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Kapitel 5
ОглавлениеAls wir in Windsor ankamen, erfuhr ich, dass Raymond und Perdita nach dem Kontinent aufgebrochen waren. Ich bezog das Haus meiner Schwester und freute mich darüber, in Sichtweite von Schloss Windsor zu wohnen. Es war eine merkwürdige Tatsache, dass ich zu dieser Zeit, als ich seit der Hochzeit Perditas mit einem der reichsten Männer Englands verwandt und durch innige Freundschaft mit dem vornehmsten Adligen des Landes verbunden war, ein größeres Ausmaß an Armut erfuhr, als ich bis dahin je gekannt hatte. Mein Wissen um die weltlichen Grundsätze Lord Raymonds hätte mich stets davon abgehalten, mich an ihn zu wenden, so tief meine Not auch sein sollte. Umsonst wiederholte ich mir in Bezug auf Adrian, dessen Börse mir stets offenstand, dass, da wir eins in der Seele waren, wir auch unser Vermögen teilen sollten. Ich konnte niemals an seine Großzügigkeit als Heilmittel für meine Armut denken, wenn wir beisammen waren; ja ich wehrte sogar seine Angebote zur Unterstützung ab und behauptete, dass ich ihrer nicht bedürfe. Wie könnte ich zu diesem großzügigen Wesen sagen: »Lass mich nur weiter im Müßiggang leben. Wie solltest du, der du deine Geisteskräfte und dein Vermögen zum Nutzen deiner Mitmenschen eingesetzt hast, deine Bemühungen fehlleiten, indem du die Nutzlosigkeit des Starken, Gesunden und Fähigen unterstützt?«
Und doch wagte ich nicht, ihn zu bitten, seinen Einfluss geltend zu machen, damit ich eine ehrenwerte Möglichkeit erhalten könnte, mich selbst zu versorgen – denn dann wäre ich gezwungen gewesen, Windsor zu verlassen. Ich wandelte unaufhörlich unterhalb seiner schattigen Dickichte um die Mauern des Schlosses; meine einzigen Begleiter waren meine Bücher und meine zärtlichen Gedanken. Ich studierte die Weisheit der Alten und blickte auf die glücklichen Mauern, die die Geliebte meiner Seele beschirmten. Mein Verstand war dennoch müßig. Ich brütete über der Poesie alter Zeiten; ich studierte die Metaphysik von Platon und Berkeley. Ich las die Geschichten von Griechenland und Rom und Englands früheren Epochen und beobachtete die Bewegungen meiner Herzensdame. Des Nachts konnte ich ihren Schatten an den Wänden ihres Zimmers sehen; bei Tag erblickte ich sie in ihrem Blumengarten oder wie sie mit ihren Gefährtinnen im Park ausritt. Mich dünkte, der Zauber sei gebrochen, wenn ich gesehen würde, dann aber hörte ich die Melodie ihrer Stimme und war glücklich. Ich verlieh jeder Heldin, von der ich las, ihre Schönheit und unvergleichliche Vorzüglichkeit – sie war Antigone, wie sie den blinden Ödipus zum Hain der Eumeniden führte und die Bestattungszeremonien Polyneikes’ leitete; sie war Miranda in der einsamen Höhle Prosperos; sie war Haidée am Strand der Ionischen Insel. Ich war beinahe von Sinnen in meinem Übermaß an leidenschaftlicher Hingabe; doch der Stolz, unbezähmbar wie das Feuer, zügelte meine Natur und bewahrte mich davor, mich durch Wort oder Blick zu verraten.
In der Zwischenzeit, während ich mich so mit reichhaltiger geistiger Nahrung verwöhnte, hätte ein Bauer meine dürftige Kost verschmäht, die ich zuweilen den Eichhörnchen des Waldes raubte. Ich war, wie ich gestehen muss, oft versucht, zu den gesetzlosen Heldentaten meiner Jugend zurückzukehren und die beinahe zahmen Fasane, die auf den Bäumen saßen und ihre hellen Augen auf mich richteten, zu erlegen. Doch sie waren das Eigentum Adrians, die Zöglinge Idris’; und obgleich meine durch die Entbehrungen reizbar gemachte Phantasie mich denken ließ, dass sie sich besser in meiner Küche ausnehmen würden als zwischen den grünen Blättern des Waldes, gebot ich
Nichtsdestotrotz
Meinem Willen Einhalt, und aß sie nicht;
ich aß sie jedoch in meinen Gedanken und träumte vergeblich von solchen Leckerbissen, in deren Genuss ich im wachen Zustande vielleicht nicht gelangen würde.
