Читать книгу Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut! - Melanie Huber - Страница 12
ОглавлениеKapitel 6 So, und jetzt – WOHIN?
Es war schon eine halbe Stunde her, dass ich die Grenze passierte und mich nun auf österreichischem Boden befand. Langsam meldete sich mein Magen und knurrte fröhlich vor sich hin. Die Strecke war mir bekannt, die Umgebung vertraut, hatte ich doch meine ganze Kindheit im verträumten Mondsee verbracht. Um kurz nach acht kam ich endlich in meinem Elternhaus an, in dem aber außer Manfred, unserem liebevollen, verspielten Kater, niemand anwesend war. Zur Begrüßung strich er mir um die Beine, schnurrte und ich streichelte ihm sein kuscheliges, rotes Fell. Erst als ich die Küche betrat, fiel mir wieder ein, dass sich meine Mom mit meinem Stiefvater André ein paar schöne Tage in einem Wellnesshotel gönnte. Meine Oma wurde währenddessen bei unserem alleinstehenden Onkel Peter einquartiert, um den Haushalt wieder ein bisschen auf Vordermann zu bringen. Von meinem jüngeren Bruder, der eigentlich die Aufgabe hatte sich um Manfred zu kümmern, fehlte jede Spur. Gezwungenermaßen würde das für Manfred eine Diät-Woche werden. Die Welt um mich herum war wie gewohnt äußerst glücklich und zufrieden, nur meine eigene lag in Trümmern. Meine Füße vergrub ich in meine heißgeliebten Tigerpatschen – ab diesem Zeitpunkt war ich wirklich zuhause angekommen. Hungrig durchsuchte ich den Kühlschrank, der leider nicht wirklich etwas hergab. Deshalb plünderte ich die Speisekammer, stopfte mir ein paar Schokoladenkekse in den Mund und kramte im Tiefkühlschrank weiter nach etwas Essbarem. Ich wurde fündig. Eine Packung Pizza mit Salami und Schinken, die ich dann auch schon beherzt in den Backofen schob. Mit Manfred auf dem Schoß setzte ich mich auf die Holzbank, die neben dem Kachelofen stand und wartete sehnlichst auf das Piepsen vom Elektroherd. Meine Gedanken kreisten in meinem Kopf herum.
Auffordernd stupste Manfred immer wieder mit seiner Nase gegen meine Hände und holte sich seine Extraportion Streicheleinheiten bei mir ab. Zärtlich vergrub ich meine Hände in sein weiches Fell. Er bedankte sich mit einem lautstarken Schnurrgeräusch und das half mir doch tatsächlich, ein wenig Stress abzubauen. Es fühlte sich komisch an, alleine im Haus zu sein. Diese Stille war ungewohnt. Normalerweise kam ich alle drei Wochen nach Mondsee und blieb dann das ganze Wochenende bei meiner Familie, vorwiegend wenn Niklas das Wochenende geschäftlich verreist war. Wir wohnen etwas außerhalb vom Zentrum in einem großen Einfamilienhaus. Früher bewirtschafteten meine Großeltern noch einen Bauernhof. Als aber mein Opa viel zu früh starb, und meine Oma unmöglich die harte Arbeit alleine bewältigen konnte und kein Mann in der Nähe war, da ja mein Vater vor vielen Jahren schon das Weite gesucht und leider auch gefunden hatte, wurden Tiere, Maschinen und Grundstücke verkauft. Wir waren nicht reich, aber Geldsorgen hatten wir auch nie wirklich. Meine Mom war Krankenschwester und finanzierte, hauptsächlich mit Nachtdiensten, unser Studium. Mein Bruder und ich leisteten auch einen Beitrag. Ich gab Nachhilfestunden und jobbte noch gelegentlich bei einem Fotografen, und mein Bruder nahm in den Ferien einen Job in einer Werkstatt an. Mit einem Teil des Geldes, das vom Verkauf übrig war, renovierten meine Oma und meine Mom unser Haus, das sich unter anderem deswegen bis heute in einem sehr guten Zustand befand. Es war zwar nicht modern, eher