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ERSTE FLUGVERSUCHE

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Mit dem Beginn des Premierenjahres 1976 verpflichteten die Seahawks ihren Head Coach – oder: Sie versuchten es zunächst erfolglos. Lloyd W. Nordstrom war großer Fan von Bill Walsh, einem smarten, 45-jährigen Assistenztrainer bei den Cincinnati Bengals. In Ohio arbeitete Walsh unter Paul Brown, dem Gründer, Namensgeber und Ex-Trainer der Cleveland Browns.

Der Seahawks-Besitzer wollte mit Walsh ein Vorstellungsgespräch führen und fragte deshalb Brown um dessen Erlaubnis, so schilderte Nordstroms Neffe John es viele Jahre später. Brown – nicht daran interessiert, seinen Schützling ziehen zu lassen – erzählte Nordstrom daraufhin von Walshs Alkoholproblemen und all dem Theater, das sie in Cincinnati mit ihrem betrunkenen Assistenztrainer hätten. Nordstrom kaufte dem Coach die Lügengeschichte ab, darum kam es nie zum Interview.

Cheftrainer der Seahawks wurde letztlich ein anderer. Am 3. Januar ernannte General Manager John Thompson den 42 Jahre jungen Jack Patera – zuvor Assistenztrainer für die Defensive Line bei den Minnesota Vikings – zum ersten Head Coach der Franchise und versprach, dass die Seahawks innerhalb der ersten vier Jahre in einem Super Bowl spielen würden.

Die Realität aber sah völlig anders aus, denn Patera hatte die schwierige Aufgabe, ein komplett neu zusammengestelltes Team konkurrenzfähig zu machen. Das gelang wenig überraschend nicht von heute auf morgen.

Als die Seahawks am 9. Juli ihr erstes Trainingslager auf dem Gelände der Eastern Washington University tief im Osten des US-Bundesstaates eröffneten, erlebte ihr Mehrheitseigner das nicht mehr. Lloyd W. Nordstrom war am 20. Januar, nur wenige Tage nach der Verpflichtung von Jack Patera, an einem Herzinfarkt verstorben. Bei einer Zusammenkunft der Ligabosse in Mexiko spielte er Tennis mit seinem Neffen Jim, fiel bei einem Aufschlag wie vom Blitz getroffen zu Boden – und stand nie wieder auf.

Nach Lloyds Tod übernahm der nicht sonderlich NFL-affine Bruder Elmer gemeinsam mit seinem Sohn John vonseiten der Nordstroms die Verantwortung über die Franchise. Sie erlebten gemeinsam mit den anderen Besitzern, wie ihr neuer Head Coach unverblümt an die Arbeit ging.

Patera war ein fülliger Disziplinfanatiker mit schroffer Art und weichem Kern. Ein Old-School-Trainer, der sein weißes Poloshirt gerne in die am Bund etwas zu enge Hose stopfte. Bei ordnungsverliebten Mentoren wie Bud Grant, Tom Landry und Don Shula schien das nicht wirklich überraschend – und immerhin verschaffte es ihm von vornherein einen gewissen Respekt bei Presse, Fans und Spielern. Vielleicht konnte man das Wort Respekt auch mit Angst ersetzen, zumindest ein bisschen.

Die Spieler schätzten Patera trotz seiner toughen Art für die direkte Ansprache und seinen Beschützerinstinkt. Sie wussten bei ihm stets, woran sie waren, auch wenn sie mit seinen Trainingskonzepten – Trinkpausen waren verpönt – nicht immer zurechtkamen. Sie respektierten ihn für die kleinen Gesten, wenn er die Umkleidekabine zur reinen Spielerzone ohne Pressevertreter und Trainer erklärte oder im Flugzeug die First Class für die Spieler freiräumte. Sie mochten seinen überraschenden Humor, wenn aus dem mürrischen Blick ein freches Lächeln wurde.


Jack Patera

Pateras oberstes Ziel war stets, aus seinen Spielern eine Einheit zu machen. Wie ihm das gelang, schien ihm nicht besonders wichtig zu sein: Als Feindbild taugte die gegnerische Mannschaft ebenso gut wie er selbst als Trainer. „Wir tolerieren euch, bis wir euch ersetzen können“, verkündete er 1976 vor dem ersten Trainingslager, so wie es ihm einst selbst als Spieler bei den Baltimore Colts eingetrichtert worden war. Das war eine ungeschönte Ansage, die aber eben der Realität in der NFL entsprach.

Mit Härte und Disziplin wollte Patera seine Spieler an die Liga gewöhnen. Das bedeutete beispielsweise, dass die Athleten auf Reisen mit dem Team zu jeder Zeit eine Krawatte tragen mussten. Im Flugzeug, im Bus, in der Hotellobby – überall. Auswärtsreisen waren für ihn Geschäftsreisen. Die Spieler nahmen dies zum Anlass, ihn vor dem letzten Spiel der Premierensaison alle mit umgebundenen Krawatten auf dem Trainingsplatz zu empfangen. Patera fand das lustig – bis er herausfand, dass der Equipmentmanager die Bälle fürs Training im Hotel vergessen hatte.

