Читать книгу Kontrolle kirchlichen Verwaltungshandelns. Ein Beitrag zur Diskussion um die Errichtung von Verwaltungsgerichten auf Ebene der Bischofskonferenz - Matthias Ambros - Страница 7

Hinführung zur Thematik

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„Wir wissen um die Fälle klerikalen Machtmissbrauchs.

Er verrät das Vertrauen von Menschen

auf der Suche nach Halt und religiöser Orientierung.

Was getan werden muss,

um den nötigen Machtabbau zu erreichen

und eine gerechtere und rechtlich verbindliche Ordnung aufzubauen,

wird der synodale Weg klären.

Der Aufbau von Verwaltungsgerichten gehört dazu,“4

lautete das abschließende Pressestatement des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz,5 Kardinal Reinhard Marx, nach der Frühjahrsvollversammlung der DBK am 14. März 2019. In der Sitzung wurde demnach der Beschluss gefasst, „eine Ordnung für Verwaltungsgerichte im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zu erarbeiten.“6

In der Tat ist Macht, selbst wenn sie innerkirchlich als „heilige Vollmacht“ (potestas sacra) und damit theologisch legitimiert wird, anfällig für Grenzüberschreitungen. Kontrollmechanismen, Aufsichtsorgane und Gerichte, wie sie in staatlichen Rechtssystemen heute Standard sind, könnten auch innerkirchliche Lösungsstrategien sein, vor allem auch deshalb, weil es diesbezüglich Anknüpfungspunkte in der kirchlichen Lehr- und Rechtstradition gibt.7 Obwohl im Rahmen der Reform des kirchlichen Gesetzbuches, die nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils in Gang kam, wertvolle Impulse in diese Richtung gesetzt wurden, ist die Beteiligung von Organen der Mitverantwortung, Sachverständigen und den von einer Verwaltungsentscheidung betroffenen Gläubigen bisweilen immer noch keine Selbstverständlichkeit. Neuerdings wird die Forderung zur Errichtung lokaler Verwaltungsgerichte im Kontext der Missbrauchsprävention sowie -aufklärung genannt, wobei in diesem Zusammenhang die Errichtung von Strafgerichtshöfen und die Aus- und Fortbildung von Strafrechtsexperten die adäquatere Antwort sein dürfte. Auch dieser Frage soll in einem Exkurs im Rahmen dieser Studie nachgegangen werden. Welche konkreten Fälle aus dem kirchlichen Alltag aber muss man vor Augen haben, wenn man die Errichtung kirchlicher Verwaltungsgerichte auf Ebene der Bischofskonferenz diskutiert?

– Ein Kirchenvorstand beschließt beispielsweise, dass eine Kirche, die sich auf dem Pfarrgebiet befindet, abgerissen werden soll. Der Verkauf des Grundstücks, auf dem die Kirche steht, wurde bereits besiegelt. Die Verträge sind unterschrieben. Von der Entscheidung erfahren die Gläubigen aus der regionalen Zeitung. In der Pfarrei, in der noch die Generation lebt, die den Kirchenbau vorangetrieben, persönliche Arbeitsleistungen eingebracht und zur Finanzierung durch Spenden beigetragen hat, regt sich Protest gegen den Abriss der Kirche. Auch der kirchliche Rechtsweg wird von den Gläubigen in Betracht gezogen.

– Ein Diözesanbischof beschließt eine pastorale Strukturreform. Ehemals 1000 Pfarreien, die heute schon in 400 Pfarreiengemeinschaften zusammengeschlossen sind, sollen auf 40 Pfarreien reduziert werden. Sowohl bei den 400 Priestern, die derzeit Pfarrer sind, als auch bei vielen Gläubigen, die sich in den Veränderungsprozess nicht eingebunden fühlen, wächst Unmut. Sie fürchten um die Lebendigkeit ihrer Pfarreien und wollen nicht akzeptieren, dass sie ihren Pfarrer höchstens einmal im Jahr im örtlichen Gottesdienst erleben. Zudem fragt man sich, ob dieser radikale Eingriff dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht: Ein Fall für das kirchliche Verwaltungsgericht.

