Sklave.«
Er sprach mit gebrochener Stimme, dann senkte er den Kopf und weinte, während er sein Gesicht mit seinen Händen bedeckte. Meine eigene Enttäuschung schmerzte mich noch immer; doch diese Szene versetzte mir einen außerordentlichen Schrecken, auch konnte ich seinen leidenschaftlichen Ausbruch nicht unterbrechen. Dieser ließ nach einer Weile nach, und er lag, nachdem er sich auf das Sofa geworfen hatte, stumm und bis auf sein Mienenspiel, das auf einen starken inneren Konflikt hindeutete, regungslos da. Endlich erhob er sich und sagte in seinem üblichen Tonfall: »Die Zeit drängt, Verney, ich muss fort. Lassen Sie mich meinen größten Auftrag hier nicht vergessen. Wollen Sie mich morgen nach Windsor begleiten? Sie werden durch meine Gesellschaft nicht entehrt sein, und da dies wahrscheinlich der letzte Dienst ist, den Sie mir leisten können, werden Sie meine Bitte erfüllen?«
Er streckte seine Hand mit einer beinahe schüchternen Geste aus. Rasch dachte ich – ja, ich will die letzte Szene des Dramas erleben. Nebenbei ließ ich mich von seiner Miene erweichen, und ein liebevolles Gefühl ihm gegenüber erfüllte wieder mein Herz – ich bat ihn, über mich zu verfügen.
»Gut, das werde ich«, sagte er fröhlich, »das ist jetzt mein Stichwort; seien Sie morgen um sieben bei mir; seien Sie diskret und treu; und Sie sollen bald mein Vertrauter bei Hofe sein.«
So sprach er, eilte davon, sprang auf sein Pferd und sagte, mit einer Geste, als ob er erwartete, dass ich seine Hand küsste, ein weiteres Mal lachend Adieu. Mir selbst überlassen, bemühte ich mich unter quälender Anspannung, das Motiv seiner Bitte zu erahnen und die Ereignisse des kommenden Tages vorauszusehen. Die Stunden vergingen unbemerkt; mein Kopf schmerzte vom Nachdenken, und die Nerven schienen überlastet zu sein. Ich griff an meine brennende Stirn, als könnte meine fiebrige Hand ihren Schmerz lindern.
Ich erschien pünktlich zur verabredeten Stunde des folgenden Tages und fand Lord Raymond vor, der bereits auf mich wartete. Wir stiegen in seinen Wagen und fuhren nach Windsor. Ich hatte mich gewappnet und war entschlossen, meine innere Unruhe durch kein äußeres Zeichen zu offenbaren.
»Was für einen Fehler Ryland begangen hat«, sagte Raymond, »als er dachte, mich vergangenen Abend zu überwältigen. Er sprach gut, sehr gut; eine solche Ansprache wäre besser an mich allein gerichtet gewesen als an die Dummköpfe und Schurken, die dort versammelt waren. Wäre ich allein gewesen, hätte ich vielleicht auf ihn gehört, doch als er versuchte, mich in meinem eigenen Territorium mit meinen eigenen Waffen zu schlagen, forderte er mich heraus, und das Ergebnis war ganz so, wie zu erwarten stand.«
Ich lächelte ungläubig und antwortete: »Ich hege dieselben Ansichten wie Ryland und werde, wenn Sie möchten, alle seine Argumente wiederholen; wir werden sehen, inwieweit Sie von ihnen veranlasst werden, sich vom Thron ab und dem Patriotismus zuzuwenden.«
»Die Wiederholung würde nutzlos sein«, sagte Raymond, »da ich mich gut an sie erinnere und viele andere kenne, die ich mir selbst nennen kann und die von unwiderleglicher Überzeugungskraft sind.«
Er erklärte sich nicht weiter, und ich machte ebenfalls keine Bemerkung zu seiner Antwort. Unser Schweigen dauerte einige Meilen an, bis die Landschaft uns mit offenen Feldern, schattigen Wäldern und Parks angenehme Ausblicke bescherte. Nach einigen Bemerkungen über die Landschaft und Herrensitze sagte Raymond: »Philosophen haben den Menschen einen Mikrokosmos der Natur genannt und finden eine Reflexion im inneren Bewusstsein für all diese Gegenstände, die um uns herum sichtbar sind. Diese Theorie war oft ein Quell der Belustigung für mich; und ich