Zu dieser Zeit jedoch stand mein Leben vor einer entscheidenden Änderung. Der verwaiste und vernachlässigte Sohn Verneys sollte bald durch eine goldene Kette mit dem Mechanismus der Gesellschaft verbunden werden und in alle Pflichten und Gewohnheiten des Lebens eintreten. Wunder sollten zu meinen Gunsten bewirkt werden, die Maschine des gesellschaftlichen Lebens drängte mit großer Anstrengung zurück. Lausche, o Leser, während ich diese Wundergeschichte erzähle!
Eines Tages, als Adrian und Idris mit ihrer Mutter und ihren gewohnten Gefährten durch den Wald ritten, zog Idris plötzlich ihren Bruder beiseite und fragte ihn: »Was ist aus deinem Freund Lionel Verney geworden?«
»Sogar von dieser Stelle«, antwortete Adrian, auf die Hütte meiner Schwester zeigend, »kannst du seine Behausung sehen.«
»Tatsächlich!«, sagte Idris, »und warum, wenn er so nahe ist, kommt er uns nicht besuchen und leistet uns Gesellschaft?«
»Ich besuche ihn oft«, antwortete Adrian; »aber du kannst leicht die Motive erraten, die ihn davon abhalten, dorthin zu kommen, wo seine Anwesenheit jemandem unter uns zur Last fallen könnte.«
»Ich kann sie erraten«, sagte Idris, »und solcherart, wie sie sind, würde ich nicht wagen, sie zu bekämpfen. Sage mir doch, auf welche Weise er sich die Zeit vertreibt; was tut und denkt er in seinem Rückzugsort?«
»Nun, meine liebe Schwester«, antwortete Adrian, »du fragst mich mehr, als ich beantworten kann; aber wenn du dich für ihn interessierst, warum besuchst du ihn dann nicht? Er wird sich sehr geehrt fühlen, und du kannst auf solche Weise einen Teil dessen zurückzahlen, was ich ihm schulde, und ihn für die Verletzungen entschädigen, die das Schicksal ihm zugefügt hat.«
»Ich werde dich sehr gern zu seiner Unterkunft begleiten«, sagte die Dame, »nicht, dass ich wünschte, dass einer von uns sich unserer Schuld entledigen sollte, die, da sie in nichts weniger als deinem Leben besteht, auf ewig unbezahlbar bleiben muss. Aber lass uns hingehen; morgen werden wir zusammen ausreiten, in diesen Teil des Waldes vordringen und ihn von hier aus besuchen.«
Am nächsten Abend, obwohl der launenhafte Herbst Kälte und Regen gebracht hatte, betraten Adrian und Idris meine Hütte. Sie fanden mich als einen Curius vor, da ich eben mein ärmliches Abendbrot aus Früchten genoss, aber sie brachten Geschenke, die reicher waren als die goldenen Bestechungsgelder der Sabiner, auch konnte ich den kostbaren Schatz der Freundschaft und des Entzückens, den sie mir überbrachten, nicht ablehnen. Gewiss waren selbst die glorreichen Zwillinge von Latona nicht willkommener gewesen, als sie in der noch jungen Welt dazu gebracht wurden, dieses »kahle Vorgebirge« zu verschönern und zu erleuchten, als dieses engelsgleiche Paar meiner bescheidenen Hütte und meinem dankbaren Herzen. Wir saßen wie eine Familie um meinen Herd. Wir sprachen über Themen, die nichts mit den Empfindungen zu tun hatten, die offensichtlich beide Seiten beschäftigten; aber jeder von uns erriet die Gedanken des anderen, und während unsere Stimmen von gleichgültigen Gegenständen sprachen, erzählten unsere Augen in stummer Sprache tausend Dinge, die keine Zunge hätte äußern können.
Sie verließen mich nach einer Stunde. Sie ließen mich glücklich zurück – unaussprechlich glücklich. Die gemessenen Laute der menschlichen Sprache reichen nicht aus, um das Ausmaß meiner Freude auszudrücken. Idris hatte mich besucht; Idris, die ich immer vor mir sehen sollte – meine Vorstellung wanderte nicht über die Vollständigkeit dieses Wissens hinaus. Ich schwebte in der Luft; zweifellos, keine Angst, keine Hoffnung störte mich; meine Seele war von Zufriedenheit erfüllt, wunschlos glücklich, beseligt.
