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EIN FEDERKLEID FÜRS TEAM

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Rund eineinhalb Jahre vor dem ersten Spiel der Seattle No-Names begann nun also die Suche nach einem General Manager, einem Head Coach – und natürlich einer Identität fürs Team.

Es muss bei einem Abendessen bei einem Ligameeting in Hawaii gewesen sein, so jedenfalls rekapituliert es der im März 1975 ernannte General Manager John Thompson. Man habe am Tisch gesessen, habe Logoentwürfe und Namensideen auf Servietten gekritzelt, erinnert sich Cathy Sarkowsky, die Tochter des im November 2014 verstorbenen Teambesitzers.

Thompson, so erzählte er es einst selbst, habe vorgeschlagen, einen Wettbewerb für die Namensfindung auszurichten – und so kam es dann auch. Bis Ende Mai hatten Fans Zeit, Namensvorschläge an die Seattle Professional Football Inc. zu senden. Nach einem Tag lagen 1.171 Zuschriften mit 300 Ideen im Briefkasten, am Ende der Frist waren es sogar 1.741 Vorschläge aus 20.365 Einsendungen.

Neben den fünf Favoriten Seahawks, Sockeyes, Mariners, Evergreens und Olympics waren auch abenteuerliche Namen dabei, die man für erlogen hielte, hätten nicht die Seahawks selbst sie vor einigen Jahren bestätigt.

Die Seattle About Timers hätten das lange Warten der Fans auf eine Franchise symbolisiert. Die Seattle Running Salmon wären womöglich entgegen der Strömung, entgegen allen Widerständen, flussaufwärts geschwommen. Die Seattle Killer Whales und Seattle Vampires hätten in der Unterhaltungsindustrie irgendwann Konkurrenz durch den Kinofilm Free Willy und die Twilight-Romane bekommen. Die Seattle Bigfoots oder Seattle Sasquatches wären wohl genauso belächelt worden wie die Seattle Identified Flying Objects, weil sie wie ihre Namen der menschlichen Fantasie entsprungen sind. Die Seattle Space Needlers hätten den SuperSonics das Logo streitig gemacht. Bei den Seattle 747s wäre schwarzer Flugzeughumor in jeder Schwächephase des Teams unvermeidbar gewesen. Und die Washington Georges dürften im Jahr 2021 in der US-Hauptstadt unter den Vorschlägen auftauchen, wo sich das Team gerade von seinem rassistischen Namen getrennt hat.

Zwei Wochen nach Fristende, am 17. Juni, entschieden sich Sarkowsky, Nordstrom und Thompson per Abstimmung für die Alliteration. Für den einheimischen und aggressiven Titel. Für die Seattle Seahawks. Zuvor hatten diesen Namen nur eine kurzlebige Football-Franchise aus Miami und Seattles unterklassiges Eishockeyteam temporär in den 1940er- und 1950er-Jahren verwendet.

Der von über 150 Personen eingereichte Vorschlag hörte sich nach einem angriffslustigen Vogel an, so die Teambesitzer. Die im Losverfahren bestimmte Gewinnerin des Namenswettbewerbs, Hazel Cooke, erzählte nach der Bekanntgabe, sie habe Seahawks vorgeschlagen, weil der Hawk ein stolzes, mutiges, leidenschaftliches Tier sei. Sie hoffe, dass sich das Team daran orientiere. Als Dauerkartenbesitzerin konnte sie sich im ersten Jahr direkt ein Bild davon machen.

Bei den Farben und beim Logo waren die Seahawks an Vorgaben der NFL gebunden: Königsblau, Grün und Silbergrau. Die Liga hatte sich dabei an den Tönen des Nordwestens orientiert, am Ozean und an den Wäldern. Das Silber der Helme würde im Flutlicht des Kingdomes tolle Reflexionen erzeugen, waren sich die Teambesitzer sicher.

