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7. Logik als Theorie und Kunst der Argumentation
ОглавлениеDie stoische Logik ist eine Theorie der (dialogischen) Argumentation und der Gültigkeit von Argumenten (und nicht ein System logischer Theoreme und Wahrheiten). Über ihre Ursprünge weiß man wenig Verlässliches. Von Zenon ist ein Buchtitel über Zeichen,243 doch kein eigener Buchtitel zur Dialektik überliefert. Kleanthes und Sphairos haben Traktate zu dieser Thematik verfasst.244 Erst Chrysipp gilt als derjenige, der eine eigenständige stoische Schlusslehre entwickelt hat. Von Zenon wird berichtet, dass er, als Schüler Diodors, sich mit der Lösung von Sophismen befasste,245 diese Arbeit allerdings nicht sonderlich schätzte.246 Er selbst bevorzugte kurze, prägnante syllogistische Argumente, vielleicht um die Aufmerksamkeit des philosophischen Publikums auf sich zu ziehen.247 Davon sind 20 auf uns gekommen,248 etwa dieses: „Das Vernünftige ist besser als das Vernunftlose. Nichts ist besser als der Kosmos. Also ist der Kosmos vernünftig“;249 oder dieses: „Man ehrt vernünftigerweise die Götter. Niemand ehrt vernünftigerweise das, was nicht existiert. Es gibt also Götter“.250 Die Mehrzahl ist von dieser (aristotelisierenden) Art: Die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat in den Prämissen soll den Schluss erlauben. Eines der Argumente, von Cicero ND II, 22 überliefert, bedient sich in induktiver Weise der Analogie und hat konditionale Prämissen: „Wenn auf einem Ölbaum wohltönende Flöten wüchsen, würde man dann etwa zweifeln, dass der Ölbaum über ein gewisses Können im Flötenspiel verfügte? Oder wenn Platanen kleine Harfen trügen, die rhythmisch klängen: Natürlich würde man gleichfalls annehmen, dass in den Platanen musikalisches Können vorhanden sei. Weshalb also sollte man das Weltall nicht für beseelt und weise halten, da es doch aus sich heraus beseelte und weise Wesen erzeugt?“ Ein weiteres schließlich, von Plutarch überliefert,251 ebenfalls mit konditionalen Prämissen formuliert, stellt einen ‚dilemmatischen‘ Schluss dar: „Wenn der erste Redner einen schlüssigen Beweis geliefert hat, muss man nicht mehr den zweiten sprechen hören. Denn das Gesuchte ist gefunden. Wenn er ihn nicht geliefert hat – so ist das wie wenn er einer Vorladung nicht gefolgt wäre oder aber ihr Folge leistend nur geträllert hätte. Entweder hat er den Beweis geliefert oder er hat ihn nicht geliefert. Man muss also den zweiten nicht sprechen hören“.
Zenons Syllogismen, ihrem Inhalt nach wenig überzeugend, wurden vom Dialektiker Alexinos lächerlich gemacht, und zwar mithilfe von parallelen bzw. analogen Prämissen, die zu absurden Schlüssen führen (parabolai), z.B.: „Was der Dichtkunst mächtig ist, ist besser als das, was ihrer nicht mächtig ist, und was der Sprachwissenschaft kundig ist, ist besser als was ihrer nicht kundig ist… Nichts aber ist besser als der Kosmos. Der Dichtkunst mächtig also und der Sprachwissenschaft kundig ist der Kosmos“.252
Es war offensichtlich nicht allzu schwierig, Zenons Schlüsse ins Lächerliche zu ziehen. Der stoischen Argumentationskunst musste inhaltlich und formal aufgeholfen werden, sollte sie im philosophischen Diskurs der Zeit ernstgenommen werden. Die Hilfe kam mit einer gegenüber Aristoteles und dem Peripatos neuartigen253 aussagenlogischen Syllogistik, die Chrysipp entwickelt hat.
