Читать книгу Der Heidekönig - Max Geißler - Страница 24

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Nach einem halben Jahre. — Es erzählt sich das über die Massen leicht hin: Matheis Maris war nun Bürger in dieser neuen Welt geworden. In Wirklichkeit hatte er sich mit Gott und dem Dasein, am grimmigsten aber mit sich selbst herumgeschlagen ohn’ Unterlass. Er war zwölfmal umgezogen — was sich daraus erklärt, dass er in jener Nacht im Kaffeehaus mit Lukas ter Meulen keine Ahnung von einem Atelier hatte. Seine Werkstatt war von Anfang an die blaue Kuppel des Himmels gewesen und sein Teppich die rote Blüte der Moorheide. In der grossen Stadt aber lebten sie in dem Wahne, der Mensch müsse sich einmauern — das gehöre durchaus zum Glück. Hier lebten sie in der närrischen Meinung, das Gemisch der Luft, das von tausend durstigen Winkeln, Erkern und russschweren Dächern aufgetrunken wurde, wäre Licht! Nun ja, die Augen dieser Menschen brauchten keine Offenbarungen’ aus dem Herzen Gottes! Ihren stumpfen Sinnen entsprachen die Dämmerungen ihres Daseins. Und für ihre Gepflogenheiten hatten sie sich ein Licht erfunden. Matheis Maris der Philosoph erkannte: diese Erfindung und diese Gepflogenheiten — auch sie entstammten der Sehnsucht nach dem geheimnisvollen Zustand erhöhten Lebensgefühls! ... Es lagen allerhand Lockungen in solcher Art Dasein — auch für ihn, der das Dasein jener vorübersausen sah wie einen Luxuszug.

Er wohnte nun ganz draussen vor der Stadt. Wo die Bauernwäglein heimatlich vorüberrollten, wenn sie zu Markte fuhren. Wo er die stillen Wasser nahe hatte, die hervorträumten unter dem fernen Rande des Himmels. Wo sich die blühende Heide in Büscheln auf schmale Wege wagte — Sträusslein, die der Sommer von weither geworfen hatte, dass man auch hier ihn ahnen sollte. — Dort wohnte Mattheis Maris.

Auf ein Atelier hatte er nun doch verzichtet. Aber die Erlebnisse, die zu diesem Verzichte führten, waren Krieg zweier Welten. Der brach herauf in der Zeit, in der Matheis Maris sein Bauernjungentum verfluchte, sein Paradies — diesen holdseligsten Einfall unter den Sternen! — verfluchte das ganze verlorene Dasein von einst. — Ja, so war das mit ihm. —

Da warf er sich in den Nächten auf seinem Bette herum und presste den Pfühl gegen sein Angesicht, um das Gebet der Einsamkeit und Grösse zu ersticken, das die Verzweiflung aus ihm herausheulte: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!«

Er hatte Bilder von Malern einer neuen Schule gesehen, einer neuen Schule, die grosse Säle für die verrückten Blüten ihrer Jugend brauchte. Die Zeitungen, die in allen Jahren auf die gleiche Weise sündigen, riefen den Ruhm dieser kommenden Männer, als seien sie die Entdecker eines Unerhörten, und als habe es nie die grossen Niederländer gegeben, die Ewigkeit aus ihren Pinseln malten.

Den Odem aus der Brust lief sich Matheis Maris. Und kam in die Ausstellung. Und dachte: „Gott, welch ein Kitsch!“ Aber weil die Zeitungen alle sündigten im gleichen Tone der Überzeugung, so unterwarf sich der biedere Jan van Moor und sagte: „Das also ist es!“ Und eiferte um das Wunder dieses neuen malerischen Sehens und um die neue Technik, die dem Beschauer zumutete — nicht etwa ein Bild, nicht etwa einen Form und Farbe gewordenen Gedanken Gottes, sondern die ihm zumutete, aus Klecksen und einer bestimmten Entfernung zu der Überzeugung zu kommen, das sei nun das in Wahrheit, was der gedruckte Katalog unter der betreffenden Nummer verzeichnete. Zum Beispiel eine Hafenszene aus Amsterdam. Matheis Maris hatte gedacht: es sei das die Schürung des höllischen Feuers durch sieben Teufel ... Oh!

