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AUS DER VOGELPERSPEKTIVE

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Ein Gefühl von Unbehagen machte sich in ihm breit. Er hatte es nun nicht mehr selbst in der Hand. Den Entscheidern bei der National Football League (NFL) lagen alle nötigen Unterlagen vor – die finanziellen Garantien, die Konzepte der Gruppe, die Namen der Beteiligten.

Da stand er, in seinem Arbeitszimmer, in diesem noch recht neuen, klotzförmigen Bürogebäude am südlichen Zipfel des Lake Union mit Downtown Seattle direkt im Rücken, und ließ den Blick übers Wasser schweifen. Über die weißen Boote, die im sanften Wellengang schaukelten, rüber zu dem Wasserflugzeug, das just in diesem Moment mit zwei etwas unbeholfen anmutenden Hüpfern seine Schwimmflächen auf den See setzte. Und er fragte sich: Hatte er wirklich alles getan, um seiner Stadt nach jahrelangem Warten endlich das ersehnte NFL-Team zu bescheren?

Fehlende Hingabe konnte man ihm nicht vorwerfen. Er hatte die Mehrheitsanteile an seinen geliebten Portland Trail Blazers aus der US-Basketballliga NBA verkauft. Die NFL verlangte dies – und so sehr er mit den Vorgaben der Liga haderte, sah er für den Football in Seattle eine zu große Zukunft, als dass er das Vorhaben wegen einer Formalie hätte platzen lassen wollen. Er hatte eine Gruppe Investoren – angesehene und finanzkräftige Herren aus Seattle – zusammengetrommelt, um das Expansionsteam zu kaufen. Er war sich sicher, dass dies eine gute Investition für die Region sein würde.

Das Näschen für gute Geschäfte hatte er von seinem Vater geerbt, einem Kaufmann. Eigentlich wollte er nach Abschluss der High School an der University of Washington Journalismus studieren, denn er mochte das Schreiben. Er hatte schon damals für die Schülerzeitung Sportberichte verfasst. Wieso also nicht darauf aufbauen? Doch nach der Rückkehr aus Übersee – er war zunächst bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Fernmeldetruppe in Japan stationiert gewesen – belegte er an der Uni Businesskurse.

Ein Freund seines Vaters bot ihm in den Semesterferien ein Praktikum in der Immobilienbranche in Oakland an. Er nahm an, tauchte ein ins Baugeschäft und ließ den Journalismus hinter sich. Nach dem Studium zog er für eine Festanstellung nach Nordkalifornien. Sein 20-jähriges Ich wollte raus aus dem Elternhaus in Capitol Hill, einem Stadtteil von Seattle.

Er fühlte sich auf Anhieb wohl in Oakland. Im Beruf lernte er schnell hinzu und Fertighäuser verkauften sich gerade prächtig. Alles lief perfekt – bis ihn sein Chef nach zwei Jahren aus dem Nichts vor die Wahl stellte: entweder zurück nach Seattle gehen und dort die Geschäfte der Firma fortführen oder gefeuert werden. Und weil er seinen Job nicht verlieren wollte, kehrte er zurück in den Pacific Northwest und versuchte, in Tacoma, im Süden von Seattle, die nagelneuen Bauobjekte seiner Firma zu verkaufen. Doch niemand im nassen, kühlen Nordwesten wollte Häuser im kalifornischen Stil. Sein Chef erkannte das viel zu spät. Er wollte fortan nichts mehr mit dem Projekt zu tun haben und übergab es an seinen Schützling. Und was machte der? Er verkaufte dank ein paar Veränderungen an den Immobilien und mit der Hilfe eines befreundeten Maklers alle Häuser und hatte 1952 seine ersten 10.000 US-Dollar auf dem Konto.

Mit der neuen Freiheit des eigenen Geldes kaufte er seiner damaligen Freundin einen Verlobungsring und für sein fortan eigenständig geführtes Business neue Grundstücke. Er investierte, verkaufte und reinvestierte – und tat das irgendwann nicht mehr nur auf dem Häusermarkt in Tacoma, sondern im ganzen US-Bundesstaat Washington und die Pazifikküste hinunter. Und dann auch außerhalb der zockfreudigen Immobilienbranche: in der Pferdezucht und im Sport.