traditionell, aber dafür umso liebevoller eingerichtet. Während ich meine geschmacklose Pizza mit reichlich viel Ketchup verspeiste, klingelte ständig mein Handy. Es war Niklas, der schon zum fünften Mal anrief. Der Klingelton wurde immer aufdringlicher, was mich echt nervte, und ich drückte ihn dann ohne mit der Wimpern zu zucken einfach weg. Es war wie ein Spiel, das sich stets wiederholte. Er rief an – ich drückte ihn weg, und dann ging es wieder von vorne los. Mittlerweile war er bestimmt auch schon in seiner Wohnung und war vermutlich stinksauer über deren Zustand, was mich aber nur schadenfroh grinsen ließ. Nachdem ich Manfred etwas zu fressen gegeben hatte, ging ich nach oben in mein altes Jugendzimmer. Jedes Mal wenn ich es betrat, kam ich mir vor, als würde ich mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit reisen. Uralte Bravo-Poster zierten Wände und Schränke, kitschiger Mädchenkram war in den Schubladen meines Schreibtisches zu finden, und ein alter, leicht verstaubter brauner Bär mit einem beigen Herz auf den Bauch, den Malou und ich mal bei einem Jahrmarkt gewonnen hatten, lümmelte neben Büchern im Regal herum. Er hatte wahrlich schon die besten Jahre hinter sich. Mein Zimmer sah nach wie vor noch so aus, wie ich es damals nach meiner Schulzeit verlassen hatte. Bis auf eine kleine Malecke, die ich mir später eingerichtet hatte. Niklas mochte ja meine Bilder nicht und malen konnte ich in seiner Wohnung erst recht nicht; irgendwie war mein Qi blockiert. Das machte wohl die Kälte, die seine Wohnung ausstrahlte. Es machte mir nichts aus, dass mich Tom Cruise zusammen mit den Toten Hosen von den Postern anlächelte, begleitet von Batmans furchteinflößendem Blick. Dadurch fehlte es mir nie an Gesellschaft beim Malen. Roch es dann in meiner alten Räumlichkeit zu sehr nach Farbe, schlief ich meistens auf der Rattan-Couch im Wintergarten oder im Zimmer meines Bruders. Angelehnt an der Wand standen ein paar Spannrahmen und einige Ölgemälde herum. Ich kramte meine Malutensilien zusammen, also Pinsel, Farben und eine zusammenklappbare Staffelei, verstaute alles auf der umgeklappten Rückbank meines Minis und machte mich bettfertig. Jedenfalls würde ich meine Reise morgen fortsetzen.
Meine Laune?
Selbstverständlich war die bestens!
Juhu!
Nein, die schwirrte noch immer irgendwo im Keller herum. Tja, wenn es so leicht wäre, dann würden viele Probleme einfach weggegrinst werden. Überhaupt war mir die Schokoladeneis-mit-Schokosplitter-Therapie wesentlich lieber. Der große Nachteil dabei? Den kennt ja jeder, aber was soll´s … alles im Leben hat eben zwei Seiten.
Dann rief ich Ben an. Der lag bestimmt, beschäftigt mit einer Tüte Chips, vor der Glotze. Dennoch, für einen Anruf war es noch nicht zu spät. Ich hatte das dringende Bedürfnis nach ein paar tröstenden Worten von einem einfühlsamen Freund. Schwule beste Freunde haben definitiv ihre Vorteile. Nicht nur, dass sie einem mit Rat und Tat bei der Klamottenwahl beistanden, man hatte auch schnell mal einen festen Freund an seiner Seite, wenn man von blöden Typen angemacht wurde.
Ben und ich – die Lachnummer des Jahrhunderts!
Und natürlich waren sie für einen da, wenn es darum ging, sein Herz auszuschütten. Sie konnten geduldig zuhören, trösten und dachten hinterher nicht gleich an Sex. Äußerst rücksichtsvoll!
Nach dem dritten Mal klingeln hob er endlich ab.
„Hallo mein Schnauzebärchen … mit dir habe ich jetzt gar nicht gerechnet. Was gibt´s denn?“ Er klang ziemlich verschlafen.
