Читать книгу Spätsommer - Liebe - Mathilde Berg - Страница 4
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ОглавлениеEs wurde schon dunkel. Der Wind war im Laufe des Tages stärker geworden, und Böen wehten frisch unter ihren Plisseerock.
Das ist ja mal wieder typisch! Wenn man mal etwas Besonderes vorhat oder es eilig hat, dann hat man auch noch Gegenwind, dachte sich Sybille und trat kräftig in die Pedale ihres Hollandrades.
Abgekämpft und völlig aus der Puste kam sie bei dem Lokal an.
„Aha, ein spanisches Restaurant! Da hat er sich ja richtig ins Zeug gelegt, der Gute“, murmelte sie und schloss das Rad am danebenstehenden Laternenpfahl ab, kämmte ihre vom Wind zerzausten Haare mit den Fingern einigermaßen zurecht, bevor sie ins Innere der Gaststätte trat.
Ein freundlicher Kellner kam ihr freudestrahlend entgegen. „Señora, herzlich willkommen.“
„Hallo, ich bin hier verabredet. Mit meinem Mann.“
„Aber natürlich sind Sie das. So eine schöne Frau.“
„Reserviert wurde auf den Namen Specht.“
„Si, Señora. Señor Specht ist schon da. Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?“
„O ja, gern.“ Sybille überreichte dem Kellner ihre Jacke, die er sich über den Arm legte.
„Würden Sie mir bitte folgen, dann bringe ich Sie zu Ihrem Tisch.“
Sie ging dem Kellner hinterher – einerseits mit freudiger Erwartung und andererseits mit einem kribbeligen Gefühl in der Magengrube. Leichte Nervosität stieg in ihr auf. Auf dem Weg zu ihrem Tisch strich Sybille ihre weiße Rüschenbluse glatt. Sie fühlte sich, als ginge sie zu einem Rendezvous.
Und da sah sie auch schon Michael. Den Blick in der Speisekarte versunken. Gut sah er aus. In letzter Zeit kleidete er sich mehr sportlich und modern, was ihm gut stand. Vor ein paar Monaten hatte er sich noch konservativ gekleidet. Er hatte nie großen Aufwand für sein Äußeres betrieben, sondern sich eher gehen lassen.
Karo-Hemd in leuchtenden Farben, Lederjeans. Das Basecap lag auf dem Tisch neben der Sonnenbrille und seinem Smartphone. Sybille fand, er sah zum Anknabbern aus. Besonders seitdem er regelmäßig ins Fitnessstudio ging. Er erinnerte sie an den jungen Michael, in den sie sich als junges Mädchen verliebt hatte. Er will wohl Alexander in nichts nachstehen, dachte Sybille.
„Bitte sehr, Señora Specht!“
„Danke schön.“
Der Kellner schob ihr den Stuhl zurecht, damit sie sich hinsetzen konnte.
Michael schaute auf, und sie sah in sein sonnengebräuntes Gesicht. Oh, er ist im Solarium gewesen. Der Dreitagebart ist neu, bemerkte Sybille.