– Ein Generalvikar teilt einem Gläubigen mit, dass dieser für die anstehende Kirchenverwaltungswahl das passive Stimmrecht verliert, weil er die Wahlvoraussetzungen nicht erfülle. Da dies vom Betroffenen als Unrecht empfunden wird, wehrt er sich dagegen mit rechtlichen Mitteln.

– Einer Religionslehrerin wird vom Bischof die missio canonica zur Erteilung des Unterrichts entzogen, da sie sich der letzten Visitation durch den bischöflichen Schulbeauftragten verweigert hat. Die Lehrerin hält dieses Vorgehen für unverhältnismäßig, da sie der Auffassung ist, dass sie seit Jahren einen bewährten und soliden Unterricht verantwortet, und will deshalb beim Verwaltungsgericht klagen.

– In einem deutschen Bistum steht die Wahl zum Kirchenvorstand an. Diejenigen, die bei der Kommunalverwaltung einen Sperrvermerk im Hinblick auf die Weitergabe persönlicher Daten eingetragen haben, bekommen keine Benachrichtigung über die Wahl, was zur Folge hat, dass sie de facto ihr Wahlrecht verlieren. Vor einem kirchlichen Verwaltungsgericht könnten Betroffene ihre Rechte geltend machen.

– Die Statuten einer Philosophisch-Theologischen Hochschule sehen vor, dass ein außerordentlicher Professor nach drei Jahren Lehr- und Forschungstätigkeit den Antrag auf Beförderung zum ordentlichen Professor stellen kann und, wenn die Voraussetzungen geben sind, zum Ordinarius zu ernennen ist. Auf den Antrag, den er an den Dekan richtet, erhält der Professor keine Antwort. Auf die Beschwerde, die er an den Rektor der Hochschule richtet, erhält er ebenfalls keine Antwort. Der Großkanzler lässt ihm mündlich mitteilen, dass er sich in die internen Angelegenheiten der Hochschule nicht einmischen will.

– Der Studiendekan einer kirchlichen Theologischen Fakultät verweigert die Anerkennung von Studienleistungen, die an einer anderen Fakultät erbracht wurden, mit der Begründung, dass die ECTS-Punkte nicht übereinstimmen. Anstatt eines schematischen Vergleichs und der Orientierung an den erreichten Kompetenzen wird nur das eigene Curriculum als Vergleichsmaßstab für die Anerkennung von Studienleistungen im konkreten Fall angewandt. Mit Verweis auf die Lissabon-Konvention rekurriert der Studierende an den Heiligen Stuhl.

– Der Vorstand eines kirchlich anerkannten Vereins beschließt den Ausschluss eines Mitglieds. Die betroffene Person vertritt die Meinung, dass es hierfür keinen Grund gibt, der in den Statuten vorgesehen ist. Sie will deshalb die Entscheidung anfechten.

– Eine Ordensschwester erhält von ihrer neu gewählten Oberin, mit der sie gemeinsam im Noviziat war und mit der sie seitdem zwischenmenschliche Schwierigkeiten und Anspannungen hatte, ein Schreiben, wonach jene die Gültigkeit ihrer Ordensprofess anzweifelt und sie deshalb das Ordenshaus am Monatsende zu verlassen habe. Die Schwester, die um dieses plötzlichen Rachefeldzugs willen aus allen Wolken fällt und ihre Ordensberufung in ungerechter Weise bedroht sieht, will mit allen rechtlichen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, dagegen vorgehen.

