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Theory of Mind

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Die Theory of Mind ist die Fähigkeit, sich in die Vorstellungswelt anderer hineinzuversetzen. »Mit dem Begriff ›Theory-of-Mind‹ ist die Fähigkeit gemeint, psychische Zustände (Gefühle und Gedanken) anderen Personen und sich selbst zuzuschreiben, also die Fähigkeit, die eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten und Vorstellungen und diejenigen anderer zu erkennen, zu verstehen und vorherzusagen« (Remschmidt et al. 2006, S. 46). Baron-Cohen et al. (1985) sprechen von alltagspsychologischen Konzepten, die es dem Menschen ermöglichen, sich selbst und dem Gegenüber mentale Zustände zuzuschreiben. Sie beziehen sich dabei auf Konzepte aus der Primatenforschung. Der kognitive Verarbeitungsstil, der für das Repräsentieren von mentalen Zuständen verantwortlich ist, wird Mentalisieren (mentalising) genannt (Frith und Happé 1994; Happé 1997). Bei der Diskussion um die Theory of Mind ist zu beachten, dass nicht alle sozialen und kommunikativen Fertigkeiten die Fähigkeit zu Mentalisieren voraussetzen (Frith und Happé 1994). Die Entwicklung der Emotionserkennung stellt einen Teil der Entwicklung der Theory of Mind dar und wird oft gemeinsam mit den Begriffen Mindreading oder Empathizing (Baron-Cohen et al. 2004) genannt.

Das Wissen darüber, dass jede Person Gedanken und Gefühle hat und dass diese sich von denen einer anderen Person oder von deren Realität unterscheiden können, bildet die Grundlage für das Verstehen sozialer Situationen (Colle et al. 2006). Dieses Wissen, das aus der Theory of Mind resultiert, entwickelt sich bei Kindern im Verlauf des vierten Lebensjahres. In diesem Alter verändern sie sich von naiven Idealisten, die ihre Überzeugungen für reale Tatbestände halten, zu jungen Menschen, die wissen, dass ihre Ansichten möglicherweise nicht der Realität entsprechen (Baron-Cohen 2001; Remschmidt et al. 2006). Roeyers und Warreyn (2010) geben einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Theory of Mind und deren Vorläufer Imitation, geteilte Aufmerksamkeit und symbolisches Spiel.

Zahlreiche Studien (z. B. Baron-Cohen et al. 1985; Baron-Cohen 2001) konnten zeigen, dass Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung Defizite in der Entwicklung der Theory of Mind aufweisen (Ozonoff und Miller 1995; Happé 1995), was mit dem Begriff Mind-Blindness (Frith et al. 1994; Happé 1997) umschrieben wird. Während diese Schwäche beim Frühkindlichen Autismus sehr deutlich ist und bereits einfache Stufen der Entwicklung der Theory of Mind betrifft, sind die Beeinträchtigungen beim Asperger-Syndrom und High-Functioning-Autismus subtiler (Baron-Cohen 2001; Beaumont und Sofronoff 2008), stellen eher eine Entwicklungsverzögerung dar und betreffen dann erst die schwierigste Stufe, wie zum Beispiel die Interpretation von nonverbaler Kommunikation oder das Erkennen von Fauxpas-Situationen (z. B. Baron-Cohen 2001; Baron-Cohen et al. 2001; Beaumont und Sofronoff 2008). Viele der Schwierigkeit der Theory of Mind lassen sich bei Menschen mit Asperger-Syndrom kaum in Laborsituationen aufspüren, da sie mit ihrer guten Intelligenz und den verbalen Fähigkeiten vieles kompensieren können und erst in der realen sozialen Situation oder bei anspruchsvollen sozialen Tests auffallen, die Mentalisieren in einem sozialen Kontext erfordern (Baron-Cohen et al. 2001; Klin et al. 2003). Einige Autoren haben Wege gefunden, um verschiedene Aspekte von sozialer Kognition im Rahmen eines Tests zu beobachten, der auch die Schwächen gut begabter Menschen mit Asperger-Syndrom erfasst: Hierzu zählen Klin (2000) mit dem Social Attribution Task (SAT), Kaland (Kaland et al. 2002; Kaland et al. 2008) mit ihren Strange Stories und Stories from Everyday Life, aber auch Heavey et al. (2000) mit dem Awkward Moments Test und Dziobek et al. (2006) mit dem Movie for the Assessment of Social Cognition (MASC) – beide arbeiten mit Filmsequenzen, – sowie Golan et al. (2006a) mit der Cambridge Mindreading Face-Voice Battery (CAM), Baron-Cohen et al. (2001) mit dem Reading the Mind in the Eyes Test und Golan et al. (2006b) mit dem Reading the Mind in the Voice Test – alle drei stützen sich vor allem auf das Erfassen emotionaler Informationen. Zu bedenken ist, dass nicht alle sozialen Kompetenzen Mentalisieren benötigen (Frith et al. 1994; Happé 1997), was Untersuchungen mit sich bewegenden Objekten, denen soziale Intentionen zugeschrieben werden, schön aufzeigen (Castelli et al. 2002): Während sich im PET-Scan keine Unterschiede zwischen Menschen mit Asperger-Syndrom und Kontrollpersonen zeigen, wenn diese auf einem Bildschirm Objekte beobachten, die sich zufällig oder auf ein gemeinsames Ziel hin bewegen (Jagen, Fangen, Kämpfen), schneiden die Kontrollpersonen bedeutend besser ab, wenn sich die Objekte interagierend und scheinbar mit impliziten Absichten bewegen (z. B. Austricksen).