„Billy, da bist du ja schon.“
„Hallo, Schatz.“
„Schön, dass du es einrichten konntest, herzukommen. Ich habe schon für dich mit ausgesucht.“ Zum Kellner gerichtet sagte er: „Wir nehmen beide das Menü zwei. Billy, ein Wasser für dich?“
„Also, heute könnte es auch etwas mit mehr Pepp sein. Champagner?“
„Champagner?“
„Ja, wir brauchen doch was zum Anstoßen, oder? Wasser bringen Sie mir bitte auch. Danke.“
„Na gut, dann zwei Gläs–“
„Och, können wir nicht eine ganze Flasche bestellen? Zur Feier des Tages?“
„Wie meinst du das denn?“
Sybille stutzte für einen Augenblick. Nicht, dass er sie durchschaut hatte, dass sie schon wusste, womit er sie gleich überraschen wollte. Er machte es aber auch wirklich spannend. Unruhig rutschte sie auf ihrem mit einer weißen Husse überzogenen Polsterstuhl herum, als hätte sie Hummeln im Hintern. „Na ja, so oft gehen wir nicht zusammen essen. Wir können es uns ja auch mal richtig gut gehen lassen. Wer weiß, wann wir wieder die Gelegenheit haben. Findest du etwa nicht?“
„Ja, ja … da hast du natürlich recht. Also, eine Flasche Champagner und eine große Flasche Wasser, bitte.“
„Sehr wohl, Señor, kommt sofort!“
Michael schaute in das rundliche Gesicht von Sybille und fragte sich, wie er anfangen sollte. Sie hatte sich auf ihre Art schick für ihn gemacht. Sogar Lippenstift hatte sie aufgetragen und sie trug ihre gute, weiße Bluse, die ihre rundliche Figur kaschierte. Ein wenig spießig seiner Meinung nach, aber so war Sybille nun mal. Dabei war sie früher ein richtiger Feger gewesen, sexy und lebenslustig. Jetzt war sie eher hausbacken und erinnerte ihn mehr an seine Mutter als an eine begehrenswerte Frau.
Mit auf den Tisch zusammengefalteten Händen saß Sybille vor ihm und schaute ihn erwartungsvoll an.
„Billy, ich …“
„Schien die Sonne in Wuppertal?“
„Was?“
„Na, du sieht aus, als kommst du gerade aus einem dreiwöchigen Urlaub und nicht von der Montage. Hat alles geklappt?“
„Was?“
„Na, waren die Kunden zufrieden? In Wuppertal?“
„Ja, ja … natürlich. Ist alles super gelaufen. Nee, die Sonne hat nicht geschienen. Ich war auf der Sonnenbank. Das sieht man doch.“
„Aha.“
„Ja, das macht mehr Eindruck bei den Kunden, weißt du. Also, wenn man etwas gebräunt ist und nicht wie eine nordische Kalklatte aussieht“, beeilte er, sich zu sagen und anderen Erklärungen auszuweichen.
„Entschuldige bitte …“ Sybille konnte sich ein Lachen nun nicht mehr verkneifen. Sie nahm ihre Stoffserviette und hielt sie sich vor ihren Mund. „Du siehst eher wie ein Grillhähnchen aus. Vielleicht wäre weniger mehr gewesen.“
„Billy, bitte!“
Nach einer kurzen Weile hatte sich Sybille von ihrem Lachflash erholt, atmete tief ein und wischte sich die letzten Lachtränen aus den Augenwinkeln.
„Solltest du auch mal versuchen. Würde dir sicherlich gut stehen.“
„Nee, lass mal lieber. Ich bin für natürliche Bräune. Wir haben doch jetzt Betriebsferien.“
„Du willst verreisen?“
„Vielleicht? Kommt ganz darauf an, wohin.“ Sybille versuchte, eine Brücke zu schlagen, damit Michael es leichter hatte, endlich zum Punkt kam und sie sich auch äußerlich freuen konnte.
„Billy, ich …“
„So, Señora, Señor, Ihr Champagner.“
„… ich versuche gerade, dir etwas zu …“
Plop.
Der Kellner öffnete mit einem lauten Knall die Flasche und füllte die bereitstehenden Gläser. Stellte sie anschließend mit lautem Getöse in den mit Eiswürfeln gefüllten, hüfthohen Kühler, den er neben dem Tisch platziert hatte. Schenkte Wasser ein.
„Zum Wohl.“
„Ich wollte dir etwas sagen“, begann Michael erneut, als sich der Kellner wieder anderen Gästen zuwandte.
„Ja, gleich, Michael. Lass uns erst anstoßen!“
Michael stöhnte leise.
