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The Greatest Pantheistic Poet of Mankind

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Rumis Nachleben und Wirkungsgeschichte durch achthundert Jahre

Der Mystiker Rumi stieg recht bald zum Heiligen auf, relativ sofort, dank seiner Hagiographen, des Rumi-Sohns Sultan Walad (1291), Faridun Sipahsalar (1319/29) und Aflaki (1318/53). Selbdritt bemühten sie sich, genau wie nebenan Franz von Assisis Hagiographen Bonaventura und Celano, alle empirischen Schmutzflecken zu kaschieren, möbelten und donnerten dafür alles andere auf. Sie verklärten, sie trugen Indizien für schlackenlose Heiligenverehrung zusammen, nach bewährtem Muster. Alle diese Biographen variierten den wundersüchtigen Evangelisten Lukas. Und schon sah Rumis Weib ihren Herrn und Gebieter – Gott heilige sein kostbares und tiefes Geheimnis! – von der Hausterrasse in die Luft schreiten, und bei seiner Rückkehr hing an seinen Schuhen 1500 km entfernter Sand vom Hidschas in Medina, den man alsdann so tiefgläubig wie möglich als Augensalbe benutzte. Rumi bändigte, laut Aflaki, einen losgerissenen Ochsen, genau wie Franziskus, laut Bonaventura, einen Wolf bändigte, gemäß dem neolithischen Archetypus vom Dämonenbändiger. Rumi predigte den Hunden, genau wie Franziskus den Vögeln; streunende Köter klopften mit den Schwänzen den Boden und ächzten leise vor Verzückung, und Rumi rief: »Ich schwöre bei Allah: Diese Hunde verstehen meine tiefsten Lehren! Selbst diese Tür – und diese Wand! – lobpreisen Allah und verstehen die göttlichen Geheimnisse!« Bald hieß Rumi »Arif-i rumi« – der anatolische Erkenner. Andere Leute schwammen bloß wie Fische im Wasser; ihm aber als Wal kam jeder Ozean zu eng vor. Die Riesenschultern, seine poetischen Idole Saadi und Fariduddin ’Attar, auf denen er sich wachsend erhob, wurden bald von seinem wachsenden Ruhm verdeckt. Sein illustrer Lebenslauf trug ihn durch die Zukunft. Seine berühmte Flöten-Intrada zum Mathnawi, fast wörtlich von ’Attar übernommen, übertönte seine ’Attar-Quelle. Vieles, wofür man dionysische Tänzer à la Rumi und Nietzsche rühmte, stand längst wortwörtlich bei vergrübelten Pessimisten à la Schopenhauer und ’Attar. Seinen erquicklichen Anthropomorphismus übernahm Rumi von Übervater ’Attar, seinem Vater Baha’uddin und von hundert anderen Dichtern.

Als Dichter stieg Rumi auf zu einem der sieben bis neun persischen Goethes, neben Firdusi (Persiens Homer), Nizami (Persiens Ovidius Naso), Saadi (Persiens Wieland), Hafiz (Persiens Li Tai Bo alias Li tai pe), Enweri (so einer Art Torquato Tasso) und Fariduddin ’Attar (Persiens Dante Alighieri – bei Rumis Tod acht Jahre alt! –, bzw. Lord Byron, bzw. Giacomo Leopardi, bzw. Lukianos, bzw. Pu-sung-ling), und überstrahlte manch einen von ihnen. Dschami (noch ein Wieland Persiens) nannte Rumis Mathnawi »den Koran persischer Zunge«. Wer bei Rumi mehr Weisheit als im Koran fand, machte sich fast als Ketzer verdächtig.

Alsbald stand auf europäischen Rumi-Büchern: »Rumi, Persiens größter Dichter«, genau wie auf Hafizbüchern: »Hafiz, Persiens größter Dichter«. Weitere Superlative gesellten sich hinzu: Angelsächsische Orientalisten wie Reynold A. Nicholson & A.J. Arberry nannten Rumi »the greatest pantheistic poet of mankind«. Indeed, Rumis glitzernd fluide Mystik bewegte sich fern späterer und früherer Schlaumeier- und Schmalspurmystik, dem der Rest der spirituell bedürftigen Welt unerleuchtbar frönte. Türken und Afghanen stritten sich – geographisch verbohrt, statt mystisch erweitert – um Rumis Zugehörigkeit; denn Konya (antik: Ikonium) lag neuerdings in der Türkei und Balch in Afghanistan.

