Читать книгу Es ist alles ganz einfach - Massimiiano Allegri - Страница 12
Regel Nr. 4 „Ich möchte denkende Spieler und keine hirnlosen ‚Zuchthühner‘ haben.“
ОглавлениеAls Kind hörte ich des Öfteren von einem großen Künstler reden, einem italienischen Liedermacher, der ein neues Genre der Canzone Italiana erfunden hatte: Er verband die Musik mit Monologen über soziale Themen, die er zwischen den einzelnen Songs rezitierte. Erst einige Jahre später erfuhr ich seinen Namen: Giorgio Gaber. Durch seine populären Auftritte mit Enzo Jannacci, dem Duo „Cochi e Renato“ und mit Teo Teocoli in den Mailänder Clubs wurde er sehr bekannt.
Gaber wusste sich durch diese Kunstform, die er selbst teatro canzone (Liedtheater) nannte, von allen anderen Liedermachern abzuheben. Worin bestand sie? Ganz einfach: In seinen Songs formulierte er sein politisch-soziales Credo, er zeigte in ihnen die Widersprüche unserer Gesellschaft auf. Beinahe jedes Jahr hatte Gaber eine neue Show im Programm, mit der er durch viele Theater Italiens tourte. Die Vorstellungen waren überall ausverkauft. Jedes Mal wählte er andere Inhalte, er beschäftigte sich stets mit neuen, spannenden Themen. Eine seiner Shows, die sich dann zu einer außergewöhnlich erfolgreichen Langspielplatte entwickeln sollte (damals gab es noch Schallplatten), hatte den Titel Polli d’allevamento (Zuchthühner). Es war das Jahr 1978 … Auf der gleichnamigen Platte ging es um junge Menschen, die den eigenen Kopf zum Denken einsetzten, und um solche, die sich im Gegensatz dazu vom Kollektiv und von der allgemeinen Meinung einlullen ließen und sich damit zufriedengaben, eine Denkweise zu vertreten, die alles andere als individuell war, sondern die sie vielmehr von ihrem sozialen Umfeld übernommen hatten.
Mit dieser kurzen Einführung wollte ich aufzeigen, wie groß der Unterschied zwischen einem Menschen sein kann, der eher dazu neigt, eine persönliche Denkweise zu entwickeln, und einem anderen, der sich im Gegensatz hierzu – teils aus Angst, teils aus Schüchternheit – lieber der allgemeinen Denkweise anschließt. Auch in diesem Punkt (es gibt auch noch einige andere) ist es im Fußball exakt wie im Leben. Was ich euch im Folgenden sagen möchte, gilt sowohl für Kinder (die natürlich noch keine Lebenserfahrung haben) als auch für meine Spieler, die zumindest theoretisch erfahrener sein sollten: Man sollte versuchen, Fußballspieler zu formen, und ihnen beibringen, eigenständig zu denken. Ja, wirklich zu „denken“, denn im Fußball trifft man in einem Spiel – sosehr man sich auch auf alle Eventualitäten vorbereitet haben mag – selten auf dieselben Modalitäten wie im Training. Auf dem Spielfeld gibt es vor allem den Trainer der gegnerischen Mannschaft, der dich kennt und einen seiner Spieler an einer bestimmten Position auf dem Spielfeld aufstellt. Wir können uns nun auf ein Match auf bestmögliche Art und Weise mittels Trainingseinheiten vorbereitet haben, in denen wir eine bestimmte Aktion eingeübt haben. Doch sobald man dem Gegner gegenübersteht, ist es Letzterer, der dich durch seine Gegenangriffe dazu zwingt, das, was du während der Woche eingeübt hast, in größerem oder geringerem Ausmaß zu modifizieren. Und dann ist es essenziell, Spieler zu haben, die daran gewöhnt sind, selbst zu denken. Wenn nicht, täte sich ein Fußballspieler schwer damit, eine Situation, die sich plötzlich durch die Gegentaktik des Gegners verändert hat, einzuschätzen und dann eine bessere Option zu wählen. Fußballspieler zu klonen – seien es nun Kinder oder Spieler der ersten Liga –, richtet also große Schäden an. Aus diesem Grund sollten alle – die jüngeren wie auch die erfahreneren Spieler – Spaß am Spiel haben. Und es ist die Aufgabe von uns Trainern, zu garantieren, dass sie den auch haben. Dies gilt umso mehr für die Jugendtrainer, die auch eine Erziehungsaufgabe zu erfüllen haben: Immer, wenn ich mit einem von ihnen spreche, betone ich vehement, wie wichtig der spielerische Aspekt des Fußballspiels ist bzw. dass der Zweck des Spielens in erster Linie die Freude daran ist. Man sollte dabei lächeln und im Training eine Energiequelle sehen, die für Wohlbefinden sorgt.
Im Zusammenhang mit dem Thema Sport höre ich immer wieder den Begriff „Mannschaftsspiel“: Doch wenn vier von zehn Spielern auf dem Spielfeld stehen und im Passspiel schlecht sind, weil sie es nicht besser gelernt haben, nun, dann werden alle auf dem Trainer herumhacken und ihm die Schuld daran geben, dass seine Mannschaft schlecht spielt.
Man muss also an der analytischen Technik und an der Individualtaktik arbeiten. Wenn wir Kinder darin unterrichten, einzeln zu spielen, die Grundlagen zu erlernen und selbstständig zu denken, fällt es ihnen später ziemlich leicht, sich in eine Mannschaft einzugliedern. Doch gewöhnlich haben wir es mit Personen zu tun, die längst wissen, wie man Fußball spielt, eben weil sie es schon gelernt haben. Warum sollte man sie also in festgelegte Schemata zwängen? Normalerweise nenne ich keine Namen, doch in diesem Fall schon. Jungs wie Nicolò Fagioli und andere der U23- und der Primavera-Nachwuchsmannschaft von Juventus Turin haben gute Grundlagen und kennen also das Fußballspiel gut. Es wäre unter diesen Umständen regelrecht kontraproduktiv, ihnen mit festgelegten Geometrien Grenzen aufzuerlegen. Das hätte wirklich keinen Sinn.