habe so manche Mußestunde damit verbracht, derlei Ähnlichkeiten zu suchen. Sagt nicht Lord Bacon, dass ›der Wechsel von einem Missklang zur Harmonie, der in der Musik große Schönheit verursacht, eine Übereinstimmung mit den Gefühlen hat, die nach einigen Abneigungen wieder zum Besseren gestimmt werden‹? Welch Ozean ist die Flut der Leidenschaft, deren Quellen in unserer eigenen Natur liegen! Unsere Tugenden sind die Treibsande, die sich bei ruhigem und niedrigem Wasser zeigen, aber wenn die Wellen sie ansteigen lassen und die Winde sie auftürmen, sieht sich der arme Teufel, der seine Hoffnung in ihre Beständigkeit gelegt hatte, in ihnen versinken. Die Moden der Welt, Drangsale, Erziehung und Streben, sind Winde, die unseren Willen wie Wolken alle in eine Richtung treiben; aber wenn ein Gewitter in Form von Liebe, Hass oder Ehrgeiz aufzieht, wird das Gewölk zurückgeweht und zermalmt die gegnerische Luft im Triumph.«
»Und doch«, antwortete ich, »stellt sich die Natur unseren Augen immer als Erduldende dar, während es im Menschen ein aktives Prinzip gibt, das fähig ist, das Geschick zu beeinflussen und wenigstens gegen den Sturm anzukämpfen, ehe dieser ihn auf irgendeine Weise überwindet.«
»Es liegt mehr Trügerisches als Wahrheit in Ihrer Unterscheidung«, sagte mein Begleiter. »Haben wir uns selbst geformt, unsere Veranlagungen und unsere Kräfte gewählt? Ich jedenfalls empfinde mich als Saiteninstrument mit Akkorden und Anschlägen – doch ich habe keine Macht, die Saiten zu spannen oder meine Gedanken in eine höhere oder tiefere Tonlage zu stimmen.«
»Andere Männer«, bemerkte ich, »mögen bessere Musiker sein.«
»Ich spreche nicht von anderen, sondern von mir selbst«, erwiderte Raymond, »und ich kann ein ebenso schönes Beispiel abgeben als jeder andere. Ich kann mein Herz nicht auf einen bestimmten Ton stimmen oder willkürliche Änderungen nach meinem Gutdünken ausführen. Wir werden geboren; wir wählen weder unsere Eltern noch unseren Stand; wir werden von anderen erzogen oder von den Umständen der Welt; und diese Kultivierung, die sich mit unserer angeborenen Veranlagung vermischt, ist der Boden, auf dem unsere Wünsche, Leidenschaften und Beweggründe wachsen.«
»Es liegt viel Wahres in dem, was Sie sagen«, sagte ich, »und dennoch handelt kein Mensch jemals nach dieser Theorie. Wer sagt denn, wenn er eine Wahl trifft: So wähle ich, weil ich dazu getrieben werde? Fühlt er nicht im Gegenteil eine Willensfreiheit in sich, welche, wenngleich Sie sie trügerisch nennen mögen, ihn zu seinen Entscheidungen drängt?«
»Eben jene«, antwortete Raymond, »ist ein weiteres Glied der unzerreißbaren Kette. Würde ich nun eine Tat begehen, die meine Hoffnungen zunichtemacht, das Königsgewand von meinen sterblichen Gliedern reißt und sie in eine gewöhnliche Tracht kleidet; würde dies, glauben Sie, ein Akt des freien Willens meinerseits sein?«
Während wir so sprachen, bemerkte ich, dass wir nicht die gewöhnliche Straße nach Windsor, sondern über Englefield Green in Richtung Bishopsgate Heath fuhren. Mir begann zu dämmern, dass nicht Idris das Ziel unserer Reise war, sondern dass ich Zeuge der Szene sein sollte, die das Schicksal Raymonds – und Perditas entscheiden sollte. Raymond war offensichtlich während seiner Reise schwankend gewesen, und Unentschlossenheit zeigte sich in jeder Geste, als wir Perditas Hütte betraten. Ich beobachtete ihn aufmerksam und war entschlossen, dass ich, sollte dieses Zögern anhalten, Perdita helfen würde, sich zu fassen, und sie lehren würde, seine wankelmütige Liebe zu verachten, die zwischen dem Besitz einer Krone und ihr schwankte, deren Vortrefflichkeit und Gefühl den Wert eines Königreiches um ein Vielfaches übertraf.