All diese Fälle können nur beispielhaft andeuten, wie sich innerhalb der Kirche Streitigkeiten anbahnen und wie sie ausgetragen werden. Gemeinsam ist ihnen, dass irgendwer, der in irgendeiner Form Verantwortung in der Kirche hat, weil er ein bestimmtes Amt ausübt, durch seine Entscheidungen, selbst wenn sie letztlich rechtlich und sachlich nicht zu beanstanden sind, dennoch eine Beschwernis beim Adressaten bewirken kann. Der oftmals in der Diskussion angeführte Begriff des „Klerikalismus“ ist deshalb in einer Kirche der unterschiedlichen Berufungen und reichen Vielfalt unterschiedlicher Dienste zu kurz gegriffen, falls er sich bloß auf Kleriker beziehen will, wie die oben genannten Beispiele versucht haben, die Problemlage zu beschreiben. Unbeschadet der besonderen Rolle, die im Ämtergefüge der kirchlichen Verfassung Diözesanbischof und Pfarrer innehaben, werden Entscheidungen innerhalb der Kirche von Männern wie Frauen, von Klerikern wie Laien getroffen. Bischof, Generalvikar und Pfarrer, Priester und Diakon, Ordensoberin und Ordensoberer, Vereinsvorsitzende und Vereinsvorsitzender, kollegiale Leitungsgremien und Organe der Mitverantwortung können durch ihr Handeln oder Nichthandeln Situationen bewirken, die eine rechtliche Beschwernis bei einem Gläubigen hervorrufen können.

Die Forderung zur Errichtung einer lokalen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist dabei in diesem Zusammenhang nichts Neues. Sie wurde von verschiedenen Kanonisten seit Jahren immer wieder vorgetragen.8 Recht und rechtliche Strukturen wollen Macht und Ausübung von Macht ordnen und austarieren. Mit Bernhard Welte kann man nämlich aus rechtsphilosophischer Sicht sagen: „Wo das Welt-Dasein des mitmenschlichen Wir als Macht hervortritt, da ist sie auch die ausgezeichnete Stelle, an der Macht durchsichtig wird auf ein sie innerlich belebendes Prinzip hin, welches sie als menschliche Macht ideell konstituiert. Wir nennen dieses ideell die menschliche Macht konstituierende Prinzip das Recht.“9 Doch ist mit der Einführung einer lokalen Verwaltungsgerichtsbarkeit als rechtliches Instrumentarium zur Ordnung der Macht so ohne Weiteres zu rechnen? Ist dieses Vorhaben einfach umsetzbar? Diesem Fragekomplex will sich dieses Buch primär zuwenden. Dabei soll keine spekulative Abhandlung vorgelegt werden, sondern der Ausgangspunkt ist die durch die DBK wieder neu aufgeworfene und damit praxisrelevante kanonistische Fragestellung: Ist es rechtlich möglich, Verwaltungsgerichte auf Ebene der Bischofskonferenz einzurichten? Eine Analyse des geltenden Rechts, der Rekurs auf die Arbeiten der Codexreformkommission sowie die Bezugnahme auf die Praxis des Obersten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur sind notwendig, um eine solide und verantwortbare Antwort geben zu können. Dabei darf auch nicht fehlen, das geltende Recht, das die Rechtsbehelfe der Verwaltungsbeschwerde sowie der Verwaltungsklage kennt, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Apostolischen Signatur, darzustellen. Um den Rahmen dieser Untersuchung nicht zu sprengen, können Einzelaspekte, die in der Kanonistik kontrovers diskutiert werden, zwar angedeutet, aber nicht detailliert analysiert werden.

Die Skepsis gegenüber Recht in der Kirche, die sich teils latent, teils offen zeigt, spielt auch eine Rolle, wenn es um die Frage nach der rechtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen kirchlicher Amtsträger geht. Die Theologie hat sich dieser Problematik bislang kaum oder überhaupt nicht gewidmet, obwohl sich im Themenkomplex Amtsträger versus Gläubiger, (Voll)macht versus Machtkontrolle, Einheit der Vollmacht versus Unterscheidung der Funktionen und Funktionsträger, Verantwortung versus Mitverantwortung, der Ernstfall praktischer Ekklesiologie zeigt. Wenigstens ansatzweise darf daher nicht fehlen, im Rahmen dieser Studie zumindest skizzenhaft eine theologische Legitimierung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche zu erarbeiten.

