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Minerva und Apollo

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Die beiden wichtigsten Kultstätten Pompejis lagen innerhalb der Stadtmauern an strategisch günstigen Stellen: das Heiligtum des Apollo in der Nähe eines der Zugänge zur Stadt (der sogenannten Porta Marina) und – wahrscheinlich – des Hauptplatzes (also des Areals, das später das Forum der römischen Kolonie einnahm); das Heiligtum der Minerva am sogenannten Foro Triangolare, einem Ausläufer des Lavaplateaus, auf dem sich die Stadt erhebt und das einen weiten Blick über die Sarno-Ebene und das Meer eröffnet. Beide Tempel liegen demnach an den Rändern des Areals, das die ältere Forschung als „Altstadt“ bezeichnete und das wir heute wohl als eine Art öffentlich-sakrale Akropolis bezeichnen können, die bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. von einem orthogonal organisierten Stadtraum umgeben war.

Die Kenntnis der ältesten Phasen dieser beiden Heiligtümer beruht vor allem auf den Funden von Baukeramik und den wenigen Votivgegenständen, die die Zeit überdauert haben. Die in älteren Ausgrabungen entdeckte Baukeramik des Apollotempels, die um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. datiert wird, scheint über lange Zeit in Gebrauch gewesen zu sein. Tatsächlich gibt es nach dem heutigen Stand der Forschung keine Hinweise auf spätere Phasen.20 Der Befund verweist auf Werkstätten aus Cumae; das Dach mit seinen Antefixen und Rankensimen muss eine beeindruckende Wirkung gehabt haben (Abb. 4). Vom aufgehenden Mauerwerk des Tempels aus Tuff und Lava hat sich nur wenig erhalten. Es ist deshalb nicht einfach, sich den Bau des 6. Jahrhunderts v. Chr. insgesamt vorzustellen, doch muss er im auch in Cumae belegten dorischen Stil ausgeführt gewesen sein.21 Von den kultischen und kulturellen Eigenheiten des Heiligtums wissen wir leider nichts Genaues: Wer besuchte das Heiligtum? Und wann? Im Rahmen von welchen festlichen Anlässen? Unter den Votivgaben finden sich aus Griechenland importierte Gefäße genauso wie vor Ort hergestellte, außerdem Kratere (Abb. 5 und 6) zum Mischen von Wein und Wasser, Trinkschalen,22 Bucchero-Gefäße und Gegenstände aus Bronze, darunter zahlreiche Waffen. Die Tatsache, dass auch hier etruskische Inschriften zutage kamen, zeugt angesichts der großen Anzahl solcher Inschriften aus dem Heiligtum des Fondo Iozzino (vgl. Kapitel 2) von der wichtigen Rolle der Etrusker.23

Verehrt wurde hier der Gott Apollo, ähnlich demjenigen im großen Heiligtum von Delphi, mit dem die Etrusker enge Beziehungen pflegten. Apollo war aber auch die große Gottheit auf der Akropolis von Cumae: Die Stadt formte aus vielgestaltigen Einflüssen von außen im Inneren etwas Eigenes, nach den eigenen Erfordernissen, und „erschuf “ eine Götterfigur, wie sie den Bedürfnissen der Stadtgemeinschaft am besten entsprach.24

Abb. 4 Zeichnerische Rekonstruktion der architektonischen Terrakottadekoration des Apollotempels. Bauphase: Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Die Hersteller dieser Baukeramik kamen aus Cumae, von wo ganz ähnliche Terrakotten bekannt sind. (Umzeichnung: F. Giannella.)

Als Pendant zum Apollotempel fungierte das Heiligtum der Minerva am südlichen Stadtrand (Farbtafeln 1 und 2).25 Auf eine erste Phase, die um die Mitte des 6. Jahrhundert v. Chr. angesetzt werden muss und der ein in Stein errichtetes Gebäude und einige wenige Fragmente Baukeramik zugewiesen werden können, folgte in spätarchaischer Zeit eine Phase der Monumentalisierung, im Zuge derer im späten 6. Jahrhundert v. Chr. ein neues Dach entstand (Farbtafel 3).26 Der Name der Göttin, der der Tempel zugeschrieben wird, erscheint in einem Text aus samnitischer Zeit.27 Im Bildmaterial taucht sie, zusammen mit Herkules, in der architektonischen Dekoration des späten 4. Jahrhunderts v. Chr. auf. Für die archaische Phase gibt es also keine schriftlichen Zeugnisse, doch lassen sich Indizien für die Identität der verehrten Gottheit aus fragmentarisch erhaltenen, zum Teil überlebensgroßen Terrakottastatuen ableiten.28 Erhalten sind die Reste einer Gruppe, bestehend aus einer männlichen Gestalt, zu der Fragmente einer ausdrucksstarken Figur und Teile eines Perlenhaarkranzes gehören (dieser Typus ist aus anderen Zeugnissen, wie beispielsweise der in Cumae dokumentierten kampanischen Koroplastik, bekannt), und anderen Figuren, von denen eine mit einem großen bemalten Schild bewaffnet war. Der Schild (Farbtafel 4), der auf dem Boden abgestellt ist, scheint ein Gewand zu berühren, und das ist ein bekanntes Element der Ikonografie der Athena/Minerva in hellenistischer Zeit.

