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Zentrale Kohärenz und globale versus lokale Informationsverarbeitung

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Die Zentrale Kohärenz (Happé und Frith 2006) ist die Fähigkeit, übergreifende (soziale) Muster und den gesamten Kontext zu erfassen. Frith (1989) konzeptualisierte sie als die spontane Tendenz normal entwickelter Menschen, Reize zu einem kohärenten, bedeutsamen Ganzen zu integrieren. Wahrnehmung und Denken werden im Sinne der Gestaltpsychologie und der kognitionspsychologischen Theorie der Feld(un)abhängigkeit durch zentrale Kohärenz bestimmt: Reize (Menschen, Objekte, Situationen, Gefühle) werden immer in Bezug auf ihren Kontext gesehen und zu einer höheren Ordnung im Sinne einer kohärenten Gestalt zusammengefügt.

Bei den Autismus-Spektrum-Störungen ist die Fähigkeit zur zentralen Kohärenz nur schwach ausgeprägt. Dagegen ist die Tendenz sehr stark, Reize isoliert und kontextfrei zu verarbeiten (Frith und Happé 1994; Happé 1997; Müller 2008). Diese Befunde könnten die Resultate aus Untersuchungen mit dem Hamburg-Wechsler-Intelligenztest (Tewes et al. 2000) erklären, wonach Menschen mit Autismus überdurchschnittlich gut im Subtest Mosaike abschnitten (Shah und Frith 1993; Happé 1997) oder bei den sogenannten Embedded Figures (Witkin et al. 1971) einfache Figuren finden, welche im Kontext einer komplexeren Figur lokalisiert werden müssen (Happé 1997; Happé et al. 2006). Zur Lösung dieser Aufgaben ist es von Vorteil, sich auf Details zu konzentrieren und ein Ganzes segmentiert wahrnehmen zu können.

Bei Menschen mit Asperger-Syndrom scheint die Zentrale Kohärenz weniger beeinträchtigt zu sein als beim Frühkindlichen Autismus (Jolliffe und Baron-Cohen 2001; Beaumont et al. 2008). Eine Hypothese besagt, dass diese Beeinträchtigung erst ab einer bestimmten zu verarbeitenden Informationsmenge auftritt (Jolliffe et al. 2001), währende eine andere Hypothese postuliert, es handle sich um keine Schwäche, sondern die Fähigkeit zur Zentralen Kohärenz sei auf einem Kontinuum anzuordnen (local versus global coherence) und durch zwei unterschiedliche, aber gleichwertige Informationsverarbeitungsstile, die globale und die lokale Informationsverarbeitung (local versus global processing), repräsentiert (Happé et al. 2006). Menschen mit Autismus setzen zwar öfters den detailorientierten Verarbeitungsstil ein, können aber bei Aufgaben, die explizit eine ganzheitliche Verarbeitung fordern, in diesen wechseln. Somit geht es möglicherweise weniger um eine Schwäche der globalen Verarbeitung und eher um eine auffallende Stärke der Detailorientierung. Müller (2008) gibt eine Übersicht über verschiedene Aufgaben, bei denen sich dieser Verarbeitungsstil anschaulich zeigt, und diskutiert die Vor- und Nachteile dieser Informationsverarbeitung. Befunde, wonach die Eltern – besonders die Väter – von Menschen mit Autismus ebenfalls signifikant öfter einen Verarbeitungsstil der Local Coherence anwenden, sprechen dafür, dass dieser Stil auch in der nicht klinisch auffälligen Bevölkerung im Sinne eines Broader Autism Phenotype vorhanden ist und durchaus Vorteile mit sich bringt (Happè et al. 2001). Zur Interpretation von sozialen Situationen ist eine ganzheitliche und kontextgebundene Wahrnehmung unentbehrlich (Berger et al. 2003, zit nach Happé et al. 2006). Die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz kann einen Teil der sozialen Schwierigkeiten von Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung erklären. Die anatomischen Strukturen hinter der Zentralen Kohärenz sind noch unklar.

KOMPASS - Zürcher Kompetenztraining für Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen

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