Viele Tage lang fuhren Adrian und Idris fort, mir Besuche abzustatten. In diesen teuren Verkehr brachte, unter dem Deckmantel einer guten Freundschaft, die Liebe immer mehr von ihrem allgewaltigen Geist ein. Idris fühlte es. Ja, Göttlichkeit der Welt, ich las deine Zeichen in ihrem Blick und ihrer Geste; ich hörte deine melodiöse Stimme aus ihr erklingen – du bereitetest uns einen weichen und blumigen Pfad, alle sanften Gedanken schmückten ihn – dein Name, o Liebe, wurde nicht ausgesprochen, doch du warst stets verschleiert bei uns, und nur die Zeit, aber keine sterbliche Hand hätte es vermocht, den Vorhang zu heben. Keine Orgeln mit klarem Klang verkündeten die Vereinigung unserer Herzen; denn ungünstige Umstände boten dem Ausdruck, der auf unseren Lippen schwebte, keine Gelegenheit.
O mein Stift! Schreibe rasch nieder, was war, bevor der Gedanke an das, was ist, die Hand, die dich führt, innehalten lässt! Wenn ich meine Augen öffne und die verödete Erde sehe und erkenne, dass diese lieben Augen ihren sterblichen Glanz verloren haben und dass diese schönen Lippen schweigen, ihre »karmesinroten Blätter« verblasst sind, verstumme ich auf ewig!
Doch du lebst, meine Idris, gerade jetzt bewegst du dich vor mir! Da war eine Lichtung, o Leser! eine grasbewachsene Öffnung im Wald; die zurückweichenden Bäume verwandelten ihre samtene Weite in einen Tempel der Liebe; die silberne Themse begrenzte sie auf der einen Seite, und eine sich herabbeugende Weide, von der unsichtbaren Hand des Windes zerzaust, tunkte ihr Najadenhaar ins Wasser. Die darumgruppierten Eichen waren die Heimat einer Familie von Nachtigallen – hier bin ich nun; Idris, im besten Jugendalter, ist an meiner Seite – bedenke, ich zähle erst zweiundzwanzig, und die Geliebte meines Herzens kaum siebzehn Sommer. Der Fluss, der durch den herbstlichen Regen angeschwollen ist, hat die niedrigen Ebenen überflutet, und Adrian in seinem Lieblingsboot ist mit dem gefährlichen Zeitvertreib des Herumzupfens an einer untergegangenen Eiche beschäftigt, um den obersten Ast zu entfernen. Bist du des Lebens müde, o Adrian, dass du so mit der Gefahr spielst?
Er errang seine Trophäe und steuerte sein Boot durch die Flut; unsere Augen waren ängstlich auf ihn gerichtet, aber der Strom trug ihn von uns weg; er war gezwungen, weiter unten zu landen und einen beträchtlichen Umweg zu machen, bevor er sich uns anschließen konnte. »Er ist in Sicherheit!«, sagte Idris, als er an Land sprang, und den Ast als Zeichen des Erfolges über seinem Kopf schwang; »Wir werden hier auf ihn warten.«
Wir waren miteinander alleine. Die Sonne war untergegangen, das Lied der Nachtigallen begann, der Abendstern leuchtete fern in der Lichtflut, die im Westen noch nicht gänzlich verblasst war. Die blauen Augen meines engelsgleichen Mädchens waren auf dieses süße Emblem ihrer selbst gerichtet: »Das pulsierende Licht«, sagte sie, »ist das Leben dieses Sterns. Sein blinkendes Strahlen scheint zu sagen, dass sein Zustand, wie unserer auf der Erde, schwankend und unbeständig ist; er fürchtet sich, dünkt mich, und er liebt.«
»Sieh nicht auf den Stern, liebe, großzügige Freundin«, rief ich, »lies nicht Liebe in seinen zitternden Strahlen, sieh nicht auf entfernte Welten, sprich nicht von der bloßen Vorstellung eines Gefühls. Ich habe lange geschwiegen, so lange schon habe ich mir gewünscht, mich dir zu offenbaren und dir meine Seele, mein Leben, mein ganzes Dasein zu schenken. Sieh nicht auf den Stern, Geliebte; oder tue es doch und lasse diesen ewigen Funken für mich plädieren. Lass ihn mein Zeuge und mein Fürsprecher sein, so still, wie er scheint – Liebe ist für mich wie das Licht für den Stern; ebenso lange, wie jenes strahlt, so lange will ich dich lieben.«
Das Gefühl dieses Augenblicks muss für immer vor dem gleichgültigen Auge der Welt verschleiert bleiben. Ich spüre noch immer, wie sich ihre anmutige Gestalt gegen mein volles Herz presste – noch immer flattern Augen, Puls und Atem und versagen bei der Erinnerung an diesen ersten Kuss. Langsam und schweigend gingen wir Adrian entgegen, den wir herannahen hörten.