Wir fanden sie in ihrer blumengeschmückten Laube; sie las den Zeitungsbericht über die Debatte im Parlament, der sie offenbar bis zur Hoffnungslosigkeit bedrückte. Dieses niedergeschlagene Gefühl spiegelte sich in ihren matten Augen und ihrer kraftlosen Haltung; eine Wolke überschattete ihre Schönheit, und häufige Seufzer waren Zeichen ihrer Bedrängnis. Dieser Anblick übte eine unmittelbare Wirkung auf Raymond aus; seine Augen strahlten voll Zärtlichkeit, und Reue machte sein Betragen zu einem ernsten und aufrichtigen. Er setzte sich neben sie und sagte, indem er das Papier von ihrer Hand nahm: »Kein Wort mehr soll meine süße Perdita von dieser Auseinandersetzung zwischen Wahnsinnigen und Dummköpfen lesen. Ich darf Ihnen nicht gestatten, das Ausmaß meiner Verblendung zu erfahren, damit Sie mich nicht verachten; obgleich, glauben Sie mir, der Wunsch, nicht besiegt, sondern als Eroberer vor Ihnen zu erscheinen, mich während meines Wortgefechts inspirierte.«
Perdita sah ihn erstaunt an; ihr ausdrucksvolles Antlitz leuchtete für einen Augenblick voller Zärtlichkeit; ihn nur zu sehen war Glück. Aber ein bitterer Gedanke überschattete bald ihre Freude; sie wandte ihre Augen zu Boden und bemühte sich, die Tränen zurückzudrängen, die sie zu überwältigen drohten. Raymond fuhr fort: »Ich will nicht mit Ihnen spielen, liebes Mädchen, oder als etwas anderes erscheinen als ich bin, schwach und unwürdig, und eher dazu tauglich, Ihre Verachtung zu erregen als Ihre Liebe. Und doch lieben Sie mich, ich fühle und weiß, dass Sie es tun, und daraus ziehe ich meine teuersten Hoffnungen. Wenn Stolz Sie leiten würde oder auch Vernunft, könnten Sie mich wohl zurückweisen. Tun Sie es, wenn Ihr hohes Herz sich meiner Niedrigkeit nicht beugen will. Wenden Sie sich von mir ab, wenn Sie möchten – wenn Sie es können. Wenn nicht Ihre ganze Seele Sie dazu auffordert, mir zu vergeben – wenn nicht Ihr ganzes Herz seine Tür weit öffnet, um mich in sein Innerstes einzulassen, so vergessen Sie mich, sprechen Sie nie wieder mit mir. Ich bin, obschon ich gegen Sie sündigte, fast über die Vergebung hinaus sündigte, dennoch stolz, denn es darf keine Zurückhaltung in ihrer Vergebung geben – keinen Hinderungsgrund für das Geschenk Ihrer Zuneigung.«
Perdita blickte verwirrt und doch erfreut zu Boden. Meine Anwesenheit hatte sie in Verlegenheit gebracht; so dass sie nicht wagte, sich umzuwenden, um dem Auge ihres Geliebten zu begegnen, oder ihrer Stimme zu vertrauen, um ihn ihrer Zuneigung zu versichern; während Röte ihre Wange überzog und ihre traurige Miene einer anderen wich, die von tief empfundener Freude zeugte. Raymond legte einen Arm um ihre Taille und fuhr fort: »Ich leugne nicht, dass ich zwischen Ihnen und der höchsten Hoffnung, die sterbliche Männer haben können, schwankte, aber dies tue ich nicht mehr. Nehmen Sie mich an – formen Sie mich nach Ihrem Willen, besitzen Sie mein Herz und meine Seele für alle Ewigkeit. Wenn Sie sich weigern, zu meinem Glück beizutragen, werde ich heute Abend England verlassen und es nie wieder betreten.«
»Lionel, Sie hören zu. Seien Sie mein Zeuge: Überreden Sie Ihre Schwester, die Verletzung zu vergeben, die ich ihr angetan habe; überreden Sie sie, die Meine zu sein.«
»Es bedarf keiner Überredung«, sagte die errötende Perdita, »außer Ihren eigenen lieben Versprechen und meinem bereitwilligen Herzen, das mir zuflüstert, dass sie wahr sind.«
An jenem Abend gingen wir alle drei zusammen im Walde spazieren, und mit der von der Glückseligkeit inspirierten Schwatzhaftigkeit schilderten sie mir die Geschichte ihrer Liebe. Es war angenehm zu sehen, wie sich der hochmütige Raymond und die zurückhaltende Perdita durch glückliche Liebe in plappernde, verspielte Kinder verwandelten, die ihre sie auszeichnende Beherrschtheit in der Fülle der gegenseitigen Zufriedenheit ablegten. Vor ein, zwei Nächten hatte Lord Raymond, mit besorgter Stirn und einem von Gedanken bedrängten Herzen, alle seine Kräfte aufgewandt, um die Gesetzgeber Englands zum Schweigen zu bringen oder davon zu überzeugen, dass ein Zepter für seine Hand nicht zu schwer sei, während Visionen von Herrschaft, Krieg und Triumph vor ihm schwebten. Jetzt, ausgelassen wie ein lebhafter Knabe, der unter dem beifälligen Auge seiner Mutter herumtobte, waren die Hoffnungen seines Ehrgeizes zu einem Ende gekommen, als er die kleine zarte Hand Perditas an seine Lippen drückte; während sie strahlend vor Entzücken auf den stillen Teich blickte, sich nicht selbst bewundernd, sondern entzückt das Spiegelbild der Gestalten von sich und ihrem Geliebten betrachtend, das sie zum ersten Mal in liebevoller Verbindung zeigte.
