Читать книгу Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann - Страница 34
A. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte I. BAG AP Nr. 15 zu § 1 KSchG
ОглавлениеDen Startpunkt der bundesdeutschen Rechtsprechung in Sachen Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber setzt die oft zitierte Anstreicher-Entscheidung vom 31.01.1956.209 Zu beurteilen war die Kündigung eines Handwerkers („Anstreicher“) durch ein zu einer katholischen Kirchengemeinde gehörendes Hospital. Gegen diese Kündigung wandte sich besagter Handwerker. Der Kläger hatte fünf Jahre nach der Scheidung, die durch Alleinschuld seiner Ehefrau verursacht war, sexuelle Beziehungen zu einer 18jährigen Haushaltsgehilfin aufgenommen, die daraufhin schwanger wurde. Der Kläger ehelichte sie sodann, woraufhin die Kirchengemeinde die Kündigung aussprach. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Arbeitsgericht und LAG Erfolg; in der Revision vor dem BAG obsiegte die Kirchengemeinde. Damit der religiös-kirchliche Charakter der Anstalt gewahrt bliebe, seien strengere Anforderungen vonnöten als in einem rein wirtschaftlichen Unternehmen. Schon der außereheliche Geschlechtsverkehr könne also gegebenenfalls einen triftigen Grund i.S.d. § 1 II KSchG bilden und so die Kündigung rechtfertigen. Schwerer wiege aber noch die erneute Eheschließung, die dem katholischen Eheverständnis, das dieselbe als unauflösliches Sakrament betrachtet,210 widerspreche. Auch wenn die erneute Eheschließung zivilrechtlich erlaubt und gebilligt sei, so könne es doch nicht Aufgabe der Gerichte sein, „über die beiden gegensätzlichen Auffassungen moralisch zu urteilen und einer von ihnen den Vorzug zu geben“211, denn kirchenrechtlich bedeutet diese, dass der Gläubige sich selbst aus der aktiven katholischen Kirche ausschließe. Vielmehr sei der Kläger durch seinen katholischen Glauben und seine langjährige Betriebszugehörigkeit an die Tendenz der Anstalt gebunden. Die Kündigung war damit zur Bewahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche, die sich selbst treu bleiben müsse, gerechtfertigt. Im Ergebnis postulierte das BAG also einen – allerdings sehr weit reichenden – Tendenzschutz für kirchliche Arbeitgeber, analog zu den bekannten Tendenzbetrieben.