Читать книгу Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut! - Melanie Huber - Страница 14
ОглавлениеKapitel 8
Von der Zicke, die keinen Spaß versteht
Eineinhalb Stunden später, als ich mich schon eine ganze Weile irgendwo im Nirgendwo befand und mitten in der Provinz herum düste, fuhr ich einen schmalen, kurvenreichen Weg in einer wunderschönen Hügellandschaft hinauf. Ganz oben sah man schon von weitem eine italienische Villa. Links und rechts der Straße wuchsen wunderschöne Zypressen. Gelbe Getreidefelder dominierten die Landschaft wie bei einem schönen Gemälde, und der Himmel strahlte in den wundervollsten Blautönen, die er zu bieten hatte.
Oben angekommen parkte ich mein Auto neben einem dunklen Sportwagen, der dort im Schatten stand, stellte den Motor ab, gurtete mich ab und stieg mit Herzklopfen aus.
Das Anwesen, auf dem ich mich befand, wirkte äußerst gepflegt, war ringsum eingezäunt und mit seinen vielen Blumen und Sträuchern eine optische Augenweide. Das Ganze kam mir ziemlich bekannt vor, schon wegen der Fotos, die mir Malou ständig mailte. Zumindest hoffte ich, dass ich endlich da war. Ich wollte keinen einzigen Kilometer mehr fahren. Meine Klimaanlage hatte kurz nach dem Einkehrschwung den Geist aufgegeben, aus meiner Motorhaube stiegen eindrucksvolle Qualmwolken und es wurde im Auto auch schon unerträglich heiß. Natürlich sorgte ich mich auch um Franzl in seiner Salatschüssel. Ich wollte nicht, dass er zu Fischsuppe wurde. Obwohl ich alle Fenster aufmachte und es wie in einem Vogelhäuschen zog, klebte mein Kleid wie eine zweite Haut an mir. Meine Schuhe, die einfach nicht mehr auszuhalten waren, lagen während der ganzen Fahrt auf dem Beifahrersitz. Mir schossen ein paar echt wahnwitzige Fragen durch den Kopf.
Was wollte ich Malou überhaupt sagen?
Was wollte ich eigentlich hier?
Die ganze Zeit hätte ich darüber nachdenken können, aber durch die Grübelei über Niklas und jetzt auch noch über den Autocrash, hatte ich das völlig vergessen. Schließlich beruhigte ich mich mit folgendem Gedanken: Freunde überraschen einen doch gerne!
Mit Bedauern stellte ich fest – ich hätte ein Geschenk mitbringen sollen.
Als ich meinen Finger an die Glocke führte, spürte ich meine innere Aufregung so sehr, dass ich zögerte. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, gleich wieder nach Mondsee heimzureisen. Aber ich holte tief Luft, schloss die Augen und drückte auf den Knopf.
Bitte lass sie da sein! Bitte lass sie da sein!
Eine kleine, rundliche Dame mit einer weiß-blau gestreiften Kleiderschürze, machte mir die Tür auf. Verdutzt sahen wir uns gegenseitig an und sie musterte mich von Kopf bis Fuß. Ihre dunklen Augen strahlten so viel herzliche Wärme aus, dass ich mich in ihrer Nähe sofort wohl fühlte und ein wenig ruhiger wurde. Auf Englisch fragte ich sie, ob hier Malou und Giovanni Salvatore wohnten. Sie nickte lächelnd, schloss die Tür wieder und ließ mich warten.
***
Maria, die Haushälterin, stapfte gemächlich zu Gianni in den Garten und erklärte ihm, dass so eine verrückte, aber irgendwie doch nett wirkende junge Dame ohne Schuhe vor der Tür stand und nach ihnen fragte. Verwundert und neugierig zugleich, ging Gianni selbst zur Tür, gefolgt von Maria.
***
Hibbelig spazierte ich vorm Eingang auf und ab. Mein Bauch spielte komplett verrückt! Ich versuchte, mich abzulenken, indem ich die herrliche Aussicht genoss. In meiner Aufgeregtheit merkte ich vorerst nicht, dass ich auf einen spitzen Stein trat, zuckte vor Schmerz plötzlich zusammen und gab einen krächzenden Schmerzensschrei von mir. Während ich mit einem Fuß weiter humpelte, ging die Tür ein zweites Mal auf. Ein skeptisch dreinschauender Gianni stand vor mir, der mich aber gleich erkannte und mich freudestrahlend in die Arme nahm. Gott sei Dank.