Ähm ja, was sollte ich ihm jetzt sagen und vor allem WIE? „Hey Ben … na, wie geht’s?“ „Mia, komm schon, was hast du auf dem Herzen? … Du rufst nicht ohne Grund um zehn Uhr nachts bei mir an …“ Seine knarrende Couch verriet, dass er sich gerade aufrichtete und dann hörte ich im Hintergrund eine Chipspackung rascheln. Er war so berechenbar. Seufzend begann ich zu erzählen: „Zwischen Niklas und mir ist Schluss – er hat seit einem Jahr eine Affäre mit diesem vollbusigen Büromonster!“ Ich konnte nichts dafür, aber mit dem Bewusstsein, zu viele Informationen in einen viel zu kurzen Satz verpackt zu haben, platzte es mir einfach aus dem Mund. „Na Gott sei Dank!“, rief er auch schon durch den Hörer! Ich war schockiert. Das mit dem einfühlsamen Freund nahm ich augenblicklich und mit sofortiger Wirkung zurück! „Echt jetzt Ben? Fällt dir nichts Besseres ein?“ „Doch“, schmatzte er, „komm vorbei und wir gucken uns ein paar Filme an. Schokoeis müsste auch noch im Kühlfach sein“, gab er lakonisch von sich. Mir wurde heiß und kalt gleichzeitig; wie konnte er nur so locker reagieren? Hätte ich ihm erzählt, dass unser Lieblingsasiate Wang-Li ‚All you can eat‘ nicht mehr anbot, weil es zu viele gefräßige Monster wie ihn gab, wäre er vermutlich – nein ganz sicher – in eine schwere Depression gestürzt. „Spinnst du? … Außerdem, ich kann nicht … ich bin, naja … in Mondsee.“ „Jetzt mal der Reihe nach … verarschst du mich? Was machst du um Himmels willen in Mondsee? … Morgen müssen wir wieder arbeiten.“ „Ich fahre zu Malou nach … Italien“, gab ich stammelnd zurück. „Ha, ha – jetzt verarschst du mich wirklich! DU fährst ganz bestimmt nicht nach Italien!“, lachte er. „Nein – es ist die Wahrheit Ben“, sagte ich leise. Ich konnte ja selbst kaum glauben, was ich da vorhatte. Aber genau das war mein Plan. Ben wusste als einziger Bescheid, warum mich eigentlich keine zehn Pferde mehr dorthin brachten. Aber ich brauchte meine beste Freundin, ein wenig Sonne – einfach Abstand, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Alle meine Gründe nicht dorthin zu fahren, beziehungsweise gab es ja nur einen, lösten sich plötzlich in Luft auf. Ich war fest davon überzeugt, dass ich diesem eingebildeten Tänzer und Kleinstadtcasanova einfach aus dem Weg gehen würde. Italien war ja schließlich groß genug für uns beide, und ich musste ja nicht mal mit ihm reden. Wenn doch, dann halt nur das Nötigste.
Vielleicht war er mittlerweile glücklich verheiratet und hatte bereits ein paar bambini im Schlepptau. Obwohl die Vorstellung alleine schon eher unwahrscheinlich war. „Okay?! … Also ähm … ich bin grad sowas von baff!! … Aber du kannst echt von Glück reden, dass diese Geschichte noch rauskam, bevor du diesen Scheißkerl geheiratet hast.“ Tja so gesehen … nennt man das wohl, Glück gehabt. „Mmh … kannst du mir bitte einen Gefallen tun?“ „Für dich doch immer, Spatz!“ „Kannst du bitte mit Mike reden und ihm erzählen, dass es einen Notfall in der Familie gab und ich meinen Urlaub vorziehe.“ Das wäre nur halb gelogen. Außerdem hätte ich kommende Woche sowieso Urlaub gehabt. Da hatte ich geplant, ein paar Dinge für unsere Hochzeit zu erledigen; und jetzt war ich dabei meinen Umzug zu planen! Das war schon irre! „Na klar, mach ich. Und wann hast du vor, wieder zurückzukommen?“ „… Ich weiß nicht Ben … ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung wie es weitergehen soll …“, seufzte ich. Danach herrschte Funkstille. „Hallo? … Ben? … Bist du noch dran?“ „Ja, … sorry, ich brauchte jetzt eine Sekunde … hast du etwa vor, gar nicht mehr zurückzukommen?“ ‚Toc-Toc‘ kam es von meinem Handy. Ich nahm es vom Ohr und schaute kurz auf das Display. Es war Niklas, der wieder anklopfte. Genervt rollte ich mit den Augen und wandte mich wieder meinem besten Freund am anderen Ende der Leitung zu. „Ben, ich weiß es nicht … ich brauche einfach ein bisschen Abstand …“
„Ach was, natürlich kommst du wieder! Du hältst es sowieso keine zwei Tage bei diesen braungebrannten Machos aus!“
Ich musste lachen, denn er hatte so recht.