Ich entfernte mich ein wenig von ihnen. Wo die Verzückung gegenseitiger Zuneigung ihnen gehörte, genoss ich die der wiederhergestellten Hoffnung. Ich blickte auf die königlichen Türme von Windsor. Hoch ist die Mauer und stark die Barriere, die mich von meinem Stern der Schönheit trennt. Aber nicht unüberwindlich. Sie wird nicht die Seine sein. Verweile noch ein paar Jahre in deinem heimatlichen Garten, süße Blume, bis ich durch Mühsal und Zeit das Recht erwerbe, dich zu pflücken. Verzweifle nicht, noch lass mich verzweifeln! Was ist nun zu tun? Zuerst muss ich Adrian suchen und ihn ihr wiederherstellen. Geduld, Sanftmut und unermüdliche Zuneigung sollen ihn wieder zu sich bringen, wenn es wahr ist, wie Raymond sagt, dass er von Sinnen ist. Kraft und Mut werden ihn retten, wenn er zu Unrecht festgehalten wird.
Nachdem die Liebenden sich mir wieder angeschlossen hatten, aßen wir zusammen in der Laube. Wahrlich, es war ein märchenhaftes Mahl, denn obwohl die Luft den Wohlgeruch von Früchten und Wein atmete, aß oder trank keiner von uns – selbst die Schönheit der Nacht blieb unbemerkt; ihr Glück konnte nicht durch äußere Gegenstände erhöht werden, und ich war in Träumerei versunken. Gegen Mitternacht verabschiedeten sich Raymond und ich von meiner Schwester, um in die Stadt zurückzukehren. Er war ganz Heiterkeit. Liedverse perlten von seinen Lippen, jeder Gedanke seines Geistes, jeder Gegenstand um uns her leuchtete unter dem Sonnenschein seiner Fröhlichkeit. Er beschuldigte mich der Melancholie, der Missgunst und des Neides.
»Ganz und gar nicht«, sagte ich, »wenngleich ich gestehe, dass meine Gedanken nicht so angenehm beschäftigt sind wie die Ihren. Sie haben versprochen, meinen Besuch bei Adrian zu erleichtern; ich bitte Sie nun, Ihr Versprechen einzulösen. Ich kann hier nicht verweilen; ich sehne mich danach, die Krankheit meines ersten und besten Freundes zu lindern – vielleicht zu heilen. Ich will sofort nach Dunkeld aufbrechen.«
»Sie Nachtvogel«, antwortete Raymond, »was für einen Schatten werfen Sie nur über meine strahlend hellen Gedanken, indem Sie mich zwingen, dieser trübsinnigen Ruine zu gedenken, die in geistiger Zerrüttung steht, irreparabler als ein Fragment einer behauenen Säule in einem von Unkraut überwucherten Feld. Sie träumen davon, dass Sie ihn wiederherstellen können? Daedalus hat niemals ein so unentwirrbares Labyrinth um Minotaurus erbaut wie der Wahnsinn um Adrians gefangenen Verstand. Weder Sie noch irgendein anderer Theseus kann das Labyrinth entwirren, zu dem vielleicht eine lieblose Ariadne den Schlüssel hat.«
»Sie beziehen sich auf Evadne Zaimi; doch sie weilt nicht in England.«
»Und würde sie es«, sagte Raymond, »so würde ich nicht empfehlen, dass sie ihn besucht. Es ist besser, im völligen Delirium zu verfallen, als ein bewusstes Opfer unerwiderter Liebe zu sein. Die lange Dauer seiner Krankheit hat wahrscheinlich alle Erinnerungen an sie aus seinem Gedächtnis getilgt, und es wäre besser, wenn sie nicht wieder erneuert würden. Sie werden ihn bei Dunkeld finden; sanft und fügsam wandert er die Hügel hinauf und durch den Wald oder sitzt lauschend neben dem Wasserfall. Sie mögen ihn sehen – mit Wildblumen in seinem Haar – seine Augen gänzlich bedeutungsleer – seine Stimme gebrochen – seine Person zu einem Schatten vergangen. Er pflückt Blumen und Unkraut, webt sich Kränze daraus oder lässt welke Blätter und Rindenstücke auf dem Strom segeln, erfreut sich an ihrer Fahrt oder beweint ihren Schiffbruch. Die bloße Erinnerung bricht mir schier das Herz. Bei Gott! Die ersten Tränen, die ich seit meiner Kindheit vergossen habe, schossen mir in die Augen, als ich ihn sah.«
Es hätte dieses letzten Berichtes nicht bedurft, um mich anzutreiben, ihn zu besuchen. Ich überlegte nur, ob ich versuchen sollte, Idris wiederzusehen, ehe ich abreiste. Diese Frage wurde am folgenden Tage entschieden. Früh am Morgen kam Raymond zu mir; es war die Nachricht eingetroffen, dass Adrian gefährlich erkrankt war, und es schien wenig wahrscheinlich, dass seine abnehmende Kraft die Erkrankung überwinden sollte. »Morgen«, sagte Raymond, »reisen seine Mutter und seine Schwester nach Schottland, um ihn noch einmal zu sehen.«