„Mia! … Das ist ja una sorpresa! Schön dich zu sehen. Dich hätte ich hier am wenigstens erwartet!“
Ja, ich mich auch nicht.
Er drückte mich so fest, dass ich kaum Luft bekam und mein verschwitztes Kleid schien ihn nicht wirklich zu stören. Voller Freude schrie er nach Malou. Er hielt mich immer noch fest an meiner Schulter und führte mich ins Haus in einen riesigen Vorraum. Neugierig blickte ich mich um, der Boden war aus hellem Marmor, auf der linken Seite führte eine prunkvolle Stiege in das Obergeschoss, die Wände waren in hellem Gelb gestrichen und es standen ein paar große Vasen mit Blumenarrangements herum.
„Tesoro, komm schnell! Das glaubst du mir jetzt nicht! Mia ist hier!!!“ Malou kam aus irgendeinem Raum gerannt, sah mich mit aufgerissenen Augen an und begann, völlig durch den Wind, zu kreischen. Wir umarmten uns innig und jedem von uns kullerten kleine Freudentränen über die Wangen.
Da waren sie nun, meine Tränen.
Definitiv keine traurigen – nein, es waren Tränen der Freude.
Meine beste Freundin wollte mich am liebsten gar nicht mehr loslassen. Überwältigt von ihren Gefühlen drückte sie mich immer wieder ganz fest an sich und betonte voller Freude, wie glücklich sie wäre, dass ich es endlich mal geschafft hätte, sie zu besuchen. Sie konnte es gar nicht glauben, dass ich alleine mit meinem Mini von München nach Italien gefahren war.
Ehrlich gesagt, ich auch noch nicht so wirklich.
Und das, obwohl ich bekanntlich einen Orientierungssinn wie ein blindes Huhn hätte, meinte sie lächelnd. Weiter als bis zum Vorraum waren wir noch nicht gekommen, da bombardierte sie mich auch schon mit Fragen. Malou sah noch immer genau so aus, wie bei unserem letzten Treffen vergangenen Winter in Mondsee. Sie war etwas kleiner als ich, hatte ihre blonden Haare zu einem Zopf nach hinten zusammengebunden und war schlank wie eh und je. Sie war sehr hübsch, zierlich und die Bräune stand ihr sehr gut. Im Gegensatz zu ihr sah ich aus, als käme ich gerade aus einem Molkebad. Wie sollte man auch Farbe bekommen, bei diesem Sauwetter zu Hause?
„Setzt euch doch zu uns auf die Terrasse“, meinte Gianni. „Wir sind sowieso schon fertig.“ Er ging schon mal vor.
Malou führte mich durch einen kleinen Raum, weiter in einen Salon, in dem sich der Essplatz befand, und anschließend nach draußen auf die Terrasse. Der Super-Ehemann stand vor jemandem, den ich nicht sehen konnte, und wickelte eilig einige große Papiere, die wie Pläne oder technische Zeichnungen aussahen, zusammen.
„Komm Mia, setz dich doch. Zur Feier des Tages machen wir selbstverständlich die beste Flasche Wein auf, die wir da haben! Tesoro, wärst du vielleicht so lieb und holst uns welchen?“ Gianni schenkte seiner Frau ein süßes Lächeln, die daraufhin gleich los spurtete. Nervös erkundete ich meine neue Umgebung. Dann ging er einen Schritt zur Seite und erwähnte so nebenbei: „Du kennst doch noch meinen Kumpel Tom – oder?“ Da blieb mir echt die Spucke weg. Da saß er, mittlerweile wieder trocken, und packte gerade ein paar Sachen weg. Für Sekunden schaute mich dieser eingebildete Macho genauso geschockt an wie ich ihn. Ich bekam nur ein Nicken zustande. Tom, einmal am Tag, würde schon für die nächsten zehn Jahre reichen. Aber Tom zweimal am Tag, das war echt zu viel für meine Nerven. Sein letzter Satz „Im Leben sieht man sich immer zweimal“, drehte in meinem Kopf seine Runden. Ich sollte ihn korrigieren, er meinte wohl dreimal, viermal …
Mein Verstand meldete sich auch wieder mal zu Wort: Ich hab´s dir ja gesagt, bleib cool. Aber nein, du musstest ja auf Durchzug schalten!