Es bohrte sich in das Gehirn des Matheis Maris, zerbohrte es von allen Seiten; denn er stand natürlich mit den gedruckten Weisheiten der Zeitungen vor den neuen Bildern und las: es sei darin der Bund der Kunst mit der Philosophie geschlossen; er las: da die optische und chemische Wissenschaft mit dem photographischen Apparate die empirische Wirklichkeit restlos wiederzugeben vermöge, habe sich die Kunst in ihr ureigenstes Reich zurückgezogen und verfluche das geniessende Auge und die hinkende Weisheit der Ästheten ... Jawohl, wörtlich so.

Dem Matheis Maris aber lief ein Lachen des Hohns durch die Seele. Freilich: es wurde ein Lachen der Verzweiflung daraus; denn die neue Kunst hatte gefunden, dass die »Gestaltung der einigenden Urwesenheit der Dinge« ihre Aufgabe sei, und dass sich darin der Gegensatz von diesseits und jenseits verliere. Halt! Wurde da nicht aus Erde Himmel gemacht? Und hatte Matheis Maris nicht in dem nichtswürdigen Wahne gelebt, durch sein Schauen ins Herz Gottes diesen Gegensatz ebenfalls auszugleichen? — Es stand geschrieben: Die neue Kunst wolle den Sinn des Lebens gestaltend erfassen ... Matheis Maris versuchte nur den Sinn dieses Worts zu erfassen — aber schon das ging nicht. Er verstand nicht, wie da einer, um diesen Sinn des Lebens gestaltend zu erfassen, »die Macht der Nacht« darstellen konnte als ein paar hundert Keile von Lichtern, die er gegen ebensoviel Keile von Finsternis anprasseln liess. Es sah aus, als sei am Himmel ein Stern geborsten, der gar kein richtiger Stern gewesen war, sondern ein Topf mit einer dicken weissen betäubenden Flüssigkeit. Die klackte nun in die höllische Finsternis der Strasse. Die Menschen fielen stocksteif um. Geborstene Wagenräder, Schattenkringel, einzelne Pferdebeine, Kleckse und Kreuze wimmelten auf dieser Strasse herum. Es war das lächerlichste Tohuwabohu von entgleisten Farben und Vorstellungen — — — ja, eigentlich war es das. Aber dies »eigentlich« bedeutete ein Wort allerverächtlichsten Ketzertums vor dieser neuen Kunst; denn: »Es stehet geschrieben« ...

Matheis Maris senkte seine bis zur körperlichen Pein gequälten Augen auf das bedruckte Papier. Jawohl — es stand geschrieben! Und es stand so geschrieben, dass nur ein bemitleidenswerter, nur ein ganz gottverlorener Dummkopf es wagen durfte zu behaupten: dazu fehle ihm der Glaube ...

Wenn nach fünftausend oder nach zehntausend Jahren jemand diese Geschichte liest — was wahrscheinlich ist — so wird er sich wundern, dass es schon in den grauen Zeiten, in denen der Niederländer Matheis Maris malte, das Schauspiel gegeben hat und dass vor fünftausend oder zehntausend Jahren die Menschen genau so davor zusammengelaufen sind und dass es immer und ewig etwa einen einzigen unter ihnen gibt, der mitten im Stück auflehnerisch hinausrennt ... In diesem einen liegen Ewigkeitswerte robust zutage. — Und es ist vielleicht noch einer unter den Vielzuvielen, der schleicht sich hinaus mit kümmerlichem Weh, verbirgt sich unter die Büsche der Heimaterde, ein wundgeschossenes Wild, und weint das Gebet der Grösse vor sich hin — jawohl, der Kraft und der Grösse: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen! — Also.

Eine Woche lang lief Matheis Maris draussen umher in Einsamkeit und ass Wurzeln. Er schlief unter den Sommerbüschen, wo die Heidebäche rinnen und die grauen Seen sind.

Wenn es einmal recht himmeleinsam um ihn war, ein Schmetterling auf breiten Schwingen vorüberstrich und weithin kaum etwas anderes lebendig zu sein schien als das Flämmern der Luft, dann hörte er auch wohl wieder den Ruf: »Matheis Maris, wo bist du?« ... Fern her klang das, wie aus den anderen Tagen. Und genau wie es von dem ersten Menschen berichtet wird, hätte er antworten können: „Ich schämte mich, darum versteckte ich mich.“ — Alles wiederholt sich in der Welt. Nur die Namen wechseln.

Der Heidekönig

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