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II Die stoische Logik 1. Die Logik im Rahmen des Systems

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Die Stoa gliedert ihre Philosophie, genauer: ihre schulmäßige philosophische Rede bzw. Lehre (ho kata philosophian logos), in Logik, Physik und Ethik.1 Dabei unterschied sie die Theorie von der Praxis (der askēsis bzw. epitēdeusis) des Philosophierens und des philosophisch geführten Lebens.2 Diese Gliederung der Lehre scheint bereits unmittelbar vor ihrer Gründung in der Akademie Platons im Gespräch gewesen zu sein.3 Zenon hat sie wohl von Polemon, einem seiner Lehrer übernommen.4 Die Stoa indessen gibt ihr, anders als die Akademie und der Peripatos,5 eine grundlegende systematische Bedeutung. Und wie keine andere Schule der Zeit betont sie die organische Verbindung der drei Disziplinen und befördert die sogenannte Logik vom bloßen Instrument zum wesentlichen Bestandteil des philosophischen Systems.6 Im Zentrum ihrer Philosophie steht denn auch (neben dem Begriff der Physis) der Begriff des Logos, der, als menschliche Sprachfähigkeit, als gestaltendes Prinzip des Kosmos und Naturgeschehens und als alle Praxis orientierende göttliche Weltvernunft verstanden, die verschiedenen Bereiche zur Einheit eines sinnvollen Ganzen verbindet.

Von ‚Logik‘ spricht die Stoa im weiten Sinn der Wissenschaft von der vernünftigen Weise zu denken und zu reden. Sie umfasst nach heutigem Verständnis die Disziplinen der Sprachphilosophie, der Linguistik bzw. Grammatik und Semantik, der Rhetorik und der Logik im engeren Sinn. Zudem wird letztere noch mit erkenntnistheoretischen Fragen und Themen verwoben. Die grundlegende Leistung der Stoa auf dem Gebiet der Grammatik (im weiten Sinn) war immer bekannt. Geht doch der Grundbestand unserer Grammatik-Nomenklatur auf die Stoa bzw., in ihrem Gefolge, auf die alexandrinischen Philologen des zweiten und ersten vorchristlichen Jahrhunderts zurück. Eigenständigkeit und wissenschaftlicher Wert der stoischen Logik (im engeren Sinn) wurden dagegen erst im 20. Jahrhundert, insbesondere durch den polnischen Logiker Jan Łukasiewicz7 erfasst. Heute weiß man, dass es in der Antike neben der aristotelischen Syllogistik, die (einem Teil) der modernen Prädikatenlogik entspricht, eine stoische Logik bzw. Syllogistik gegeben hat, die in Teilen als Vorläufer der modernen Aussagenlogik anzusehen ist. Gleichwohl gilt es zu beachten, dass die Stoa ihre ‚Logik‘ als Einheit, und nicht, wie wir heute, Sprachwissenschaft, Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und formale Logik als eigenständige wissenschaftliche Disziplinen betrachtet hat.

Logos als der eine Grundbegriff der stoischen Philosophie bedeutet sowohl Sprache als auch Geist und Vernunft. Und Sprache wird sowohl vom phonetischen und syntaktischen als auch vom semantischen Gesichtspunkt aus betrachtet. Ferner diskutiert die Stoa unter ‚Logik‘ die formalen Regeln des korrekten Denkens ebenso wie die Teile der Sprache, durch die Gedanken und Argumente ausgedrückt werden. Dadurch kommen Logik und Grammatik in enge Parallelität. Etwas wissen heißt für die Stoa, eine Aussage behaupten können, die nachweisbar wahr ist. So werden auch Fragen der Verifikation und mit ihr Fragen der Erkenntnistheorie in die ‚Logik‘ integriert. Für die Entwicklung der abendländischen Sprachwissenschaft bzw. Grammatik sind die Leistungen der Stoa bahnbrechend und bis in die Gegenwart von grundlegender Bedeutung.

Die Stoa teilt ihre ‚Logik‘ (im weiten Sinn) als Wissenschaft vom rationalen Diskurs grob in zwei Disziplinen: Rhetorik und Dialektik.8 Was wir heute als Logik bezeichnen, wird in stoischen Texten unter dem Stichwort „Dialektik“ behandelt und der Rhetorik kontrastiert.