„Tom, das ist Mia! Weißt du noch, Malous beste Freundin aus Mondsee?“
Bedauerlicherweise löste sich sein Schockzustand viel zu schnell und er lächelte mich sichtlich amüsiert an.
„Wie könnte ich sie je vergessen?“, entgegnete er süffisant, stand kurz auf und reichte mir die Hand.
Wie förmlich doch dieser Scheißkerl sein konnte!!!
„Tja, Zicken die keinen Spaß verstehen, vergisst man eben nicht so leicht!“, konterte ich schroff und hob meine Hand kurz zu einem Wink. Eine Berührung wollte ich mir echt sparen.
„Eigentlich hättest du schon viel früher da sein müssen. Bist wohl doch kein so großes Mädchen?“, entgegnete er provokant. Ich biss mir auf die Zunge und lächelte ihn gequält an. „Wieder trocken – hmm?“ „Muss ich das jetzt verstehen?“, fragte Gianni, irritiert über unsere Feindseligkeit. Wir antworteten beide nicht. Die Beste kam zurück und stellte eine Flasche Rotwein und vier Gläser auf den Holztisch. „Schatz, Mia und Tom konnten sich doch noch nie wirklich leiden, weißt du nicht mehr?“ Gekonnt drehte Gianni den Flaschenöffner in den Korken, und versuchte sich krampfhaft zu erinnern. An seinem hämischen Grinsen erkannten wir alle, dass es ihm langsam wieder dämmerte. Malou bot mir einen Stuhl gegenüber von Tom an, und sie nahm neben mir Platz. Mit einem Ruck öffnete Gianni die Flasche. Dabei pendelten seine Blicke zwischen Tom und mir hin und her. Um nicht gleich zu platzen, senkte er seinen Blick, fixierte den Flaschenöffner, drehte den Korken wieder herunter und versuchte sich zu sammeln. Räuspernd meinte er: „Ach ja, wie konnte ich nur vergessen.“ Drohend funkelte ich ihn an. Wehe, er würde diese alte Geschichte wieder aufwärmen. Ich spürte eine leichte Bewegung unter dem Tisch. Wahrscheinlich hatte Malou ihrem Super-Ehemann gerade einen sanften Fußtritt verpasst. Währenddessen schenkte meine Freundin den ersten Schluck in Giannis Rotweinglas ein und ließ ihn erst einmal kosten. Er ließ den Wein im Glas kreisen, sog den Duft des tiefleuchtenden Roten ein und probierte genüsslich. Erst als er nickte, schenkte sie auch uns ein. Wir erhoben unsere Gläser, stießen auf unser Wiedersehen an, auf alte Zeiten und auf unsere Freundschaft oder Feindschaft, wie man die Dinge eben sah. Ich konnte nicht anders und blickte neugierig um mich. Der Garten allein schon war Erholungsgebiet pur. Die schöne Villa der Salvatores lag, umgeben von urwüchsiger Natur, inmitten einer typisch italienischen Hügellandschaft. Niveauvolles Zusammenspiel von Grünflächen, Blumen, Ziergräsern und Bäumen lud ein, dem Alltag den Rücken zu kehren und die Seele richtig baumeln zu lassen. In der Mitte des Gartens war ein großer Pool, daneben standen Liegen aus Teakholz, auf denen sich cremefarbene Auflagen befanden. Es war einfach, herrlich anzusehen! Auch der Wein war köstlich und schmeckte leicht süßlich nach Trauben und Beeren. Nach dem ersten Schluck stellte Malou bestimmt ihr Glas auf den Tisch und wandte sich an mich. „Du schaust ziemlich erledigt aus. Möchtest du dich vielleicht etwas frischmachen?“ Typisch Malou, sie konnte mir fast immer jeden Gedanken von den Lippen ablesen. „Komischerweise ist mir meine Klimaanlage vor ein paar Stunden eingegangen.