Читать книгу American Football - Die Seattle Seahawks - Maximilian Länge - Страница 12
DER TRAUM VOM FLIEGEN
ОглавлениеDer Hunger nach Profisport existierte in Seattle bereits vor dem Durchbruch einer gewissen Basketballmannschaft in den 1960er-Jahren. Lange vor den SuperSonics und noch länger vor dem Aufstieg ihres Leverkusener Star-Forwards Detlef „Det the Threat“ Schrempf, hatten die Eishockeyspieler der Seattle Metropolitans von 1915 bis 1924 den professionellen Sport temporär in der Stadt angesiedelt – und mit ihm sogar den Stanley Cup, die nordamerikanische Meisterschaft.
Doch so schnell die Mets Erfolg in die Stadt gebracht hatten, so schnell waren sie auch wieder weg, als sie vor ihrer zehnten Saison ohne Eisstadion dastanden. Die Seattle Ice Arena wurde in eine große Garage umfunktioniert, das Team aufgelöst. Zurück blieben eine enttäuschte Fanbasis – und jede Menge neuer Parkplätze für eine rasch wachsende Stadt.
Die erhoffte nachhaltige Beziehung zwischen einem Profiteam und Seattle entwickelte sich erst ab 1967 mit den erwähnten SuperSonics, die zu dieser Zeit das einzige Major-League-Team in der Region waren. Benannt war die Basketballmannschaft ganz avantgardistisch nach der sogenannten Supersonic Transport Division, in der die in der Gegend ansässige Firma Boeing an einem revolutionären Überschallflugzeug tüftelte. Das Forschungsprojekt wurde 1971 eingestellt. Die Basketball-SuperSonics aber blieben – zumindest vorläufig.
Gestillt war das Verlangen nach Unterhaltung bei den sportbegeisterten Seattleites damit keineswegs. Der Traum vom professionellen American Football war nicht erst auf Initiative von Herman Sarkowsky und seinen Mitstreitern groß. Seit Mitte der 1950er-Jahre hatten immer wieder Investorengruppen versucht, ein Team nach Seattle zu holen, doch alle scheiterten an der nicht in adäquatem Format vorhandenen Unterkunft.
Das größte Hindernis für eine weitere Major-League-Franchise – so werden die einem großen Sport-Dachverband angehörigen, aber privat geführten Organisationen in den USA genannt – war seit den 1950er-Jahren die Tatsache, dass der Metropole ein zeitgerechtes Stadion für Outdoorveranstaltungen fehlte, um große Zuschauermassen zu beherbergen.
In einem Sportsystem, das den Argumenten Geld und Immobilien immer die größte Aufmerksamkeit gewidmet hat, war dies ein absoluter Dealbreaker. Ohne moderne Spielstätte würde keine namhafte Profiliga die Stadt als ernst zu nehmenden Expansionskandidaten betrachten, geschweige denn ihr ein Team zusagen.
Darin bestand das Problem. Denn gleichzeitig würde es ohne zugesagtes Team schwer sein, die Finanzierung eines Stadions zu realisieren. Schließlich wäre eine leer stehende Spielstätte weder erstrebenswert noch rentabel.
Diese Pattsituation geriet erst aus dem lähmenden Gleichgewicht, als der örtliche Bezirk King County im Februar 1968 im dritten Anlauf Anleihen in Höhe von rund 40 Millionen US-Dollar für den Bau eines überdachten Stadions bewilligte. Jetzt war nicht nur die NFL daran interessiert, in eine nagelneue Spielstätte in Seattle einzuziehen. Auch die Major League Baseball (MLB) wollte nun eine Franchise im Pacific Northwest ansiedeln.
Im Juni 1974 stimmten die 26 Teambesitzer der NFL auf Empfehlung des Expansionskomitees über Seattle als neuen Ligastandort ab. Die Bewerberstadt benötigte die Zusage von 20 der 26 Stimmberechtigten, erreichte am Ende aber eine nahezu einstimmige Entscheidung. Wenige Monate nach der Aufnahme Tampa Bays als 27. wurde also Seattle zum 28. Team der National Football League. Als NFL-Chef Pete Rozelle die Expansion bekannt gab, hatte sich die Stadt am Puget Sound gegen ein Gebot aus Memphis durchgesetzt.
Die NFL, das machte Rozelle in einem Statement klar, war dem Ziel einer flächendeckenden US-Profiliga einen Schritt nähergekommen: „Seattle war immer eine attraktive Stadt für die Liga. Sie liegt im einzigen Teil des Landes, in dem wir noch keine Franchise haben.“
Nun war nur noch eine Frage zu klären: Wer würde das Team besitzen – und damit in den prägenden ersten Jahren des Aufbaus anführen? Bereits vor der Bekanntgabe der Expansion – ziemlich exakt seitdem King County grünes Licht für den Stadionbau gegeben hatte – war in Seattle das Wetteifern um die Franchise-Rechte ausgebrochen. NFL-Teams sind im Gegensatz zu Vereinen in Deutschland vor allem private Wirtschaftsunternehmen, die viel Geld abwerfen, ein bisschen aber auch Spielzeuge der Reichen.
