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Geleitwort zur ersten Auflage

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In den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte ich, als Strafrechtsprofessor bisweilen auch mit Strafverteidigung beschäftigt, mit Staunen und Freude das Erblühen dieses Berufs miterleben. Die wenigen professionellen Strafverteidiger, die es damals durchaus gab, waren in der Anwaltschaft eher Farbtupfer. Strafsachen wurden von den Anwälten, wenn irgend möglich, mit der linken Hand erledigt, für eine professionelle Spezialisierung auf breiter Front gab es keinen Grund, keine Basis und auch keine Mittel.

Das hat sich im Lauf der Zeit gründlich gewandelt. Heute versammeln sich Hunderte von Spezialisten der Strafverteidigung auf Tagungen und tauschen sich aus. Es gibt eine reiche, vor allem an der Praxis der Strafverteidigung orientierte Literatur, es gibt Zeitschriften und ein dichtes Angebot an Einführung, Vertiefung und Fortbildung. Strafverteidigung kann ihren Mann und ihre Frau ernähren, und sie erstreckt sich, dank der Ausweitung des modernen Strafrechts in viele Lebensbereiche und Institutionen, auch auf ökonomisch und politisch anspruchsvolle Lagen. Der Fachanwalt für Strafrecht ist eine etablierte Figur.

Nach der Jahrtausendwende habe ich, als Richter des Bundesverfassungsgerichts auch für Strafrecht und Strafprozessrecht zuständig, in guten Stunden eine schrittweise Annäherung von Strafrecht und Verfassungsrecht beobachten dürfen. Diese Annäherung war die Antwort auf einen stabilen Zustand wechselseitiger Ignoranz. Obwohl doch durch die Strukturen, Systeme und Prinzipien des Öffentlichen Rechts einander benachbart, waren die Felder abgegrenzt und abgewandt. Es gab wenig Strafrechtler, die sich im Verfassungsrecht auskannten, es gab kaum Verfassungsrechtler, die sich für Strafrecht interessiert haben.

Das konnte man nicht nur an den literarischen Zitierkartellen und an System und Zuschnitt der jeweiligen Argumentation erkennen, sondern auch an den Verfassungsbeschwerden, die das Gericht erreicht haben. Gerade Strafverteidiger, die vor den Strafgerichten auf hohem Niveau argumentieren und sich im Strafverfahren souverän bewegen konnten, erlagen immer wieder der Fehlvorstellung, die Verfassungsbeschwerde habe die Rügen einer Rechtsverletzung, die in der Revisionsinstanz schon vorgetragen worden waren, nunmehr in verfassungsrechtlicher Feierlichkeit zu wiederholen. Diese Vorstellung ist eine Frucht der fatalen Abgrenzung zwischen Strafrecht und Verfassungsrecht, zwischen Strafgerichten und Verfassungsgerichten; ihr entgehen die Besonderheiten des Verfassungsrechts in Inhalt, System und Argument, und sie hat nicht begriffen, dass beide, Verfassung und Strafgesetze, den Schutz der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Institutionen zwar gemeinsam betreiben, aber doch jeweils nach ihrer eigenen Melodie.

Dieses Buch über die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen wird, so denke und wünsche ich mir, den Prozess der Annäherung von Strafrecht und Verfassungsrecht an einer zentralen Stelle anwaltlicher, richterlicher und wissenschaftlicher Praxis merklich beschleunigen. Die Autoren sind in der Wolle gefärbte Strafjuristen, und sie haben das Verfassungsrecht von der Pike auf gelernt. Sie richten ihre praktischen Aufforderungen und kritischen Ermunterungen nicht nur an die Leser, die etwas von ihnen lernen wollen, sondern durchaus auch an das Gericht, das es den Beschwerdeführern an vielen Stellen außerordentlich, und unnötig, schwer macht. Sie wissen, wovon sie reden, denn sie haben über lange Zeit an der Produktion desjenigen Gutes mitgewirkt, das sie hier vorstellen. Sie verarbeiten eine stupende Menge von Informationen so, dass der Leser in ihnen nicht ertrinkt, sondern den Durchblick behalten kann: durch Beispiele, die Nachzeichnung zentraler Konstruktionen, generelle Linien, historische Hintergründe, herausgehobene Hinweise für die Praxis.

Ich habe mich in den letzten Jahren, wenn ich – an der anderen Seite der Theke – über einer Verfassungsbeschwerde aus dem Strafrecht gebrütet habe, bisweilen gefragt: Wann sind die Vier mit ihrem Buch denn nun endlich fertig, damit ich mit meinen Problemen besser zurande komme?

Schön, dass sie nun fertig sind. Und gut für die Professionalisierung der Strafverteidiger.

Im Januar 2011

Frankfurt a.M.

Winfried Hassemer

Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen

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