Читать книгу Rauhnacht - Max Pechmann - Страница 12
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ОглавлениеTitus lehnte sich mit seinem Rücken gegen die Tür, wie wenn er dadurch verhindern wollte, dass der unheimliche Mann sie auframmte. Sein Atem ging stakkatoartig. Noch immer schmerzte sein Kopf. Hinzu kamen ein intensives Frösteln und ein rasender Herzschlag.
Gregor betrachtete ihn verwirrt und mürrisch zugleich.
Theresa stand auf der untersten Treppenstufe. Wie Gregor trug sie einen Bademantel. Ob sie darunter nackt war, konnte Titus nicht erkennen. Aber das spielte für ihn gerade wirklich keine Rolle. Ihre Miene zeigte weniger Verärgerung als vielmehr Sorge.
„Es ist vier Uhr früh!“, wies Gregor ihn empört darauf hin.
„Was ist passiert?“, fragte Theresa besorgt.
Unter Titus’ Schuhsohlen bildete sich eine Pfütze aus Schmelzwasser. „Ich habe zwei Typen auf dem Friedhof gesehen. Sie betrachteten sich die Gräber von den Leuten, die im Winter einundachtzig gestorben sind.“
„Und da hat Titus Hardt ein wenig Detektiv spielen wollen.“ Gregors Ironie war nicht zu überhören.
„Die Typen haben mir eins übergezogen.“
„Sie wurden geschlagen?“, rief Theresa erschrocken. „Gregor, was stehst du hier noch rum? Wir müssen uns um ihn kümmern!“
Eine solche Initiativbereitschaft hatte Titus gar nicht von ihr erwartet.
„Wie du siehst, lebt er ja noch.“
„Ich brauche erst einmal etwas Warmes“, entgegnete Titus.
Als er mit einer Tasse Instantkaffee in der Küche auf einem der dunklen Holzstühle saß, fühlte er sich schon etwas besser. Normalerweise mochte er dieses Gebräu nicht, da es ihm Sodbrennen verursachte. Aber dieses Mal machte er eine Ausnahme. Es erwärmte ihn und er musste nicht warten, bis der Kaffee durch den Filter getropft war.
Theresa und Gregor saßen ihm gegenüber. Theresas Bademantel hatte sich ein klein wenig gelockert. Sie war nackt darunter. Beide tranken ebenfalls Kaffee.
„Du wurdest von den beiden Typen tatsächlich niedergeschlagen?“, fragte Gregor auf eine Weise, als hätte er erst jetzt Titus’ Bericht verstanden. Immerhin war seine schlechte Laune verflogen. Er zeigte auf einmal sichtbares Interesse.
Titus ließ seinen Blick durch die Küche schweifen. Herd und Arbeitsfläche bildeten in der Mitte des Raumes eine Insel. Von dem Rauchabzug, der darüber wie der Saugrüssel einer außerirdischen Maschine schwebte, hingen diverse Töpfe und Pfannen. An den Wänden standen Geschirr- und Vorratsschränke. Fast alle Möbel wiesen ein tiefes Rot auf. Der eckige Esstisch, an dem sie saßen, stand direkt vor dem Fenster. Lisas Welt, dachte Titus. Er wusste nicht einmal, ob sie eine ausgebildete Köchin war oder sie sich ihre Kochkünste selbst angeeignet hatte. Er wusste fast gar nichts über sie. Was hatte sie mit jenem Mann zu schaffen, der ihn mit seinen blinden Augen angestarrt hatte?
„Titus?“ Gregor rüttelte ihn am Arm.