1970 hatte er die Möglichkeit, für 3,7 Millionen US-Dollar ein Profi-Basketballteam nach Portland, Oregon, zu holen – und wurde Mehrheitseigner bei den Trail Blazers.

Zweifellos hatten er und sein General Manager in Portland gerade zu Beginn viele Fehler gemacht, das wollte er nicht beschönigen. Sie hatten Verantwortliche ohne NBA-Erfahrung verpflichtet, mehrfach den Cheftrainer gewechselt und in den ersten Jahren nur wenige Spiele gewonnen. Erst mit der Verpflichtung eines jungen und hochtalentierten Centers namens Bill Walton schien langsam Ruhe einzukehren bei den Trail Blazers. Das Team spielte erstmals seit seiner Gründung wirklich vielversprechenden Basketball.

Eine neue Sportorganisation aufzubauen und zu etablieren, das war eine Herkulesaufgabe, schwieriger als jeder einzelne seiner Immobiliendeals zuvor. Er war dankbar für diese intensive Zeit. Die lehrreichen Erfahrungen – die Schwierigkeiten der ersten Jahre und die Fehler bei der Auswahl des Personals – konnte ihm keiner mehr nehmen.

Er blickte noch einmal hinüber zu den Wasserflugzeugen auf dem Lake Union, wo sich gerade wieder eine Propellermaschine mühsam in Bewegung setzte. Er stellte sich vor, wie sie gleich abheben, an den schwimmenden Häusern vorbei und über die alte Kohlevergasungsanlage mit ihren verrosteten Rohren in den Himmel steigen würde. Dann leicht in Richtung Westen abdrehen und über die George Washington Memorial Bridge fliegen würde, unter der ein nach dem Stadtteil Fremont benannter Troll aus Stahl und Beton hauste.

Vielleicht würde das Flugzeug dann eine Kurve nach Westen machen in Richtung Bainbridge Island. Auf dem Weg über die Elliot Bay könnten seine Insassen an klaren Tagen einen Blick auf die schneebedeckten Berge der olympischen Halbinsel erhaschen. Unten im Wasser würde sich gerade eine Fähre ihren Weg durch die Wellen bahnen, mit Kurs auf Colman Dock am südlichen Ende von Seattles Hafenviertel.

In all den Jahren des Geschäftemachens an der weiten Pazifikküste hatte er die Stadt und ihre Schönheit zwischen Wasser und Wäldern, zwischen dem erhabenen Mount Rainier und den verzweigten Inseln des Puget Sound nie vergessen. Nun wollte er seine Erfahrungen hier in Seattle und für Seattle einbringen.

Die Maschine würde jetzt direkt über die City fliegen, rechts vorbei am 1914 erbauten Smith Tower, dem bis zur Fertigstellung der futuristischen Space Needle höchsten freistehenden Bauwerk an der Westküste, und dann weiter gen Süden. Vor seinem geistigen Auge entdeckte er nun auch endlich die wellenförmigen Betonstreifen an den Außenseiten des King County Multipurpose Stadiums, kurz Kingdome. Bald würden dort, am Rande des Stadtzentrums, wo jetzt eine Großbaustelle lärmte, hoffentlich tausende Fans einem American-Football-Team zujubeln.

Das Flugzeug würde nun kehrtmachen und in einer großzügigen Runde über den weiter östlich gelegenen Lake Washington und den Campus der gleichnamigen Universität hinweg an seinen Ausgangspunkt zurückkehren. Es würde etwas unsanft, aber vom Wasser abgefedert, auf dem See aufsetzen.

Der Gedanke an die ruckelige Landung holte ihn aus seinem Tagtraum zurück in die Gegenwart. Er konnte jetzt der Stadt, die 1937 einen 12-jährigen Buben aus Deutschland nach langer Reise willkommen hieß, die ihn seit seiner Ankunft im Pacific Northwest so gut behandelte, die sein Zuhause war, eine große Freude bereiten. Er hatte sich dazu entschlossen, viel in dieses Geschenk für seine Heimatstadt zu investieren. Aus Dankbarkeit. Aus Lust, Neues zu wagen. Aus Liebe zum Sport.

Ja, er – Herman Sarkowsky – war sich sicher, er hatte alles in seiner Macht Stehende getan, um Seattle zu einem NFL-Team zu verhelfen. Nun konnte er nur noch darauf hoffen, von der Liga den Zuschlag zu bekommen.

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