Spätere Gestalten ganz anderer Kulturkreise boten neue Varianten auf Rumis Vita: Emanuel Svedenborg, siebenhundert Jahre nach Rumi, wandelte sich vom Wissenschaftler und Theologen zum Praktiker und Visionär.

Märchenkönig Ludwig von Bayern, siebenhundertfünfzig Jahre nach Rumi, betrieb wortreiche Selbstaufgabe für einen unendlich verehrten Freund, bis in den (gern genannten) Tod, Richard Wagner gegenüber.

Old Shatterhand schloß mit dem edlen Wilden Winnetou eine Blutsbrüderfreundschaft per Tropfenaustausch.

Oscar Wilde ließ sich von seinem Lord Alfred Douglas genauso faszinieren, nerven, aufpeitschen, traktieren und piesacken wie Rumi von seinem Schamsuddin und Faust von seinem Mephisto.

Nikos Kazantzakis wertete seinen Status als »papierverschlingende Maus« ab, durch den dionysischen, Saturi spielenden Wanderarbeiter – also praktisch: Wanderderwisch! – Alexis Sorbas!

Hermann Hesses alternder Steppenwolf Harry Haller, Kulturträger und Mozarthörer, achthundert Jahre nach Rumi, wurde vom Saxophon blasenden Quasi-Barbaren, dem Mulatten Pablo, ins Leben eingeführt, d. h. statt in Derwischtanz – in Jazztanz.

Alle Zwischenstufen und Schattierungen zwischen Platonik, Mehrdeutigkeiten, überschwenglichem Freundschaftskult (achthundert Jahre vor deutscher Romantik!), mysteriösem Magnetismus, homosensueller Komponente, Eifersucht, Doppelrausch, Exzess, Entzug, fanden hier statt: Dem Diwangedicht Nr. 1300, so munkelnd es druckste und drumrumdichtete, ließ sich entnehmen, daß sich Schamsuddin nach einiger Zeit wohl auch verweigerte, von erloschener Geschlechtsgier faselte, da man ja ohnedies eins sei, womit Rumi wohl doch nicht so ganz, bei allem Einssein, einverstanden sein wollte.

Doch auch lange vor Rumi und Schamsuddin hatte es auffällige Zweierkonstellationen, Männerbündnisse und Busenfreunde gegeben, angefangen bei Gilgamesch und Enkidu. 450 v. Chr. hatte sich der chinesische Sophist Hui Schi ebenfalls für einen Halbgott gehalten, um dann doch nur im literarischen Werk eines um den Finger gewickelten Freundes Zhuangzi (Dschuang Dsi) zu überleben. Zhuangzi und Huizi verfielen einander nicht so heiß, gefühlstief und bodenlos wie Schamsuddin und Dschelaluddin, frozzelten sich eher als Sparringpartner mit disputierlicher Besserwisserei, als eine joking relationship.

Im Jahr 1273 war Meister (persisch: Maulana) Eckhart dreizehn Jahre alt, und Rumi nebenan sechsundsechzig – und Mechthild von Magdeburg dreiundsechzig; Rumis Wort »Die Seele des Gläubigen – ein Stachelschwein, das desto dicker wird und zäher, je mehr du’s schlägst« berührte sich durchaus mit Maulana Eckharts Wort: »Das schnellste Tier, das dich zur Vollkommenheit trägt, heißt Leiden.«

Durch seine Übersetzer in europäische Sprachen schimmerte Rumi so zeitlos und aktuell wie die Wahrheit durch ihre Schleier:

Rumis Credo, er sei als Stein gestorben, um als Pflanze geboren zu werden, bis hinauf zum Engel, klang im Rückblick halb hinduistisch, halb evolutionsbiologisch, also modern. Empedokles von Agrigent hatte das fast wörtlich genauso formuliert; Rumi dichtete also, je nach Geschmack, als verfrühter Darwinist (»Wisse, daß die ganze Welt ißt und gegessen wird«) oder verspäteter Pythagoräer.