„Die Typen haben mir irgendetwas auf den Kopf geschlagen“, antwortete er schließlich. „Aber das ist noch nicht das Schlimmste.“
„Noch nicht das Schlimmste?“ Theresa betrachtete ihn erstaunt. „Man hat Sie niedergeschlagen und das bezeichnen Sie nicht als schlimm?“
„Im Gegensatz zu dem, was danach geschehen ist, auf jeden Fall. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in der Kapelle auf einer der Bänke. Aber ich war nicht allein. Ein eigenartiger Mann kam auf mich zu. Ob du es glaubst oder nicht, er hielt mich für Lisa.“
Gregor kicherte. „Gib’s zu, du trägst Damenunterwäsche.“
Theresa stieß ihn mit ihrem Ellenbogen in die Seite. „Das ist nicht witzig, Gregor. Es ist … unheimlich.“
„Ihr hättet den Mann sehen sollen. Seine Augen waren völlig weiß …“ Auf einmal legte er eine Pause ein. Dann sagte er: „Wenn ich es mir genau überlege, sah er aus wi, als wäre er soeben aus einem Grab gestiegen.“
„Und er hielt dich für Lisa?“
„Er sagte ständig, Du bist es, Lisa, nicht wahr?“
Theresa zog ihren Bademantel enger um sich. „Das klingt wie eine dieser urbanen Legenden, die an Unis und Schulen erzählt werden.“
„Für mich klingt das eher wie nach einem Verrückten, der in der Kapelle übernachten wollte“, gab Gregor zurück.
„Wer er auch immer ist, er kennt Lisa“, erwiderte Titus. „Seinem Tonfall nach zu urteilen, scheint er nicht wirklich Sympathien für sie zu empfinden.“ Er trank die restliche Tasse in einem Zug leer. Der Kaffee begann zunehmend, seinen Körper zu erwärmen.
Gregor wirkte gelangweilt. „Walter Dorn sagte mir, Lisa sei eine Außenseiterin. Es ist also kein Wunder, dass niemand sie gerne hat.“
„Trotzdem erklärt es nicht, wer dieser Mann ist.“
„Interessiert es dich so sehr?“, zog Gregor ihn auf.
„Ob es mich interessiert? Der Typ sah alles andere als harmlos aus. Wenn ich nicht abgehauen wäre, hätte er mich vielleicht umgebracht.“
„Sollen wir nicht einmal nachsehen, ob er sich dort noch aufhält?“, schlug Theresa vor.
„Es ist vier Uhr“, wiederholte Gregor seine Worte, die er bereits Titus gegenüber geäußert hatte. Viel Sinn ergaben sie in diesem Zusammenhang allerdings nicht.
„Vielleicht ist er mir gefolgt“, gab Titus zu bedenken. „Wenn er nicht ins Haus kann, dann versteckt er sich jetzt weiß Gott wo. Am liebsten hätte ich jetzt ein heißes Bad und dazu ein Glas Brandy. Ich fühle mich wie ein durchfrorener Hund. Würde mich nicht wundern, wenn mein nächtlicher Ausflug mit einer Grippe endet.“
„Und was ist mit den beiden Kerlen, die Ihnen eins übergezogen haben?“, empörte sich Theresa. „Sie müssen das der Polizei melden.“
„Ich habe nicht einmal ihre Gesichter gesehen. Den Fußabdrücken zufolge aber schätze ich, dass es nicht zwei Kerle, sondern ein Mann und eine Frau gewesen sind. Vielleicht Wissenschaftler wie ihr beide?“
„Wissenschaftler, die nächtlichen Spaziergängern eins über den Schädel ziehen?“ Die Skepsis war Theresas Frage durchaus anzuhören.
Gregor schwieg. Sein Blick verriet, dass er gerade auf einen unangenehmen Gedanken gekommen war. „Mohn“, sagte er nach einer Weile. „Es könnte dieser Bastard Mohn gewesen sein. Zusammen mit seiner Assistentin.“
„Nehmen neuerdings alle Wissenschaftler ihre Assistentinnen mit auf Reisen?“, konnte sich Titus die Frage nicht verkneifen.
Theresa grinste zweideutig.
Gregor wurde rot. „Du bist kein Wissenschaftler, Titus. Lass deine Sprüche. Aber falls es tatsächlich Mohn ist, dann haben wir hier sehr bald ein unangenehmes Problem.“
„Inwiefern?“, wollte Titus wissen.
„Er wird versuchen, unsere Forschungen zu sabotieren. Mohn, dieser beschissene Egomane. Er schreckt vor nichts zurück, um andere auszustechen. Ich kann nur hoffen, dass er es nicht ist. Ansonsten kann ich mein Projekt an den Nagel hängen.“