Die Folgen einer fehlenden Theory of Mind oder der mangelnden Fähigkeit der Intersubjektivität (Remschmidt et al. 2006, S. 47) zeigen sich vor allem im sozialen Bereich: Die nonverbalen Hinweisreize eines Menschen, wie Prosodie oder Mimik, werden nicht beachtet, d. h. sie werden nicht verwendet, um Rückschlüsse hinsichtlich dessen Gedanken und Gefühle zu ziehen (Baron-Cohen et al. 2001). Subtilere soziale Vorgänge, wie Stimmungen, Witze oder Sarkasmen, werden nicht verstanden (Poustka et al. 2008). Zudem ist das Verhalten anderer Menschen ohne eine Theory of Mind weder verständlich noch vorhersagbar.

Nach der Übersichtsarbeit von Bruning et al. (2005) finden sich Defizite der Theory of Mind auch bei anderen psychiatrischen Störungsbildern, wie schizophrenen und bipolaren Erkrankungen. Diese entwickeln sich aber erst im Verlauf der Erkrankung und bilden sich nach der Remission wieder zurück. Zudem weisen auch Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung Schwierigkeiten mit der Theory of Mind auf.

Untersuchungen zur Theory of Mind nutzen sehr unterschiedliche Aufgabenstellungen und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen (Bruning et al. 2005). Die Theory of Mind scheint mit dem Mentalisierungssystem zusammenzuhängen, welches als Netzwerk zwischen den Temporalregionen, den Parietalregionen, dem medialen präfrontalen Kortex und der Amygdala fungiert und bei Menschen mit Autismus eine geringere Aktivierung zeigt (Frith 2001; Castelli et al. 2002). Bei Betroffenen wird eine reduzierte funktionelle Verbindung zwischen dem bei Mentalisierungsaufgaben hoch aktiven extrastriatalen Kortex und dem superioren temporalen Sulcus an der Verbindungsstelle zwischen Temporal- und Parietalregion beobachtet (Castelli et al. 2002). Die Autoren schließen auf eine Art Flaschenhals bei der Interaktion zwischen verschiedenen Wahrnehmungsprozessen. Eine besondere Rolle bei der Verarbeitung von Informationen von Gesichtern spielt der Gyrus fusiformis (Schultz et al. 2003). Diese Region scheint auch zusammen mit anderen Regionen (Amygdala, Temporalregionen, medialer präfrontaler Kortex, inferolateraler frontaler Kortex, superiore temporale Sulci) eine Rolle bei der sozialen Attribuierung von wahrgenommenen Situationen zu spielen (Schultz et al. 2003). Menschen mit Autismus zeigen zum Beispiel bei der Verarbeitung von Gesichtern signifikant weniger rechtshemisphärische Aktivierung im Bereich des Gyrus fusiformis als Kontrollpersonen (Bruning et al. 2005). Ferner geben auch Untersuchungen über die Augenbewegungen interessante Hinweise auf die Ursachen der sozialen Defizite: Menschen mit Autismus beobachten zum Beispiel in Gesprächen eher die sich bewegende Mundpartie oder unwesentliche Details und die verbalen Äußerungen, während sich Kontrollpersonen auf die Augenpartie konzentrieren sowie nonverbale Hinweise wie die Blickrichtung verfolgen und dadurch oft Informationen erfassen, noch ehe sie verbalisiert werden, oder solche, die im Gegensatz zum verbalen Inhalt stehen (Klin et al. 2003).

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