»Und ich reise heute ab«, rief ich; »noch in dieser Stunde werde ich einen Segelballon dingen, ich werde in höchstens achtundvierzig Stunden dort sein, vielleicht in weniger, wenn der Wind günstig weht. Leben Sie wohl, Raymond, freuen Sie sich, den besseren Teil des Lebens gewählt zu haben. Dieser Wandel des Geschicks belebt mich. Ich fürchtete Wahnsinn, nicht Krankheit – ich ahne, dass Adrian nicht sterben wird; vielleicht ist diese Krankheit eine Krise, und er wird sich erholen.«
Jeder Umstand begünstigte meine Reise. Der Ballon stieg etwa eine halbe Meile weit in die Höhe und eilte bei günstigem Wind durch die Lüfte, seine gefiederten Wagen spalteten die widerstandslose Atmosphäre. Trotz des melancholischen Gegenstandes meiner Reise wurde mein Geist durch die wiedererwachte Hoffnung, durch die schnelle Bewegung des luftigen Gefährts und durch den lauschigen Aufenthalt an der sonnigen Luft belebt. Der Pilot bewegte kaum das gefiederte Ruder, und der schlanke Mechanismus der Flügel, weit entfaltet, ließ ein murmelndes Geräusch ertönen, das den Sinn beruhigte. Ebene und Hügel, Strom und Kornfeld, waren unten zu sehen, während wir ungehindert schnell und sicher davoneilten, wie ein wilder Schwan in seinem Flug. Die Maschine gehorchte der geringsten Bewegung des Steuerruders; und der Wind wehte stetig, es gab kein Hindernis in unserem Kurs. Solcherart war die Macht des Menschen über die Elemente; eine Macht, die, lange gesucht und kürzlich gewonnen, doch in der Vergangenheit von dem Dichterfürsten vorhergesagt worden war, dessen Verse ich zitierte, sehr zum Erstaunen meines Piloten, da ich ihm erzählte, wie viele hundert Jahre zuvor sie geschrieben worden waren:
Oh! menschlicher Verstand, was magst du für Gedanken weben,
Dass ein schwerer Mann wie ein leichter Vogel sollt schweben,
Welch seltsame Künste forschst du aus: wer könnte ahnen,
Dass Menschen durch den off’nen Himmel einst einen Weg sich bahnen?
Ich ging in Perth von Bord; und obwohl ich durch die ständige frische Luft über viele Stunden erschöpft war, wollte ich mich nicht ausruhen, sondern nur meine Beförderungsart ändern. Ich fuhr auf dem Landweg nach Dunkeld weiter. Die Sonne ging gerade auf, als ich die ersten Hügel erreichte. Nach der Revolution der Zeitalter war Birnam Hill wieder mit einem jungen Wald bedeckt, während die älteren Kiefern, die zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts vom damaligen Herzog von Athol gepflanzt worden waren, der Szene Feierlichkeit und Schönheit verliehen. Die aufgehende Sonne färbte zuerst die Spitzen der Kiefern; und meine Seele, durch meine Kindheit in den Bergen tief empfänglich für die Reize der Natur, wurde jetzt am Vorabend des Wiedersehens mit meinem geliebten und vielleicht sterbenden Freund auf eigenartige Weise durch den Anblick jener fernen Strahlen berührt. Gewiss waren sie Zeichen, und als solche betrachtete ich sie, gute Vorzeichen für Adrian, von dessen Leben mein Glück abhing.
Der arme Kerl! Er lag ausgestreckt auf seinem Krankenbett, seine Wangen glühten im Fieber, seine Augen waren halb geschlossen, sein Atem ging unregelmäßig und schwer. Und doch war es weniger schmerzlich, ihn in diesem Zustand zu sehen, als ihn geisteskrank und sich wie ein Tier benehmend vorzufinden. Ich richtete mich an seinem Bett ein und verließ es Tag und Nacht nicht. Es war eine bittere Aufgabe, zuzusehen, wie sein Geist zwischen Tod und Leben schwankte, seine gerötete Wange zu sehen und zu wissen, dass das Feuer, das dort zu heftig brannte, den lebensnotwendigen Brennstoff verzehrte; seine stöhnende Stimme zu hören, die vielleicht nie wieder Worte der Liebe und Weisheit äußern würde; die schwachen Bewegungen seiner Glieder zu sehen, die bald in ihr Leichentuch eingehüllt sein könnten. Dieser Zustand hielt drei Tage und Nächte an, und ich wurde durch die Angst und die Beobachtung des Kranken hager und erschöpft. Endlich öffneten sich schwach seine Lider, doch sein Blick verriet das zurückkehrende Leben; er war blass und kraftlos geworden, aber die Erstarrung seiner Züge wurde durch die bevorstehende Genesung gemildert. Er erkannte mich. Was für eine freudige Qual war es zu sehen, wie sein Gesicht sich erhellte, als er mich erkannte – als er meine Hand drückte, die jetzt fiebriger war als seine eigene, und als er meinen Namen aussprach! Keine Spur von seinem vergangenen Wahnsinn war übrig geblieben, die meiner Freude Kummer hätte beimengen können.
