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3. Das Sagbare (lekton)

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Die Stoiker verbanden in ihrer Dialektik aufs Engste grammatische, semantische und logische Überlegungen. In ihrem Zentrum steht die Theorie des lekton113 und in dieser wiederum die des axiōma. „To lekton“ kann man sowohl mit „das Gesagte“ als auch mit „das Sagbare“ übersetzen; doch „das Sagbare“ dürfte im Deutschen am besten die stoische Verwendung des Ausdrucks treffen. Für ein (vollständiges) lekton steht häufig bedeutungsgleich „die (bezeichnete) Sache (to sēmainomenon prâgma)“. Die wichtigsten Quellen sind SE AM VIII, 69–74; 11–12 und DL VII, 57; 63–68. Zur Vermeidung von Missverständnissen gilt es, entsprechend der stoischen Theorie, die (physisch-akustische und mentale) Sprachebene, die Vorstellungs- bzw. Denkebene, die Bedeutungsebene und die Ebene der Dinge in der Welt genau zu unterscheiden. Das lekton gehört zur Bedeutungsebene, zu den sēmainomena. Funktionsbasis des Sprechens und Denkens ist die Sprachfähigkeit (der logos), die im Verstand (dianoia) gründet, der seinerseits eine Teilfunktion des menschlichen Zentralorgans (des hēgemonikon) darstellt. Sprechen und Denken zählen ebenso zum Bestand der materiellen Welt wie die (körperlichen) Dinge (ta ektos; ta tyngchanonta), über die gesprochen wird; das lekton allein ist unkörperlich.114 Die Stoiker wandten sich gegen eine mentalistische Semantik: ‚Das Wahre und Falsche‘ liege weder in einer bedeutungsvollen (satzhaften) stimmlichen Verlautbarung (phōnē sēmantikē) noch im mentalen Vollzug eines Gedankens (kinēma tês dianoias) bzw. einer in einem Satz formulierbaren Vorstellung (phantasia logikē bzw. noēsis), sondern im lekton, genauer: in einer Art des lekton, im axiōma, d.h. in einem lekton, das eine Behauptung zulässt (lekton apophanton).115 Ein lekton, so die Stoa, ist das, was der satzhaften Vorstellung entspricht, was ihr an (objektivem) Gehalt voraus- und zugrundeliegt (to kata logikēn phantasian hyphhistamenon).116 Lekta lassen sich demnach als das verstehen, was von etwas und zu jemandem sagbar ist, als Inbegriff von (über Gedanken fassbaren und in Sätzen formulierbaren) Bedeutungen, die einen geistigen Zugang zur Welt und eine geistige Kommunikation und (objektive bzw. intersubjektive) Verständigung mit anderen erst ermöglichen.117 Was ihre Immaterialität betrifft, so sahen die Stoiker sie möglicherweise darin begründet, dass sie nicht der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich, wohl aber jedem verständlich sind, der über die entsprechende Sprache verfügt. Ist doch die über eine bedeutungsvolle stimmliche Verlautbarung ausgewiesene Sache etwas, „das wir als etwas Bestehendes mit unserem Verstand erfassen, die Nicht-Griechisch-Sprechenden (hoi barbaroi) jedoch nicht verstehen, auch wenn sie die stimmliche Verlautbarung hören“.118

Unkörperlich ist nach stoischem Verständnis, „was von Körperlichem eingenommen werden kann, aber nicht eingenommen ist“.119 Obgleich sich diese Bestimmung, wie wir sehen werden, primär auf das räumlich Leere (to kenon) bezieht, könnte die Gedankenbrücke so verlaufen: Wie alles mögliche Körperliche Leeres (als ‚Behälter‘ verstanden) ausfüllen kann, kann alles mögliche Materielle (natürlich vorzüglich Akustisches, ‚geschlagene und artikulierte Luft‘) als Symbolträger für lekta fungieren.