Rhetorik ist ihr die Fachkunde vom guten Sprechen (eu legein) in fortlaufender Rede.9 Hinsichtlich kunstvoller Reden unterscheidet sie drei Redetypen: die politische Rede (in Foren der politischen Beratung und Entscheidung), die forensische Rede (der Anklage und Verteidigung vor Gericht) und die enkomiastische Rede (aus Anlass der Ehrung einer Persönlichkeit).10 Alle drei haben ihren Sitz im öffentlichen Leben, während der genuine Rahmen der Dialektik die Schule ist.11 Kunstvolle Reden zielen, im Unterschied zur Dialektik, die Generelles und Universelles erfasst, auf Einzelnes, das alle oder viele Menschen interessiert. Rhetorisch entscheidend ist nach Chrysipp die vernünftige Ordnung in fortlaufender Rede.12

Die Stoa gliedert das rhetorisch relevante Können nach den Bereichen des Auffindens thematisch wichtiger Gesichtspunkte (der Ausdrucksweise, der Anordnung und der Form des Vortrags) und sieht eine gelungene Rededisposition in der Abfolge von Einleitung, Erörterung, Antwort auf mögliche Einwände und resümierendem Schluss.13 Von der Fülle und Schmuckhaftigkeit des Ausdrucks, im Gefolge von Aristoteles und Theophrast anerkanntes, ja bewundertes Merkmal rhetorischen Könnens, hielt die Stoa wenig,14 umso mehr von der Kürze und Prägnanz, von der Klarheit und Direktheit der Worte.15 Rhetorik ist ihr auch nicht, wie üblich, auf das (nur) irgendwie Plausible und plausibel Erscheinende, sondern auf das Wahre verpflichtet.

Überzeugend wirke der gute Geist und Charakter eines Redners; gut reden könne nur der gute Mensch.16 Im Grunde ist, normativ gesehen, für die Stoa nur der Weise ein veritabler Redner.17

Die Stoa spricht von fünf Tugenden der Rede:18 von der Korrektheit der Sprache (hellēnismos, gemeint ist syntaktisch, grammatisch und semantisch richtiges und gehobenes Griechisch), von ihrer Klarheit und Verständlichkeit (saphēneia), von der Kürze der Rede (syntomia), die nicht mehr Worte verwendet als zur erhellenden Darstellung der Sache erforderlich ist, von der sachlichen Angemessenheit (prepeia) und von ihrer geordneten Eleganz (kataskeuē). Auch zwei Laster werden genannt (ebd.): der Barbarismus und der Solözismus, die offensichtlich im Kontrast zur ersten der genannten Tugenden stehen. „Barbarismus“ meint dabei eine Sprache, die vulgär ist bzw. „gegen das Ethos der geachteten Griechen“ verstößt; und „Solözismus“ besagt, dass die Sätze syntaktisch bzw. grammatisch falsch konstruiert sind.

Unter Dialektik versteht die Stoa ganz allgemein die Fachkunde der korrekten dialogisch-argumentativen Rede im Wechselspiel von Frage und Antwort.19 Sie hat zwei umfassende Bereiche der Sprache zum Gegenstand: das Bezeichnende (to sēmainon) und das Bezeichnete (to sēmainomenon). Im Einzelnen behandelt sie jedoch eine Fülle von Themen, außer der Phonetik, Grammatik, Semantik und formalen Logik auch Fragen der Stilistik, Etymologie, Poetik und einiges mehr.20

Diogenes Laertius berichtet: „Chrysipp wurde unter den Dialektikern so berühmt, dass viele Leute der Überzeugung waren, dass, wenn es bei den Göttern eine Dialektik gibt, es nur jene von Chrysipp sein könne“.21 Cicero hält die Stoiker Antipater von Tarsus und Archedem für die principes dialecticorum;22 ihm galten ‚der Synkretist‘ Antiochus von Askalon und die Stoiker als „die Dialektiker“ schlechthin.23 Chrysipp erwies sich gegenüber seinen Vorgängern Zenon und Kleanthes als selbstständiger, ja überragender und ungemein produktiver Denker.24 Es spricht so gut wie alles dafür, dass er und seine unmittelbaren Nachfolger Diogenes von Babylon, Antipater und Archedem von Tarsus für die stoische Logik, insbesondere für die positive Schluss- und Beweislehre und ihren idealsprachlich-formalistischen Zug, aber auch für die Grammatik die originellen und prägenden Gestalten waren und für die spätere Schuldoktrin kanonisch wirkten. Zenon und Kleanthes scheinen sich noch stark an die Megariker bzw. ‚Dialektiker‘ Diodor und Philon angelehnt zu haben,25 während der ‚unorthodoxe‘ frühe Stoiker Ariston von Chios mit seinem Anhang (in kynischer Tradition) die (bevorzugt sich mit Sophismen befassende?) Dialektik für überflüssig und nutzlos, ja schädlich hielt.26

Elementare aussagenlogische Pionierleistungen wie die Unterscheidung einfacher und nicht-einfacher Aussagen und die wahrheitsfunktionale Definition bestimmter aussagenlogischer Junktoren gehen auf die ‚Dialektiker‘ Diodor und Philon zurück, von denen Zenon27 und über diesen Kleanthes und Sphairos lernten. Dabei scheint sich Kleanthes im Vergleich zu Zenon als der produktivere28 und präzisere29 Kopf erwiesen zu haben.