“ Ich schielte leicht zu Tom hinüber, der nichts von meiner spitzen Anspielung mitzubekommen schien, womöglich weil er sich schon wieder mit Gianni konzentriert unterhielt. „Eine Dusche wäre perfekt“, sagte ich dann. „Komm, ich zeig dir das Haus und unser Bad. Wie du ja weißt, haben wir unser Türproblem immer noch nicht gelöst, aber ich passe wie ein Adler auf, dass kein männliches Wesen in deine Nähe kommt.“ Grinsend packte sie mich fest bei der Hand und wir gingen durch die Pergola wieder zurück ins Haus. Gespannt blickte ich mich um. Alle Räumlichkeiten waren in warmen Farbtönen gehalten und Möbel und Dekorationen waren perfekt aufeinander abgestimmt. Typisch Malou eben! Sie schleppte mich wieder durch den Speisesalon, durch die schöne Küche, weiter durch einen Rundbogen, dann zu einem schmalen Flur und schließlich bogen wir nach links ins Badezimmer. „Geradeaus ist die Toilette“, meinte sie, „zur Zeit haben wir sie mit einem Vorhang abgehängt.“ Das Badezimmer sah toll aus. Luxuriöse Möbel trafen auf moderne technische Ausstattung. In der Mitte stand frei eine große, ovale, weiße Badewanne, rechts davon eine antike Kommode mit zwei Waschbecken und Riesenspiegeln. Rechteckige, mit einer leichten Wellenstruktur versehene beige Stein-Fliesen, zierten die Wände. Der Boden war aus dunklem Holz, und Deckenspots ließen den Raum hell erstrahlen. Zu meinem Bedauern bestand die Dusche nur aus klarem Glas. Malou holte mir ein paar frische Handtücher und meinte, sie würde ein Sommerkleid von sich raussuchen. Das war mir gerade recht, denn meine aufreizenden Kleider, die im Kofferraum schlummerten, wollte ich wirklich nicht anziehen. Also verließ ich mich auf den Geschmack meiner besten Freundin. Dennoch ging ich nochmals zu meinem Auto, um ein paar Sachen zu holen, und natürlich schaute ich auch nach Franzl, den ich vor lauter Aufregung fast vergessen hätte. Erst jetzt fiel mir auf, dass mein Mini wieder neben Toms Auto stand. Naja, wenigsten dieses Mal, ohne eine weitere Delle zu verursachen. Freundlich öffnete mir Maria erneut die Haustür, und ich wanderte in Richtung Badezimmer. Während das Wasser aus dem Duschkopf prasselte, zog ich mich gemächlich aus. Etwas unwohl wurde mir dennoch, weil ich ja keine Tür hatte, um abzuschließen. Das erfrischende Wasser aus der Regenbrause tat mir mehr als gut, und ich konnte für einen Moment sogar meine Probleme vergessen.
Ich fühlte mich frei.
Frei von trübsinnigen Gedanken, frei von Sorgen, frei von meiner unkontrollierbaren Gefühlswelt, frei von dem Chaos, das in den letzten Stunden in meinem Leben ausgebrochen war.
Und als ich mich in das flauschige Handtuch einwickelte, fühlte ich mich richtig geborgen. Bewusst sog ich dieses Gefühl in mich hinein, wobei ich es am liebsten konserviert hätte.
Jetzt, in diesem Augenblick, war alles gut!
Wenn auch nur für ein paar lumpige Minuten.
Kurz frottierte ich meine Haare ab, knetete meine Locken durch und beschloss, sie lufttrocknen zu lassen. Malou war schon viel zu lange weg, und ich wollte nach ihr sehen. Eingewickelt in mein Handtuch trat ich in den Vorraum, rutschte dabei fast auf dem glatten Boden aus und stolperte. Blöderweise direkt in Toms Arme, der gerade von der Toilette kam. Er hielt mich an meinen Ellbogen fest. Im ersten Augenblick starrten wir uns beide nur erschrocken an.