Ich bat Adrian, zu mir zurückzukehren, nachdem er seine Schwester nach Hause geführt hatte. Und am selben Abend, während wir auf den mondbeschienenen Waldpfaden wandelten, schüttete ich mein ganzes Herz, meine Gefühle und meine Hoffnung meinem Freunde aus. Für einen Augenblick sah er verstört aus – »Ich hätte es voraussehen können«, sagte er. »Welchen Streit dies auslösen wird! Verzeih mir, Lionel, und wundere dich nicht, dass die Erwartung des Streites mit meiner Mutter mich aufregt, wo ich doch entzückt bekennen sollte, dass meine besten Hoffnungen sich damit erfüllen, meine Schwester deinem Schutz anvertrauen zu können. Wenn du noch nicht davon weißt, wirst du bald den tiefen Hass erfahren, den meine Mutter gegenüber dem Namen Verney hegt. Ich werde mich mit Idris unterhalten; dann werde ich all das tun, was ein Freund tun kann; es liegt an ihr, die Rolle der Liebenden zu übernehmen, wenn sie dazu in der Lage ist.«
Während Bruder und Schwester noch zögerten, auf welche Weise sie am besten versuchen könnten, ihre Mutter auf ihre Seite zu bringen, hatte diese, unseren Treffen misstrauend, ihre Kinder mit ihrem Verdacht konfrontiert; sie klagte ihre schöne Tochter der Täuschung an und einer unbegründeten Anhänglichkeit für jemanden, dessen einziges Verdienst es sei, der Sohn des verschwenderischen Günstlings ihres unvorsichtigen Vaters zu sein, und der zweifellos ebenso wertlos sei wie jener, von dem er abstammte. Die Augen Idris’ blitzten bei dieser Anklage auf; sie antwortete: »Ich leugne nicht, dass ich Verney liebe; beweist mir, dass er wertlos ist; und ich werde ihn nie mehr sehen.«
»Verehrte Dame«, sagte Adrian, »ich bitte Sie, ihn zu empfangen und eine Freundschaft zu ihm anzuknüpfen. Sie werden sich dann wie ich über das Ausmaß seiner Leistungen und seiner Talente wundern.« (Verzeih mir, lieber Leser, das ist keine nutzlose Eitelkeit; – nicht nutzlos, denn zu wissen, dass Adrian solcherart empfand, bringt noch jetzt Freude in mein einsames Herz.)
»Närrischer dummer Junge!«, rief die zornige Lady aus, »du hast dich dazu entschieden, meine Pläne für deine eigene Erhöhung mit Träumen und Theorien zunichtezumachen; aber dir soll nicht dasselbe mit meinen Entwürfen für deine Schwester gelingen. Ich verstehe die Faszination, der ihr beide erlegen seid, nur zu gut; denn ich focht den gleichen Kampf mit eurem Vater aus, um ihn dazu zu bringen, dem Vater dieses jungen Mannes zu entsagen, der seine bösen Neigungen mit der Sanftheit und Hinterlist einer Viper verbarg. Wie oft habe ich in jenen Tagen von seinen Reizen gehört, seiner allseitigen Beliebtheit, seiner Gewitztheit, seinen kultivierten Manieren: Es ist schön und gut, solange bloß Fliegen in solchen Spinnennetzen gefangen werden, aber sollten die Hochgeborenen und die Mächtigen ihre Nacken dem schwachen Joch dieser unaussprechlichen Ansprüche beugen? Wäre deine Schwester wirklich die unbedeutende Person, die sie zu sein verdiente, ich würde sie bereitwillig dem Schicksal überlassen, dem elenden Schicksal, die Frau eines Mannes zu sein, dessen ganzes Wesen, das seinem elenden Vater gleicht, sie an die Torheit und Bösartigkeit erinnert, die er darstellt – aber denke daran, Lady Idris, es ist nicht allein das einst königliche Blut Englands, das deine Adern färbt, du bist auch eine Prinzessin von Österreich, und jeder Lebenstropfen ist verwandt mit Kaisern und Königen. Bist du denn eine passende Gefährtin für einen ungebildeten Hirtenknaben, dessen einziges Erbe der angeschlagene Name seines Vaters ist?«
»Ich kann nur eine Verteidigung wagen«, antwortete Idris, »und dies ist die gleiche, die auch mein Bruder anbot; lade Lionel ein, sprich mit meinem Hirtenknaben –«
Die Gräfin unterbrach sie empört.
»Du!« – rief sie, und dann, mit einem verächtlichen Lächeln ihre verzerrten Gesichtszüge glättend, fuhr sie fort – »Wir werden hiervon zu gegebener Zeit sprechen. Alles, worum ich dich nun bitte, alles, was deine Mutter erbittet, Idris, ist, dass du diesen Emporkömmling während eines Monats nicht sehen wirst.«
»Ich wage nicht, einzuwilligen«, sagte Idris, »es würde ihn zu sehr schmerzen. Ich habe kein Recht, mit seinen Gefühlen zu spielen, seine angebotene Liebe zu akzeptieren und ihn dann mit Vernachlässigung zu bestrafen.«
»Das geht zu weit«, antwortete ihre Mutter mit zitternden Lippen und wieder vor Wut blitzenden Augen.
