Читать книгу Die Philosophie der Stoa - Maximilian Forschner - Страница 13

5. Poseidonios aus Apameia

Оглавление

Poseidonios entstammte einer wohlhabenden Familie aus Apameia in Syrien. Er ist um 135 vor Chr. geboren und ging als etwa 20jähriger zum Studium nach Athen. Er schloss sich dort der Stoa und dem bereits betagten Panaitios an.130 Nach dessen Tod verließ er Athen, ließ sich auf Rhodos nieder, betrieb dort Geschäfte (chrēmatisas)131 und gründete eine eigene Schule, die bald jene in Athen an Bedeutung und Anziehungskraft überstrahlte. Er wurde Bürger von Rhodos, bekleidete als solcher das höchste politische Amt eines Prytanen und weilte in diplomatischer Mission für Rhodos zweimal in Rom (87/6 und 51 vor Chr.).132 Bereits in den 90er-Jahren unternahm er eine ausgedehnte Forschungsreise in die küstennahen Gebiete der ans westliche Mittelmeer grenzenden Länder.133 Dabei verfolgte er geologischmineralogische, geographische, biologische, ethnographische, klimatologische, meteorologische, astronomische und historiographische Interessen. Nach Strabon134 galt er als der gelehrteste (polymathestatos) Philosoph seiner Zeit, nach Galen135 als der wissenschaftlichste (epistēmonikōtatos) der Stoiker.136 Cicero hielt sich 77 vor Chr. auf Rhodos auf, um den Rhetoriker Apollonios von Molon und ihn zu hören.137 Pompeius beehrte ihn zweimal, im Jahr 66 und 62 mit seinem Besuch. Poseidonios hat sich dafür mit einer Schrift über dessen Feldzüge im Osten bedankt.138 Cicero war dagegen weniger erfolgreich mit seinem Versuch, vom berühmten Philosophen und Wissenschaftler eine entsprechende Schrift über seine ‚Rettung des Staates’ vor Catilina zu erhalten.139 Poseidonios litt wohl im Alter sehr stark an Gliederschmerzen (Rheuma oder Gicht).140 Nach Pseudo-Lukian soll er 84 Jahre alt geworden sein.141 Ein Enkel übernahm nach seinem Tod die Leitung seiner Schule, die allerdings nicht mehr allzu lange mit Leben erfüllt war. „Im ganzen blieb er (sc. Poseidonios) mehr von unterirdischer als von zutage tretender Wirkung“.142

Weder ist uns ein Werk noch ein Verzeichnis seiner Schriften überliefert, doch sind in Zitaten nahezu 30 Titel explizit bezeugt und lassen sich noch einige weitere über Hinweise mit mehr oder weniger plausiblen Gründen vermuten.143 Unter den explizit bezeugten sind Über den Ozean144, Geschichtswerk (in Fortsetzung von Polybios) in 52 ‚Büchern‘145, Geschichte des Pompeius146, Ermunterungen (zur Philosophie)147, Über das Kriterium148, Einführung über die Sprachform149, Naturlehre150, Meteorologie151, Meteorologische Elementarlehre152, Über die Seele153, Über die Götter154, Über Heroen und Dämonen155, Über das Schicksal156, Über die Weissagung157, Ethik158, Über den Unterschied der Tugenden159, Über passendes Verhalten160, Über die Affekte161, Gegen Zenon aus Sidon über die Prinzipien der Geometrie162.

Die vor allem von deutschsprachigen Philologen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts betriebene ‚Quellenforschung‘ hat Poseidonios zu einer eminenten anonymen Text- und Gedanken-Quelle von so verschiedenen Autoren wie Cicero, Varro, Vitruv, Philon, Manilius, Vergil, Seneca, Plotin, Nemesius etc. und ihn selbst zu einer überragenden Figur mit ganz eigenständigem geistigen Profil erhoben. Ihre ausufernd spekulative Tendenz ist inzwischen einer nüchterneren Poseidonios-Forschung gewichen, die sich weitgehend auf namentlich bezeugte Testimonien und Fragmente beschränkt.

Über seine Leistungen auf dem Gebiet der Logik lassen sie nur Spärliches erkennen. Sicher ist allein dies, dass er, vielleicht als erster, die logische Basis relationaler Syllogismen untersucht hat.163 Hinsichtlich der Naturphilosophie gilt er mit gutem Grund als der Aitiologe unter den Stoikern. Ja, er wirft den ‚Seinigen‘ (insbesondere Chrysipp) vor, zu vieles erklärungsbedürftig belassen bzw. für der Erklärung unzugänglich ausgegeben zu haben.164 Ursachenforschung ist für ihn die Prärogative der Naturphilosophie; sie nur vermag die Phänomene aus Prinzipien bzw. sicheren Axiomen zu erklären. Denn sie untersucht die Substanz (ousia), die gestaltende Kraft (poiētikē dynamis), die daraus resultierenden Attribute und Relationen zu anderem, sowie das Entstehen und Vergehen (genesis kai phthora) einer Sache.165 Während die empirischen Wissenschaften deskriptiv und induktiv-hypothetisch vorgehen, mit Arithmetik und Geometrie als ihren Hilfsmitteln,166 verfährt die Philosophie deduktiv beweisend und erklärend. Doch die empirischen Wissenschaften sind für die philosophische Erklärung unentbehrlich; hat diese doch an den Phänomenen das zu ‚rettende‘, das unverrückbare Objekt dessen, was es (deduktiv) zu erklären gilt.

