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2. Dialektik und Rhetorik; Phonetik, Grammatik, Semantik

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Die Stoiker haben als erste in ihrer Dialektik die äußere Gestalt der Sprache, ihre Teile, ihre Anordnung und ihre Geschichte zum Gegenstand detaillierter Untersuchung erhoben.57 Nach Diogenes Laertius’ Darstellung scheint Diogenes von Babylon mit seinem Werk Peri phōnês der wesentliche systematische Autor der stoischen Phonetik gewesen zu sein;58 Archedem, Antipater und Poseidonios folgten ihm mit ähnlichen Traktaten Peri phōnês bzw. Peri lexeōs.

Die stoische Sprachentstehungslehre und etymologische Forschung (zu der für Chrysipp zwei Buchtitel überliefert sind59 und über deren Grundzüge uns Origenes, Contra Celsum I, 24, das sechste Kapitel von Augustinus’ Liber de dialectica sowie Varros Schrift De lingua latina unterrichten) leitet der Gedanke, dass zwischen dem Lautbild eines Wortes und seiner Bedeutung natürlicherweise eine (mimetische) Korrespondenz bestehe.60 Dies gilt im strengen Sinn allerdings nur für die Wörter, die am naturwüchsigen Ursprung der Bezeichnung einer Sache stehen. Ihre Lautgestalt wird dann auch auf die Symbole von Dingen übertragen, die den ursprünglich bezeichneten ähnlich, benachbart oder entgegengesetzt sind. Prozesse der Zusammensetzung und Verschiebung bestimmen die weitere Sprachentwicklung,61 die teilweise auch aufgrund fehlgeleiteter sozialer Verhältnisse als eine Geschichte der Sprachverderbnis anzusehen ist. Die Etymologie62 geht der ursprünglichen Form eines Wortes und den Gründen ihrer Veränderung nach, um seine wahre Bedeutung zu erfassen, die durch die Entwicklung verdeckt oder pervertiert wurde.63 Die Stoiker bewiesen in ihrer etymologischen Forschung zum besseren Verständnis der Wörter und Sachen ebenso viel Scharfsinn wie Fantasie. Manch kuriose Erklärung zog denn auch berechtigte Kritik auf sich. Galen etwa zeigt wenig Verständnis für den Stolz Chrysipps auf seine etymologischen Funde.64

Die stoische Lehre vom sprachlichen Zeichen65 dürfte, wie gesagt, von Diogenes von Babylon in eine systematische Form gebracht worden sein. Sie setzt an bei der stimmlichen bzw. akustischen Äußerung (phōnē), die als „geschlagene Luft“ (aēr peplēgmenos), und, als dessen eigentümliche Sinnesleistung, vom Gehör vernehmbar (to idion aisthēton akoês) beschrieben wird.66 In der tierischen Stimme bekundet sich der Trieb (hormē), beim Menschen der Verstand (dianoia). Ein stimmlicher Laut als bloßes Geräusch ist von einem gegliederten Lautgebilde (lexis) zu unterscheiden. Die Artikulierung leisten die mit Buchstaben (stoicheia) bezeichneten Laute; eine lexis lässt sich in einer geordneten Reihe von Buchstaben darstellen;67 sie ist eine phōnē engrammatos.68 Sie kann in isolierten Worten bestehen; sie kann bedeutungsvoll sein oder nicht. Auch Tiere (etwa Raben, Elstern, Papageien) äußern gegliederte Tonreihen, ohne dass man behaupten könnte, dass sie sprechen.69 Von der lexis als artikuliertem Lautgebilde unterscheidet sich der logos als bedeutungsvoller Satz bzw. bedeutungsvolle Rede, mit der der (menschliche) Verstand (über eine lexis) etwas zu verstehen gibt.70 Ein logos, so lautet die definitionsartige Bestimmung, „ist eine bedeutungsvolle stimmliche Äußerung, die vom Verstand ausgeschickt ist (phōnē sēmantikē apo dianoias ekpempomenē)“.71 Die Stoa spricht vom „geäußerten“ (prophorikos logos) und vom „im Innern bereitgestellten Satz“ (endiathetos logos).72 Kleine Kinder oder Papageien mögen Sätze ‚plappern‘, ohne dass sie „im Innern bereitgestellt“ sind und sein können. Nur der zum vollen Vernunftgebrauch fähige Mensch vermag etwas sprachlich zu äußern, „was er denkt“.73 Es ist der Verstand (dianoia) bzw. das leitende Zentralorgan (das hēgemonikon) des Menschen, das dem geäußerten Satz seinen Sinn einprägt und, wenn gehört, seinen Sinn versteht. Der Verstand ist der Ursprung des Denkens und das Denken der Ursprung der Sprache.74 Der Verstand bildet begriffliche Vorstellungen (ennoiai), organisiert sie zu einem System und versieht den Satz (seine Teile und die Verbindung seiner Teile) als Lautgebilde mit symbolischem Gehalt.75

