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Kapitel 2: Begegnungen im Verborgenen Treffpunkt Patmos

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So ungefähr muss es dem greisen Apostel Johannes auch ergangen sein. Er fragte sich bestimmt ebenso, ob er noch ganz bei Sinnen sei oder nur träume, bei all den phantastischen Bildern und dem himmlischen Kopfkino, das er da auf der Insel Patmos in Form von Offenbarungen erlebte.

Am Ende eines erfüllten Lebens war er von den römischen Besatzern auf jene kleine griechische Insel in die Verbannung geschickt worden. Die Römer hatten wohl gedacht, diesen „frommen Christen-Spinner“ damit zum Schweigen bringen zu können.

In den vorhergehenden Jahrzehnten war der Apostel Johannes zu einer geistlichen Vaterfigur für viele Gemeinden in der römischen Provinz Kleinasien (der heutigen Türkei) herangereift. In Ephesus und etlichen anderen Orten waren Gemeinschaften dieser „obskuren, jüdischen Sekte“ entstanden, die man als Christusanhänger oder auch Christen beschimpfte. Und der alte Mann war anscheinend ihr Anführer. Diesem Opa den kurzen Prozess zu machen und ihn zu kreuzigen, wie man es an vielen Orten mit den potentiellen Feinden des Imperiums so machte, war wohl selbst den Verantwortlichen Roms nicht ganz passend für eine Machtdemonstration erschienen. Dann lieber wegschließen und Gras darüber wachsen lassen. Ein bisschen Zeit vergehen lassen, und keiner wird mehr an den Alten denken oder über ihn reden. – Ha, ha, ha! Die Rechnung ging wohl nicht auf …

Für Johannes wurden diese Jahre der Verborgenheit auf Patmos zu einer reichen Erntezeit seines Lebens und Dienstes. Wie kein anderer Jünger hatte er tiefgehende Einblicke ins Vaterherz Gottes erhalten. Seine drei Briefe und auch das Evangelium, das er niederschrieb, geben Zeugnis von der ganz besonderen Nähe und Freundschaft, die ihn mit Jesus verband; und auch davon, wie Jesus ihn durch den Heiligen Geist zur Offenbarung des Vaters hinführte. Kein (Mit)Schreiber des Neuen Testaments weiß uns mehr über unseren himmlischen Vater zu erzählen als Johannes, der Jünger, der an der Brust Jesu gelegen hatte.

Umso mehr erstaunt das letzte Buch der Bibel: die Offenbarung Jesu Christi an Johannes. Das ist so völlig anders! Wer es liest, bekommt es mit einem „Bilderbuch“ zu tun. Uns begegnen Visionen, verborgenes Wissen und geheime Worte aus der Himmelswelt. Wir lesen darin nicht nur kluge göttliche Weisheit, sondern werden selber Augenzeugen von Ereignissen zwischen Himmel und Erde und durchleben geradezu die Atmosphäre, durch die unsere Welt dabei geht.

Dieses letzte Buch der Bibel wirkt geheimnisvoll, übernatürlich, fern und nah zugleich. Es ist schwierig – mit Logik nicht zu verstehen, wenn nicht sogar gänzlich unmöglich; scheinbar ein Buch mit sieben Siegeln. Und doch heißt es „Offenbarung“, soll also Geheimnisse „enthüllen“. Gerade deshalb hat es durch die Jahrhunderte hindurch eine solche Anziehungskraft bewiesen und den Geist von unzähligen Künstlern, Propheten und Reformatoren gleichermaßen für Neues inspiriert.

Liegt die Kraft dieser Worte wohlmöglich auch darin, dass sie zumeist in Bildern, Metaphern und Symbolen bestehen?! Die Zeichensprache des Himmels wirkt zeitlos und kulturüberschreitend. Alle Menschen zu allen Zeiten können und sollen von dieser „Geheimsprache“ Gottes, die nur im Zusammenhang mit den Propheten des Alten Testaments und auch nur durch den Heiligen Geist zu verstehen ist, gleichermaßen berührt werden. Sie ist eine Herausforderung für den Verstand erwachsener Intellektueller. Kinder und Einfältige mögen sie viel besser verstehen. Künstler und Träumer finden möglicherweise leichter einen Zugang dazu.

Diese Bildsprache will nicht zuerst dem Verstand begegnen, sondern den Bereich unserer Intuition, Spiritualität und Emotionen erwecken. Das ist ungewohnt und verunsichert so manchen kühlen Kopf, aber auch so manchen religiösen Spinner.

Deshalb müssen alle „apokalyptischen Fahrpläne“ der Menschheitsgeschichte, die man daraus ableiten will, fehlschlagen. Wer meint, er wisse genau, wann Jesus wiederkommt, oder wer meint, er müsse jetzt die Jagd auf den „Anti-Christus“ beginnen und brauche dafür nur noch das Geheimnis der Zahl „666“ zu entschlüsseln, der hat aber auch gar nichts von der Offenbarung begriffen. Wer genau zu wissen scheint, was und wer die „144.000 Auserwählten“ sind oder wo und wie das „tausendjährige Reich“ aussehen wird, der irrt und greift viel zu kurz.

Die „Apokalypse“ (was wiederum nur „Enthüllung“ bedeutet), die der Apostel Johannes uns überliefert hat, ist weder eine maßstabsgetreue Landkarte der Menschheitsgeschichte noch eine esoterische Geheimschrift für einen Club von Superfrommen. Sie bewegt sich eher im Expressionismus als im Naturalismus! Sie ist keine natürliche Beschreibung von geschichtlichen Abläufen und kommenden Ereignissen, die man so eins zu eins nehmen könnte. Sie ist vielmehr eine himmlische Einladung zur Hochzeit, zum Bund der ewigen Liebe zwischen Gott und Menschheit – eine zeitlos, universale Visitenkarte des Himmels in den schillerndsten Farben und Formen.

Wenn die Römer gewusst hätten, welchen großen Gefallen sie unserem Abba-Vater damit gemacht hatten, Johannes in die Verborgenheit und Zweisamkeit mit ihm zu schicken … Ob die Gemeinden in Kleinasien das wohl auf dem Schirm hatten, oder haben auch sie nur den Verlust gesehen – und dagegen angebetet? Ob der Apostel selber von Anfang an verstand, wozu und weshalb das Ganze?

So mag es auch dem einen oder anderen von uns ergehen. Gott schickt uns in seiner guten Absicht in die Abgeschiedenheit, und wir verstehen nicht, warum. Wohlmöglich rebellieren wir noch dagegen und beschweren uns bei ihm, kämpfen dagegen an. Dabei sind gerade diese Zeiten in der Verborgenheit enorm wichtig. Geborgen und verborgen – Zeit nur für ihn haben, für Gott allein. Aus allen Verpflichtungen herausgenommen sein. Zur Ruhe kommen. Das bedeutet nicht Stillstand, sondern Tiefgang – Begegnungen mit Gott in der Verborgenheit.

Der Apostel Paulus schreibt in Epheser 3,17-19 dazu:

… dass der Christus durch den Glauben in euren Herzen wohnt und ihr in Liebe verwurzelt und gegründet seid, damit ihr imstande seid, mit allen Heiligen völlig zu erfassen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe ist und zu erkennen, die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus …

Gemeinschaft der Erwartungsvollen

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