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11. Die stoische Modallogik

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Die Stoiker unterschieden verschiedene Arten von Aussagen (axiōmata). Das Erkennungszeichen der Art bildete ihre sprachliche Form. Doch jenseits ihrer sprachlichen Form klassifizierten sie Aussagen auch nach bestimmten Eigenschaften:397 nach wahr und falsch, nach möglich, notwendig, unmöglich und nicht-notwendig, nach plausibel und wahrscheinlich.398

Die Unterscheidung von plausibel und wahrscheinlich ist argumentationstheoretisch begründet. Plausibilität ist eine adressatenbezogene (subjektive) Eigenschaft: Eine Aussage ist plausibel (pithanon), wenn sie (unbeschadet ihres Wahr- oder Falschseins) geeignet ist, Zustimmung hervorzurufen. Wahrscheinlichkeit dagegen ist eine nicht-adressatenbezogene (objektive) Eigenschaft: Eine Aussage ist wahrscheinlich (eulogon), wenn überwiegende Gesichtspunkte für ihr Wahrsein denn für ihr Falschsein sprechen.

Die stoische Modallogik399 steht im Kontext der Schicksalslehre und Mantik und der Diskussion um Determinismus und menschlicher Freiheit.400 Chrysipp scheint seine Definition der Modalitäten in Auseinandersetzung mit Philons und Diodors Verständnis entwickelt zu haben. Philon versteht unter dem Möglichen das, was fähig ist, ‚seiner eigenen Natur entsprechend‘ wahr zu sein bzw. zu werden.401 Etwas ist nach ihm also dann möglich, wenn das, was vom Gegenstand einer Aussage gesagt wird, dem Gegenstand aufgrund seiner ihm eigenen, internen Eigenschaften zukommen kann. Dieser Möglichkeitsbegriff ist weit, da er bezüglich einer Aussage die externen Umstände, denen das Subjekt der Aussage ausgesetzt ist, unberücksichtigt lässt: Ein Stück Holz kann brennen, auch wenn es allzeit am Meeresgrund liegt und demzufolge niemals brennen wird. Im Unterschied zu Philon vertritt Diodor einen engen Möglichkeitsbegriff: Möglich ist nach ihm nur das, was auch tatsächlich einmal eintreten wird, unmöglich das, was nie eintreten wird, in der Formulierung Ciceros: „Er nämlich sagt, nur das könne geschehen, was entweder (gegenwärtig) wahr ist oder (in Zukunft) wahr sein wird.402 Chrysipps Möglichkeitsdefinition kann man Passagen bei Diogenes Laertius403 und Boethius404 entnehmen: Möglich ist das, was wahr sein kann, und was von außen nicht daran gehindert wird, wahr zu sein. Im Unterschied zu Philon möchte Chrysipp in seinem Möglichkeitsbegriff die äußeren Umstände berücksichtigt sehen; im Unterschied zu Diodor hat für ihn auch solches als möglich zu gelten, was niemals geschehen wird. Aus den genannten (leider unvollständigen) Abschnitten bei Diogenes Laertius und Boethius lassen sich Chrysipps Bestimmungen auch der übrigen Modalitäten rekonstruieren:405 Unmöglich ist etwas, was entweder nicht wahr sein kann oder was zwar wahr sein kann, aber aufgrund äußerer Umstände daran gehindert wird, wahr zu sein. Notwendig ist etwas, was wahr ist und nicht falsch sein kann oder was zwar falsch sein kann, aber aufgrund äußerer Umstände daran gehindert wird, falsch zu sein. Nichtnotwendig ist etwas, was falsch sein kann und aufgrund äußerer Umstände nicht daran gehindert wird, falsch zu sein.

Chrysipp möchte offensichtlich die Existenz kontrafaktischer, d.h. unverwirklichter Möglichkeiten annehmen. Damit stellt sich die Frage, wie diese Annahme mit der stoischen Naturphilosophie und Fatumslehre vereinbar ist, die eine mit Notwendigkeit sich vollziehende Kausalverkettung allen Geschehens in Ansatz bringt. Die antiken Gegner der Stoa sahen hier einen eklatanten Widerspruch. Moderne Interpreten versuchen, diesen Widerspruch durch die Unterscheidung von Perspektiven bzw. Beschreibungsebenen zu lösen: Die Perspektive des Fatums sei eine überzeitliche ‚göttliche‘ bzw. ‚kosmische‘ Perspektive; ‚Notwendigkeit‘ stelle die eine universale Modalität des Kosmos dar; in dieser (dem Menschen versagten) Perspektive fielen Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit in eins. Die eben skizzierten verschiedenen Modalitäten seien dagegen temporalisierte Modalitäten, seien zeitbezogen und im Rahmen der dem Menschen möglichen Betrachtungs- und Beschreibungsebene gültig.406

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