Für den Zeugwart war es die letzte Reise mit dem Team. Ähnlich erging es unter dem Patera-Regime einem Spieler, der sich weigerte, seinen Bart zu rasieren. Der Trainer feuerte ihn.

Wer sich den Vorgaben nicht unterordnete, musste gehen. Wer mitzog, der trank möglichst vor dem Training drei Eimer Wasser, denn für eine Trinkpause war während der intensiven, von Militärdrills geprägten Patera-Einheiten keine Zeit. Ging es nach dem Trainer, dann musste das Training kurz sein. Seine Philosophie: Wer zu lange auf dem Platz steht, trainiert seine Fehler.

Reporter fürchteten Pateras Unmut, wenn er auf kritische Nachfragen zur Leistung seines Teams und zur Strategie mit hochrotem Kopf und knapp antwortete – oder gar von einer Niederlage schlecht gelaunt die Worte: „Irgendwelche Fragen?“, grummelte und nach sieben Sekunden die Pressekonferenz beendete, weil die versammelten eingeschüchterten Journalisten nicht schnell genug reagierten.

Patera bekam in den Medien durchaus Kritik ab für seine Methoden. Deshalb ließ er es sich nicht nehmen, bei den Presserunden unter der Woche die schreibende Zunft in den Wahnsinn zu treiben. Wenn er vom Trainingsplatz zurückkehrte, ging er zunächst in sein Büro und wartete bis nach der Deadline für den Andruck der Zeitungen. Erst dann trat er vor die Reporter.

Fans feierten Patera für seine Risikofreude. Mit einer Vielzahl an Trickspielzügen versuchte er, spielerisches Unvermögen zu kaschieren und Gegner zu überraschen. „Um mehr Spiele zu gewinnen, mussten wir zocken“, sagte er einmal. Er hätte Teams gerne mit Physis und sauberer Ausführung geschlagen, doch seiner Mannschaft habe dazu schlicht das Talent gefehlt.

Patera war mit seinem Hang zu Zucht und Ordnung wohl der ideale Coach für die Rumpftruppe, die er sich gemeinsam mit General Manager John Thomson in 39 Runden Expansion Draft mühsam zusammengebastelt hatte. Mit den Tampa Bay Buccaneers im Wechsel durften die Seahawks sich Ende März 1976 am Spielerpersonal der 26 anderen Teams bedienen.

Ergänzend zu den Veteranen selektierten Seattles Verantwortliche im regulären NFL Draft, der Auswahl von Nachwuchstalenten, abwechselnd mit den restlichen 27 Teams später 25 Rookies, darunter Defensive Tackle Steve Niehaus als zweiten Pick überhaupt und wenig später den damaligen Wide Receiver und die heutige Radiostimme der Seahawks, Steve Raible. Der erste Quarterback der Seahawks, Jim Zorn, kam als Free Agent nach Seattle, Wide Receiver Steve Largent per Trade für einen Acht-Runden-Pick von den Houston Oilers. Besonders Largent, ein schmächtiger, nicht besonders schneller Passempfänger, sollte sich schnell als Glücksgriff herausstellen.

Die ersten Jahre Seattles in der NFL sind schnell erzählt. „Wir werden das erste Expansionsteam sein, das die Saison mit zwölf Siegen und zwei Niederlagen beendet“, hatte Jack Patera vor dem Trainingslager 1976 zu seinen Schützlingen gesagt.

Am Ende stand die Bilanz exakt umgekehrt in der Tabelle. Die Seahawks gewannen nicht oft, aber das schien die von der puren Existenz ihres Teams euphorisierten Fans nicht besonders zu stören. Sie kamen in Scharen und feierten jeden Spieltag, als ob ihr Team gerade die Play-offs erreicht hätte.

Den allerersten Sieg überhaupt feierten die Seahawks ausgerechnet im sogenannten Expansion Bowl am 17. Oktober gegen die Buccaneers in der erbarmungslosen Hitze Floridas. In die NFL-Geschichtsbücher ging der wenig ansehnliche 13:10-Erfolg auch unter anderen Spitznamen ein: „Hanky Bowl“ lautete einer, wegen der 39 von Schiedsrichtern festgestellten Strafen, für die eine gelbe Flagge flog. „Comedy of Errors“ schrieb die New York Times über das Aufeinandertreffen der bis dato sieglos durch die Saison getaumelten Teams.

Die Seahawks verdankten es einem von Mike Curtis geblockten Field Goal 42 Sekunden vor Schluss, dass sie das Duell der zwei neuen NFL-Teams für sich entschieden. Auf den Auswärtssieg in Tampa Bay folgte am 7. November beim 30:13 gegen die Atlanta Falcons der erste Heimerfolg der Seahawks-Geschichte. Das faszinierende Zusammenspiel von Quarterback Zorn und Receiver Largent tröstete über ein Dutzend Niederlagen in der Premierensaison hinweg.