Was die Arten von lekta betrifft, so werden ‚sprachpragmatisch‘ Aussagen bzw. Behauptungen (axiōmata), Fragen (erōtēmata bzw. pysmata), Befehle (prostaktika), Eide (horkika), Gebete (euktika), Bitten und Wünsche (oratika) sowie Hypothesen bzw. Ekthesen und Appelle unterschieden.120 Dabei sind lekta entweder Aussagen oder Fragen oder Bitten etc., somit nicht als Sachverhalte zu denken, die (als ein und dieselben) in den verschiedenen Sprechakten unterschiedlich verwendet werden. Vielmehr ist im jeweiligen lekton bzw. prâgma die Art der Verwendung, nicht zuletzt auch der Zeitumstand eingeschlossen.121

Entsprechend dem Verständnis von Dialektik als Kunst der Diskussion in Frage und Antwort122 erfährt die Frage besondere Aufmerksamkeit. Unter erōtēma ist eine Frage zu verstehen, die mit ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ zu beantworten ist, während pysma eine Frage darstellt, die als Antwort einen Satz erfordert. Diogenes Laertius erwähnt (VII, 68) einen dritten Fragetypus (epaporētikon ti prâgma), der auf eine Aporie zielt und keine eindeutige Ja/Nein-Antwort zulässt (etwa: „Sind nicht Schmerz und Leben etwas Verwandtes?“).

Besonderes systematisches Interesse richtet sich auch auf die Imperative. Versteht doch die Stoa genuin menschliche Impulse (hormai) als Selbstaufforderung, dahingehend, dass „die Vernunft des Menschen ihm zu handeln gebietet“.123 Ein Handlungsimpuls und ein Befehl sind der Struktur und der Funktion nach gleich, nur dass der Befehl sich an einen anderen, der Impuls aber an einen selbst richtet.

Fragen und Befehle sind nicht wahr oder falsch. Die Eigenschaft, wahr oder falsch zu sein, kommt bei Befehlen erst ins Spiel, wenn sie von der (propositionalen) Vorstellung begleitet sind, dass es gut sei, diesen Befehl zu geben bzw. dem Impuls zu folgen.124 Eide können in gutem Glauben (euorkeîn) oder unaufrichtig (epiorkeîn) geleistet werden; und das, worauf man sich eidlich verpflichtet (to omnymenon), ist wahr oder falsch bzw. wird wahr oder falsch sein.125

Eine eigene Rolle spielen, vor allem im wissenschaftlichen Diskurs, Hypothesen und Ekthesen (bei geometrischen Gegenständen).126 Sie werden dort eingeführt, wo sich, im Rahmen eines dialektischen Gesprächs, die Partner, zum Zweck des Anfangs oder Fortgangs einer Argumentation, auf Prämissen einigen müssen, deren Wahr- oder Falschsein (zumindest ad hoc) nicht feststellbar ist. Ihr Wahrheitswert wird suspendiert, um über sie im Verlauf der Argumentation zu Aussagen zu gelangen, die wahr sind.127

Dies entspricht dem Gedanken, dass Teilsätze in Disjunktionen (Entweder-Oder) und Konditionalsätzen (Wenn-Dann) ohne behauptende Kraft verwendet werden, während der ganze komplexe Satz im Behauptungsmodus steht. Im Zusammenhang der Logik im engeren Sinn hat die Stoa neben den Aussagen nur den Hypothesen128 und den Imperativen129 ihre Aufmerksamkeit gewidmet.

Die Stoa spricht vom vollständigen und unvollständigen lekton (lekton autoteles – lekton ellipes).130 Nur ein vollständiges lekton, in einem vollständigen Satz geäußert, ergibt ein sinnvolles Verständnis. Vollständige Lekta lassen sich entsprechend abgeschlossenen Sätzen und Gedanken in wesentliche Teile bzw. Elemente auflösen und zusammenfügen (Fälle, Prädikate, Partikel, Konjunktiva).131 Ein Prädikat (katēgorēma) muss mit einem „geraden Fall“ (orthē ptôsis), grammatisch gesehen einem Nominativ verbunden sein, um eine Aussage (axiōma) zu bilden.132 Und nur Aussagen sind wahr oder falsch.133 Die Stoiker entwickelten offensichtlich eine (semantische) Syntax der lekta.134 Manches spricht dafür, dass sie primär isolierte Prädikate in ihren verschiedenen semantischen Formen als unvollständige lekta betrachteten.135

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