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Das Bundesparlament und die Parteien hätten viel zu sagen. Aber sie knebeln sich gern selber.

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Die Regierung regiert. Das Parlament überwacht die Regierung und beschliesst die Gesetze. Die Justiz überwacht die Einhaltung der Gesetze. Die Parteien bündeln die Strömungen im Land und teilen auf, welche Weltanschauung wie viel Einfluss haben soll. In diesem Viersatz der Staatskunde wirkt die Macht geregelt und zugleich verteilt, sie wird fassbar und doch kontrolliert: Checks and Balances. Aber wer mehr Anteile hat, soll mehr zu sagen haben im Staat.

In der Wirklichkeit jedoch wabert die Macht irgendwie zwischen diesen Institutionen und Verteilschlüsseln. Wer in der Schweiz mitbestimmen will, kann dies auch in den Zwischenräumen der staatlichen Ordnung tun. Keiner zeigt dies besser als Christoph Blocher. Der Unternehmer aus dem Kanton Zürich, geboren 1940, war der wirkungsvollste Schweizer Politiker der vergangenen Jahrzehnte: Darin sind sich Gegner wie Fans recht einig. Doch stets lag dieser Mann schräg in der politischen Landschaft. Er machte die SVP zwar zur einflussreichsten Partei im Land – aber er amtierte dabei meist nur als Präsident der Zürcher Kantonalpartei, am Ende als «Strategiechef» und als Vizepräsident. Er schaffte es zwar in den Bundesrat, aber sein Wirken als Justizminister blieb kurz und vergleichsweise unauffällig. Er sass zwar zwischen 1979 und 2014 mit Unterbrüchen im Nationalrat, aber dort fiel er – über die ganze Zeit gesehen – eher selten durch viel Präsenz, besonderen Fleiss, wichtige Vorstösse oder legendäre Reden auf. Fraktionschef war er nie, und der einflussreichere Ständeratssitz blieb ihm verwehrt: Eine Volksmehrheit konnte er nicht hinter seine Person scharen.

Zugleich rüttelte Christoph Blocher mit selbst geschaffenen Gruppierungen am Land: so mit der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns, gegründet 1986), dem «Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt» (gegründet 2013) sowie zahlreichen Ausschüssen bei einzelnen Volksabstimmungen. Die mächtigen Wirtschaftsverbände mied er dann allerdings wieder, und Beziehungs-Verwaltungsratssitze hatte er nur zu Beginn seiner Karriere. Als Nationalrat Blocher in seiner letzten Legislaturperiode die Interessenbindungen offenlegte, räumte er nur gerade zwei Familienfirmen, seine Beteiligung bei der «Basler Zeitung» sowie sein Engagement für zwei regionale Kulturstiftungen ein. Selbst Hinterbänkler haben mehr Mandate.

Im Mai 2014 verkündete Christoph Blocher seinen Rücktritt aus dem Nationalrat mit der Begründung, er «verplemperle» dort eh nur seine Zeit: «Das Parlament hat sich so verbürokratisiert und veradministriert. Das sind praktisch nur noch Berufsparlamentarier. Die machen Sitzungen über völlig nebensächliches Zeugs.»

Zweifellos: Da traf er einen Punkt. Im Kern des Parlamentsbetriebs steht die dröge Kommissionsarbeit, wo die Volksvertreter vielleicht in der Eröffnungssitzung noch weltanschauliche Ansichten vortragen – um danach stunden-, abende- und tagelang um Details zu schachern: «Wenn ihr diese Formulierung bei Litera C zurücknehmt, akzeptieren wir bei 27 den ganzen Rest.» So wird am Kooperationsabkommen für das Satellitenprogramm Galileo, an der Zulassung für Neonicotinoide oder an der Motion «Solardächer statt Schutzraumpflicht bei Neubauten» gefeilt – derart wird Macht in der Realität umgesetzt. Bereits die grossen Redeschlachten im Plenum sind Randphänomene im Leben der Parlamentarier, auch im Nationalrats- und Ständeratssaal geht die meiste Arbeitszeit für Paragrafen- und Verfahrensgefeilsche drauf.

Neu ist das nicht. Solche grauen Zustände prägen den Parlamentsbetrieb seit der Staatsgründung im 19. Jahrhundert. Korrekt an Blochers Diagnose war indes, dass sich der Betrieb professionalisiert hatte; zum Beispiel leistete sich das Parlament im 21. Jahrhundert mehr ständige Kommissionen statt irgendwelcher Ad-hoc-Ausschüsse, die sich ihre Protokolle von einem Staatssekretär (vor-)schreiben liessen. Korrekt war auch, dass der reine Milizparlamentarier seltener geworden war, wobei aber gerade damals, im alten Nebenamts-Parlament, dubiose Machtballungen wuchern konnten – unter den Verbandsgesandten, Politik-Direktoren, Kantonsdelegierten, Verwaltungsrats-Sitzern und Interessengruppen-Räten. Nicht umsonst hatte Hans Tschäni 1983 gegen die «Zwillinge Miliz und Filz» gewettert.

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