Читать книгу Der Heidekönig - Max Geißler - Страница 26

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An diesem Tage lief Maris in der Richtung gegen seine Heimat gradaus über die Ebene. Hinter sich treten wollte er den Wahnwitz und die Vermessenheit der vorigen Wochen. Er meinte: es sei nun doch so, wie die Leute aus dem Dorfe gesagt hatten: dieser Matheis Maris scheue sich vor einer gerechten Arbeit, und aus reiner Faulheit habe er den Beruf des Malers in sich entdeckt. Das Paradies aber habe er erfunden, alle zu übertreffen, die vor ihm der Tagedieberei obgelegen ... Und nun wollte er — der verlorene Sohn — heimkehren und bei Pieter Bosboom um einen kärglichen Taglohn frönen — auf der gleichen Scholle, auf der er als Herr hätte walten können, wenn er nicht zu ordentlicher Hantierung unbrauchbar gewesen wäre.

Seine Gedanken liefen um ihn herum wie der flimmerige Doppelring eines Karussells. Und weil er selber der Mast in der Mitte des dudelnden Drehspieles war, raste dieses um ihn herum. Die Ähnlichkeit mit dem Ding aus geschnitzten Pferden, steifen Kutschen und kunstlosen Tieren aller Art war peinigend in der hölzernen Erstarrung, quälend in der Wiederholung der Bilder. — So zermahlte er sich das Hirn über dem Ziele der neuen Kunst, »den Sinn des Lebens gestaltend zu erfassen.«

Binnen einer Woche war seine Haut wie Leder geworden, sein Gesicht verfallen. Und nun wippte sein langer Leib über die Ebene dahin. Ohne Rast wollte er laufen, laufen bis ins Paradies, dem er leichtsinnig den Rücken gekehrt hatte. Weil er nicht zureichte für die Welt, in die er sich gewagt hatte, lief er ihr davon. Weil Weisheit, Wille, Können, Trieb, Kraft und Grösse in dieser Welt waren in Ausmassen, die er nicht hatte ahnen können. Weil er ein Stümper war und beinebst ein Träumer aus einem kleinen selbstgezimmerten Heidehimmelreich. Oh! Alles das Seine trug er auf dieser Wanderung mit sich: ein zertrümmertes Herz und ein verkümmertes Hirn.

Drei Kilometer hinter Mittag gelangte er — da stand das Karussell still. Er kroch unter eine Kussel Heideföhren, legte sich auf den weichen warmen Sand und sank in einen Schlaf, tief wie sein Jammer.

Um Mitternacht erwachte er. Er wusste aber nicht, dass es das Herz der Nacht sei, an das er sich hinangeschlafen hatte. Die Lider seiner Augen fühlte er offen und sah doch nicht. Die Föhrenzweigs hingen so dicht über ihm, dass sie ihn berührten. Da dachte er, er sei gestorben und die Menschen hätten Blumen und Zweige über ihn gebreitet, der ein Fremdling unter ihnen gewesen war.

Eine Weile tasteten sich seine Gedanken dahin in der Finsternis um ihn und in ihm. Endlich drehte er sich in seinem Grabe herum und versuchte zu kriechen und gelangte auf Knien und Händen in die dunkelblaue Stille. Nun hingen die Sterne über ihm, und rings um ihn standen die Schattenrisse der Heidekräuter und waren noch dunkler als die dunkelblaue Nacht. „Matheis Maris,“ sagte er, „ja, so steht das um dich, und dies Geschehnis ist das Sinnbild deines Lebens: du vermagst nicht zu deuten, wohin du geraten bist, und was du erkennst, ist Finsternis.“

Aber der Wunderlichkeiten dieser Nacht war kein Ende; denn auf einmal — auf einmal kroch dem verlorenen Jungmann etwas am Rücken empor und kroch ihm ins Herz. Nun — weder eine Spinne noch eine Schlange kann solch ein Kunststück vollbringen. Zugleich spannte sich ihm etwas über die Haut — Maris musste dabei an ein Moorwasser denken, über dessen Spiegel der Frost die Spiesse des Eises schiesst ...

Es würde solcher Bilder und Vergleiche gar nicht bedürfen, wenn dem Matheis Maris sogleich der einfach nüchterne Gedanke gekommen wäre, dass er sich fürchtete und dass diese Furcht ihren Grund hatte in der Auflehnung seiner Nerven gegen die sechsmonatige Misshandlung in der neuen Welt. Nur waren Nerven für ihn Dinge, die ihm bis zur Stunde überhaupt nicht eingefallen waren! Er dachte auch jetzt nicht daran, sondern er führte eines jener halblauten Selbstgespräche, wie sie bei Menschen der Einsamkeit im Schwünge sind. Er setzte sich darin zur Rede über die Einfältigkeit, sich zu fürchten an einer Stelle der Erde, auf der wohl nie die Arglist der Menschen gebrütet hatte. An einer Stelle der Erde, die so heimatlich, ruhevoll und schuldlos war wie jene, auf der er damals seine Hütte gebaut. In allen Stunden der Nacht und in allen Tiefen der Finsternis war er vertraut geworden mit der schlummernden Stille, die um ihn hing — und dennoch: Matheis Maris fürchtete sich! Er dachte, wenn er jetzt eine Schiesswaffe in der Hand hielte und mit gespannten Sinnen hinaushorchen könnte in die Nacht, so würde ihm wesentlich behaglicher zumute sein. Und er sehnte das Grauen des Morgens herbei. Da wollte er den Weg zurückstapfen und sich eine Schnelladepistole kaufen, Ha!

Endlich kam der Tag. Er liess ahnen, dass er schön und des Gottes voll werden würde, wie es die Nacht gewesen war. Aber Matheis Maris schritt ihm entgegen in einer stumpfen Einerleiheit des Geistes und des Gemütes. Seine Augen hatten sich zu anderer Zeit nicht müde sehen können an der jungen Herrlichkeit der Erde. Nun liefen sie über die Scholle zu seinen Füssen und waren gleichgültig geworden gegen allen Glanz. Und so zerschliffen waren Kraft, Mut und Freude in dem verlorenen Heidegänger, dass es ihm nicht einmal einfiel, welch eine jämmerliche Rolle er spielen musste vor den Menschen, wenn er nun heimkam und bei Pieter Bosboom die Krume wühlen wollte in den Kulturen, die er in unseligem Wahne verhandelt hatte.

In weissen Nebeln lag Amsterdam. Türme funkelten aus der dampfenden Tiefe herauf ... Dereinst hatte Matheis Maris vor solcher Allgewalt hinsinken und anbeten können. Aus jedem Busch auf der Heide hatte er den Ruf Gottes gehört. Es rief auch heute. Aber die Ohren des Matheis Maris waren verschlossen.

Der Heidekönig

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