Читать книгу Klippenfall - Meike Messal - Страница 5

Оглавление

3

Als Sylke in vollkommener Dunkelheit zu sich kam, brauchte ihr Gehirn nur Sekunden, um sich zu erinnern: Er hatte vor ihnen gestanden. Sie hatte ihn nur aus den Augenwinkeln gesehen, keine Zeit gehabt, einen klaren Gedanken zu fassen, schon war ein schrecklicher Schmerz durch ihren Körper geschossen. Und dann diese Dunkelheit. Ein ähnliches undurchdringliches Schwarz wie dieses, das sie jetzt umgab. Sie hatte ihre Tochter nicht schützen können.

»Emmi?« Sylkes Stimme klang selbst in ihren Ohren zu dünn. Das lag nicht an ihren rasenden Kopfschmerzen oder an ihren Gliedern, die sich wie Pudding anfühlten. Nein. Die Angst nahm ihr die Kraft. Wo war Emmi? Obwohl die Dunkelheit sie umgab und sie selbst mit weit aufgerissenen Augen nichts erkennen konnte, spürte sie es: Emmi war nicht da.

»Emmi?« Lauter sagte sie es, flehend. Wenn sie sich doch täuschte und ihre Tochter neben ihr lag? Vorsichtig tastete Sylke nach links und rechts. Da war niemand. Sie lag weich. Nicht auf einem festen Boden aus Stein, Lehm oder Holz. Ihre linke Hand klopfte weiter den Untergrund ab, auf dem sie lag, und schlug dann ins Leere. Erschrocken hielt Sylke inne, ließ ihren Arm baumeln, horchte. Nichts. Dunkelheit und Stille.

Langsam stützte Sylke sich auf ihren rechten Arm. Sofort explodierten Sterne in ihrem Kopf. Mit fest aufeinandergepressten Lippen schob sie sich ein Stück nach oben, beugte sich nach links, drehte sich. Unter ihr quietschte es, ein altes Lattenrost auf Metall. Das Geräusch kannte sie, sie musste auf einem Bett liegen. Sie rollte sich zurück auf den Rücken, streckte beide Arme aus. Rechts stieß sie an eine Wand. Rau. Keine Tapete.

Sylke versuchte, ihr Gehirn in Gang zu bringen. War es gut oder schlecht, dass sie hier lag? Immerhin lebte sie. Und sie lag in einem Raum, nicht irgendwo am Strand oder in dem kleinen Waldstück. Er hatte sie hierhergeschleppt und auf ein Bett gelegt. Und sie war nicht gefesselt. Oder? Mit einer plötzlichen erneut aufkommenden Panik zog sie ihre Beine zu sich, stieß erleichtert die Luft zwischen den Zähnen aus. Sie konnte sich bewegen. Wenn es doch bloß nicht so verdammt dunkel wäre!

Sylke atmete tief ein und schwang dann die Beine über den Bettrand. Sofort wurde ihr schwindelig, stöhnend presste sie die Finger gegen die Stirn. Aber sie saß. Sie griff nach ihrer Hosentasche, aber natürlich hatte er ihr das Handy abgenommen. Ihre Füße berührten den Boden und langsam stand Sylke auf, ignorierte das Pochen hinter ihren Schläfen, befahl den Beinen vergeblich, mit dem Zittern aufzuhören. Vorsichtig streckte sie sich, hob die Arme in Zeitlupe nach oben, zuckte zurück. Ihre Fingerspitzen hatten die Decke gestreift. Niedrig war sie, zu niedrig für ein normales Zimmer. Sylke streckte die Arme nach vorne, tastete sich zur nächsten Wand, fuhr an ihr entlang.

Es dauerte lange, bis sie den ganzen Raum erkundet hatte. Mehrfach war sie gestolpert, gegen Dinge gestoßen. Sie hatte alles abgetastet, jeden Winkel erforscht. Zurück bis zu dem Bett. Sylke ließ sich darauf sinken, krallte sich mit beiden Händen an der Matratze fest.

Es war ein vollmöbliertes Zimmer mit einem Tisch und einem Stuhl. Sogar einen Sessel und ein Regal hatte sie erfühlt. Und in der Ecke schräg gegenüber zwei niedrig gemauerte Wände, die ihr bis zur Brust gereicht hatten. Es hatte lange gedauert, bis sie begriffen hatte, dass es ein kleinerer, abgeteilter Bereich sein musste, in dem sie dann eine Toilette und ein Waschbecken entdeckt hatte.

Und natürlich gab es eine Tür. Bei ihr hatte sie besonders viel Zeit verbracht. War immer wieder mit den Fingern daran entlanggefahren. Über das kalte, glatte Metall, über die Scharniere auf der einen Seite. Doch sie hatte keine Türklinke ertastet, nur eine kleine Schlossrosette. Es hatte gedauert, bis sie die volle Bedeutung dieser Tatsache erkannte und den Gedanken zulassen konnte: Ohne Schlüssel kam sie hier nicht heraus. Sie war eingesperrt. In einem fensterlosen Zimmer mit niedriger Decke.

Aber das Wichtigste hatte sie nicht gefunden. Nirgendwo.

»Emmi!« Das Wort kam schluchzend aus ihrem Mund. Eine Welle der Verzweiflung erfasste sie so stark, dass sie schwankte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war und wer sie gefangen hielt. Aber das Schlimmste war die Ungewissheit, was er mit ihrer Tochter gemacht hatte.

Klippenfall

Подняться наверх