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5. Die Arten von Aussagen

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Die Stoa unterschied einfache (haplâ) von nicht-einfachen (ouch haplâ) Aussagen und hielt diese Unterscheidung offensichtlich für grundlegend.176 Mit der Definition und Klassifikation der Aussagen verband sie die Angabe der Wahrheitsbedingungen der verschiedenen Typen von Aussagen. Unter nicht-einfachen Aussagen verstand sie solche, bei denen zwei oder mehrere Aussagen durch eine oder mehrere Konjunktionen verbunden sind. Unter einfachen Aussagen verstand sie dagegen solche, bei denen dies nicht der Fall ist; einfache Aussagen sind „junktorenfrei“.177 Auch Aussagen, die mit sich selbst verbunden werden, subsumierte sie unter die nicht-einfachen Aussagen; es kommt ihr offensichtlich allein auf die logische Form an. „Es ist Tag“ ist eine einfache Aussage; „Wenn es Tag ist, ist es Tag“ ist eine nichteinfache, mit sich selbst verbundene Aussage; „Wenn es Tag ist, ist es hell“ ist eine nicht-einfache Aussage, bestehend aus zwei verschiedenen Teilaussagen.178

Diogenes Laertius und Sextus Empiricus überliefern verschiedene Listen einfacher Aussagen.179 Die Klassifikation der Stoiker (genannt werden Chrysipp, Archedem, Athenodor, Antipater und Krinis), wie sie uns bei DL vorliegt, könnte aus einer Klassifikation der Dialektiker (Philon und Diodor), die Sextus referiert, entwickelt worden sein.180 Sextus’ Liste steht im Kontext einer Stoa-Kritik; er hält offensichtlich diese Einteilung auch für die Stoiker für verbindlich; Zenon war einst bei den Dialektikern in die Schule gegangen.181

Sextus’ Liste enthält drei Titel; sie unterscheidet ‚bestimmte‘ (hōrismena) Aussagen von ‚unbestimmten‘ (ahorista) und ‚mittleren‘ (mesa). Bestimmte Aussagen sind die deiktischen („Dieser geht umher“; „Dieser sitzt“). Unbestimmte Aussagen sind solche, „die von einem unbestimmten Teil regiert werden“ („Irgendjemand geht umher“; „Irgendjemand sitzt“). Mittlere (d.h. weder definite noch indefinite) Aussagen sind von der Art: „Ein Mensch sitzt“ oder „Sokrates sitzt“.182 Die Liste bei Diogenes Laertius enthält sechs Titel. Sie unterscheidet die ‚verneinende‘ (apophatikon), die ‚bestreitende‘ (arnētikon), die ‚privative‘ (sterētikon), die ‚kategorische‘ (katēgorikon), die ‚bestimmt aussagende‘ (katēgoreutikon) und die ‚unbestimmte‘ (ahoriston) Aussage. Verneinend wäre „Nicht: es ist Tag“; bestreitend: „Niemand geht umher“; privativ: „Unfreundlich ist dieser“; kategorisch: „Dion geht umher“; bestimmt aussagend (kategoreutisch): „Dieser geht umher“; unbestimmt: „Irgendjemand geht umher“, „Jener bewegt sich“.183

Die ersten drei Titel der Diogenes-Liste beinhalten verneinende Aussagen bzw. Aussagen mit negativem Charakter; solche fehlen in der Sextus-Liste; sie sind in den drei Titeln des Sextus wohl mitverstanden. Es fällt auf, dass der verneinende „Teil“ in den Stoa-Beispielen des Diogenes jeweils am Anfang des Satzes steht: Der Anfang eines Satzes signalisiert nach stoischer Praxis seine logische Form. Dies ist ein Hinweis darauf, warum die Stoiker die negativen Aussagen bzw. solche mit negativem Charakter in eigenen Titeln anführen; sie haben sie anders als die Dialektiker interpretiert.184 Die Dialektiker orientierten sich in ihrer Klassifikation am Subjektausdruck und verstanden die Sätze „Dieser sitzt“ vs. „Dieser sitzt nicht“, „Sokrates sitzt“ vs. „Sokrates sitzt nicht“ als kontradiktorische Sätze. Die Stoiker verstanden sie als (implizite) Existenzaussagen und damit als konträre Sätze, die beide falsch sein können (wenn die besagte Person nicht existiert); sie unterschieden zwischen „Dieser sitzt nicht“ bzw. „Sokrates sitzt nicht“ und „Es ist nicht der Fall, dass dieser sitzt“ bzw. „dass Sokrates sitzt“. Entsprechend der unterschiedlichen semantischen Deutung der Sätze änderten sie die Klassifikation einfacher Aussagen und ihre Terminologie. Die genuin stoische Theorie einfacher Aussagen enthält die Liste des Diogenes.