»Nun, gnädige Frau«, sagte Adrian, »wenn meine Schwester nicht einwilligt, ihn niemals wieder zu sehen, ist es gewiss eine nutzlose Qual, sie für einen Monat zu trennen.«
»Gewiss«, antwortete die einstige Königin mit bitterer Verachtung, »sollen seine Liebe, ihre Liebe und ihrer beider kindliche Flatterhaftigkeit meine Jahre voller Hoffnung und Angst aufwiegen, die ich mit der Erziehung der königlichen Nachkommen verbracht habe, um ihnen das hohe und würdevolle Betragen beizubringen, das jemand ihrer Abstammung wahren sollte. Aber es ist meiner unwürdig, zu streiten und mich zu beklagen. Vielleicht wirst du die Güte haben, mir zu versprechen, während dieses Zeitraums nicht zu heiraten?«
Dies wurde nur halb ironisch gefragt; und Idris wunderte sich, warum ihre Mutter einen feierlichen Eid von ihr erpressen sollte, etwas nicht zu tun, von dem sie nie geträumt hätte – aber das Versprechen wurde verlangt und gegeben.
Alles ging nun fröhlich weiter; wir trafen uns wie gewohnt und sprachen ohne Angst von unseren Zukunftsplänen. Die Gräfin war so höflich und entgegen ihrer Gewohnheit sogar liebenswürdig zu ihren Kindern, dass sie begannen, auf ihre letztliche Zustimmung zu hoffen. Sie war ihnen zu unähnlich, ihrem Geschmack zu sehr fremd, als dass sie ihre Gesellschaft genossen oder sie gesucht hätten, aber es bereitete ihnen Freude, sie versöhnlich und freundlich zu sehen. Einmal sogar wagte Adrian, ihr vorzuschlagen, mich zu empfangen. Sie lehnte mit einem Lächeln ab und erinnerte ihn, dass seine Schwester vorläufig versprochen hatte, geduldig zu sein.
Eines Tages, nach Ablauf beinahe eines Monats, erhielt Adrian einen Brief von einem Freund in London, in dem jener seine sofortige Anwesenheit für die Unterstützung einer wichtigen Sache forderte. Selbst ohne Arg, fürchtete Adrian keine Täuschung. Ich ritt mit ihm bis nach Staines. Er war in guter Stimmung; und da ich Idris während seiner Abwesenheit nicht sehen konnte, versprach er seine baldige Rückkehr. Seine ausgelassene Heiterkeit hatte die seltsame Wirkung, in mir entgegengesetzte Gefühle zu erwecken; eine Ahnung des Bösen hing über mir. Nach meiner Rückkehr trieb ich mich herum und zählte die Stunden, die verstreichen müssten, bis ich Idris wiedersehen würde. Wo sollte dies hinführen? Was könnte nicht alles an Üblem in der Zwischenzeit passieren? Könnte ihre Mutter Adrians Abwesenheit nicht ausnutzen, um sie über die Maßen zu bedrängen, vielleicht um ihr eine Falle zu stellen? Ich beschloss, komme was wolle, sie am nächsten Tag zu sehen und mit ihr zu sprechen. Diese Entscheidung beruhigte mich. Morgen, du Schönste und Beste, du Hoffnung und Freude meines Lebens, morgen werde ich dich sehen – ich Dummkopf träumte von einem Moment der Verzögerung!
