Читать книгу American Football - Die Seattle Seahawks - Maximilian Länge - Страница 16
ОглавлениеAls sich der Kingdome am 26. März 2000 in eine gewaltige Wolke aus Staub, Schutt und Asche verwandelte, verschwand mit ihm ein Wahrzeichen der Stadt. Eine Ikone, ohne die es niemals professionellen Football oder Baseball im Pacific Northwest gegeben hätte. Ohne die es die Seattle Seahawks nicht gegeben hätte, zumindest noch nicht in den 1970er-Jahren. Ohne die sich die NFL nicht entschieden hätte, die Seahawks als neue Franchise in ihren erlauchten Kreis aufzunehmen.
Zwei Jahre nach der Grundsteinlegung 1972 votierten die Teambesitzer der NFL dafür, die Landkarte der Vereinigten Staaten links oben mit einem Team zu bestücken.
Der Weg zu dieser Festung aus Beton war steinig – und um im Terminus des geflügelten Worts zu bleiben: eine schwere Geburt. Bereits im Jahr 1959 beschloss ein gewisser David Cohn, erfolgreicher Gastronom aus Seattle, sein Ansinnen in Briefform an die Stadtverwaltung zu kommunizieren. Eine Metropole wie Seattle benötige ein neues Stadion. Ein Stadion, das Dimensionen bietet, die die Aussicht auf professionellen Sport realistisch erscheinen lassen.
Sicherlich, in Seattle gab es bereits das Sick’s Stadium. In den 1930er-Jahren erbaut, bot es Platz für 11.000 Zuschauer. Nicht einmal annähernd genug, um die MLB mit den Wimpern zucken zu lassen. Diese verlangte einen Ausbau auf 30.000 Plätze, der nach der Bewilligung einer Baseball-Franchise im Jahr 1967 auch in die Tat umgesetzt werden sollte.
Die Kosten hierfür explodierten aufgrund des betagten Alters der altehrwürdigen Arena aber dermaßen, dass den Eignern der Seattle Pilots bereits nach einer Saison das Geld ausging und das Team 1970 nach Milwaukee wechselte, um fortan unter dem Namen Brewers zu spielen.
Als der Versuch mit den Seattle Pilots krachend scheiterte, waren auch die letzten Zweifler überzeugt, dass der Bau einer Arena die einzige Möglichkeit für die Region war, im Konzert der Großen mitzuspielen. Diese Idee lässt sich sogar zurück bis ins Jahr 1957 dokumentieren, als Dewey Sorano, General Manager der Seattle Rainiers aus der Pacific Coast Baseball League, in einem Interview mit der Seattle Times empfahl, die Stadt sollte ein Mehrzweckstadion erbauen – „and they should put a lid on it“. Ein Deckel müsse also obendrauf.
Macht Sinn in einer Gegend, die damals wie heute weniger für Sonnenschein, sondern vielmehr für zwar mildes, pazifisches Klima, aber eben auch für viel Regen bekannt war.
Die Stimme David Cohns wenige Jahre später, der sich vermutlich von diesem Zitat inspirieren ließ, brachte dann die Steine ins Rollen. Eine erste Abstimmung des Stadtrats wurde von den Einwohnern in Seattle knapp abschlägig beschieden. Zu groß war die Skepsis, dass sich der Bau einer überdachten Arena für eine vergleichsweise überschaubare Summe von 15 Millionen US-Dollar – wie vorgeschlagen – realisieren ließe. Zudem schien die spekulative Natur eines solchen Vorhabens zu abschreckend zu sein.
Einen Dome nur aufgrund der möglichen Aussicht auf Zusagen der großen Sportligen aus dem Boden zu stampfen? Dies war vielen ein zu großer und nicht kalkulierbarer Unsicherheitsfaktor. Nachvollziehbar, auch aus heutiger Sicht.
Betrachtet man beispielsweise globale Sportstätten, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund von bevorstehenden Events wie Olympischen Spielen oder Fußballweltmeisterschaften realisiert wurden und nun mangels Nutzung seit Jahren brachliegen, lässt sich die Angst verstehen, auf einem Schmuckstück (und den anfallenden Kosten) sitzen zu bleiben.
Fahrt nahm die Stadiondiskussion in Seattle dann allerdings Mitte der 1960er-Jahre auf, als die NFL der Stadt in Aussicht stellte, als Expansionsteam Berücksichtigung zu finden. Die Cincinnati Bengals fungierten hier als Vorbild.