Ein Mann sah einen Neumond, den er als gekrümmtes Haar aus dem Auge wischte. Rumi nannte den Rausch, die Verzückung und die Gottessehnsucht, diese drei, »die Baumeister des Jenseits«; »Gehirn und Vernunft bringen Felder und Gärten hervor« (Mathnawi, Buch 4, Vers 1427), also antizipierte Rumi doch wohl die kopernikanische Wende der subjektiven Solipsisten George Berkeley, Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte u. a., oder auch C.G. Jungs Terminus von »psychischer Realität«. Diese Sichtweise findet sich sogar bereits bei Rumis Vater Baha’uddin Walad: »Jeden Augenblick, da du von der Welt nichts mehr weißt, könnte man sagen, ist die Welt zunichte geworden. Wenn du dann wieder zu dir kommst, könnte man sagen, ist die Welt wieder daseiend geworden.« Rumi nahm sogar Sigmund Freuds Projektionstheorie vorweg: »Wenn du einen Fehler in deinem Bruder siehst, so liegt der Fehler, den du in ihm siehst, in dir selbst. Reinige dich von diesem Fehler in dir; denn was dich in ihm stört, stört dich in dir selbst« und variierte damit die Bergpredigtstelle vom Splitter und Balken im Auge. Daß das Bewußtsein das Sein bestimme, lautete bei Rumi so: »Die Tage des Körpers werden durch den Geist verlängert.« In Rumis Vers, die Amme aller Ammen schenke nur Milch, wenn das Milchkind laut danach weine, lauert die psychologische Umkehrung des Bibelworts, daß Gott den Menschen nach seinem Bilde schuf, sowie der philosophische Primat des Subjekts. Zu gleichen Teilen präludiert vom jesuanischen »Mein Reich ist nicht von dieser Welt« und vom platonischen »Der Körper ist der Kerker der Seele«, postludiert von »Denn meine Heimat ist nicht hier« (Mathilde Wesendonck) und »Dies ist nicht mein Planet« (Franz Werfel), sang gleichen Sinnes Rumi: »Meine Seele stammt von woandersher, und dort zu enden ist mein Ziel. Dies Betrunkensein begann in irgendeiner andern Schenke. Sobald ich wieder zu jenem Ort zurückgelange, werd’ ich völlig nüchtern sein. Aus eigenem Antrieb kam ich nicht hierher und kann nicht fort aus freien Stücken.«

Assoziativer Digressionsstil wurde, eurozentrischer Literaturgeschichtsschreibung zufolge, erst von Michel de Montaigne und Laurence Sterne erfunden. Doch Rumis »Mathnawi« steckt voller Tristram-Shandy-Effekte, ein halbes Jahrtausend vorher.

Zwischen vorchristlichen Entitäten wie Zhuangzi (Dschuang Dsi), der mit Wachtel und Vogel Roch, oder auch Flußgeist und Meergott, genauso inspiriert herumjonglierte wie Dschelaluddin Rumi mit Engel und Esel, und Traumvisionären im Industriezeitalter à la Jean Paul und Paul Scheerbart stand Rumi als einer der weltweit sehr spärlich gestreuten mystischen Dichter und dichtenden Mystiker da, bei denen sich beliebig Überirdisches und Humor am Abgrund nicht ausschlossen. Der Name des Sultans Kaikobad gelangte bis hinauf in Hugo von Hofmannsthals »Frau ohne Schatten«. Der mächtigste Staatsmann ab 2001 f., der Afghanistan-, Irak- und potentielle Iranzerbomber G.W. Bush, verzwergte in Rumis Mathnawi zu einer Fliege, die die Welt zu überblicken und den unendlichen Ozean als Steuermann zu überqueren wähnte, dies aber nur auf einem Strohhalm, der just in der Urinpfütze eines Esels unterging – böser Hamlet-Humor und blanke Wahrheit!

Neben Dichterfürsten und heiligen Mystikern wie Rumi sehen Gestalten und Strömungen des 20. Jahrhunderts und aller folgenden, Sunniten, Schiiten, Schahs, Gadaffi, Chomeini, Osama bin Laden, arg undifferenziert aus, heillos dogmatisch, unsagbar mittelalterlich, irreparabel archaisch.

Die italienische Motorradmarke »Rumi« hat zeitweise eine effektivere PR als Rumi.

Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus

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