Die Disputierkunst der ‚Dialektiker‘ hat sich offensichtlich auf die Behandlung von Fehl- und Trugschlüssen konzentriert. Die ersten Stoiker folgten ihnen darin, wenngleich nicht ohne gewisse Bedenken gegenüber ihren Haarspaltereien und Betreiben als l’art pour l’art.30 Jedenfalls schien ihnen ein Wissen von der Aufdeckung von Fehlschlüssen und die Lösung gängiger Sophismen wichtig zu sein, zumal man ihnen im disputierfreudigen Athen in Konkurrenz mit geschickten eristischen Philosophen31 sonst hilflos ausgesetzt war.32 Ariston hingegen (und sein Anhang) sah darin nur eine unnütze Beschäftigung mit dialektischen Spitzfindigkeiten. Auch von Physik riet er ab, da ihre Fragen (unter anderem zur Existenz und Seinsweise der Götter) menschliche Erkenntniskraft überstiegen. Er ließ als seriöse Philosophie allein die Ethik gelten.33 Nach Diogenes Laertius hat er in Büchern „Gegen die Dialektiker“ und „Gegen die Rhetoriker“ angeschrieben.34

Möglicherweise wäre die frühe Stoa den skeptischen Angriffen des Akademikers Arkesilaos erlegen, hätte Chrysipp ihre Philosophie nicht mit einem neuen und starken logischen Gerüst gestützt. Innerhalb der Schule war jedenfalls die Meinung verbreitet, die Vorsehung habe Chrysipp noch rechtzeitig als Retter vor der Skepsis des Arkesilaos und später des Karneades geschickt.35 Karneades seinerseits ging bei Diogenes von Babylon in die logische Schule36 und definierte sich dann selbst durch seine Gegnerschaft gegen das Chrysippsche System.37 Die Bilder, mit denen die Stoa die Funktion der ‚Logik‘ im Ganzen des Systems verdeutlicht, entsprechen der unterstellten Rettungs- und Stabilisierungsleistung Chrysipps: Im Vergleich der Philosophie mit einem Ei entspricht die Logik der Schale, im Vergleich mit einem Garten dem Zaun, und in dem mit einer Stadt der Mauer,38 während in Poseidonios’ Bild vom Lebewesen die Logik die Stellung und Funktion der Knochen einnimmt. Dessen Vergleich wollte unmissverständlich die untrennbare Einheit der drei stoischen Disziplinen zum Ausdruck bringen.39

Die sog. mittlere und späte Stoa sah keinen Grund mehr, von der Logik Chrysipps in wesentlichen Punkten abzuweichen; der skeptische Gegner klagte ironisch, die Stoiker folgten Chrysipp wie dem Delphischen Orakel.40 Panaitios und Poseidonios41 zeigten, soweit aus den Fragmenten und Testimonien ersichtlich ist, keinerlei Aversion, jedoch auch kein gesteigertes Interesse an Logik. Gleichwohl hielten auch sie, wie das erwähnte Bild des Poseidonios belegt, die Logik für einen wesentlichen, ja integralen Teil der Philosophie. Poseidonios selbst scheint ein verstärktes Interesse an Rhetorik und Poetik entwickelt zu haben.42 Von Stoikern der Kaiserzeit wissen wir, dass man in der Schule Chrysippexegese betrieb und auf ein solides, wenngleich nicht übertriebenes Studium der Logik Wert legte.43 Die schulische Theorie sollte der rechten Praxis dienen; das Ziel des Unterrichts galt allem voran, im Alltag keinem Irrtum zu verfallen und nur Wahres zu sagen.44

Die schulische Theorie und Unterweisung war zu verinnerlichen und zu einer festen Disposition des Wissens, Wollens und Könnens auszuprägen. Und das bezog sich auf alle drei Disziplinen in gleicher Weise.45 Die Stoa sprach von der Tugend (aretē) der Dialektik ebenso wie von der Tugend der Physik und der Ethik.46 Diese fundamentalen Tugenden47 als Dispositionen des Geistes bedingen sich in ihren Augen gegenseitig;48 sie bekleiden alle denselben Rang; sie bilden eine untrennbare Einheit; man kann nicht in ethischer oder naturphilosophischer Hinsicht exzellent sein und in dialektischer Hinsicht nicht; wer eine der Tugenden besitzt, besitzt sie alle.49 Sie konstituieren das, was die Stoa Weisheit (sophia) nennt, eine Disposition, in der Theorie und Praxis sich untrennbar verbinden,50 und durch die, als wahre Lebenskunst (technē toû biou), das menschliche Leben vollendet geführt wird.51 Was die philosophische Unterweisung betrifft, so begann Chrysipp, nach dem Zeugnis von Diogenes Laertius52 und Plutarch53 mit der Logik,54 weil sie, nach genereller Überzeugung der Schule „alles Übrige prüft und beurteilt“55 und den Verstand in seinen Aussagen und Orientierungen sicher macht.56

Die Philosophie der Stoa

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