„Zum Wohl! Auf einen schönen Urlaub!“ Sybille hielt ihren Armausgestreckt über den Tisch, und er stieß widerwillig mit ihr an. „Auf uns. Und überhaupt!“
„Urlaub. Ja, darum geht es. Ich wollte …“
Sybille hielt die Spannung nicht mehr aus. Ungeduldig klatschte sie in die Hände und fiel ihrem Mann ins Wort. „Du brauchst gar nicht mehr um den heißen Brei zu reden. Ich weiß alles!“
„Was? Wie? Woher?“
„Daniela Meyer!“
„Daniela hat dir alles erzählt?“
Rote Flecken wie bei einem Nesselfieber breiteten sich auf Michaels Hals aus. Ihm wurde plötzlich sehr heiß. Ein Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn und Oberlippe, den er möglichst unauffällig mit seinem weißen Stofftaschentuch mit Monogramm abtupfte.
„Na, ich habe die Beweise gefunden.“
„Be–wei–se? Ach Gott, ach Gott!“ Die Hitzewelle ergriff jetzt Michaels ganzen Körper. Was für eine blöde Situation. „Sybille, ehrlich! Ich wollt dir das schon lange sagen, aber …“
„Dann wäre es doch keine Überraschung gewesen. Ich habe die Tickets vorhin zufällig gefunden. Auf dem Platz von Daniela Meyer! Du, über die müssen wir unbedingt noch reden. Das ist vielleicht ein Früchtchen …“
„Ja, das wollte ich auch … mit dir sprechen, aber du weißt es ja schon.“
„Ich freu mich ja so!“
„Du freust dich?“ Michael runzelte verständnislos die Stirn. Mit so viel Entgegenkommen von Sybille hatte er gar nicht gerechnet. Er hatte sich die ganze Sache viel schwieriger vorgestellt. Heulerei, Schreierei – eben so was in der Richtung. Darum hatte Michael auch einen öffentlichen Ort gewählt, damit die Sache ruhiger und diskreter verlief. Er konnte in diesem Moment sein Glück nicht fassen. Erleichtert atmete er auf. „Puh, hätte ich vorher gewusst, dass du so entspannt reagieren würdest, hätte ich mir nicht die Nächte um die Ohren schlagen müssen.“ Michael atmete noch mal erleichtert tief ein und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas Champagner.
„Du wusstest doch, dass ich schon immer mal nach Kuba wollte!“
„Kuba?“
„Ja, Kuba! Tickets? Geburtstag? Wir haben Urlaub? Was denn sonst?“
„Geburtstag?“ Wieder ergriff eine Hitzewelle Michaels Körper.
„Ach, Michael! Du kannst jetzt aufhören, so ahnungslos zu spielen. Diese Reise ist das schönste Geschenk, das du mir je gemacht hast. Ich muss schon sagen, da hast du dich diesmal mächtig ins Zeug gelegt.“ Sybille erschrak. „Ach, stimmt, ich muss noch packen. Morgen geht es ja schon los! Dann lass uns nur eine Kleinigkeit essen.“ Sie griff wieder zur Speisekarte. „Ich bin ja schon so aufgeregt! Gott sei Dank, habe ich zufällig meinen Pass letzten Monat verlängert, und ich muss noch beim Nachbar anrufen, damit Frau Gröne meine Blumen gießt und …“
Mit der weißen Stoffserviette wischte sich Michael ungeniert den Schweiß von der Stirn, der nun drohte, auf das Tischtuch zu tropfen. Er fühlte sich unwohl in seinem angeschwitzten Hemd. Irgendwas lief gerad völlig schief. Ihm schwante, dass ein riesiges Missverständnis im Raume schwebte und sie beide völlig aneinander vorbeiredeten wie so üblich.
„Michael? Ist alles in Ordnung? Geht es dir gut?“
„Ja, also …“ Er räusperte sich umständlich. „Ich glaube, wir reden gerade aneinander vorbei. Um es klar zu sagen: Ich fahre nach Kuba, aber mit Daniela und nicht mit dir.“
Sybille entgleisten ihre Gesichtszüge.