Der Ausdruck „logos“ ist vieldeutig. Die Stoa verwendete ihn auch im Sinn von „Argument“. Ein Argument sei „ein Gefüge von Prämissen und Schluss (systēma ek lēmmatōn kai epiphorâs)“.254 Nicht jedes Argument ist ein Syllogismus; ein Syllogismus ist eine spezifische Form von Argument, eben ein „syllogistikos logos“ aus Prämissen und Schluss.255 Was darunter genau zu verstehen ist, gilt es zu klären. Die Theorie syllogistischer Argumente verspricht jedenfalls großen Nutzen: Sie mache klar, was es heißt, etwas zu beweisen (to apodeiktikon emphainein). Und dies trage viel zur rechten Ordnung der Überzeugungen bei (symballesthai poly pros diorthōsin tôn dogmatōn).256
Eine genauere Bestimmung des genuin stoischen Beitrags zur Argumenttheorie bietet ein Referat des Diogenes Laertius über das, „was die Leute um Krinis“ sagen: Ein logos sei, was aus lêmma, proslēpsis und epiphora bestehe, wie z.B. „‚Wenn es Tag ist, ist es hell. Es ist Tag. Also ist es hell.‘ Lêmma nämlich ist das ‚Wenn es Tag ist, ist es hell‘, proslēpsis das ‚Es ist Tag‘, epiphora das ‚Also ist es hell‘“.257 Der maior (to hēgemonikon lêmma) ist eine nicht-einfache Aussage, der minor (mit „aber (de)“ bzw. „nun aber (alla mēn)“ eingeführt) eine einfache Aussage, die conclusio ist mit „also (ara)“ gekennzeichnet. Lêmma kann je nach Kontext Prämisse überhaupt,258 oder spezifisch nicht-einfache Prämisse bedeuten,259 während proslēpsis (wörtlich: zusätzliche Prämisse) so gut wie immer eine einfache Prämisse meint. Sowohl Diogenes als auch Sextus bestimmen das Argument (logos) als Gefüge aus Prämissen und Schluss. Sextus verdeutlicht den dialogischen Kontext, den die stoische Argumentationstheorie beachtet: Als Prämissen können nur solche Sätze fungieren, die der Gesprächspartner als einleuchtend (tô emphanê eînai) zugesteht,260 die man im Konsens (symphōnōs) akzeptiert, um die conclusio (epiphora) zu erzielen.261 Die conclusio ist die aus den Prämissen erzielte bzw. gefundene und etablierte Aussage (to ek tôn lēmmatōn kataskeuazomenon axiōma).262
Was den Gesprächspartnern einleuchtend erscheint, muss nicht wahr, was als conclusio erzielt wird, muss nicht schlüssig sein. Der Konsens kann auch falsche Prämissen oder, um des Fortgangs des Arguments willen, ‚hypothetisch‘ angesetzte Prämissen beinhalten.263 Und was als Schluss gedacht ist, ist durch seine Stellung am Ende des Arguments mit „Also“ gekennzeichnet. Ein Argument muss nach stoischer Auffassung mehr als eine Prämisse enthalten; nur Antipater ließ auch Argumente mit einer Prämisse zu.264
Nach dem Referat des Sextus265 halten die Stoiker dafür, dass sie in ihrer Theorie des Beweises266 drei zu unterscheidende Argumenttypen miteinander verbinden: das bündige, gültige bzw. schlüssige (synaktikos) Argument, das wahre (alēthēs) und das beweisende (apodeiktikos).267 Diogenes Laertius verwendet für das schlüssige Argument statt synaktikos bedeutungsgleich das Wort perantikos;268 Sextus Empiricus spricht seinerseits269 statt von synaktikos von perainōn. Nach beiden Autoren hat das schlüssige Argument die Form der wahren Implikation entsprechend dem Verständnis von Chrysipp: Es beginnt mit einer Konjunktion der Prämissen (als Antecedens) und endet mit der conclusio (als Succedens). Es ist schlüssig, wenn die Negation der conclusio mit der Kombination der Prämissen unverträglich, es ist nichtschlüssig, wenn die Negation der conclusio mit der Kombination der Prämissen verträglich ist. Offensichtlich wird unterstellt, dass die conclusio aus den Prämissen eines schlüssigen Arguments genau in dem Sinn folgt wie der Succedens einer Implikation aus dem Antecedens.270 Als Beispiel für das nicht-schlüssige Argument führt Diogenes Laertius an: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Es ist Tag. Also geht Dion umher“;271 die Negation der conclusio ist mit der Konjunktion der Prämissen vereinbar. Sextus’ Beispiel für das schlüssige Argument ist präziser formuliert: „Wenn: Es ist Tag und wenn: Wenn es Tag ist, ist es hell, (dann) also: Es ist hell“;272 die Negation der conclusio ist mit der Konjunktion der Prämissen unverträglich.