Am selben Abend kamen seine Mutter und seine Schwester an. Die Gräfin von Windsor war von Natur aus temperamentvoll; doch sie hatte den starken Gefühlen ihres Herzens sehr selten in ihrem Leben erlaubt, sich auf ihren Zügen zu zeigen. Die einstudierte Unbeweglichkeit ihres Antlitzes, ihre ruhige, gleichmütige Art und ihre sanfte, aber unmelodische Stimme waren eine Maske, die ihre feurigen Leidenschaften und die Ungeduld ihrer Veranlagung verbargen. Sie ähnelte keinem ihrer Kinder auch nur im Geringsten; ihr schwarzes und funkelndes Auge, aus dem der Stolz leuchtete, war völlig verschieden von dem blauen Glanz und dem aufrichtigen, gütigen Ausdruck von Adrians oder Idris’ Blick. Es lag etwas Großartiges und Majestätisches in ihren Bewegungen, aber nichts Anziehendes, nichts Liebenswertes. Hochgewachsen, schlank und aufrecht, ihr Gesicht noch immer gut aussehend, ihr rabenschwarzes Haar kaum von Grau durchsetzt, ihre Stirn gewölbt und schön geformt, wären die Augenbrauen nicht etwas zu dünn gewesen – war es unmöglich, nicht von ihr beeindruckt zu sein, sie beinahe zu fürchten. Idris schien das einzige Wesen zu sein, das, trotz der äußersten Milde ihres Charakters, ihrer Mutter widerstehen konnte. Jene strahlte eine Furchtlosigkeit und Offenheit aus, die sagte, dass sie die Freiheit eines anderen nicht beschneiden wollte, aber ihre eigene für heilig und unantastbar hielt.
Die Gräfin warf einen ungnädigen Blick auf meine erschöpfte Erscheinung, obgleich sie sich später kalt für meine Aufmerksamkeit bedankte. Nicht so Idris. Ihr erster Blick galt ihrem Bruder, sie nahm seine Hand, küsste seine Augenlider und beugte sich mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit und Liebe über ihn. Ihre Augen glitzerten von Tränen, als sie sich bei mir bedankte, und die Anmut ihres Ausdrucks wurde durch die Inbrunst verstärkt, nicht vermindert, was ihre Zunge beinahe zum Stolpern brachte, während sie sprach. Ihre Mutter, ganz Auge und Ohr, unterbrach uns bald, und ich sah, dass sie mich in aller Stille entlassen wollte als jemanden, dessen Dienste ihrem Sohn keinerlei Nutzen mehr brächten, jetzt, wo seine Verwandten angekommen waren. Ich war beunruhigt und missgelaunt, entschlossen, meinen Posten nicht aufzugeben, wusste jedoch nicht, auf welche Weise ich ihn behaupten sollte, als Adrian nach mir rief, meine Hand umklammerte und mich bat, ihn nicht zu verlassen. Seine Mutter, die zuvor scheinbar unaufmerksam gewesen war, verstand den Wink sogleich, und als sie sah, dass wir sie überstimmt hatten, ließ sie uns unseren Willen.
Die folgenden Tage waren für mich voller Schmerz, so dass ich es zuweilen bedauerte, der hochmütigen Dame, die alle meine Bewegungen beobachtete und meinen Herzenswunsch, meinen Freund zu pflegen, zu einer qualvollen Arbeit machte, nicht sofort nachgegeben zu haben. Niemals war eine Frau so völlig kontrolliert gewesen wie die Gräfin von Windsor. Ihr Wille hatte ihren Appetit unterdrückt, sogar ihre natürlichen Bedürfnisse; sie schlief wenig und aß kaum; ihr Körper wurde von ihr offenbar als eine bloße Maschine betrachtet, deren Gesundheit für die Durchführung ihrer Pläne notwendig war, deren Wohlgefühl aber keinen notwendigen Teil ihrer Funktion ausmachte. Es liegt etwas Furchtbares darin, wenn jemand solcherart den triebhaften Teil seiner Natur überwinden kann und dies nicht der Vollendung seiner Tugend dient; zumindest empfand ich ein wenig Furcht, wenn ich bemerkte, dass die Gräfin wachte, während andere schliefen, und fastete, während ich, von Natur aus maßvoll, oder zumindest durch das an mir zehrende Fieber zurückhaltender geworden, gezwungen war, mich mit Essen zu versorgen. Sie beschloss, meine Möglichkeiten, Einfluss auf ihre Kinder zu gewinnen, wo nicht zu verhindern, doch zumindest zu beschneiden, und bekämpfte meine Pläne mit einer kalten, ruhigen, hartnäckigen Entschlossenheit, die nicht menschlich zu sein schien. Der Krieg zwischen uns wurde endlich stillschweigend anerkannt. Wir kämpften viele Schlachten, in denen kein Wort gesprochen, kaum ein Blick gewechselt wurde, aber doch jeder entschlossen war, sich dem anderen nicht zu ergeben. Die Gräfin hatte dabei einen Vorteil durch ihre bessere Position; ich war besiegt, wenngleich ich nicht nachgeben wollte.