Ich ging zu Bett. Um Mitternacht wurde ich von einem stürmischen Klopfen geweckt. Es war jetzt tiefer Winter; es hatte geschneit und schneite noch immer; der Wind pfiff in den blattlosen Bäumen und beraubte sie der weißen Flocken, während sie fielen; sein trostloses Seufzen und das fortgesetzte Klopfen vermischten sich wild mit meinen Träumen – endlich war ich hellwach; hastig kleidete ich mich an und beeilte mich, die Ursache dieser Störung zu entdecken und dem unerwarteten Besucher meine Tür zu öffnen. Bleich wie der Schnee, der sie bedeckte, mit gefalteten Händen, stand Idris vor mir. »Rette mich!«, rief sie und wäre zu Boden gesunken, hätte ich sie nicht aufgefangen. Nach einem Augenblick aber erwachte sie wieder und bat mich energisch, fast gewaltsam, Pferde zu satteln, sie nach London zu bringen – zu ihrem Bruder – sie auf irgendeine Weise zu retten. Ich hatte keine Pferde – sie rang ihre Hände. »Was kann ich tun?«, rief sie, »Ich bin verloren – wir beide sind auf ewig verloren! Aber komm – komm mit mir, Lionel; hier kann ich nicht bleiben – wir können uns in der nächsten Poststation eine Kutsche besorgen, noch haben wir vielleicht Zeit! Komm mit mir, um mich zu retten und zu beschützen!«
Als ich ihre kläglichen Forderungen hörte und sah, wie sie mit ungeordnetem Kleid, zerzausten Haaren und ängstlichen Blicken ihre Hände rang – schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ist auch sie verrückt? – »Mein Liebling«, und ich zog sie an meine Brust, »ruhe dich besser aus, als weiterzuwandern – setze dich – meine Geliebte, ich werde ein Feuer machen – du frierst.«
»Mich ausruhen!«, rief sie, »hinsetzen! Du redest irre, Lionel! Wenn du zögerst, sind wir verloren; ich bitte dich, komm, es sei denn, du willst mich für immer vertreiben.«
Dass Idris, die fürstlich Geborene, die in Reichtum und Luxus aufgewachsen war, durch die stürmische Winternacht von ihrer königlichen Behausung gekommen sein, an meiner niedrigen Tür stehen und mich durch Dunkelheit und Sturm mit sich zur Flucht bewegen sollte – war gewiss ein Traum – doch ihre klagenden Töne, ihr liebreizender Anblick überzeugten mich, dass es keine Vision war. Sie sah sich ängstlich um, als fürchte sie, belauscht zu werden, und flüsterte: »Ich habe entdeckt, dass morgen – das heißt, heute, denn Mitternacht ist bereits vorüber – noch vor dem Morgengrauen Ausländer, von meiner Mutter angeheuerte Österreicher, hier sein werden, um mich nach Deutschland zu bringen, ins Gefängnis, in eine Ehe – überallhin, nur fort von dir und meinem Bruder – bring mich fort, denn sie werden bald hier sein!«
Ich war erschrocken von ihrer Heftigkeit und glaubte an irgendeinen Fehler in ihrer unzusammenhängenden Geschichte; doch ich zögerte nicht länger, ihr zu gehorchen. Sie war allein vom Schloss gekommen, drei lange Meilen, um Mitternacht, durch den schweren Schnee; wir mussten Englefield Green, eineinhalb Meilen weiter, erreichen, ehe wir eine Kutsche bekommen konnten. Sie sagte mir, dass sie ihre Kraft und ihren Mut bis zu ihrer Ankunft in meiner Hütte aufrechterhalten hatte und dann beide versagten. Jetzt konnte sie kaum mehr gehen. Obgleich ich sie stützte, so gut ich konnte, blieb sie zurück; und nach einer halben Meile Entfernung, nach vielen Unterbrechungen, Zittern und halben Ohnmachten, rutschte sie von meinem stützenden Arm in den Schnee und beteuerte unter einem Strom von Tränen, dass sie getragen werden müsse, da sie nicht weitergehen könne. Ich hob sie in meine Arme, ihre zarte Gestalt ruhte an meiner Brust. – Ich fühlte keine Last, abgesehen von der inneren Belastung der gegensätzlichen und widerstreitenden Gefühle. Reines Entzücken überkam mich jetzt. Wiederum berührten mich ihre kalten Glieder, so dass es mich wie ein Blitz durchfuhr; und ich schauderte vor Mitgefühl mit ihrer Pein und ihrer Angst. Ihr Kopf lag auf meiner Schulter, ihr Atem hauchte in meine Haare, ihr Herz schlug nahe dem meinen, die Gefühle ließen mich erzittern, blendeten mich, peinigten mich – bis ein gedämpftes Stöhnen, das ihren Lippen entkam, das Klappern ihrer Zähne, das sie vergeblich zu unterdrücken versuchte, und alle Zeichen des Leidens, die sie zeigte, mich an die Notwendigkeit von Eile und Hilfe erinnerten. Endlich sagte ich zu ihr: »Da ist Englefield Green, dort das Wirtshaus. Aber wenn man dich in einem solch merkwürdigen Zustand sieht, liebe Idris, könnten deine Feinde dadurch zu früh von deiner Flucht erfahren. Wäre es nicht besser, wenn ich allein die Kutsche besorgte? Ich werde dich inzwischen in Sicherheit bringen und sofort zu dir zurückkehren.«
Sie antwortete, dass ich recht habe und mit ihr verfahren könne, wie es mir gefiele. Ich bemerkte die nur angelehnte Tür eines kleinen Nebengebäudes. Ich stieß sie auf; formte aus etwas verstreut umherliegendem Heu ein Bett für sie, legte ihre erschöpfte Gestalt darauf und bedeckte sie mit meinem Umhang. Ich fürchtete, sie zu verlassen, sie sah so schwach und blass aus – aber plötzlich erwachte sie wieder zum Bewusstsein und damit zum Zustand der Angst, und wieder flehte sie mich an, nicht zu zögern. Die Leute vom Gasthaus zu wecken und einen Wagen und Pferde zu erhalten, war, obwohl ich sie selbst anspannte, die Arbeit von vielen Minuten; Minuten, deren jede ein ganzes Zeitalter zu sein schien. Ich ließ den Wagen ein wenig vorrücken, wartete, bis die Leute vom Gasthaus sich zurückgezogen hatten, und ließ dann den Postjungen die Kutsche zu der Stelle lenken, wo Idris, ungeduldig und jetzt etwas erholt, auf mich wartete. Ich hob sie in die Kutsche und versicherte ihr, dass wir mit unseren vier Pferden vor fünf Uhr in London ankommen sollten, zu der Stunde, in der sie gesucht und vermisst werden würde. Ich bat sie, sich zu beruhigen; ein dankbarer Tränenschauer erleichterte sie, und nach und nach erzählte sie ihre Geschichte von Angst und Gefahr.