„Daniela?“, sagte Sybille langsam. „Was willst du damit sagen? Ich verstehe nicht …“
„Das soll heißen, dass Daniela und ich ein Paar sind!“
Sybille schaute ihren Mann mit großen Kulleraugen an. „Was?“
„Ja, du hast richtig gehört. Daniela und ich sind seit einem halben Jahr ein Paar! So, nun ist es raus.“
„Und da hast du extra bis zu meinem Geburtstag gewartet, um mir das mitzuteilen?“
„Nein“, druckste er herum. „Nein, wirklich nicht. Ich habe dich heute Abend hergebeten, um es dir schonend zu sagen. Du hast dir so was Ähnliches sicherlich schon gedacht. So blöd bist selbst du nicht!“
„An meinem Geburtstag!“ Sybilles Miene war ruhig, doch in ihrem Inneren tobte ein Gewittersturm.
„Sybille, es hört sich jetzt blöd an, aber das ist wirklich ein Zufall. Ach ja, alles Gute zum Geburtstag. Du siehst toll aus!“, schob er schmeichelnd hinterher, obwohl es gelogen war, um die Wogen zu glätten.
Um Fassung ringend, sah Sybille zu ihrem Mann. Das schöne Geburtstagsgefühl war im Nu futsch. Von Wolke sieben war sie zurück in der Realität gelandet und weiter im freien Fall in Richtung Keller.
„Ich fasse es nicht. Wieso ausgerechnet diese dürre Ziege? Außerdem ist sie strohdoof. Michael, wir sind fast fünfundzwanzig Jahre verheiratet. Ich meine, wir haben einen Sohn! Wir sind doch ein gut eingespieltes Team, und jetzt, wo Alexander studiert und nicht mehr zu Hause wohnt, da könnten wir doch … da wollten wir doch …“
„Billy, ich glaube, wir haben uns in den letzten Jahren irgendwie auseinandergelebt. Und Dani ist …“, sagte er und hielt seine Hände nah parallel zueinander. „… während du …“ Er vergrößerte den Abstand zwischen seinen Händen.
Sybille saß da wie vom Schlag getroffen. Ihre Atmung ging schneller. Ihr Puls fing an, zu rasen.
„Meine Güte, Sybille, ist das denn so schwer zu verstehen? Sieh mal in den Spiegel! Wir passen doch gar nicht mehr zueinander.“
„Was? Spinnst du jetzt total?“ Ihre Stimme war schrill und etwas zu laut.
„Señora, darf ich Sie bitten, etwas leiser zu sein, die anderen Gäste könnten sich gestört fühlen.“
Wenn Blicke töten könnten, wäre der spanische Aushilfskellner tot umgefallen.
„Sybille“, flüsterte Michael, „reiß dich doch zusammen, die Leute gucken schon.“
„Was? Die Leute? Ist das alles, worüber du dir Sorgen machst? Wie die Leute gucken? Machst du dir auch irgendwelche Gedanken um mich?“
„Sybille, lass uns doch vernünftig reden!“
„Wie stellst du dir das eigentlich vor? Wie soll das denn werden, wenn du mit deinem Herzblatt wieder da bist? Wie soll ich denn, bitte schön, mit ihr arbeiten? Zusammen in einem Büro! Ich werde ja zum Gespött der Firma …“
„Darüber wollte ich auch noch mit dir reden. Es wäre schön, wenn du in den nächsten zwei Wochen deinen Arbeitsplatz räumen würdest.“
„Das … das ist jetzt nicht dein Ernst!“
„Du hast doch selbst gesagt, dass du nicht mit ihr zusammenarbeiten kannst. Wir sind ein junges Team, und da muss man sich natürlich auch beim Personal verjüngen.“
„Du schmeißt mich jetzt auch noch raus? Obwohl ich die Firma mit aufgebaut habe? Nach dem Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen?“
„Daniela hat mir auch gesagt, dass du völlig überlastet bist …“
„So, hat sie das? Sie muss es ja wissen!“
„… und da ist es wohl doch das Beste, dass du dir was anderes, ruhigeres suchst. Du kannst selbstverständlich in unserem Haus so lange bleiben, bist du dir eine neue, kleine Wohnung gesucht hast. Ich werde währenddessen bei Daniela wohnen.“
„Na, wie großzügig!“ Sybilles Wut schnürte ihr den Hals zu.