Die Stadt im Südwesten Ohios bekam den Zuschlag zur Aufnahme in die NFL bereits 1967 – und baute postwendend ein Stadion für 55.000 Zuschauer, bei einem finanziellen Umfang von geschätzten 33 Millionen US-Dollar. Der große Unterschied: Es gab keine Abstimmung durch die Bevölkerung.
Dieser Stolperstein, die Notwendigkeit einer öffentlichen Finanzierung, wurde den Initiatoren in Seattle 1966 wieder zum Verhängnis. Ergebnis der Befragung, die diesmal der zuständige Landkreis King County durchführte: erneut negativ.
Da aller guten Dinge auch bei der Erbauung des Kingdomes drei waren, triumphierten die Befürworter der Initiative im Februar 1968 schlussendlich. Neben der Zusage der MLB wenige Monate zuvor, Seattle in die Liga aufzunehmen, bot der „Forward Thrust“ Aussicht auf regionale Verbesserungen in Bezug auf Infrastruktur, Parkanlagen und Bürgerzentren, die mit einem Stadionneubau einhergehen würden. Ein wichtiger Faktor in der Entscheidung zugunsten des Kingdomes.
40 Millionen US-Dollar an öffentlichen Anleihen im King County wurden schließlich für den Bau genehmigt und final beschlossen.
War die Entscheidungsfindung für die neue Arena aus Sicht ihrer Fürsprecher langwierig und von Rückschlägen geprägt, sollte auch die Suche nach einem geeigneten Standort keine einfache werden. Das Seattle Center, Heimat der weltbekannten Space Needle, welche im Zuge der Weltausstellung 1962 das Licht der Welt erblickt hatte, war die erste und logische Wahl. Die wurde jedoch aufgrund von öffentlichen Bedenken in einem neuerlichen Abstimmungsverfahren abgelehnt, da befürchtet wurde, dass sich Exekutivmitglieder im Ausschuss aufgrund geschäftlicher Verflechtungen im Stadtzentrum daran bereichern könnten.
Nach der Streichung weiterer potenzieller Baugründe blieb als letzte realistische Option ein Grundstück südlich des Stadtzentrums. In der Nähe des Bahnhofs an der King Street direkt am Meer gelegen, erhielt das Areal den Zuschlag. Die Festung aus Beton sah ihre Grundsteinlegung am 2. November 1972. 15 Jahre von der ersten öffentlich dokumentierten Idee bis zur letztendlichen Umsetzung waren Geschichte.
Am 4. Juni 1974 vergab die NFL ihre 28. Franchise an die Stadt Seattle – die Seahawks sollten ihre Spiele im knapp 65.000 Zuschauer fassenden Kingdome austragen. Es war der Beginn einer Liebesbeziehung zwischen der Stadt und ihrer „grauen Lady“. Auch das Baseballteam der Mariners und (für ein knappes Jahrzehnt) die Basketballtruppe der SuperSonics nannten die Arena ihr Wohnzimmer. Zudem trug der Hochschulsportverband NCAA zwischen 1984 und 1995 dreimal sein Basketball-Finalturnier in Seattle aus.
Den ersten Event in seiner Geschichte sah der Kingdome Ende April 1976, als über 50.000 Fans zum Fußballspiel zwischen den Seattle Sounders und Cosmos New York (mit Weltstar Pelé) pilgerten. Er ist bis heute die einzige Spielstätte, in der die All-Star Games aller drei großen Sportligen der USA ausgetragen wurden. Der NFL Pro Bowl war 1977 zum ersten Mal in seiner Geschichte ausverkauft. Das MLB All-Star Game 1979 sowie das NBA All-Star Game 1987 waren ebenso Highlights wie unzählige Rockkonzerte, die im Kingdome über die Bühne gingen. Aerosmith, Led Zeppelin, die Rolling Stones, The Who, die Beach Boys, Madonna, Pink Floyd, Metallica, Guns N’Roses, U2 – er hatte sie alle.
Der Kingdome: Heimat der Seattle Seahawks von 1976 bis 2000
Knapp 40.400 Kubikmeter Beton und 443 Tonnen Stahl steckten im Kingdome. Allein das Dach nahm eine Fläche von 31.800 Kubikmetern ein. Die spezielle Architektur – und die Tatsache, dass über 60.000 Menschen in eine Halle gepresst wurden – lehrte gegnerische NFL-Teams bereits früh das Fürchten. Sie galt als eine der lautesten Spielstätten der Liga.