Sofort nach Adrians Abreise hatte ihre Mutter sie in einem peinlichen Verhör um ihre Verbundenheit mit mir befragt. Jedes Argument, jede Drohung, jeder zornige Spott war vergebens. Sie schien zu glauben, dass sie durch mich Raymond verloren hätte; dass ich der böse Einfluss in ihrem Leben sei; ich wurde sogar beschuldigt, die übergroße und grundlegende Abneigung Adrians vor allen Aussichten auf Erhöhung und Verbesserung zu vergrößern und zu bestätigen; und nun sollte dieser elende Bergbewohner auch noch ihre Tochter stehlen. Niemals, so erzählte Idris, kehrte die zornige Dame zu Sanftmut und Überredung zurück; wenn sie es getan hätte, wäre es außerordentlich peinvoll gewesen zu widerstehen. So wie es war, wurde die großzügige Natur des lieben Mädchens dazu erweckt, mich zu verteidigen und sich mit mir zu verbünden. Ihre Mutter endete mit einem halb verächtlichen und halb triumphierenden Blick, der für einen Augenblick Idris’ Verdacht erweckte. Als sie sich für die Nacht trennten, sagte die Gräfin: »Ich vertraue darauf, dass sich morgen dein Ton ändern wird. Fasse dich, ich habe dich erregt, geh zu Bett, und ich werde dir eine Medizin schicken, die ich immer nehme, wenn ich unruhig bin – sie wird dir eine ruhige Nacht schenken.«
Sobald sie mit beklommenen Gedanken ihre Wange auf ihr Kissen gelegt hatte, brachte ihr die Dienerin ihrer Mutter einen Trank. Ein Verdacht durchfuhr sie bei dieser neuen Entwicklung, der erschreckend genug war, um sie zu überzeugen, den Trank nicht einzunehmen; doch die Abneigung gegen Streitigkeiten und der Wunsch, herauszufinden, ob es einen berechtigten Grund für ihre Vermutungen gab, brachten sie dazu, sagte sie, beinahe instinktiv und im Gegensatz zu ihrer üblichen Offenheit vorzugeben, die Medizin zu schlucken. Unruhig, wie sie es durch die Gewalt ihrer Mutter gewesen war, und jetzt aufgrund neuer Ängste, lag sie bei jedem Laut zusammenfahrend und unfähig zu schlafen da. Bald öffnete sich leise ihre Tür, und als sie hochfuhr, hörte sie ein Flüstern: »Sie schläft noch nicht«, und die Tür schloss sich wieder. Mit pochendem Herzen erwartete sie einen weiteren Besuch, und als nach einer Weile wieder jemand in ihr Zimmer eindrang, gab sie, nachdem sie sich zuerst versichert hatte, dass die Eindringlinge ihre Mutter und eine Dienerin waren, vor, zu schlafen. Ein Schritt näherte sich ihrem Bett, sie wagte nicht, sich zu bewegen, sie bemühte sich, ihr Herzklopfen zu beruhigen, das heftiger wurde, als sie ihre Mutter murmelnd sagen hörte: »Du kleiner Einfaltspinsel, merkst du nicht, dass dein Spiel schon aus ist.«
Für einen Moment dachte das arme Mädchen, dass ihre Mutter glaubte, sie hätte Gift getrunken: Sie war im Begriff, aufzuspringen; als die Gräfin, die schon in einiger Entfernung vom Bett war, mit leiser Stimme zu ihrer Begleiterin sprach. Und wieder lauschte Idris: »Eile dich«, sagte sie, »es ist keine Zeit zu verlieren – es ist längst nach elf, sie werden um fünf hier sein, nimm nur die Kleider, die für ihre Reise nötig sind, und ihre Schmuckschatulle.« Die Dienerin gehorchte; auf beiden Seiten wurden wenige Worte gesprochen, diese jedoch wurden vom ausersehenen Opfer begierig aufgefangen. Sie hörte, wie der Name ihrer eigenen Zofe erwähnt wurde. – »Nein, nein«, antwortete ihre Mutter, »sie geht nicht mit uns; Lady Idris muss England und alles, was dazugehört, vergessen.« Und wieder hörte sie: »Sie wird morgen erst spät aufwachen, und dann werden wir auf See sein.« »Alles ist bereit«, gab die Frau schließlich bekannt. Die Gräfin trat wieder ans Bett ihrer Tochter: »Zumindest in Österreich«, sagte sie, »wirst du gehorchen. In Österreich, wo Gehorsam durchgesetzt werden kann und keine andere Wahl bleibt als die zwischen einem ehrenvollen Gefängnis und einer passenden Ehe.«