Ich wurde äußerst niedergeschlagen. Mein Gesicht war von schlechter Gesundheit und Verdruss gezeichnet. Adrian und Idris sahen dies; sie schrieben es meiner langen Krankenwache und der Sorge zu. Sie drängten mich, mir Ruhe zu gönnen und auf meine Gesundheit zu achten, während ich ihnen aufrichtig versicherte, dass meine beste Medizin ihre guten Wünsche seien; diese und die gesicherte Wiederherstellung meines Freundes, die jetzt täglich offenkundiger wurde. Die blasse Rosenfarbe erblühte auf seiner Wange wieder zu einem kräftigeren Rot, seine Stirn und Lippen verloren die aschgraue Blässe des drohenden Todes; solcherart war der liebliche Lohn meiner unablässigen Aufmerksamkeit – und der mächtige Himmel fügte als überfließende Belohnung hinzu, dass sie mir auch den Dank und das Lächeln Idris’ einbrachte.
Nach einigen Wochen verließen wir Dunkeld. Idris und ihre Mutter kehrten umgehend nach Windsor zurück, während Adrian und ich in langsamen Etappen und mit häufigen Unterbrechungen, die durch seine anhaltende Schwäche veranlasst wurden, folgten. Die verschiedenen Grafschaften des fruchtbaren Englands, die wir durchquerten, übten eine berauschende Wirkung auf meinen Gefährten aus, der durch seine Krankheit so lange von den Genüssen des Wetters und der Landschaft abgehalten worden war. Wir fuhren durch belebte Städte und bebaute Flächen. Die Landwirte holten ihre reichlichen Ernten ein, und die Frauen und Kinder, die leichte, bäuerliche Arbeiten verrichteten, bildeten Gruppen von glücklichen, gesunden Menschen, deren Anblick uns von Herzen erfreute. Eines Abends, als wir unser Gasthaus verließen, schlenderten wir eine schattige Gasse hinunter, dann einen grasbewachsenen Hang hinauf, bis wir zu einer Anhöhe kamen, die einen weiten Blick auf Hügel und Tal, sich schlängelnde Flüsse, dunkle Wälder und leuchtende Dörfer bot. Die Sonne ging unter; und die Wolken, die wie frisch geschorene Schafe durch die weiten Himmelsfelder strichen, nahmen die goldene Farbe ihrer schräg fallenden Strahlen an; das ferne Hochland leuchtete auf, und das geschäftige Summen des Abends drang, durch die Entfernung sich zu einem Ton vermischend, an unser Ohr. Adrian, der in sich die Frische wiederkehrender Gesundheit fühlte, faltete voller Freude die Hände und rief mit viel Gefühl aus:
»O glückliche Erde und glückliche Erdenbewohner! Einen stattlichen Palast hat Gott für dich erbaut, o Mensch, und du bist deiner Wohnstatt würdig! Sieh den grünen Teppich, der zu unseren Füßen ausgebreitet ist, und das azurblaue Blätterdach darüber; die Felder, die alles Mögliche erzeugen und nähren, und das Blau des Himmels, der alle Dinge enthält und umschließt. Jetzt, in dieser Abendstunde, in der Zeit der Ruhe und der Erfrischung, atmen, dünkt mich, alle Herzen einen Hymnus der Liebe und des Dankes, und wir verleihen, wie die Priester der Alten auf den Bergspitzen, ihrem Gefühle Ausdruck.
Gewiss baute eine wohlwollende Kraft dies majestätische Gebilde, das wir bewohnen, und formte die Gesetze, durch die es besteht. Wenn bloße Existenz, und nicht Glück, der Zweck unseres Daseins wäre, was bräuchte es den reichen Überfluss, den wir genießen? Warum sollte unsere Wohnstatt so lieblich sein, warum die Natur so angenehme Empfindungen vermitteln? Die Erhaltung unserer triebhaften Körper bereitet uns Freude, und unsere Nahrungsmittel, die Früchte des Feldes, sind mit wunderbaren Farben überhaucht, mit köstlichen Wohlgerüchen angereichert, und schmackhaft für unsere Gaumen. Warum sollte dies so sein, wenn ER nicht gut wäre? Wir brauchen Häuser, um uns vor den Jahreszeiten zu schützen, und siehe die Werkstoffe, mit denen wir versorgt werden, den Wuchs der Bäume mit ihrer Zierde von Blättern; während Gesteinsbrocken, die sich über den Ebenen türmen, die Aussicht mit ihrer angenehmen Unregelmäßigkeit verändern.