Abb. 5 und 6 Gefäße griechischer Herkunft (in diesem Fall aus Korinth) finden sich häufig in etruskischen und italischen Heiligtümern. Die zwei hier abgebildeten Fragmente von Krateren wurden unter den Votivgaben im Heiligtum des Apollo entdeckt.

Die Terrakottaskulpturen können dem zweiten Dach des Tempels aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. zugeordnet werden. Vielleicht waren sie als Akrotere auf dem Giebelfirst des Tempels platziert.29 Dann könnte das Paar mit einer Rankensima (dem als Traufe dienenden Element) in Verbindung gebracht werden, auf der sich eine mit Schuppenmuster verzierte Basis in einen vielköpfigen Schlangenkörper (Farbtafel 5) verwandelt, vielleicht eine Hydra, die dem Heros und der Göttin zugewandt ist – dann hätten wir hier eine Darstellung einer der Aufgaben des Herkules. Es könnte sich allerdings auch um die Kultstatuen des Tempels handeln, bedenkt man, dass die Ikonografie im samnitischen Pompeji des 4. und 3. Jahrhunderts v. Chr. eine Wiederbelebung erfuhr und in den kleinformatigen Votiv-Terrakotten belegt ist, die in verschiedenen Tempeln der Minerva zwischen Pompeji und Sorrent gefunden wurden. Der pompejanische Bau mit seiner reichen Dekoration an mythischen Bildern wäre dann die erste Etappe einer Route gewesen, die wie ein Pilgerweg ähnliche Kultstätten miteinander verband: von Pompeji bis zum Heiligtum der Minerva an der Punta della Campanella bei Sorrent.

Bei einem Territorium, das von einer ethnisch vielfältigen Gemeinschaft besiedelt war, ist es, wie gesagt, sehr schwierig, von architektonischen Stilen zu sprechen. Zweifellos ist das spätarchaische Dach des pompejanischen Tempels das Ergebnis des Zusammentreffens zweier Traditionen: der monumentalen Bauweise Westgriechenlands, wie sie etwa die Tempel Paestums verkörpern, und der kampanischen Bauweise, die die Werkstätten aus Cumae repräsentieren.30 Deutlich wird dies in den Verkleidungsplatten mit Anthemienfries (einem Friesband mit stilisierten Pflanzenelementen), einem charakteristisch kampanischen Element, das mit der im westgriechischen und achäischen Raum verbreiteten Löwensima mit Blattrahmung kombiniert wurde.

Auch wenn die ältesten Befunde in begrenzter Zahl vorliegen, so machen seine prominente Lage, die monumentale Steinarchitektur und sein hohes Alter den Tempel dennoch zum Angelpunkt der sakralen Landschaft Pompejis, dem das Heiligtum des Apollo zur Seite gestellt wurde. Die Verbindung der beiden Kultstätten wurde in den nachfolgenden Phasen allerdings noch deutlicher.

Dieses Gesamtbild, das die Ergebnisse der älteren Ausgrabungen zeichnen, lässt sich nun um die Daten aus den neuen Untersuchungen ergänzen, insbesondere im Hinblick auf die Topografie und die Veränderungen der sakralen Landschaft im Kontext der Stadtentwicklung. Wie jüngste Forschungen gezeigt haben, ist der Untergrund des Stadthügels sehr heterogen. Das Gelände fällt von Nord nach Süd kontinuierlich, von Ost nach West hingegen in Stufen ab. Zudem gibt es im gesamten Stadtgebiet diverse Geländeversprünge. Die markanteste Zäsur ist eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende schmale Senke, in der die heute so genannte Via Stabiana verläuft – seit archaischer Zeit teilte sie das Stadtgebiet in zwei mehr oder weniger gleich große Hälften.31 Auch das Areal, auf dem der Minervatempel entsteht, muss heterogen gewesen sein. Die neuen Ausgrabungen konnten zeigen, dass das Lavaplateau nicht nur im Süden, sondern auch Richtung Osten steil abfiel. Der Tempel überragte also Richtung Osten ein tiefer liegendes Gelände, in dem sich die Bebauung der Regio I entwickelte und später die Theaterbauten errichtet wurden (Abb. 7). Die Geländeformation erwies sich demzufolge als idealer Standort für den monumentalen dorischen Tempel: Er war dort bereits aus der Ferne für jeden, der sich der Stadt vom Meer aus näherte, zu sehen.