Ein gewaltiger Strom durchfloss meinen Körper, als würden mich tausend Blitze gleichzeitig treffen. Jede Faser meines Körpers zog sich zusammen und an der Stelle an der er mich berührte, brannte meine Haut. Aus meinen nassen, langen Haaren perlten einige Tropfen herunter, und ein paar verirrten sich auf sein cyanblaues Shirt. Es lag etwas Feuchtigkeit, vermischt mit dem Duft meines Duschgels, in der Luft. Geschockt hielt ich mein Handtuch fest umschlungen, und zum Glück saß es bombenfest. Ansonsten wäre es noch peinlicher geworden, als es ohnehin schon war. Ich starrte in seine hübschen, dunkelbraunen, glänzenden Augen und drohte darin zu versinken. Auch Tom wandte seinen Blick nicht von mir ab und er schenkte mir ein Lächeln. Nicht nur mit seinem Mund, nein auch mit seinen Augen.
Hmm … er hatte echt ein hübsches Lächeln …
Dummerweise hielt er mich immer noch fest. Ganz deutlich nahm ich wieder sein dezent riechendes, herbes Aftershave wahr. Zwischen uns herrschte plötzlich so eine aufgeputschte Energie. Keiner sah weg. Dann beugte er sich langsam zu mir runter und näherte sich meiner Halsbeuge. Obwohl es wahrscheinlich nur wenige Sekunden waren, in denen wir so verharrten, kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Wir waren nur eine Idee davon entfernt uns zu küssen, und Big Bens Glocken bimmelten! Ganz laut – so laut sie nur konnten!
Also mal kurz nachgefragt – was machen wir da überhaupt?
[…]
Wollte er mich etwa küssen?
JETZT?!?!
Mein Verstand rebellierte kräftig: MIA, STOPP, SOFORT AUFHÖREN! MIA BECKER, das ist TOM CORNELI, schon vergessen? Der Arsch des Jahrhunderts!!!
Aber ich war irgendwie total gelähmt. Ähm … und mit Puddingbeinen lässt es sich schlecht laufen – oder?
Langsam kam er noch näher und raunte mir mit seiner tiefen Stimme ins Ohr: „Nicht so stürmisch, kleine bella!“ Oh Mann, beinahe wäre ich gestorben. Aber nur beinahe. Dann zog sich mein Bauch seltsam zusammen und aus mir wollte kein einziges vernünftiges Wort heraus. Das war ein kompletter Absturz meines Systems. Ich spürte förmlich wie mein IQ kapitulierte, und mein Gehirn zu einer Walnuss schrumpfte. Plötzlich litt mein Herz an Rhythmusstörungen, die ich vorher noch nie hatte.
Was war bloß los mit mir?
Und wo war eigentlich mein Adlerauge, wenn man es mal brauchte? Offensichtlich ziemlich weit weg von mir. Und da stand sie dann doch plötzlich da … in letzter Sekunde. Meine Rettung – direkt vor uns! Genau im richtigen Augenblick. Genauso geschockt wie wir stand sie da, mit einem gelbem Kleid in der Hand und meinte verdutzt: „Stör ich?“
Tom räusperte sich und meinte lässig: „No, Mia hatte wieder mal zu viel Schwung drauf!“ Ganz sachte ließ er meine Ellbogen los, zwinkerte mir kurz zu und ging wieder in Richtung Terrasse. Meine Knie waren immer noch weich und erst nach ein paar Versuchen fand ich meine Stimme wieder. „Ziemlich … rutschig … hier … hast du … gefunden … ich meine, hast du etwas für mich gefunden?“ Zurück im Badezimmer musterte mich die Beste. Mit einem kritischen Gesichtsausdruck reichte sie mir ihr sonnengelbes Strandkleid. Ich versuchte, so normal wie möglich zu sein, was mir allerdings echt schwerfiel. Sie meinte, die Farbe würde mir stehen und super zu meinen braunen Locken passen. Mir fiel überhaupt nichts darauf ein. Ich war völlig von den Socken, versuchte aber dennoch, meine Verwirrtheit so gut ich konnte zu verbergen. Ich drehte mich schnell um und zog mir Unterwäsche und das Kleid an. Weil ich ja größer war als sie, reichte mir das Kleid bedauerlicherweise nur knapp bis zur Hälfte meiner Oberschenkel. Skeptisch beäugte ich mich selbst. Während ich mich wieder zu ihr umdrehte, klatschte sie in die Hände und meinte freudig: „Du siehst echt hübsch aus!