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9. Aristotelischer und stoischer Syllogismus

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Der stoische Begriff eines Syllogismus unterscheidet sich vom peripatetischen. Für Aristoteles bestehen Prämissen und conclusio eines Beweises idealerweise aus universellen kategorischen Aussagen,351 obgleich er auch andere syllogistische Formen anerkennt und benützt.352 Für ihn sind (wahre) singuläre Aussagen nicht eigentlich Gegenstände von Wissen, Wissenschaft und wissenschaftlichem Beweis, obgleich in den Standardbeispielen peripatetischer Syllogismen, die Sextus anführt,353 sich durchaus Argumente mit singulären Termini finden.354 Für die Stoiker sind singuläre Aussagen sehr wohl angemessene Gegenstände der Erkenntnis und damit auch angemessene Kandidaten für Prämissen und Konklusionen von Syllogismen und syllogistischem Beweis.355 Ihr Interesse gilt nicht zuletzt Aussagen, die auf Einzelnes verweisen bzw. sich auf Einzelnes beziehen. Doch die Stoa arbeitet natürlich auch mit universellen Aussagen. Sie drückt universelle affirmative Aussagen in der Form der Implikation aus: „Wenn etwas ein Mensch ist, dann ist es sterblich“,356 und universelle negative Aussagen in Form der Negation einer Konjunktion: „Nicht: Jemand ist im Zeichen des Hundes geboren und wird im Meer sterben“. Das macht ihre Logik zur Aussagenlogik. Während in der aristotelischen Syllogistik die Subjekte der Prämissen quantifiziert sind, ist es bei Chrysipp die komplexe Prämisse, die eine Allaussage zum Ausdruck bringen kann.357

Man möchte meinen, dass sich die aristotelische Begriffslogik und die stoische Aussagenlogik in willkommener Weise ergänzen könnten. Doch nach dieser Unterscheidung verstanden sich die antiken Logiker ohnehin nicht. Wenn man den späten Quellen vertrauen darf, herrschte zwischen den Logikern der Stoa und des Peripatos ein Verhältnis der Rivalität, das zwischen gegenseitiger Nichtbeachtung und offener kritischer Ablehnung schwankte.358

Die kategorischen Syllogismen des Aristoteles waren für die Stoiker jedenfalls explizit keine Syllogismen.359 Und mit demselben Votum bedachten die orthodoxen Peripatetiker die hypothetischen Syllogismen der Stoiker.360 Dabei waren sich beide Schulen keineswegs in allem uneins. Sowohl für die Stoiker als auch für die Peripatetiker bildeten Syllogismen eine Unterklasse gültiger Argumente (logoi); für beide Parteien waren Syllogismen Schlüsse aus mindestens zwei Prämissen; nach beiden müssen alle für den Schluss relevanten Annahmen genannt sein; nach beiden muss die conclusio sich aus den Prämissen notwendig ergeben; nach beiden sollen bzw. dürfen die Syllogismen keine redundanten Prämissen aufweisen.361 Indes, die Stoiker beharrten, in den Augen der Aristoteliker geradezu ‚pedantisch‘, auf einer kanonischen Form. Dies deshalb, weil nach ihrer Vorstellung ein Syllogismus ein durch seine logische Form gültiger Schluss ist, und dieser Anspruch bereits an seiner äußeren sprachlichen Form erkennbar sein müsse.

Das Beharren auf einer kanonischen Form verweist auf eine gewichtigere Differenz in der Sache. Nach dem aristotelischen Verständnis „ist ein Syllogismus ein Argument, in dem aufgrund dessen, dass bestimmte Dinge festgestellt sind, etwas, was von diesen festgestellten Dingen verschieden ist, mit Notwendigkeit folgt, kraft dessen, dass diese Dinge (der Fall) sind“.362 Aristoteles möchte logisch gültige Schlüsse von Syllogismen unterschieden wissen.363 In Syllogismen muss die conclusio etwas gegenüber den Prämissen Verschiedenes besagen. Sein dominantes Interesse gilt dem argumentativen Gebrauch, der stringenten wissenschaftlichen Erklärung und Erkenntniserweiterung. Was die Stoa in vergleichbarer Weise von einem veritablen Beweis verlangt, fordert Aristoteles von einem Syllogismus. Für die Stoa hingegen ist „Wenn p, dann p. Nun aber p. Also p“ ein gültiger Syllogismus;364 für sie stand das Interesse, dass ein Syllogismus durch seine Form ein logisch gültiger Schluss ist, im Vordergrund.

Nach Aristoteles ebenso wie nach stoischem Konzept ist ein Syllogismus ein Schluss aus zwei oder mehr Prämissen. Einzig Antipater von Tarsus anerkennt Syllogismen mit einer einzigen Prämisse.365 Was Antipater unter solchen verstanden wissen wollte, ist offensichtlich nicht mit Enthymemen gleichzusetzen. Enthymeme sind rhetorisch verkürzte Argumente mit stillschweigend (bei den Adressaten) als bekannt vorausgesetzten Prämissen.366 Alexander von Aphrodisias beharrt auf dem formellen Unterschied von Enthymem und Syllogismus und wirft Antipater vor, die Differenz zu verwischen. Antipaters Beispiele („Es ist Tag. Also ist es hell“; „Du atmest. Also lebst du“; „Du siehst. Also lebst du“)367 könne man nur deshalb als Syllogismen (miss)verstehen, weil man die fehlenden Prämissen stillschweigend ergänzt: „Alles, was atmet, lebt. Du atmest. Also lebst du“.368 Nun sind die für Antipater überlieferten (wenigen) Beispiele so, dass zwischen Prämisse und Schluss ein offenkundiger sachlicher bzw. logischer Zusammenhang besteht, derart, dass die Negation der conclusio mit der Prämisse unvereinbar ist. Aristoteles dagegen setzt bei seinem Begriff eines Enthymems und der stillschweigend vorausgesetzten Prämisse lediglich auf deren Bekanntheit beim Adressaten. Antipater folgt der stoischen Idee, die Folgebeziehung (akolouthia) zwischen Antecedens und Succedens einer wahren Implikation und zwischen Prämissen und conclusio eines schlüssigen Arguments gleichzusetzen.369 Wenn er ein schlüssiges Argument mit einer Prämisse als Syllogismus anerkannt wissen wollte, dann weist dies darauf hin, dass er dessen formale Aspekte (jedenfalls in bestimmten Fällen) für vernachlässigbar hielt.370

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