Der Enthusiasmus der Seahawks-Fans war maßgeschneidert für eine Arena, die den Schall nicht nach außen trug, sondern von den Tribünen quasi direkt aufs Spielfeld transportierte. Die Euphorie in Seattle war bereits im Jahr vor dem ersten Saisonspiel der Franchise-Geschichte spürbar. Im Herbst 1975 wurden sage und schreibe 59.000 Dauerkarten für die Premierensaison verkauft – in nicht einmal 30 Tagen.
Der Umstand, dass Seattle mit den Seahawks Nachwuchs bekam und der nagelneue Kingdome die Geburtsstätte des Neuankömmlings war, führte schnell zu einer Symbiose zwischen Fans und Team, die in der NFL ihresgleichen suchte.
So weit, so schön. Jedoch war der Kingdome bereits bei seiner Erbauung Gegenstand heftiger Diskussionen, die sich immer wieder um die gleichen Themen drehten. Die Arena galt als ausgesprochen günstig, wenn man die Notwendigkeit von Dachkonstruktion und Klimaanlage bedenkt. Vielleicht gab es deshalb schon bei Planung und Bau Zwischenfälle, als Stahlträger kollabierten und die Konstrukteure kurz vor Fertigstellung undichte Stellen im Dach feststellten.
1983 versuchte eine Baufirma, die äußere Hülle des Dachs mit einer neuen Oberfläche zu versehen und zu belüften. Einige Winter später mussten sie feststellen, dass das Dach durch Frost beschädigt und wasserdurchlässig geworden war.
1994 kam es beinahe zur Tragödie, als wenige Stunden vor einem Baseballspiel der Mariners vier zwölf Kilogramm schwere Deckenplatten aufgrund von Wasserschäden auf die Tribünen stürzten. Ein Kritikpunkt, der seit Jahren schwelte, war die mangelnde Feuchtigkeitsregulierung in der Halle. 1993 wurde auf Entscheid des King Countys die äußere Dachverkleidung entfernt, um eine neue Beschichtung zu installieren. Da die Arbeiter die Entfernung der alten Schicht mit Hochdruckreinigern vornahmen, sickerte Wasser ein.
Das Ergebnis war verheerend – und führte zu einer monatelangen Schließung aufgrund von Reparaturarbeiten. Robert LeFraugh, ein damals beauftragter forensischer Ingenieur, war überrascht, dass „nicht 100 oder gleich alle 850 Platten von der Decke fielen“. An besagtem MLB-Spieltag waren glücklicherweise noch keine Zuschauer in der Arena – und dennoch sorgte diese nur durch Zufall verhinderte Katastrophe für einen großen Vertrauensverlust in der Bevölkerung. Sie ließ die Stimmen lauter werden, die zeitgemäße Stadien für Baseball und Football forderten.
50 Millionen US-Dollar, die im Lauf eines knappen Vierteljahrhunderts allein an Instandsetzungskosten und Umbauten für den Kingdome anfielen, lassen erahnen, wie unausweichlich sein Ende über kurz oder lang wurde. Sowohl bei den Mariners als auch bei den Seahawks sorgten neben dem Dachplattendesaster sportliche Entwicklungen Mitte der 1990er-Jahre für den Nagel im Sargdeckel der Mehrzweckhalle.
Das Baseballteam feierte 1995 eine der erfolgreichsten Saisons seiner Geschichte und stand kurz vor dem Einzug in die World Series. Das bestärkte die Mariners im Anschluss in ihrer Forderung nach einem modernen, eigenen Freiluftstadion. Mit Erfolg, denn der Staat Washington kam dem Wunsch mit einem Finanzkonzept für einen Neubau nach, sodass 1999 das Safeco Field (heute T-Mobile Park) direkt neben dem Kingdome eingeweiht wurde. Es war zum damaligen Zeitpunkt mit über 500 Millionen US-Dollar das teuerste Baseballstadion der Welt.
Die Seahawks sahen sich hingegen einem bevorstehenden Verkauf ihrer Franchise ausgesetzt. Der damalige Besitzer Ken Behring hatte beschlossen, das Team nach Los Angeles umzusiedeln, allerdings war er 1995 vertraglich noch an die Arena gebunden. Die schlussendliche Veräußerung des Teams an Microsoft-Mitgründer Paul Allen ging mit einer Zusage des neuen Besitzers einher, die Franchise in Seattle zu halten und der Stadt ein neues Stadion zu bescheren, das den Kingdome ersetzen sollte.