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Und wer holt jetzt immer das Kind aus der Kita? Papa wechselt mal eben den Beruf

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Schon in meiner Elternzeit hatte die Chefredaktion des Programmbereichs, in dem ich als Fernsehredakteur arbeitete, mir einen Termin für ein persönliches Gespräch unterbreitet. Ich hatte mir zwar nichts zuschulden kommen lassen, aber mir war klar: Es würde sicherlich nicht um die lang ersehnte Entfristung meines Beschäftigungsverhältnisses gehen. Stattdessen trat das ein, was ich bereits befürchtet hatte: Ich sollte direkt nach der Rückkehr aus der Elternzeit in ein Regionalstudio wechseln und jeden Tag ins Ruhrgebiet fahren. Familienvater hin oder her, das sei mir schon ohne weiteres zuzumuten, hieß es. Schließlich gebe es Millionen Berufspendler in NRW, auch innerhalb meiner Kolleginnen und Kollegen. Das stimmt natürlich. Aber hatten die auch alle ein kleines Kind zuhause und eine Frau, die gerade beruflich wieder einsteigt? Die Versetzung als solche war rechtlich nicht zu beanstanden. So etwas ist im Medienbetrieb durchaus üblich und vertraglich geregelt. Lehrerinnen und Lehrer und viele andere Berufsgruppen kennen das ebenfalls – plötzlich wird man woanders eingesetzt und muss sehen, wie man das hinbekommt. Und auf den Fahrtkosten bleibt man nicht selten auch sitzen: Weniger Freizeit (durch das Pendeln) und dafür aber auch weniger Geld – Tolle Wurst.

Wie gesagt, alles nicht zu beanstanden, aber mir kam die Versetzung - so unmittelbar nach meiner Eltern-Auszeit von gerade mal acht Wochen - wie eine Strafe, eine Quittung vor. Es war doch bekannt, dass ich inzwischen eine Tochter hatte und meine Frau wieder arbeitete. Und da sollte ich bis 20 Uhr arbeiten und danach erst auf die Autobahn nach Düsseldorf? Wie sollte das gehen? Emmas Kita schloss um 17 Uhr. Das war die Wahrheit, an der meine Frau und ich sich jetzt zu orientieren hatten. Wir würden also Kompromisse machen müssen. „Wie geht’s denn jetzt weiter?“, wollte meine Frau von mir wissen. Mein aktueller Zeitvertrag würde noch bis Ende Dezember laufen – das waren gerade Mal noch sechs Wochen. Würde ich einen neuen, einen Anschlussvertrag bekommen? Bisher war das immer so. Kurz vor Ende der aktuellen Vertragslaufzeit bekam ich immer wieder einen neuen Vertrag zugeschickt. In den Wochen davor war die Ungewissheit jedes Mal groß, ob es auch dieses Mal wieder gut gehen würde. Ich habe dieses Ritual als Demütigung empfunden, auch wenn es oft beschwichtigend hieß, das sei in meinem Fall doch eine reine Formalie. Außerdem bekam man jedes Mal Post von der Arbeitsagentur mit dem Hinweis, dass man sich auch ja rechtzeitig arbeitslos zu melden habe, falls man nicht riskieren wolle, Ansprüche auf staatliche Leistungen zu verlieren. Das hatte so gar nichts von „reine Formsache“, ehrlich gesagt.

Würde ich erneut eine Verlängerung bekommen? Ich war mir noch nicht mal sicher, ob meine privaten Umstände es überhaupt zulassen würden, einen weiteren Vertrag zu unterschreiben, zumindest nicht, wenn ich weiter pendeln müsste und meine Frau beruflich weiterhin so stark eingebunden bleibt. Wie soll ich mich denn vernünftig um das Kind kümmern, meine Frau bei ihrem beruflichen Wiedereinstieg unterstützen und zugleich als Arbeitnehmer maximal flexibel sein? Es war völlig klar: In mindestens einer dieser Rollen würde ich scheitern. Und ich wollte auf keinen Fall, dass es die Rolle des Vaters ist, in der ich versage. Trotzdem besprach ich mit meiner Frau, dass wir das zumindest für ein paar Wochen irgendwie hinkriegen müssen, pendelte werktags nach Essen und kam zu Zeiten nachhause, wo die Kita definitiv seit Stunden bereits geschlossen war. Keine Ahnung, wie meine Frau das aufgefangen hat und wer da alles Fahrdienste und Betreuungszeiten übernahm, aber es war ein gewaltiger Akt. Wenn ich zuhause ankam, schlief mein Kind schon – und meine Frau war fix und alle.