Philosophie und Wissenschaften ergänzen sich gegenseitig.167 Poseidonios vereinte beides in sich und erforschte und erklärte die Größe und Entfernung der Sonne und des Mondes, ihre Auf- und Untergänge und Veränderungen von Gestalt und Aussehen, die Konstellation, Bewegung und Erscheinung der Gestirne, den Wechsel von Ebbe und Flut (in seiner Abhängigkeit von der täglichen, monatlichen und jährlichen Bewegung des Mondes,168 Sonnen- und Mondfinsternisse, Kometen, Regenbogen, Blitz und Donner, Hagel und Winde etc. Er betonte wie (vielleicht stärker als) seine Vorgänger das kausale Vernetztsein (die sympatheia) aller Phänomene, sah in ihm die göttliche Vernunft des Fatum (der heimarmenē) am Werk und wollte auf es (entgegen Panaitios) die Kunst erfolgreicher, an genaue Beobachtungsdaten als Zeichen gebundener Weissagung gegründet wissen.169 Eine gewisse Modifikation altstoischer Lehre nahm Poseidonios in der Psychologie und Ethik vor, war er doch als dezidierter Ursachenforscher der Überzeugung, „dass die Prüfung der Dinge von gut und schlecht, der Ziele und Tugenden von der korrekten Untersuchung der Affekte abhängt“.170 Er verband dies mit einer Kritik an Chrysipp, dessen (einseitig kognitivistische) Theorie der Emotionen den manifesten Phänomenen nicht gerecht werde.171 Der Schlüssel der Moralphilosophie liege in der korrekten Erkenntnis der Kräfte (dynameis) der Seele.172 Sie mache die Quelle verfehlter Entscheidungen deutlich, begründe die verschiedenen Methoden der Gewöhnung und Belehrung und erkläre die Probleme, die mit den Impulsen zum Handeln verbunden sind.173 Im Anschluss an Aristoteles174 unterschied er Kräfte des Begehrens (epithymeîn), des mutartigen Strebens (thymoûsthai) und des Denkens (logizesthai)175 mit ihnen eigenen naturwüchsig verschiedenen Zielen (des Vergnügens, der Macht und des objektiv Guten).176 Und anders als Chrysipp möchte er die vor- und nichtrationale Seite im Begehren und Streben nicht nur des Kindes, sondern auch des mündig Erwachsenen berücksichtigt sehen.177 Der je eigenen Wirkkraft entsprächen eigene Formen der Erziehung, der Bildung und Heilung. Der Bildungsprozess habe die Herrschaft der Vernunft zum Ziel.178

Der modifizierten Seelenlehre korrespondiert seine von Clemens von Alexandria notierte formelhafte Interpretation des Ziels: „Zu leben, die Wahrheit und Ordnung des Ganzen betrachtend und sie nach Möglichkeit mitgestaltend, in keiner Weise getrieben vom nichtvernünftigen Teil der Seele.“179 Allerdings hat Poseidonios, wie Galen glaubwürdig vermerkt, nicht von Teilen, sondern nur von verschiedenen Kräften der Seele gesprochen.180

Auch sein Geographie- und Geschichtswerk181 stellt eine Verbindung von wissenschaftlicher Beschreibung und philosophischer Erklärung dar. So dient etwa die Theorie klimatischer Erdzonen und der Ansatz geographischer Verhältnisse der Erklärung verschiedener beobachtbarer Merkmale von Völkerschaften, die diese Zonen und Landstriche bewohnen,182 und über sie auch der Erklärung konkreter historischer Handlungen.183

Die Geschichte der Stoa unmittelbar nach Poseidonios ist nicht mehr mit großen Namen verbunden. Wir wissen nicht, wer nach Mnesarchos und Dardanos in Athen die stoische Schule geleitet hat. Die Schule auf Rhodos ist nach Iason von Nysa, dem Enkel und Nachfolger des Poseidonios erloschen. Ein wachsendes Bedürfnis nach Kurzfassungen und doxographischen Darstellungen weist darauf hin, dass die stoische Philosophie im 1. vorchristlichen Jahrhundert zum Bestand höherer schulischer Ausbildung und Erziehung geworden ist. Für diese Tendenz der ‚Verschulung‘ stehen die uns erhaltenen Reste des doxographischen Werks von Arius Didymus aus Alexandreia.

Auf der anderen Seite wirkten die Forschungen des Poseidonios in Richtung einer Verwissenschaftlichung der stoischen Naturphilosophie. Für diese Tendenz stehen (heute weitgehend unbekannte) Namen wie Geminos aus Rhodos, Diodoros aus Alexandria oder Athenaios aus Attaleia. Und schließlich ist eine verstärkte Hinwendung zu den Alten, zu Zenon, Kleanthes und Chrysipp festzustellen.184

Eine besondere Vermittlungsleistung für die Philosophie der Stoa in den lateinischen Sprach- und Kulturraum ist Marcus Tullius Cicero (106 – 43 vor Chr.) zuzuschreiben. Er ist zweisprachig, mit philosophischen Texten und Persönlichkeiten vertraut, versteht sich zwar als akademischer Skeptiker, ist aber gerade dadurch befähigt, in seinen (die Schulen vergleichenden) Schriften die schulmäßige und schulgerechte Lehre der Stoiker weitgehend unverfälscht darzustellen.

Die Philosophie der Stoa

Подняться наверх