„Geäußert wird Stimmliches, gesagt werden Sachen (pragmata)“.76 Das im Behauptungsmodus Gesagte ist wahr oder falsch. Das Wahre oder Falsche findet sich nicht im bedeutungsvollen Lautgebilde (der phonē sēmantikē) und nicht in den körperlichen Dingen bzw. Vorgängen (den tyngchanonta), sondern in dem, was in bedeutungsvoller Rede gedacht und zum Ausdruck gebracht wird (dem sēmainomenon).77

Vom sinnvollen Lautgebilde grenzt sich das ab, was dieses Lautgebilde besagt (dem lekton).78 Lekta sind also das, was wir Menschen sprachlich meinen und mitteilen (können), die Bedeutungen bzw. Bedeutungselemente von Sätzen. Das Lautgebilde ist etwas Körperliches,79 die durch es vermittelte Bedeutung etwas Unkörperliches. Die Bedeutungen sind allerdings nicht ohne die phonetischen (bzw. graphischen) Gebilde (und ihre Ordnung) identifizierbar. Dies erklärt die stoische Tendenz, Bedeutungsanalyse und grammatische Analyse zu verbinden. Ja, viele Unterscheidungen, die wir heute dem Bereich der Grammatik zuordnen würden, werden von der Stoa im Zusammenhang der Analyse der lekta getroffen. Die heute übliche Benennung der Teile der Rede, der Fälle der Nomina, der Zeitformen der Verben sind weitgehend eine stoische Leistung und wurden, soweit man dies noch erkennen kann, von Chrysipps Schülern und Nachfolgern, von Antipater von Tarsus, insbesondere von Diogenes von Babylon und von Archedem von Tarsus in eine kanonische Form gebracht. Und genau diese ihre Lehre von den Fällen der Nomina und den Zeitformen der Verben, gemeinhin als ihr bedeutendster Beitrag zur Grammatik betrachtet, entwickelt die Stoa aus einer Analyse der lekta.80

Die Unterscheidung von vier grammatischen Teilen (merē) bzw. Elementen (stoicheia) eines Satzes: Namen (onoma), Verbum (rhēma), Artikel (arthron) und Konjunktion (syndesmos) dürfte bereits auf Zenon zurückgehen.81 Chrysipp und Diogenes von Babylon fügten als Fünftes die Appellation (prosēgoria) hinzu.82 Von Antipater von Tarsus stammt das ‚Mittlere‘ bzw. die ‚Mitte‘ (mesotēs), das manche Forscher als Partizip, manche als Adverb, manche als beides umfassend verstanden wissen möchten.83 Was Antipater unter dem Titel mesotēs einführt, wurde ursprünglich jedenfalls nicht als eigenständiges Element eines Satzes betrachtet.84

