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1. Gewaltenunterscheidung statt Gewaltentrennung

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Von diesen Entwicklungen im staatlichen Recht beeinflusst, haben Kanonisten wie z.B. Klaus Mörsdorf versucht, in der Besinnung auf die eigene Rechtstradition im Hinblick auf das kirchliche Gesetzbuch von 1917 (CIC/1917) zwar keine Gewaltentrennung wie im modernen Rechtsstaat für die Kirche herleiten zu wollen, aber zumindest versucht, eine Gewaltenunterscheidung aufzuzeigen. Dabei wurde insbesondere auf zwei Normen verwiesen: can. 201 sowie can. 335 § 1 CIC/ 1917. Can. 201 unterscheidet in § 2 die richterliche Gewalt (potestas iudicialis) von der nicht-richterlichen Gewalt (potestas voluntaria seu non-iudicialis). In dieser Zweiteilung sieht Mörsdorf die aus dem römischen Recht in die im 17. und 18. Jahrhundert in die Kanonistik übernommene Unterscheidung von streitiger und freiwilliger Rechtspflege (iurisdictio contentiosa – voluntaria). Der bekannte Münchner Kirchenrechtsprofessor kritisierte, dass der Begriff der iurisdictio contentiosa viel zu sehr auf die Ausübung richterlicher Tätigkeit engführend interpretiert und alle anderen Funktionen als freiwillige Rechtspflege angesehen wurden. Mörsdorf stellte die Auffassung in Frage, wonach es völlig ausreichend sei, wenn in der Kirche lediglich zwei unterschiedliche Ausdrucksformen der Vollmacht unterschieden werden. Um diese Argumentation zu stützen, nahm Mörsdorf Bezug auf can. 335 § 1 CIC/1917, der dem Bischof gesetzgebende, rechtsprechende und strafende Zwangsgewalt (potestas legislativa, iudiciaria et coactiva) zuspricht. In die rechtsprechende Vollmacht hatte er schon in seinem im Jahr 1949 erstmals erschienen Aufsatz die verwaltende Tätigkeit eingeschlossen, sodass er die Auffassung vertrat, dass das kirchliche Gesetzbuch von 1917 einen weiter gefassten Richterbegriff verwende.10

Mörsdorf kommt daher zum Ergebnis:

„In Wirklichkeit sind die drei Gewaltfunktionen so stark in das neukodifizierte Kirchenrecht eingegangen, daß es unmöglich ist, ein volles Verständnis des Gesetzbuches zu gewinnen, wenn man ohne diese Gewaltenunterscheidung auskommen wollte. Der CIC anerkennt die Gesetzgebung als eigenständige Gewalt und handelt darüber in dem Titel De legibus (cc. 8–23); dasselbe gilt von der richterlichen Gewalt, der im wesentlichen das ganze vierte Buch gewidmet ist. Wenn er die dritte Gewaltart, die Verwaltung, die das Herzstück der kirchlichen Regierungsgewalt darstellt, nicht ausdrücklich als solche namhaft macht, so ist doch gerade ihr der größere Teil des Gesetzbuches gewidmet.“11

Der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil erneuerte Codex Iuris Canonici hat schließlich die für den CIC/1917 ansatzweise festgestellte Gewaltenunterscheidung endgültig rezipiert. So wird in can. 135 § 1 die Leitungsgewalt in gesetzgebende, ausführende und richterliche Vollmacht (potestas legislativa, exsecutiva, iudicialis) unterschieden. In can. 135 §§ 2–3 wird das Legalitätsprinzip in das kirchliche Gesetzbuch übernommen: Sowohl die gesetzgebende als auch die rechtsprechende Gewalt sind jeweils auf die im Recht vorgesehene Weise auszuüben. Aufgrund der hierarchischen Verfasstheit der Kirche, die im göttlichen Recht wurzelt und damit als zum Wesen der Kirche gehörig verstanden wird, sind im Amt des Papstes/Bischofskollegiums sowie des Diözesanbischofs jedoch alle drei Ausdruckformen der einen Vollmacht vereint, mit der Folge, dass es im kirchlichen Verfassungsrecht keine Gewaltentrennung wie im staatlichen Rechtssystem geben kann. Das bedeutet aber nicht, dass es in der konkreten Ausgestaltung nicht eine gewisse Trennung, die in der Unterscheidung der Kompetenzen, in der Tätigkeit von Stellvertretungsämtern sowie der Beteiligung von Kollegialorganen ihre Ausdrucksform findet, erfolgen kann. Die Erst- und Letztverantwortung bleibt jedoch als persönliche Vollmacht immer Papst/Bischofskollegium und Diözesan-bischof reserviert. Als Frage an die persönliche Amtsführung bleibt jedoch, ob sie sich im Sinne der Prinzipien der Gewaltenunterscheidung sowie der Partizipation eine Selbstzurückhaltung auferlegt, wenn es sich um Fragen der allgemeinen Verwaltungstätigkeit des Bistums bzw. der Weltkirche handelt. Dies gilt für den Papst in besonderer Weise, da jedes persönliche Verwaltungshandeln des Papstes die Möglichkeit verwaltungsgerichtlicher Klage ausschließt (vgl. can. 333 § 3).

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