Eine verneinende (apophatikon) Aussage ist die Negation einer bejahenden; sie liegt dann vor, wenn ein ganzer Satz verneint wird.185 Die Negation muss vorangestellt sein, um die gesamte Aussage und nicht nur einen Teil zu regieren: „Nicht: Es ist Tag“ statt „Es ist nicht Tag“186 und „Nicht: Kallias sitzt“ statt „Kallias sitzt nicht“.187 Für Aristoteles wird in einer Negation lediglich die Beziehung zwischen dem Subjekt und Prädikat negiert;188 für ihn sind die angeführten Satzpaare jeweils bedeutungsgleich. Für einen Stoiker besagt der Satz „Nicht: Kallias sitzt“ entweder: „Es gibt Kallias nicht, und er sitzt (demzufolge) auch nicht“ oder „Es gibt Kallias, und es kommt ihm nicht zu, zu sitzen“, während der Satz „Kallias sitzt nicht“ für ihn nur Letzteres ausdrückt und ambivalenten Charakter hat, weil die Aussage ein bejahendes und ein verneinendes ‚Teil‘ enthält.189 Die bestreitenden und die privativen Aussagen sind für den Stoiker gleichfalls keine (eindeutig) verneinenden Aussagen und bilden deshalb jeweils eine eigene Klasse; das Bestreitende und das Privative macht in ihnen jeweils nur ein Element aus (arnētikon morion – sterētikon morion). Bei der bestreitenden Aussage wird die Existenz irgendeines Trägers eines Prädikats negiert („Niemand geht umher“); bei der privativen Aussage betrifft die Negation dagegen das Prädikat. Die Kennzeichnung der bestreitenden Aussage scheint klar zu sein, jene der privativen bereitet Verständnisprobleme; sie bestehe „aus einem privativen Teil“ und einer „Aussage der Möglichkeit nach“ (axiōma kata dynamin).190 Das Beispiel „Unfreundlich (aphilanthrōpos) ist dieser“ legt nahe, dass die Privation sich auf Dispositionsprädikate bezieht, deren Bedeutung Aussagen impliziert, die auf ein reguläres Verhalten unter bestimmten Bedingungen verweisen. Dem Subjekt wird in privativen Aussagen das Fehlen bzw. der Mangel einer Disposition (hexis) zugesprochen.191

Die restlichen drei Aussagenarten sind sämtlich affirmativ. In der editio princeps des Diogenes-Textes wird für die kategorische und die kategoreutische Aussage derselbe Beispielsatz („Dieser geht umher (hoûtos peripateî)“ angeführt. Dies ist wenig sinnvoll. Der Text wurde deshalb von den modernen Editoren korrigiert, teils in „Dion geht umher (Diōn peripateî)“, teils in „Ein Mensch geht umher (anthrōpos peripateî)“. Beides lässt sich sachlich vertreten, da für die Stoiker mit dem Gemeinnamen eine bestimmte Species und mit dem Eigennamen eine unterste Species bezeichnet192 bzw. mit dem Gemeinnamen die gemeinsame Qualität, mit dem Eigennamen die individuelle Beschaffenheit eines Subjektes,193 unabhängig von der Präsenz des Gegenstandes für den Sprecher und Hörer angesprochen wird. Im Fall der indefiniten Aussage (ahoriston) ist das eine Beispiel („Irgendjemand geht umher“) klar, das andere („Jener bewegt sich“) nicht.194 Das zweite erscheint verständlich und treffend nur, wenn mit „Jener (ekeînos)“ anaphorisch auf ein unbestimmtes „Irgendjemand“ verwiesen sein soll. Völlig klar würden die beiden Beispielsätze, könnte man sie als (einfache) Teilaussagen eines Konditionals verstehen: „Wenn irgendjemand umhergeht, dann bewegt sich jener“.195 Doch diese Interpretation handelt von einer komplexen, nicht von einer einfachen Aussage, geht also über den Text, wenn er denn verlässlich ist, hinaus.

Der Gesichtspunkt, nach dem die Stoa die einfachen affirmativen Aussagen gliedert, ist der, in welchem Maß die Aussage den Gegenstand bestimmt, dem das Prädikat zukommen soll.196 Deiktische (kategoreutische) Aussagen bieten die Gewähr der Identifikation des Gegenstandes. Indefinite Aussagen bestimmen den Gegenstand in keiner Weise. Sie besagen zwar, dass es überhaupt einen Gegenstand gibt, dem das Prädikat zukommt, doch sie lassen völlig offen, um welche Art von Gegenstand es sich handelt. Kategorische Aussagen bestimmen die gemeinsame oder individuelle Art des Gegenstandes, dem das Prädikat zukommen soll. Deiktische Aussagen beziehen sich direkt, kategorische indirekt über die Art auf einen Gegenstand. Der Eigenname beinhaltet die „Eigenart (idia poiotēs)“ eines Gegenstandes; je genauer wir sie kennen und zu kennzeichnen vermögen, umso sicherer erlaubt sie die Identifikation des Gegenstandes.

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