Wesentlich ist die Unterscheidung zwischen Namen bzw. Appellativum einerseits und Verbum andererseits. Eigennamen bezeichnen die individuelle (idia poiotēs), Gemeinnamen bzw. Appellative die mit anderen Dingen gemeinsame Qualität (koinē poiotēs) eines Gegenstandes.85 Die Bedeutung von Gemeinnamen ist definierbar; Gemeinnamen sind also durch andere Namen ersetzbar. Dies gilt nicht für Eigennamen.86 Eigennamen bezeichnen Personen oder Sachen in ihrer Abwesenheit; mit Hilfe von Demonstrativa (wie hoûtos, toûto etc.) verweist man dagegen auf präsente, im (gemeinsamen) Wahrnehmungsbereich situierte Objekte.87 Den verschiedenen grammatischen Formen eines Nomens (Nominativ, Genetiv, Dativ etc.) entsprechen auf der Bedeutungsebene die fünf Fälle (ptōseis). Die stoischen Fälle sind also nicht den phōnai, sondern den sēmainomena zuzurechnen.88 „Fälle“ werden sie genannt, weil sie unter einen Begriff ‚fallen‘89 bzw. (so die wohl bessere Erklärung), weil sie ‚auf die Dinge fallen‘90. Die Fälle sind Bezeichnetes im Sinne von Referenzgegenständen.91

Nicht Begriffe, sondern Fälle sind konstitutive Elemente der lekta. Allgemeinbegriffe (ennoēmata) für sich genommen sind in stoischem Verständnis rein fiktionaler Natur (die Stoiker sind waschechte Nominalisten), abstrakte Hilfskonstrukte für die Wissenschaft und alltägliche Verständigung, nützlich für den gedanklichen Umgang mit den Dingen, doch ohne reale Subsistenz,92 während lekta und ihre Konstituentien ebenso wie Raum, Zeit und Ort als reales (unkörperliches) Etwas (ti) gelten.93 Im Gesagten ‚erlangen‘ die (körperlichen) Dinge einen Fall; daher ihre Bezeichnung als tyngchanonta.94 Die Fälle konstituieren ein lekton auf verschiedene Weise, je nachdem, in welcher Beziehung oder Verbindung sie zu den anderen Konstituentien der Bedeutung des Satzes stehen.95 Auf die Qualitäten der Dinge beziehen wir uns im Gesagten stets unter einem bestimmten Aspekt; und dieser Aspekt ist im ‚Fall‘ des Nomens benannt. Leitend ist hier für die Stoa (wie in all ihren grammatischen Reflexionen) die Frage, wie, auf welche Weise die Dinge unter dem übergeordneten Gesichtspunkt von Sprachform und Stil (lexis) auf korrekte, d.h. fehlerlose und gekonnte Weise (technikôs) benannt und gesagt werden (können und sollen).96

Vergleichbares gilt für das Zeitsystem, in dem das Verbum zu stehen kommt, das sich auf eine Handlung bzw. einen Vorgang bezieht. Die Stoa gliedert, wie üblich, Zeitliches nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; sie (Chrysipp) spricht wiederholt von Gegenwarts-, Vergangenheits- und Zukunftsprädikaten.97 Doch worauf sie in ihrer Bedeutungsanalyse der verschiedenen Zeitformen des Verbums achtet, ist nicht primär die zeitliche Nähe und Distanz des Vorgangs zur Gegenwart, sondern dies, ob der besagte Vorgang bzw. die Handlung abgeschlossen oder unabgeschlossen, vollständig oder unvollständig ist. Daher die Benennung der Zeitformen des Verbums in „Imperfekt“ und „Perfekt“ und ihre Gliederung in „imperfektes Präsens“, „präsentisches Perfekt“, „imperfekte Vergangenheit“, „perfekte Vergangenheit“.98

Das Verbum ist ohne Kasus (aptōton), bezeichnet ein isoliertes Prädikat (asyntheton katēgorēma) und kann mit einem oder mit mehreren Subjekten verbunden werden.99 Das Verbum hat Vorgänge, Ereignisse, bzw. Handlungen zum Inhalt, während der Name den Träger des Vorgangs bzw. den Handelnden (mit seinen Qualitäten) bezeichnet. Die Stoiker sprechen von Vorgängen und Handlungen (meist, aber nicht immer) als Unkörperlichem (asōmata),100 während die Bedeutungen von Namen, die gemeinsamen bzw. individuellen Qualitäten, (durchweg) als etwas Körperliches verstanden werden.