Sextus Empiricus berichtet an zwei verschiedenen Stellen von vier Arten nichtschlüssiger (asynaktoi/aperantoi) Argumente.273 Im Passus PH II, 146–150 ist von „den Dialektikern“ die Rede, der Passus AM VIII, 429–434 ist eindeutig den Stoikern zuzuordnen.274 Die Einteilung ist in beiden Abschnitten die gleiche; gewisse sprachliche und sachliche Veränderungen sind innerhalb der Einteilung zu notieren. Ob mit „den Dialektikern“ die Stoiker gemeint oder mitgemeint oder nicht gemeint sind, ist in der Forschung umstritten. Mit Ebert275 kann man die eindeutig stoische Version als Präzisierung der dialektischen Vorlage verstehen. Nicht-schlüssig (aperantos) ist ein Argument (a) durch Zusammenhanglosigkeit (kata diartēsin), (b) durch Redundanz (kata parholkēn), (c) durch Folgern in falscher Form (kata to en mochthērô ērōtêsthai schēmati) oder (d) durch Auslassung (kata elleipsin).276 Nicht-schlüssig durch Zusammenhanglosigkeit sind Argumente, wenn zwischen den Prämissen untereinander und den Prämissen zur conclusio kein logischer bzw. sachlicher Zusammenhang besteht, z.B. „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun wird Weizen auf dem Markt verkauft. Also ist es hell“.277 Das Beispiel für das nichtschlüssige Argument aufgrund von Redundanz lautet: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es Tag. Und auch die Tugend ist nützlich. Also ist es hell“.278 Hier ist eine Prämisse überflüssig und hat mit den Sachverhalten, aus denen die conclusio abgeleitet werden kann, nichts zu tun. Man mag einwenden, dass eine überflüssige Prämisse einen Schluss noch nicht ungültig macht. Doch was die Stoiker offensichtlich bei ihrem Begriff eines schlüssigen Arguments im Auge haben, ist neben der Vermeidung der Redundanz die Relevanz und Sachdienlichkeit der Prämissen für die zu erschließende conclusio. Vielleicht waren sie der Meinung, redundante Prämissen verdunkelten die deduktive Struktur bzw. höben die Folgebeziehung zwischen Prämissen und Schluss auf.279
Bei den nichtschlüssigen Argumenten aufgrund von Auslassung fehlt „etwas an den erschließenden Prämissen (elleipē ti tôn synaktikôn lēmmatōn)“. Als Beispiel dieses Typs wird angeführt: „Entweder der Reichtum ist schlecht oder der Reichtum ist gut. Nun ist nicht der Fall, dass der Reichtum schlecht ist. Also ist der Reichtum gut“.280 Auch dieser Schluss wäre formal korrekt. Doch hier fehlt dem Stoiker etwas an der Disjunktion; sie muss vollständig, d.h. dreigliedrig sein; das Prädikatfeld einer möglichen Wertung zerfällt in gut, schlecht und indifferent. Ein derart nichtschlüssiges, weil defizientes Argument ist von einem falschen zu unterscheiden. Nach stoischer Lehre281 zwar schlüssig aber (inhaltlich) falsch wäre das Argument: „Entweder der Reichtum ist schlecht oder der Reichtum ist gut oder der Reichtum ist indifferent. Nun ist der Reichtum weder schlecht noch ist er indifferent. Also ist der Reichtum gut“;282 Reichtum ist nach stoischer Lehre etwas Indifferentes.