Die positiven Entwicklungen im Pacific Northwest sprachen sich bis nach Minneapolis herum, wo ein Mann endlich seine Chance auf ein NFL-Team gekommen sah. Der Tycoon Wayne Field gründete im Februar 1969 die Seattle Sea Lions Management Corp., die später als Seattle-Kings-In-itiative bekannt werden sollte und keine Zweifel daran ließ, dass sie sich die Rechte am Team sichern würde.
Einziges Manko: Field kam nicht aus Seattle, er war also kein Einheimischer, wie es die Liga damals für Teambesitzer vorsah. Kurzerhand tat er sich mit Hugh McElhenny, einer College-Football-Legende von der University of Washington, zusammen. McElhennys Erfolgszeiten bei den Huskies lagen da zwar schon gut 20 Jahre zurück, doch das Team der Universität im Norden Seattles und seine Legenden waren äußerst populär. Man war sich nun in ganz Washington sicher: Field und McElhenny würden den Zuschlag als Besitzer erhalten.
Jedoch hatten sie zwei Faktoren zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt: Herman Sarkowsky mit seiner 1972 gegründeten Seattle ProfessionalFootball Inc. und dem durch die NFL auf 16 Millionen US-Dollar festgelegten, unerwartet hohen Kaufpreis für die Franchise-Rechte.
Während die Stadt ihr Footballteam herbeisehnte und die Seattle-Kings-Initiative sich im Übereifer beinahe vorzeitig zur Besitzergruppe krönte, versammelte Sarkowsky gemeinsam mit dem befreundeten Immobilienmogul David „Ned“ Skinner heimlich, still und leise eine finanzstarke, elitäre Gruppe einheimischer Investoren.
Als damaliger Eigentümer der Portland Trail Blazers aus der NBA kannte Sarkowsky die Tücken der Sportwelt und wollte seine Expertise nun weiter nördlich an der Pazifikküste einsetzen. Zwei Jahre nach der Gründung seines Basketballteams in Oregon widmete er sich mit Skinner dem einen großen Ziel: ein professionelles Footballteam im Nordwesten der USA anzusiedeln.
Herman Sarkowsky
Wie Sarkowsky verdiente auch Skinner sein Geld mit Immobilien. Der Erbe einer in Schiffbau und -fahrt tätigen Familie war einer der ersten Besitzer der Space Needle in Seattle, die mit ihrem ufoähnlichen Aussehen noch heute die Skyline der Stadt prägt.
Alleine hätten aber selbst die beiden Immobilienmillionäre den von der NFL überraschend hoch angesetzten Kaufpreis der Franchise nicht stemmen können. 16 Millionen US-Dollar waren – gerade bei angespannter Börsenlage – auch für Sarkowsky und Skinner eine Nummer zu groß. Deshalb machten sie sich auf die Suche nach Teilhabern. Sie wünschten sich Partner, mit denen es nicht nur finanziell, sondern auch menschlich gut passen würde – besonders in schwierigen Zeiten.
„Der Sport bringt in Menschen seltsame Emotionen hervor“, erklärte Sarkowsky damals die gründliche Suche. Am Ende standen auf Sarkowskys und Skinners Liste die Namen von vier einflussreichen Unternehmern aus Seattle: Howard Wright, Lamont Bean, Lynn Himmelman und Lloyd W. Nordstrom. Gemeinsam wollten die sechs Einheimischen den von außerhalb kommenden Field und seinen Posterboy McElhenny ausstechen und die Franchise kaufen. Sie mussten sich nur noch einigen, wer der 51-prozentige Mehrheitseigner des Teams werden würde.
Dass Sarkowskys Konsortium plötzlich Favorit auf Seattles neue Franchise war, lag vor allem an Kaufhausmagnat Nordstrom, der das NFL-Team kurzerhand zur Familienangelegenheit machte. Lloyd war als letzter Investor zur Gruppe gestoßen. Er wollte eigentlich nur einer von mehreren Teilhabern werden. Doch da die NFL einen Mehrheitseigner vorsah, wandte er sich an die finanzkräftige Verwandtschaft und bat sieben Mitglieder der Nordstrom-Familie um Unterstützung.
Sechs zogen mit und gaben jeweils eine Million US-Dollar – nur Neffe John war nach dem Börsencrash 1974 nicht besonders risikofreudig. Am Ende aber beugte er sich der Tradition in seiner sportverrückten Familie, Investitionen stets gemeinsam anzugehen. Die Finanzierung war gesichert. Auf die perfekte Mischung aus Geld, Prestige und Engagement in der Region hatten Field und McElhenny keine Antwort – sie zogen ihre Bewerbung zurück.
Am 5. Dezember 1974 erteilte NFL-Chef Pete Rozelle dem Konsortium um Sarkowsky und Nordstrom die Genehmigung zum Kauf der neuen Franchise. Seattle hatte endlich ein professionelles American-Football-Team. Eines, dessen Mehrheitseigner zunächst nur eine untergeordnete Rolle in der Besitzergruppe spielen wollte. Und eines, dessen leitender Geschäftsführer ein gebürtiger Thüringer war.
Knapp 50 Jahre später ist der Erfolg der Seattle Seahawks der Beweis dafür, dass bei der Gründung der Franchise Menschen mit Bausachverstand am Werk waren. Herman Sarkowsky hatte mit seinen Partnern ein Team konstruiert, wie er es auf dem Häusermarkt gelernt hatte. Mit einem starken Fundament, das auf Langlebigkeit ausgelegt ist.