Nun sind Vorgänge, Ereignisse bzw. Handlungen ebenso wenig wie materielle Objekte abstrakte Sachverhalte,101 sondern konkrete raum-zeitlich identifizierbare Gegenstände. Doch Vorgänge, Handlungen sind auf andere, auf wesentlichere Weise zeitliche Phänomene als Dinge mit ihren Eigenschaften. Handlungen ‚konstituieren sich in der Zeit‘, während Dinge ‚eine Zeit lang‘ ‚in der Zeit bestehen‘.102 Handlungen, Vorgänge entspringen aus Dingen, hängen an Dingen, spielen an Dingen, kommen an Dingen vor, sind also (unlösbar) an Materielles gebunden und von ihm abhängig. Doch sie stehen ontologisch auf einer anderen Stufe als ein (relativ konstantes) materielles Etwas. Für ein Ding als so und so geartetes Ding ist seine Zeitlichkeit akzidentell; ein Vorgang bzw. Ereignis dagegen ist etwas wesentlich Zeitliches. Auf ein Ding (mit seinen Eigenschaften) kann man problemlos deiktisch verweisen; es fällt in die unmittelbare Wahrnehmung. Dies ist bei Vorgängen bzw. Handlungen nicht ohne Weiteres möglich. All das und nur das ist nach stoischem Verständnis körperlich, was etwas tun oder erleiden kann. Materielles ist kausal wirksam und kausal affizierbar; die Dinge stehen in einem ‚Netzwerk‘ kausaler Beziehungen, die für alles Werden ‚verantwortlich‘ zeichnen. Im stoischen Verständnis von Kausalität bewirkt stets etwas Körperliches etwas Unkörperliches an etwas Körperlichem.103 Die Wirkung, das Unkörperliche, das wesentlich Zeitliche ist das, was Verbalprädikate (katēgorēmata) bedeuten.104

„Die Konjunktion (syndesmos) ist ein undeklinierbarer Teil eines Satzes, der die Teile des Satzes verbindet“.105 Unter syndesmos verstehen die Stoiker einerseits die Konjunktionen im modernen Sinn; andererseits aber auch das, was wir mit dem Ausdruck „Präposition“ (prothetikos syndesmos) belegen.106 Während im Peripatos nur Namen und Verben als Bedeutungsträger galten,107 wohl deshalb, weil sie und nur sie Seiendes benennen, betont die Stoa, dass auch Konjunktionen „etwas aufzeigen“.108 Für sie „gibt es wahre Verbindungen zwischen den Zuständen in der Natur der Dinge, Implikation, Disjunktion, Inkompatibilität, die sich in der Sprache in den verschiedenen, insbesondere den logisch wesentlichen Konjunktionen spiegeln.“109 Die Konjunktion hat demnach nicht nur syntaktische Funktion. Sie deckt, je nach Art der Konjunktion, bestimmte reale Verhältnisse und Beziehungen zwischen den Dingen auf.110 Vermutlich hat die Stoa, im Unterschied zur Beschäftigung mit der Prädikatenlogik im Peripatos, ihre Konzentration auf aussagenlogische Sachverhalte zur semantischen „Aufwertung“ der Konjunktion geführt.

„Der Artikel (arthron) ist“, so Diogenes Laertius, „ein deklinierbares Element des Satzes, das das Geschlecht und die Anzahl der Namen bestimmt“.111 Als Beispiele führt er die (griechischen) Artikel ho, hē, to, hoi, hai, ta an. Nach allen übrigen Quellen unterscheiden die Stoiker zwei Typen von Artikeln, den definiten (hōrismenon arthron), von den Grammatikern dann Pronomen (antōnymia), und den indefiniten (ahoriston arthron), von den Grammatikern später Artikel (im eigentlichen Sinn) (arthron) genannt, wobei Letzterer sowohl den vorangestellten Artikel als auch das nachgestellte Relativpronomen umfasst.112 Eine sprachliche Artikulation ist im stoischen Sinn definit, wenn sie entweder direkt auf den präsenten Gegenstand zeigt ( dieser da“) oder anaphorisch auf den bereits gezeigten Gegenstand zurückverweist. Sie ist indefinit, wenn etwa von „dem Menschen (ho anthrōpos)“, oder von „einem Menschen (anthrōpos tis)“ die Rede ist und dabei unklar bleibt, wer (konkret) gemeint ist.

Die Philosophie der Stoa

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