Schließlich können Argumente nicht-schlüssig sein aufgrund einer fehlerhaften Form. Für korrekte und fehlerhafte Formen werden Beispiele in der (nach stoischer Praxis üblichen) Formulierung mit Ordinalzahlen als Variablen gegeben; für schlüssige: „Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun aber das Erste. Also das Zweite“ (modus ponens), „Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun aber nicht das Zweite. Also nicht das Erste“ (modus tollens); für eine fehlerhafte: „Wenn das Erste, dann das Zweite. Nun aber nicht das Erste. Also nicht das Zweite“. Mit dieser letzteren Form kann man zwar durch die Einsetzung wahrer Prämissen wahre Konklusionen erzielen, doch mit der Einsetzung wahrer eben auch falsche. Und um die Form fehlerhaft zu machen, reicht ein einziges derart falsches Argument: „Wenn es Tag ist, ist es hell. Nun ist es nicht Tag, also ist es nicht hell“ – es kann auch andere Lichtquellen als das Tageslicht geben; es kann hell sein, auch wenn es nicht Tag ist.283
Bei Diogenes Laertius findet sich284 eine eigenartige, weil tautologisch klingende begriffliche Einführung des Syllogismus: „Ein Argument als solches ist ein Gefüge aus Prämissen und Schluss (systēma ek lēmmatōn kai epiphorâs); der Syllogismus ein Argument, das syllogistisch aus diesen (schließt) (ton de syllogistikon logon syllogistikon ek toutōn).“ Für die Stoa ist offensichtlich nicht jedes (deduktive) Argument ein Syllogismus. Nach DL VII, 78285 unterteilt sie die schlüssigen Argumente in die syllogistischen und die nicht-syllogistischen. Ein Argument kann also schlüssig (perantikos) sein, ohne ein Syllogismus zu sein. Schlüssig ist ein Argument, wenn die Negation seiner conclusio unverträglich ist mit der Konjunktion seiner Prämissen. Um syllogistisch zu sein, muss es einer bestimmten kanonischen Form genügen, derart, dass an seiner Form unmittelbar seine Schlüssigkeit ablesbar ist. Kanonisch ist die Form, wenn sie einer der obersten unableitbaren stoischen Schlussformen entspricht oder (über bestimmte Regeln)286 auf eine von ihnen zurückführbar ist. Die Schlüssigkeit kanonisch formulierter Argumente ist durch ihre Form gesichert; die Schlüssigkeit nicht-kanonisch formulierter Argumente ist dagegen nur über den Inhalt der Aussagen entscheidbar.
Schlüssige deduktive Argumente, ob syllogistisch oder nicht, können wahr oder falsch sein. Das Wahrsein der conclusio hängt am Wahrsein der Prämissen. Falsch sind deduktive Argumente, wenn in den Prämissen etwas Falsches oder wenn das Argument nicht schlüssig ist.287 Deduktive Argumente können zwar schlüssig und gleichwohl falsch sein, dann nämlich, wenn die Form korrekt, der Inhalt aber fehlerhaft ist. Die Transformation des deduktiven Arguments in eine Implikation bietet die Möglichkeit zu beurteilen, ob es schlüssig ist, seine Umwandlung in eine Konjunktion bietet die Möglichkeit zu beurteilen, ob es wahr ist.288
Argumente, ob syllogistisch oder nicht, können möglich, unmöglich, notwendig und nichtnotwendig sein.289 Aussagen können in ihrem Wahrheitswert zeitabhängig sein. Die Wahrheit eines Arguments hängt an der Wahrheit ihrer Aussagen. Es gibt demnach Argumente, die ihren Wahrheitswert ändern (metapiptontes logoi).290 Ein notwendiges Argument wäre ein schlüssiges Argument mit notwendig wahren Prämissen. Hinter der Einführung der Modalitäten von Argumenten steht wohl das Interesse an einem exakten Zugang zu Argumenten, die ihren Wahrheitswert nicht ändern.