Es gab Nächte, da schlief sie keine einzige Minute, weil unsere Tochter schrie, keine Luft bekam, Alpträume oder Durst hatte oder ihr sonst irgendetwas fehlte. Erst wenn sie wirklich gar nicht mehr konnte hat meine Frau schon mal zu mir gesagt: „Jetzt stehst du aber mal auf.“ Und egal, wie schlimm die Nacht mal wieder war, um sechs Uhr klingelte auf dem Nachttischchen meiner Frau der Wecker und sie fuhr zur Arbeit. Ihr Schlafmangel nahm gefährliche Ausmaße an. Nein, so konnte es wirklich nicht weitergehen. Also machte ich etwas, was mir bisher nie in den Sinn gekommen war: Ich schaute mir Stellenanzeigen an und bewarb mich als Pressesprecher bei einem Verband. Geregelte und flexible Arbeitszeiten, Home-Office-Angebote, Gleitzeit, ein unbefristeter Vertrag, eine kleine Betriebsrente, ein nettes, kleines Team und eine nicht wesentlich schlechtere Bezahlung – das war doch die Chance, meiner prekären und nicht gerade familienkompatiblen Beschäftigung beim Fernsehen endgültig adieu zu sagen - auch wenn ich die Arbeit dort immer geliebt habe, irgendwie.

Ein paar Tage später gab es spannende Neuigkeiten – und zwar bei meiner Frau. Ob sie Abteilungsleiterin werden wolle, wurde sie gefragt. Klasse! Mehr Geld! Ein Dienstwagen! Ein toller Titel! Aber der Sekt war noch nicht mal kalt gestellt, da stellten wir uns auch schon die Frage: Wie soll das denn nun wieder funktionieren? Sollen wir jetzt BEIDE bis spät abends arbeiten? Nichts gegen ein bisschen mehr Geld in der Haushaltskasse - so eine Kita ist teuer - aber was wird denn dann aus unserem Kind? Als der Sekt im Kühlschrank vor sich hin kühlte und wir hin und her überlegten, was jetzt zu tun sei, klingelte das Telefon. Der Chef des Verbandes, bei dem ich mich beworben hatte, war am Apparat: „Also, falls Sie überhaupt noch zur Verfügung stehen, Herr Veit, dann haben Sie den Job.“ Yes! Zum Glück hatte der Sekt inzwischen eine trinkbare Temperatur erreicht. Kann mich bitte mal jemand zwicken?

Ein paar Tage zuvor hatte man mir im Sender das „großzügige“ Angebot gemacht, für ein halbes Jahr im Studio Essen verlängert zu werden. Wie und ob es danach weiter gehen würde, wurde offen gelassen. Aber ich wusste ja ohnehin nicht, wie dieses Konstrukt überhaupt hätte weiter funktionieren können, wo meine Frau doch inzwischen wieder so eingebunden war und die Kita auch weiterhin um fünf Uhr nachmittags zumachte. Ich lehnte also mehr oder weniger dankend ab. Und die Meisten aus meinem (neuen) Redaktionsteam zeigten dafür Verständnis. Es ging auf Weihnachten zu und ich bekam eine sehr taktvolle, liebenswürdige und irgendwie auch besinnliche Verabschiedung in Essen: „Glückwunsch, du Vorzeige-Daddy, alles richtig gemacht!“, „Was für ein Verlust für den Sender, Meister!“, „Alles Gute, Du Verräter!“, „Ein bisschen vermissen wirst du uns aber schon auch, oder?“

Ach ja, ich hatte richtig nette Kolleginnen und Kollegen um mich, als ich meine Sachen packte und der letzte, wirklich allerletzte Tag in der Fernsehanstalt gekommen war. Das stimmt mich noch heute milde und versöhnlich, auch wenn immer ein wenig Bitterkeit mitschwingt bei dem Gedanken, dass der Laden mir mit dem Studio Essen ein „Angebot“ gemacht hatte, das ich zumindest zum damaligen Zeitpunkt gar nicht annehmen konnte und das daher zum Bruch führen musste, sofern mir die Gesundheit meiner Frau und das Wohlbefinden meiner Tochter irgendetwas bedeuteten. Die zuständige Chefredakteurin staunte dann auch nicht schlecht: „Stimmt das Gerücht, Herr Veit, Sie nehmen die Vertragsverlängerung für Essen nicht an?“ (Der mir kurz vor Weihnachten unterbreitete Vertrag hätte, wie gesagt, eine Gültigkeit von knapp sechs Monaten gehabt, von Planungssicherheit keine Spur). „Ja, das stimmt. Ich habe mir etwas anderes gesucht. Der Job ist sicher und ich muss dafür nicht pendeln. Das ist keine Entscheidung gegen den Sender, es ist einfach eine Entscheidung für die Familie.“ Die Chefin hat das akzeptiert und wir haben uns respektvoll voneinander verabschiedet. Nun würde endlich ein neues Kapitel für mich beginnen und ich konnte es kaum erwarten.

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