Beide zogen sich dann zurück; obgleich die Gräfin, als sie ging, sagte »Leise, alle schlafen zwar, doch wurden nicht alle zum Schlafen gebracht wie sie. Ich möchte keinen Verdacht wecken, sonst könnte sie zum Widerstand erregt werden und vielleicht flüchten. Komm mit mir in mein Zimmer, wir werden dort bis zur vereinbarten Stunde verweilen.« Sie gingen. Idris, in grenzenlosem Entsetzen, doch durch ihre übermäßige Angst belebt und gestärkt, zog sich hastig an, und indem sie eine Hintertreppe hinunterging und die Annäherung an das Zimmer ihrer Mutter vermied, gelang es ihr, durch ein niedriges Fenster aus dem Schloss zu entkommen und durch Schnee, Wind und Dunkelheit meine Hütte zu erreichen; sie verlor nicht ihren Mut, bis sie ankam, und erst als sie ihr Schicksal in meine Hände gelegt hatte, gab sie sich der Verzweiflung und Ermüdung hin, die sie überwältigten.
Ich tröstete sie, so gut ich konnte. Ich war ganz Freude und Jubel, jetzt wo sie mir gehörte und ich sie retten durfte. Um aber keine neue Aufregung in ihr zu erregen, und »um der Stirne heitern Frieden nicht zu stören«, zügelte ich meine Freude. Ich bemühte mich, den aufgeregten Tanz meines Herzens zu beruhigen, wandte meine mit einem Übermaß an Zärtlichkeit strahlenden Augen von ihr ab und murmelte stolz meine Empfindungen in die dunkle Nacht und die kalte Luft hinaus. Wir kamen in London an, viel zu früh, wie mich dünkte; und doch konnte ich unsere baldige Ankunft nicht bereuen, als ich Zeuge der Freude wurde, mit der mein geliebtes Mädchen sich ihrem Bruder in die Arme warf, sicher vor allem Bösen unter seinem untadeligen Schutz.
Adrian schrieb eine kurze Notiz an seine Mutter und informierte sie, dass Idris unter seiner Obhut und Vormundschaft sei. Mehrere Tage verstrichen, und endlich traf eine Antwort aus Köln ein. »Es sei nutzlos«, schrieb die hochmütige und enttäuschte Dame, »dass der Graf von Windsor und seine Schwester sich an ihre beleidigte Mutter wandten, deren einzige Hoffnung auf Ruhe aus dem Vergessen ihrer Existenz gezogen werden müsse. Ihre Wünsche seien verworfen, ihre Entwürfe vernichtet worden. Sie beklage sich nicht, sie werde am Hof ihres Bruders zwar keine Entschädigung für ihren Ungehorsam finden (die kindliche Lieblosigkeit schlösse eine solche aus), aber einen solchen Stand der Dinge und Lebensalltag, der sie am besten mit ihrem Schicksal versöhnen könnte. Unter diesen Umständen lehne sie jegliche Verbindung mit ihnen ab.«
Dies waren die seltsamen und unglaublichen Ereignisse, die schließlich zu meiner Vereinigung mit der Schwester meines besten Freundes, mit meiner angebeteten Idris führten. Mit Einfachheit und Mut fegte sie die Vorurteile und den Widerstand beiseite, die meinem Glück im Wege standen, und sie scheute sich nicht, dem die Hand zu geben, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Ihrer würdig zu sein, sich durch die Ausübung von Talenten und Tugend zu ihrer Größe zu erheben, ihre Liebe mit hingebungsvoller, unermüdlicher Zärtlichkeit zu erwidern, war der einzige Dank, den ich ihr für das unvergleichliche Geschenk anbieten konnte.