Über die Jahre wandelte sich die Corporate Identity der Seahawks wie die Töne von Meer und Bäumen – von hell zu dunkel und von dunkel zu hell. 2002 wurde aus dem silbergrauen Helm per Fanvoting ein blauer. Zum Königsblau gesellte sich das dunklere Navy Blue. Aus einem kräftigen Grün wurde ein saftiges, fast giftiges. Es kam 2009 auf einem Ausweichtrikot erstmals zum Einsatz – und landete nach einer Niederlage direkt in der hintersten Ecke der Kleiderkammer.

Erst mit der durch den Ausrüsterwechsel von Reebok zu Nike angestoßenen Trikotrevolution etablierte sich bei den Seahawks 2012 das tiefe Blau als primäre Farbe. Farbklekse in leuchtendem Action Green, stellvertretend für die vom Regen verwöhnte Region, sorgten für starken Kontrast. Weiße Akzente für die schneebedeckten Bergspitzen der Region und Wolfsgrau für die Regenwolken über der Stadt komplettierten den neuen Look. Nur das Logo war fortan und zum Unmut vieler Fans nicht mehr auf den Ärmeln der Spieler zu finden, sondern nur noch exklusiv auf den Helmen.

Bei dem Symbol, das die Seahawks auf ihren Helmen trugen, ließen sich die NFL-Designer 1975 von einer indigenen Kwakwaka’wakw-Transformationsmaske aus der Kultur des Nordwestens inspirieren. Zu der Zeit, als das Logo der neuen Franchise entstand, gehörten Stämme aus Alaska und dem nördlichen British Columbia mit ihrer Masken- und Totempfahlkunst zu den bekannteren im Pacific Northwest. Sie erfreuten sich in Seattle großer Popularität, doch der Grund dafür ist kontrovers.

Immer wieder fuhren Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts Touristen und Goldsuchende auf Dampfschiffen die Küste gen Norden entlang und entdeckten auf dem Weg nach Nordkanada und Alaska die Totempfähle der Einheimischen. Dass bei solchen Expeditionen die Kunstwerke, Eigentum der Stämme, gestohlen wurden, beweist der Pfahl, der heute als Replik auf dem Pioneer Square in Seattles Zentrum steht.

Er war im Original bei einer Reise von Geschäftsleuten und Künstlern aus Seattle im September 1899 bei einem Zwischenstopp auf Tongass Island aus dem Eigentum des Tlingit-Volkes, dem Rabenstamm, entwendet worden. Ein führender Matrose der Schiffsreise sollte anschließend erzählen, dass die Einheimischen zum Zeitpunkt des Diebstahls alle beim Fischen gewesen seien. „Nur einer war in seinem Haus geblieben und sah zu Tode erschrocken aus“, so R. D. McGillvery, der weiter ausführte: „Wir suchten uns den schönsten Totempfahl aus.“ Mit mehreren Kollegen fällte er den Pfahl, zersägte ihn ob seiner Größe in zwei Teile und verlud ihn auf dem Schiff, wofür er von den Expeditionsmitgliedern 2,50 US-Dollar erhielt. Nach ihrer Rückkehr schenkten die Schiffsreisenden den gestohlenen Totempfahl der Stadt Seattle. Die aber kennzeichnete ihn nicht als Diebstahl, sondern schuf eine Heldengeschichte vom vor Zerstörung geretteten Kulturgut und machte den Pfahl zum Symbol für Seattle als „Gateway to Alaska“.

Noch immer steht er – nach Vandalismus im Jahr 1938 irreparabel zerstört und durch eine von Nachfahren der Tlingit geschnitzte Replik ersetzt – im Zentrum von Seattle, obwohl die einheimischen Stämme traditionell keine Totempfähle anfertigen.