Schließlich kann man nicht über Verwaltungsgerichte reden, wenn man nicht auch die Verwaltung und ihre Zweckbestimmung innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft in den Blick nimmt. Deshalb wird diesem Thema ebenfalls ein breiter Raum eingeräumt. Dabei lässt sich die folgende Untersuchung von der Perspektive der Reformprinzipien der Bischofssynode von 1967 leiten, die sie für die Überarbeitung des kirchlichen Gesetzbuches nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorgelegt hat und die von ihrer Aktualität bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt haben. Die klare Unterscheidung kirchlicher Vollmacht in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, die durch die Etablierung und Professionalisierung entsprechender Organe eine konkrete Ausdrucksform finden muss, ist jedoch selbst fünfzig Jahre nach Abschluss der Synode keineswegs erreichter Standard. Der synodale Weg, der von der Deutschen Bischofskonferenz angestoßen wurde, kann daher eine Etappe sein, um zu überlegen, wie auf Ebene der Bistümer in Deutschland die Rechtskultur in der Kirche noch vertiefter als bisher gefördert werden kann.

4 Reinhard Kardinal MARX, Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz anlässlich der Pressekonferenz zum Abschluss der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 14. März 2019 in Lingen, in: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019-040-Pressebe-richt-FVV-Lingen.pdf, 7 [abgerufen am 9. Dezember 2019].

5 Im Folgenden abgekürzt: DBK.

6 Pressebericht, 3.

7 Vgl. hierzu insbesondere die rechtshistorische Studie von Heribert Schmitz, Appellatio extraiudicialis. Entwicklungslinien einer kirchlichen Gerichtsbarkeit über die Verwaltung im Zeitalter der klassischen Kanonistik (1140–1348), München 1970.

8 Vgl. z.B.: Klaus LÜDICKE, Kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland. Zur Lage 20 Jahre nach dem Beschluß der Gemeinsamen Synode, in: Heinrich J. F. REINHARDT, Theologia et Ius Canonicum. Festgabe für Heribert Heinemann zur Vollendung seines 70. Lebensjahres, Essen 1995, 433-446; Dominicus M. Meier, Verwaltungsgerichte für die Kirche in Deutschland? Von der gemeinsamen Synode 1975 zum Codex Iuris Canonici 1983, Essen 2001; Matthias PULTE, Die Schaffung einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit für die deutschen Diözesen. Ein bleibendes Desiderat aus der Kodifikationsgeschichte zum CIC/1983, in: Wilhelm REES – Sabine DEMEL – Ludger MÜLLER, ed.,Im Dienste von Kirche und Wissenschaft. Festschrift für Alfred Hierold zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Berlin 2007, 771-788; Alfred E. Hierold, Recursus ab abusu. Plädoyer für eine Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche, in: Ludger MÜLLER – Wilhelm REES, ed., Geist – Kirche – Recht. Festschrift für Libero Gerosa zur Vollendung des 65. Lebensjahres, Berlin 2014, 285-293; Burkhard J. BERKMANN, Mehr Subsidiarität im Kirchenrecht. Bischofskonferenzen und Verwaltungsgerichte, in: Concilium 52 (2016) 604-612; Thomas MITSCHKE-KOLLANDE, Sonne der Gerechtigkeit. Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche, in: Stimmen der Zeit 237 (2019) 304-311.

9 Bernhard WELTE, Über das Wesen und den rechten Gebrauch der Macht. Eine philosophische Untersuchung und eine theologische These dazu, Freiburg 19652, 21.

Kontrolle kirchlichen Verwaltungshandelns. Ein Beitrag zur Diskussion um die Errichtung von Verwaltungsgerichten auf Ebene der Bischofskonferenz

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