„Du kannst mir ja schon mal ein paar Sachen zusammenpacken. Ich hole sie dann ab, wenn ich wieder da bin.“
Beide merkten nicht, dass es in der Zwischenzeit sehr ruhig um sie herum geworden war. Keine Gespräche waren mehr zu hören, geschweige denn Geklapper von Besteck auf Tellern.
„So was Armseliges wie dich habe ich noch nie erlebt. Michael, du bist ein Schwein!“ Sybille nahm ihr Wasserglas und schleuderte den Inhalt mit von Wut unterstütztem Schwung mitten in Michaels verdutztes Gesicht. Das Wasser tropfte aus seinen sorgfältig gegelten Haaren. Sybille stand ruckartig auf, sodass ihr Stuhl nach hinten kippte und mit einem lauten Scheppern auf dem Marmorboden aufschlug. Wütend warf sie ihre Serviette auf den Tisch, die zuvor noch auf ihrem Schoß gelegen hatte. Das Champagnerglas fiel um und hinterließ eine unschöne Pfütze auf dem weißen Tischtuch. Tränen standen Sybille in den Augen.
„Sag mal, spinnst du jetzt total?“
„Du bist so ein selbstgefälliges Ar–“
Die Frau vom Nachbartisch reichte ihr ihr volles Wasserglas mit einem auffordernden Nicken.
„Danke!“ Sybille griff danach und an ihren Mann gewandt fuhr sie fort: „Arschloch!“
Und schon ergoss sich die Zugabe über Michael. Die Zitronenscheibe blieb auf seinem Kopf liegen.
Während sich Sybille umdrehte, um das Restaurant zu verlassen, klatschten einige Frauen Beifall.
Die ältere Dame, die Sybille das Glas gereicht hatte, stand auf und schlug mit ihrer Stoffserviette auf Michael ein. „Sie sollten sich was schämen, Sie … Sie Hurenbock!“
Wie im Wahn rauschte Sybille durch das Restaurant Richtung Ausgang. Sie ballte die Fäuste, um sich zu beherrschen. Ansonsten hätte sie vor Wut die Teller von den Tischen durch die Gegend gepfeffert. Doch ihre gute Kinderstube verbot ihr dieses. So manövrierte sie ihren runden Körper wie eine Dampflok bis vor die Tür des Lokals.
Auf dem Weg dorthin riss Sybille dem peinlich dreinschauenden Kellner ihren Anorak aus den Händen, in den er ihr helfen wollte.
Draußen entlud sich die aufgestaute Energie in einem gellenden Schrei, den Sybille nicht mehr zurückhalten konnte.
Ein Wunder, dass das Glas der Straßenlaterne, an dem ihr Fahrrad angeschlossen war, nicht zerplatzte. Beim genauen Hinsehen hätte man aber ein leichtes Flackern wahrnehmen können.
Der Wind hatte in der Zwischenzeit noch mehr zugelegt und sich zu einem kleinen Herbststurm entwickelt. Ihr Faltenrock blähte sich zu einer Glocke auf. Dazu kam, dass es angefangen hatte, zu regnen, was Sybilles momentane Gefühlslage nicht gerade besserte.
Inzwischen war es stockdunkel geworden, und sie hatte Mühe, das Fahrradschloss zu finden.
Schimpfend radelte sie nach Hause. Sie hatte immer noch so viel Energie aufgestaut, dass sie kräftig in die Pedale treten konnte. Die Wasserfontänen spritzten rechts und links im hohen Bogen. In ihrem Tunnelblick merkte sie nicht, wie ein von rechts kommendes Auto quietschend bremste, weil sie ihm die Vorfahrt genommen hatte. Andere Radfahrer wurden laut klingelnd überholt und an die Seite gedrängt.
Wie vom Donner gerührt fuhr sie nach Hause. Enttäuscht von Michael und mit wachsendem Hass auf Daniela. Wo sollte sie jetzt hin? Ohne Job, für den sie all die Jahre geschuftet hatte, und ohne Haus. Ihr Leben lag in Scherben.
Pitschnass wie eine Maus kam Sibille zu Hause an. Genauso fühlte sie sich auch. Klein, grau, und ungeliebt.