Vor ihrer zweiten Spielzeit wechselten die Seahawks aus ihrer Division, der NFC West, in die AFC West, so wie es von der NFL von vornherein geplant gewesen war. Die Liga wollte damit sicherstellen, dass sowohl Tampa Bay als auch Seattle in den ersten zwei Jahren mindestens einmal gegen alle anderen Teams spielten und trotz unterschiedlicher Ligeneinteilung zweimal direkt aufeinandertrafen.

Die Neuauflage des Expansion Bowls am fünften Spieltag der Saison 1977 endete erneut mit einem Erfolg der Seahawks (30:23). Vier weitere Siege und fünf Niederlagen später hatte Seattle mit einer 5-9-Bilanz den Rekord für die bis dato meisten Siege einer Franchise in ihrem zweiten Jahr aufgestellt.

„Auch 1977 freuten sich die Fans über unser Expansionsteam, weil wir vielversprechend spielten“, erinnerte sich Running Back Sherman Smith später: „Die Menschen erkannten, dass wir da etwas am Laufen hatten.“

Ja, es lief in Seattle, vielleicht sogar schon etwas zu gut für ein noch so junges Team. Der Trend setzte sich 1978 fort: Die Seahawks erzielten erstmals eine positive Bilanz (9-7), Patera wurde zum Trainer des Jahres gewählt und die Zorn-Largent-Kombination war kaum mehr zu stoppen.

Langsam jedoch verflog die Euphorie der Anfangsjahre. In einer weiteren 9-7-Saison wechselten sich grandiose Comebacksiege wie das 31:28 gegen die Falcons und enttäuschende Pleiten wie das 0:24 zu Hause gegen die Los Angeles Rams mit unterm Strich demoralisierenden sieben Yards Raumverlust für die Offensive ab. Die Entwicklung des Teams stagnierte.

Diese wöchentlichen Schwankungen setzten sich auch Anfang der 1980er-Jahre fort. Auf eine 4-12-Saison mit zum Schluss neun Niederlagen in Serie folgte eine nur marginal bessere Runde inklusive desolater 0:32-Heimpleite gegen die New York Giants, von der den Spielern neben dem Ergebnis wohl nur die knappe Kabinenansprache nach Ende der Partie in Erinnerung bleibt. „Herzlichen Glückwunsch, ihr seid jetzt das schlechteste Team in der National Football League. Wir sehen uns morgen“, sagte ein verbitterter Jack Patera und beorderte das Team tags darauf zum Straftraining.

Nach nur einem Sieg aus den ersten sieben Partien gewannen die Seahawks immerhin noch fünf Partien. Doch die halbwegs versöhnliche 6-10-Bilanz, das wusste Patera, änderte nichts daran, dass er mit dem Rücken zur Wand stand.

Nach einem 0-2-Start in die Spielzeit 1982 zogen die Besitzer die Notbremse. Der Spielerstreik für eine fairere Aufteilung der NFL-Einnahmen kam ihnen genau zur rechten Zeit.

Patera, das schrieben Steve Raible und Reporter Mike Sando in ihrem Buch Tales from the Seattle Seahawks sideline, war gerade zum Angeln auf der olympischen Halbinsel, tief im Wald, als er einen Notizzettel an der Windschutzscheibe seines Autos fand, er solle sofort in der Lake Quinault Lodge, einer Unterkunft in der Nähe, anrufen.

Der Dialog, den Patera dann per Telefon mit der zierlichen alten Dame an der Rezeption führte, ist im Originalton zu schön, um ihn zu übersetzen. “Dammit, Jack, those bastards fired you!“ – “What?“ – “Yeah, you got a message down here to call (general manager) John Thompson. They fired you and John.“ – “Well, I’ll be damned.“

Mit einem Zehn-Jahres-Plan nach Seattle gekommen, musste Jack Patera bereits nach sieben Spielzeiten seine Koffer packen. Nach 94 Spielen als Cheftrainer im Pacific Northwest, 35 Siegen und 59 Niederlagen, war Schluss. Er war gerade einmal 50 Jahre alt, doch er sollte anschließend nie wieder ein NFL-Team coachen.

Als John Nordstrom und Herman Sarkowsky Patera und Thompson im Oktober feuerten, hinterließen sie der Franchise ein Grundgerüst an Schlüsselspielern. Protagonisten, die in den bevorstehenden Jahren erste Erfolge einfahren würden. Steve Largent, Dave Krieg, Kenny Easley, Dave Brown, Jacob Green, Jeff Bryant und Joe Nash würden es Chuck Knox einfach machen, erfolgreich in seine Ära bei den Seahawks zu starten und den Kingdome auch im übertragenen Sinn in eine Festung aus Beton zu verwandeln.

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