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c) Verhältnis zwischen Rechtsausübung und Nachteil

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Fraglich ist sodann, ob die Einschränkung des Prämienanspruchs eine Benachteiligung darstellt, die deshalb erfolgt, „weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.“ Der Wortlaut von § 612a BGB deutet darauf hin, dass möglicherweise nur solche Vereinbarungen erfasst werden, die der Rechtsausübung zeitlich nachfolgen.[24]

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Nach überwiegender Auffassung soll die zeitliche Reihenfolge jedoch aus teleologischen Gründen unerheblich sein. § 612a BGB soll demnach auch dann anwendbar sein, wenn die benachteiligende Maßnahme oder Vereinbarung zeitlich vor der Rechtsausübung liegt.[25] Das sei mit dem Wortlaut insofern vereinbar, als dieser nur Kausalität zwischen Ausübung und Nachteil verlange („weil [. . .] ausübt“ und nicht „ausgeübt hat“).

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Daraus folgt allerdings eine nicht unerhebliche Einschränkung der Vertragsfreiheit. Es sind schließlich durchaus Situationen vorstellbar, in denen ein Arbeitnehmer auf ihm zustehende Rechte gegen Zahlung einer Abfindung verzichten möchte (vgl. etwa § 1a KSchG). Vereinzelt wird die Anwendbarkeit von § 612a BGB daher auf Maßnahmen und Vereinbarungen begrenzt, die unverhältnismäßig und sozial inadäquat sind.[26] Teilweise wird die Anwendbarkeit von § 612a BGB aber auch gänzlich abgelehnt, wenn es um eine Vereinbarung geht, die der Rechtsausübung vorangegangen ist; solch eine Vereinbarung könne keine Benachteiligung i.S.d. § 612a BGB darstellen.[27]

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Für letztgenannte Auffassung spricht zum einen, dass der Gesetzgeber in den Materialien davon ausging, dass Benachteiligungen nur solche sind, die erfolgen, weil der Arbeitnehmer seine Rechte in zulässiger Weise „ausgeübt hat“.[28] Zum anderen – und das ist entscheidend – soll § 612a BGB vor Willensbeeinträchtigungen schützen, die darauf beruhen, dass der Arbeitnehmer vor unkalkulierbaren Reaktionen des Arbeitgebers zurückschreckt; der Rechtsausübung zeitlich vorhergehende Vereinbarungen sind aber nicht mit derartigen unkalkulierbaren Nachteilen verbunden, deren befürchteter Eintritt den Willensbildungsprozess des Arbeitnehmers beeinflussen könnte. Eine Unwirksamkeit der Beschränkung des Abfindungsanspruchs wegen Verstoßes gegen § 612a BGB scheidet somit aus.

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Wiederholung und Vertiefung:

Das BAG hat die vorgenannte Streitfrage ausdrücklich offen gelassen. § 612a BGB finde jedenfalls keine Anwendung auf die Auslobung von Prämien für den Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage, da es – jedenfalls nach Ausspruch der Kündigung – im Arbeitsrecht „üblich“ sei, auf Kündigungsschutz und damit auch auf Erhebung einer entsprechenden Klage zu verzichten. Wie sich an zumindest der überwiegenden Zahl von Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen zeige, sei es auch nicht unüblich, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Kündigungsschutz mit Zahlung einer Abfindung „abkauft“. Es sei nicht Zweck von § 612a BGB, gütliche Einigungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien zu verhindern.[29]

Diese Argumente zeigen, dass § 612a BGB richtigerweise auf Vereinbarungen, die der in Frage stehenden Rechtsausübung vorangehen, keine Anwendung finden sollte. Ebenso verhält es sich bspw. mit während eines Arbeitskampfs ausgelobten Prämien für die Nichtteilnahme an einem rechtmäßigen Streik; auch sie verstoßen nicht gegen § 612a BGB.[30]

Klausurenkurs im Arbeitsrecht II

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