Die Tlingit forderten nach dem Diebstahl aus ihrem Dorf rechtliche Konsequenzen und eine Entschädigung von 20.000 US-Dollar, erhielten am Ende aber nur deren 500. Ihre Vorwürfe wurden von einem Anwalt angefochten, der selbst bei der Expedition dabei gewesen war. Die Klage wurde schließlich von einem Richter abgewehrt, der Tage zuvor bei einem Besuch im Rainier Club, einem Gentlemen’s Club in Seattle, sehr gut unterhalten worden sein soll.

Trotz dieses historischen Makels sind die Pfähle zu einer im Tourismus der Stadt verwendeten Symbolik geworden, derer sich wohl auch die NFL bediente, als sie 1974 das Logo der Seahawks entwarf. General Manager John Thompson bestätigte bereits 1975 im Seattle Post-Intelligencer, dass die Design-Taskforce der NFL sich beim Entwurf auf einen Kunstband bezogen hatte, der die Kultur indigener Völker festhielt.

In Robert Bruce Inveraritys 1950 veröffentlichtem Buch mit dem Titel Art of the northwest coast indians findet sich die Maske, auf der das Seahawks-Logo basiert. In ihrer geschlossenen Form stellt sie einen Adler dar, geöffnet ein menschliches Gesicht. Verortet wird sie zwischen Alaska und Seattle, auf der Nordostseite von Vancouver Island in Kanada.

Angemessener wäre es gewesen, wenn die Liga sich von der Kunst der im Raum Seattle beheimateten Suquamish und Duwamish, zweier Stämme der Küsten-Salish, hätte inspirieren lassen. Deren Häuptling, Chief Sealth, ist Namensgeber von Seattle und ziert das Siegel der Stadt.

Nachdem Name, Farben und Logo geklärt waren, blieb die Frage: Was ist eigentlich ein Seahawk? Die deutsche Wikipedia-Seite definiert den Seahawk sinngemäß übersetzt als Fischadler (im Englischen: Osprey), der laut Naturschutzbund Deutschland (NABU) hierzulande selten geworden und nur noch im Nordosten anzutreffen ist.

John Hinterberger, damals Kolumnist für die Seattle Times, begab sich am Tag nach der Bekanntgabe in einem amüsanten Text auf die Suche nach einer präzisen Antwort. Er studierte Enzyklopädien und Vogelführer für den nordamerikanischen Raum und kam zu dem Schluss, dass Seahawk ein Spitzname sein müsse für den Skua, eine Art Raubmöwe. Dieses Tier passte ganz gut zu einem American-Football-Team. Der Skua ist tollkühn, er attackiert Möwen und andere fischfressende Vögel in der Luft über dem Wasser, bis diese ihren Fang fallen lassen. Als guter Flieger schnappt er sich die fallen gelassene Beute seines Kontrahenten noch im Flug. Das klingt nach einem wahren Ballhawk, wie ihn Jahrzehnte später die Defensive der Seahawks in mehrfacher Ausführung hervorbringen würde. Bedenklich – und ebenfalls ein Vorbote ereignisreicher Zeiten: Skuas sind Einzelgänger, die nur Attacke im Kopf haben. Das geht so weit, dass sie ihre eigenen Eier und ihre Jungen fressen oder ihr Nest in der Nähe von anderen Vögeln bauen – und das gewiss nicht zur Kontaktpflege.

Das Nest ist ein gutes Stichwort: Die Seahawks bauten ihres im (fast) natürlichen Habitat des Skuas, am nordöstlichen Ufer des Lake Washington in Kirkland. Bei der Konstruktion auf einem Grundstück Ned Skinners verwendeten sie wie ihr Wappentier viel Holz. Mit seinen vertäfelten Außenwänden, schlichten Balkons und flachen Walmdächern sah Seattles Hauptquartier einer Kaserne zum Verwechseln ähnlich. Zu diesem Zeitpunkt ahnte aber wohl noch niemand, dass der erste Trainer der Seahawks sich nahtlos in diesen militärischen Stil einfügen würde.

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