Die Schlüssigkeit eines Arguments ist nicht gleichzusetzen mit seiner Beweiskraft. Nicht alle schlüssigen, ja nicht alle schlüssigen und wahren Argumente sind auch beweiskräftig (apodeiktikoi).291 Von einem beweiskräftigen deduktiven Argument, von einem Beweis im strikten Sinn (apodeixis) spricht die Stoa erst dann, wenn es „aus dem klarer und sicherer Erfassten (ek tôn mâllon katalambanomenōn) das weniger klar und sicher Erfasste (to hêtton katalambanomenon)“292 bzw. wenn es Nicht-Manifestes (adēlon) aus Manifestem (dia prodēlōn)293 erschließt. Beispielhaft für ein beweiskräftiges Argument ist das der Existenz von Poren: „Wenn der Schweiß durch die Oberfläche der Haut dringt, gibt es nichtwahrnehmbare (noētoi) Poren. Nun dringt der Schweiß durch die Oberfläche der Haut. Also gibt es nichtwahrnehmbare Poren“.294 Wir haben einen klaren Vorbegriff (prolēpsis) davon, dass Flüssiges nicht durch Festes dringen kann. Die Evidenz dieses Vorbegriffs trägt die erste Prämisse. Argumente dieser Art erschließen die conclusio auf methodische (ephhodeutikôs) und enthüllende Weise (ekkalyptikôs);295 sie tun dies im Ausgang von notwendigen und zwingenden Prämissen. Sind die Prämissen nicht von dieser Art, beruhen sie vielmehr auf Glauben und Erinnerung (pistis kai mnēmē), dann kann das Argument zwar als methodisch, aber nicht als enthüllend gelten. Ein Beispiel dieser Art wäre: „Wenn dir einer der Götter sagte, dass dieser reich sein wird, wird dieser reich sein. Nun sagte dieser Gott (angenommen ich zeige auf Zeus) dir, dass dieser reich sein wird. Also wird dieser reich sein“.296 Man glaubt an die Wahrhaftigkeit der Götter. Es gehört zum Erinnerungsbestand, dass ihre Zusagen (in der Regel) eintreffen. Doch gelegentlich täuschen uns die Götter auch. Die tragende Prämisse des Arguments ist nicht notwendig und zwingend, das Argument selbst also nicht beweiskräftig, weil nicht enthüllend kraft der Prämissen. Zudem handelt es sich beim derart erschlossenen Sachverhalt um etwas, das, so oder so, in Zukunft manifest sein wird, während ein Beweis uns prinzipiell Nicht-Manifestes erfassen lässt. „Beweis (apodeixis) wird deshalb ein Argument (logon) genannt, das aus konsensuellen Prämissen (di’ homologoumenōn lēmmatōn) deduktiv (kata synagōgēn) eine nicht-manifeste conclusio (epiphoran adēlon) enthüllend erschließt (ekkalyptōn)“.297
Im Anschluss an die Dialektiker haben auch die Stoiker, wenn auch weniger intensiv als diese, sich mit Trugschlüssen (sophismata) befasst.298 Eine den Dialektikern zugeschriebene Definition macht den Unterschied von Fehlschlüssen und Trugschlüssen deutlich: „Sie sagen, ein Sophisma sei ein Argument, plausibel und mit List so geformt (pithanon kai dedolieumenon), dass man eine conclusio annimmt, eine conclusio, die entweder falsch oder einer falschen ähnlich oder nicht-offenkundig oder anderswie inakzeptabel ist“.299 Die conclusio eines Sophismas besteht aus einer offensichtlich falschen oder dunklen oder irgendwie paradoxen Aussage, zu der man auf scheinbar schlüssige Weise gelangt. Ein Sophisma ist nicht nur ein mit einem Mangel oder Fehler behafteter Schluss. Es ist darauf angelegt, den Adressaten zu täuschen und zu einer unangebrachten Zustimmung zur conclusio (bzw. zur Ablehnung, weil sie, obgleich wahr, ‚einer falschen ähnlich‘ ist) zu verführen. Diese Definition der ‚Dialektiker‘ kann wohl auch für die Stoiker als verbindlich gelten. Nach Diogenes Laertius’ Stoa-Referat machen Sophismen sich zwei Quellen300 zunutze: Unklarheiten bzw. Mängel im Sprachgebrauch (para tēn phōnēn), etwa im Fall von Äquivokationen oder durch grammatischen Fehler, und Unklarheiten in den Aussagen (para ta pragmata), etwa im Fall des Wechsels des Wahrheitswerts einer Aussage oder bezüglich der Reichweite eines logischen Operators. Er führt eine Liste und eine Reihe von Sophismen an, mit denen die Stoiker bzw. Chrysipp sich befasst haben.301 Soweit man sieht, haben sie diese nicht selbst erfunden. Vielmehr haben sie vorgegebene Sophismen analysiert und sie aufzulösen bzw. zu parieren versucht. Dabei war ihr Anliegen nicht nur argumentationsstrategischer Art: nicht Opfer einer Täuschung zu werden. Sie wollten bei ihrer Analyse von Sophismen auch und vor allem in didaktisch-aufklärender Absicht über logisch-semantische Sachverhalte und Unterscheidungen belehren.