Auch sind es nicht die äußeren Gegenstände allein, die dieser gute Geist geprägt hat. Sieh in die Seele des Menschen, wo die Weisheit thront, wo die Phantasie, die Malerin mit ihrem Pinsel, sitzt, die mit lieblichen Farben, schöner noch als die des Sonnenuntergangs, das vertraute Leben in glühenden Tönungen malt. Welch edle Gabe, des Gebers würdig, ist die Einbildungskraft! Sie nimmt der Wirklichkeit ihren bleiernen Hauch, sie umhüllt alle Gedanken und Empfindungen mit einem strahlenden Schleier und lockt uns aus den kalten Ozeanen des Lebens in ihre Gärten, in die Lauben und Lichtungen der Glückseligkeit. Und ist nicht die Liebe ein Geschenk Gottes? Die Liebe und ihr Kind, die Hoffnung, die der Armut Reichtum verleihen kann, den Schwachen Kraft und den Leidenden Glück.
Mein Los war nicht glücklich. Ich habe lange in Kummer geschwelgt, bin in den düsteren Irrgarten des Wahnsinns eingetreten und nurmehr halb lebendig aufgetaucht. Doch ich danke Gott, dass ich überlebt habe! Ich danke Gott, dass ich seinen Thron, den Himmel, und die Erde, seinen Fußschemel gesehen habe. Ich bin froh, dass ich die Veränderungen seines Tages gesehen habe, die Sonne, die Quelle des Lichts, und den sanften Mond; dass ich das Licht Blumen am Himmel und die blumigen Sterne auf der Erde hervorbringen sah; dass ich Zeuge der Aussaat und der Ernte werden durfte. Ich bin froh, dass ich geliebt habe und dass ich mitfühlende Freude und Leid mit meinen Mitgeschöpfen erlebt habe. Ich bin froh, jetzt den Fluss meiner Gedanken durch meinen Geist und des Blutes durch die Adern meines Körpers zu fühlen; die bloße Existenz ist Vergnügen, und ich danke Gott, dass ich lebe!
Und all ihr fröhlichen Sprösslinge von Mutter Erde, hört ihr nicht meine Worte? Ihr seid miteinander verbunden durch die zärtlichen Bande der Natur, Gefährten, Freunde, Liebende! Väter, die freudig für ihre Nachkommenschaft arbeiten; Frauen, die, indem sie ihren Kindern beim Wachsen zusehen, die Schmerzen der Mutterschaft vergessen, Kinder, die weder arbeiten noch spinnen, sondern lieben und geliebt werden!
Oh, dass Tod und Krankheit aus unserer irdischen Heimat verbannt würden! Dass Hass, Tyrannei und Furcht nicht länger ihre Zuflucht im menschlichen Herzen fänden! Dass jeder Mann einen Bruder in seinem Gefährten finden würde und einen Hort der Ruhe inmitten der weiten Ebenen seiner Heimat, dass die Quelle der Tränen versiegte und die Lippen nicht mehr Worte der Trauer aussprechen könnten. Wenn du so unter dem gütigen Auge des Himmels schläfst, o Erde, kann da das Böse dich besuchen oder Leid deine glücklosen Kinder in ihre Gräber wiegen? Flüstere es nicht, damit die Dämonen es nicht hören und sich freuen. Die Wahl liegt bei uns, lasst es uns wollen, und unsere Wohnstatt wird zum Paradies. Denn der Wille des Menschen ist allmächtig, stumpft die Pfeile des Todes ab, beruhigt das Krankenlager und trocknet die Tränen des Leids. Und was ist ein menschliches Wesen wert, wenn es nicht seine Kraft verwendet, um seinen Mitgeschöpfen zu helfen? Meine Seele ist ein verblassender Funke, mein Körper erschöpft wie eine verebbte Welle; doch ich widme alle Klugheit und Stärke, die mir verbleibt, diesem einen Werk und nehme die Aufgabe auf mich, meinen Mitmenschen, soweit es mir möglich ist, Segen zu bringen!«
Seine Stimme zitterte, seine Augen waren gen Himmel gewandt, seine Hände gefaltet, und sein zerbrechlicher Körper krümmte sich in einem Übermaß an Gefühl. Der Geist des Lebens schien in seinem Körper zu verweilen, wie die sterbende Flamme einer Altarkerze auf der Glut eines dargebrachten Opfers flackert.