Читать книгу American Football - Die Seattle Seahawks - Maximilian Länge - Страница 8
ОглавлениеPROLOG
Wir gingen, als wir die Plakate an den Schaufenstern der Geschäfte sahen. „Deutsche! Wehrt euch!“, stand da schwarz auf weiß – und: „Kauft nicht beim Juden!“
So ließen wir, die Familie Sarkowsky, Deutschland hinter uns. Thüringen. Gera, wo ich, Herman, am 9. Juni 1925 zur Welt kam. Meerane, wo wir lebten. Vaters Konfektionshaus in der Badergasse 2, wo ich beim Verkaufen half. Unsere Wohnung in der Zwickauer Straße 56, wo ich mit meinen Brüdern Leo und Fritz aufwuchs.
Für unsere Eltern war es nicht der erste Aufbruch, aber wohl der schmerzhafteste. Meine Mutter Paula stammte ursprünglich aus Polen. Mein Vater Irving, den alle Itsche nannten, kam als kleines Kind während eines Pogroms von Russland nach Deutschland. Sie hatten sich immer als Deutsche gefühlt. Waren in Deutschland aufgewachsen. Hatten sich dort kennengelernt, geheiratet und drei Kinder bekommen. Sich ein Geschäft aufgebaut.
Doch als die NSDAP 1932 stärkste Partei wurde und mit ihr der Antisemitismus seinen festen Platz in der Gesellschaft gefunden hatte, wusste mein Vater, dass Deutschland nicht mehr der Ort war, an dem er mit seiner jüdisch-orthodoxen Familie leben wollte.
Er war in den Tagen vor unserem Aufbruch immer wieder fort gewesen. Hatte Silber, Geld und Gut über die Grenze geschmuggelt. Alle hielten ihn für verrückt, weil er solch große Angst vor Hitler hatte. Mutter wollte nicht gehen, doch meinen Vater ließ dieses ungute Gefühl einfach nicht los. Er hatte verzweifelt versucht, unsere Verwandtschaft ebenfalls zum Aufbruch zu überreden, aber nur ein Cousin hörte auf ihn.
Wenn ich darüber nachdenke, ist Aufbruch eigentlich das falsche Wort. Wir brachen nicht auf, sondern unser Leben in Deutschland ab. Wir brachten uns vor den Nazis in Sicherheit. Wir flohen – auch wenn die Flucht sich recht gemütlich anfühlte, denn wir fuhren ohne Probleme mit dem Auto über die Grenze zur Tschechoslowakei. Das war 1934, da war ich gerade neun Jahre alt, meine Brüder sieben und elf. Herausgerissen aus unserer Kindheit.
Wir lebten für kurze Zeit in Karlsbad. Mein Vater, ein willensstarker Mann mit Geschäftssinn und einem guten Plan, wusste da bereits, dass er in die USA wollte. Anfang 1935 bekamen wir unsere Visa und buchten die Überfahrt von Bordeaux in Frankreich nach New York. Wir überquerten den Atlantik auf der „SS Washington“, was sich später als sehr passend herausstellen würde.
In Brooklyn hatten wir es als Immigrants und trotz finanzieller Rücklagen nicht leicht. Neues Land, neue Sprache, neue Kultur. Wir Kinder kannten kein Wort Englisch, als wir in den USA ankamen.
Vater fühlte sich in der großen City nicht wohl, denn er kam aus einer Kleinstadt. So entschied er sich bald, ins Pelzgeschäft einzusteigen, dessen Zentrum im Westen lag. Also packten wir nach knapp zwei Jahren an der Ostküste erneut unsere Koffer. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir kurz vor Thanksgiving 1937, nach sechs Tagen Eisenbahnfahrt, in Seattle im US-Bundesstaat Washington eintrafen.