Diese Situation machte eine Reihe von Vorkehrungen zur Entwässerung des Areals notwendig: schmale, mit Flusskieseln ausgelegte Gräben, die das Areal auf der nordwestlichen Seite, das heißt in Richtung des etwas höher gelegenen inneren Stadtgebiets, begrenzen (Abb. 8). Auf der Ostseite war das Heiligtum auf natürliche Weise durch den steilen Abhang des Lavaplateaus begrenzt. Wahrscheinlich war der schroffe Abhang durch natürliche Terrassen unterbrochen, die aber offenbar zum Teil geebnet und zugänglich gemacht wurden – denn hier, auf der Rückseite des Tempels und auf etwas tieferem Niveau, befanden sich grottenartige, natürliche Öffnungen für rituelle Zwecke. Im Jahr 2017 wurden zwei miteinander verbundene Hohlräume freigelegt, die zwar teilweise eingestürzt, aber noch immer gut erkennbar waren. Im westlichen, besser erhaltenen Hohlraum war sogar noch das Zugangssystem sichtbar: eine in den Lavafels gearbeitete Öffnung mit einigen in den Fels gehauenen Stufen (Abb. 9). Diese charakteristische sakrale Landschaft der archaischen Zeit scheint unverändert in die neue Phase der Wiederbesiedlung der Stadt im 4. Jahrhundert v. Chr. übernommen worden zu sein. Tatsächlich wurden die Hohlräume erst um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. mit Votivmaterial und Bauschutt verfüllt. Sie fungierten damit gewissermaßen als Tresore der Erinnerung.

Die Verfüllung der Hohlräume fällt in eine Zeit großer Veränderungen, nicht nur im Bereich des Foro Triangolare, sondern in der gesamten Stadt. In dieser Phase wurden zahlreiche öffentliche Gebäude, wie etwa das große Theater,32 errichtet, dessen Anlage diesen strategisch günstig gelegenen Bereich der Stadt dauerhaft charakterisieren sollte. Im Heiligtum der Minerva und in den unmittelbar angrenzenden Arealen werden wir also Zeugen einer substanziellen Veränderung der Architektur und der sakralen Landschaft insgesamt, mit der jener ausgeprägte „naturhafte“ Aspekt, der sie zu Anfang charakterisiert hatte, verloren ging.

Abb. 7 Blick von oben auf das Foro Triangolare und das Theaterviertel westlich der Via Stabiana. Aufgrund der charakteristischen Geländeformation liegt das Heiligtum der Minerva auf einem nach Süden abfallenden Felssporn über einer natürlichen Senke, die zu einem späteren Zeitpunkt für die Anlage der Theater genutzt wurde. (Archiv PAP.)

Doch dies ist eine andere Geschichte, nämlich die einer Stadt, die nach der Krise des 5. Jahrhunderts v. Chr. von neuen Siedlern, den Samniten, Protagonisten neuer Mobilitäts- und Migrationsphänomene, wieder zum Leben erweckt wurde: Von den Bergregionen Mittelitaliens zogen die Samniten allmählich in Richtung der adriatischen und der tyrrhenischen Küste (doch parallel zu diesen Migrationsphänomenen sollte auch die Präsenz der Einheimischen berücksichtigt werden, die der Stadt zu einer neuen Blüte verholfen hatten).33

Abb. 8 Im westlichen Bereich des Heiligtums der Minerva wurden im Rahmen jüngerer Grabungen diverse Entwässerungskanäle freigelegt. Die Kanäle waren mit Flusskieseln ausgelegt, um Regen- und Oberflächenwasser effizient abzuleiten. Als man die Gräben abdeckte, begleitete man dies wohl mit der Opferung eines Pferdes, dessen Gebeine am Boden des Kanals gefunden wurden.

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