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Langsam gewöhnten sich Sylkes Augen an die Helligkeit. Sie schaute sich um, eilig, wer wusste schon, wann das Licht wieder ausging. Sie hatte gründliche Arbeit geleistet, das Bild in ihrem Kopf stimmte. Nur wurde es jetzt mit Farben gefüllt: Der Sessel war aus einem tiefen Bordeauxrot und sah ein wenig so aus, als könnte eine Oma gut in ihm vorlesen. Das Regal war groß und dunkel und mit allerhand Büchern und Spielen bestückt. Auf dem Bett lag eine bezogene Bettdecke. Die hatte sie gar nicht wahrgenommen.

Und in einem weiteren Punkt hatte sie Recht gehabt: Es gab kein Fenster. Die Decken waren niedrig. Die Tür bestand aus massivem, glänzendem Metall. Keine Klinke. Kein Entkommen.

Sylkes Müdigkeit war schlagartig verschwunden, stattdessen breitete sich die Angst erneut in ihr aus. Sie zwang sich, den Blick abermals durch den Raum wandern zu lassen. Gab es irgendwo eine Kamera? Beobachtete sie jemand? Doch so sehr sie sich anstrengte, sie konnte nichts entdecken.

Vorsichtig stand sie auf. Ihr Rücken schmerzte und knackte, als sie sich kurz streckte, ihre Beine fühlten sich wackelig an. Sie ging auf das Regal zu und betrachtete es eingehend. War dort irgendwo eine Kamera versteckt?

Ihre Finger fuhren über die vielen Bücher, zogen nacheinander einige heraus, schlugen sie auf. Warrior Cats, verschiedene Bände. War das nicht eine Reihe, die schon länger bei Jugendlichen beliebt war? Sie meinte, sich zu erinnern, dass Emmi einmal davon erzählt hatte.

Als ihre Augen über die Bücher eine Regalreihe darunter wanderten, begann ihre Hand zu zittern. Astrid Lindgren: Mio, mein Mio. Die Brüder Löwenherz. Ronja Räubertochter, das sie Emmi im vergangenen Winter vorgelesen hatte. In der Ferienzeit hatte sie noch nie Urlaub nehmen und den Laden schließen können, denn da war auf der Insel natürlich am meisten los; für eine Aushilfe war der Umsatz nicht groß genug. Der reichte zwar, aber nur, wenn sie allein dort schuftete. Doch in den kalten Monaten war immer weniger Trubel als im Frühjahr und Sommer. Da hatte sie mehr Zeit für Emmi, und die hatte sie angebettelt, ihr das Buch vorlesen. Eigentlich fand sie, dass Emmi schon zu groß dafür sei und Bücher selbst lesen konnte und sollte. Doch ihre Tochter hatte nicht lockergelassen, und so hatten sie an den langen Winterabenden zusammen auf dem Sofa gesessen und waren in Gedanken mit Ronja und Birk durch den Wald gezogen.

Mit einem Mal war dieser Geruch in ihrer Nase: Emilies Haar, direkt auf ihrer Schulter. Wenn sie sich nur ein klein wenig drehte, versank ihre Nase darin – in dem blonden Haar, das über sie floss wie ein sich wogendes Weizenfeld im Sonnenschein und genauso duftete. Nach frischem Brot. Nach Sommer. Nach Leben.

Sylke schluckte. Behutsam nahm sie das Buch in die Hand, streichelte darüber. Dann drückte sie es fest gegen ihre Brust. Konnte jemand, der Lindgren-Bücher besaß, böse sein? Das war schier unmöglich, oder?

Regungslos stand sie dort. Doch der Griff um das Buch wurde härter, so hart, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ihr Blick war auf das gegenüberliegende Bett gerichtet. Auf die Decke, die ihr zuerst nicht aufgefallen war. Rosa war die. Kleine grüne Feen mit Zauberstäben in den Händen flogen darauf umher.

Langsam drehte sie sich zurück zu dem Regal. Mehrere Bände von den Fünf Freunden und von TKKG standen dort ebenfalls. Sie sahen im Gegensatz zu den anderen Exemplaren alt und abgegriffen aus. Daneben ein Mikado-Spiel, ein weißer Block, Filzstifte.

Plötzlich war Sylke so schwindelig, dass sie sich auf den Teppich sinken ließ. Das Zimmer drehte sich. Sie atmete tief ein und aus, stützte sich auf dem Boden ab. Dieser Raum war ein Gefängnis, das nicht für sie errichtet worden war.

»Emilie!« Das Wort entfuhr ihr mit geballter Wucht, sie schrie es hinaus mit ihrer Angst. Wo zur Hölle war sie? Und warum war sie statt ihrer Tochter hier, in diesem verfluchten Kellerraum, der eindeutig nicht für sie bestimmt war?

Mit den Fingern trommelte sie gegen ihre Stirn, dann mit der Faust, immer heftiger. »Denk nach! Denk, verdammt noch mal, nach! Wer ist dieser Typ und wo könnte Emmi sein?«

Doch ihr Kopf war leer, nur die Angst pulsierte hindurch, verdrängte alles andere. Und mit einem Mal wünschte sich Sylke die gnädige Schwärze zurück.

Klippenfall

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