„Jetzt mach erst einmal Urlaub, und wenn du genug hast und wieder da bist, kannst du gerne bei mir wohnen – okay?“ Hoffnung schwang in seiner Stimme mit.
„Danke, du bist lieb. Mach´s gut Ben!“
„Pass gut auf dich auf, hörst du?“
„Ich bin schon ein großes Mädchen – mach dir mal keine Sorgen mein Dickerchen!“
„Ich weiß nicht, da bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher … mach´s gut Mia! Und melde dich, wenn du angekommen bist.“
„Okay, werde ich machen … tschüss Ben.“
„Tschüssli mein Schnauzebärchen!“
Aufgewühlt lag ich in meinem Bett. An einen erholsamen Schlaf war nicht zu denken, denn kaum machte ich die Augen zu, sah ich nackte Menschen in dubiosen Konstellationen. Echt angsteinflößend! Spät, aber doch siegte die Müdigkeit und forderte ihren Tribut.
Frühmorgens schob ich mich zeitig aus den Federn, nahm eine ausgiebige Dusche und machte mir ein Frühstück, das aus einem Erdbeermarmeladebrot und zwei Tassen Kaffee bestand. Dabei studierte ich noch die Straßenkarte, denn ich wollte meine Reise ohne unnötige Unterbrechungen fortsetzen. Mein Bruder fand den Weg, wie so oft, nicht nach Hause. Er hatte wohl die Nacht bei einem Kumpel oder bei wem auch immer verbracht.
Ich fütterte unsere Miezekatze noch und ohne eine Nachricht zu hinterlassen, setzte ich meine Reise fort. Ich wollte niemanden unnötig beunruhigen, denn wie ich meine Mom kannte, hätte sie sofort den Urlaub abgebrochen, wäre nach Hause gefahren und hätte mich mit einem ausführlichen Frage-und-Antwort-Spiel genervt. Wobei sie diejenige wäre, die den fragenden Part übernahm und darauf hatte ich nun wirklich keinen Bock. So verschaffte ich mir, noch etwas Zeit gründlich darüber nachzudenken, wie, wann und wo ich es ihr sagen würde.
Mein Handy hatte schon eine ganze Weile keinen Mucks mehr von sich gegeben. Nach dreiundzwanzig ‚Anrufe in Abwesenheit‘, die alle von Niklas stammten, war ich froh darüber, dass es nicht mehr andauernd klingelte. Andererseits war es aber irgendwie doch ein wenig zu still. Vielleicht hatte er jetzt schon aufgegeben oder vielleicht vermisst er mich ja gar nicht. Vermutlich war er ja sogar froh darüber, dass es endlich raus war und sie ihre Liebe jetzt frei ausleben konnten. Trotzdem, ein kleiner Teil in mir wünschte sich, dass dieser Arsch um mich kämpfte, dass er für mich in den Krieg ziehen würde, um meine Liebe wieder zurückzuerobern. Dass er unerträgliche Schmerzen litt, weil ich weg war und dass er ohne mich nicht mehr leben konnte und vor allem wollte – ich hatte schließlich auch meinen Stolz und wahrscheinlich zu viele Ritterfilme gesehen! Okay, ich gebe es ja schon zu, ich habe die komplette Staffel von Prinzessin Fantaghirò zu Hause auf Video. (Naja, genau genommen nicht mehr, da mein Videorecorder … dieses gefräßige Ding …)