“ „Oh Mann, Malou. Das ist aber schon etwas gewagt!“ „Ach papperlapapp. Das passt schon, sei nicht immer so prüde. Du hast doch eine tolle Figur. Glaub mir Süße, du kannst das tragen! Du siehst wirklich toll aus. Und jetzt komm, unser Wein wird schon langsam warm.“ Immer noch ein wenig konsterniert von dem Vorfall mit Tom, hängte ich mich in Malous Arm ein. Barfuß und kichernd stolperten wir in Richtung Terrasse zu den Jungs. Malou gab Gianni einen zärtlichen Kuss auf die Stirn und Tom musterte mich durchdringend. Mein Herz fing erneut wie wild zu rasen an, fast so, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mich gebracht. Verlegen betrachtete ich den Boden und wusste im ersten Moment nicht genau, wohin ich sonst schauen sollte. Wirklich – alles andere war wesentlich interessanter anzusehen. So viel harmloser, als ihn zwei wunderschöne, schokoladenbraune Augen zu sehen. Mit einem betretenen Gefühl setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl. Er nahm sein Glas in die Hand, lehnte sich gelassen zurück, nahm einen Schluck Rotwein und ließ mich dabei keine Sekunde aus den Augen. Wobei die ganze Zeit über ein leichtes Grinsen seine Mundwinkel umspielte.
Bah! Also dieser Typ hatte echt Nerven!
Keine Ahnung, was es da ständig so blöd zu grinsen gibt.
Malou setzte sich wieder neben mich und warf ihrem Gegenüber verliebte Blicke zu. Jetzt waren die beiden seit Ewigkeiten zusammen, aber das Geturtel nahm noch immer kein Ende. Irgendwann nistet sich doch der Alltag in jeder Beziehung ein – oder etwa nicht? Es war wie eine Krankheit, die sie nicht loswurden oder auch nicht loswerden wollten.
Soweit ich das beurteilen konnte, fingen die Männer wieder über Pläne zu diskutieren an. Malou und ich hingegen unterhielten uns über Einrichtungen, Bilder und tratschten über unsere gemeinsamen Bekannten aus Mondsee. Gianni öffnete bereits die zweite Flasche und der Rotwein stieg mir langsam zu Kopf. Das merkte man besonders an meiner Redseligkeit und an meinem lauten, unkontrollierten Gelächter, das mich von Zeit zu Zeit rot werden ließ. Das Thema Niklas ignorierte ich aber trotzdem zur Gänze. Kaum schweiften Gianni und Tom in die italienische Sprache, wurden sie schon von Malou ermahnt: „Jungs! Deutsche Sprache! Unser seltener Gast hier, soll sich doch ein bisschen heimisch fühlen.“
Sie hatte die beiden ganz schön unter Kontrolle, denn sie taten, wie ihnen befohlen wurde.
Kurze Zeit später meinte die Beste zu ihrem Super-Ehemann, dass sie seine Hilfe benötige, und zwar in der Küche. Trotzdem er noch in sein Gespräch mit Tom vertieft war, stand er auf, und folgte ihr gehorsam. Und wieder waren Tom und ich alleine am Tisch. Ich spielte mit meinem Glas, schwenkte die dunkelrote, schwere Flüssigkeit darin und zählte die Sekunden, bis die beiden endlich wieder auftauchen würden. Alleine mit ihm zu sein war mehr als beklemmend. Die kreisenden Bewegungen zogen mich in den Bann. Tom zündete sich eine Zigarette an und zog wie gewohnt genüsslich daran. Einige Zeit saßen wir einfach nur so da, bis er die Stille unterbrechen musste.
„Na, wusste ich es doch, dass wir uns kennen, … du hast damals … ein bisschen … anders ausgesehen … deine Haare waren viel kürzer.“
„Oh, wir müssen uns nicht unterhalten“, stellte ich abweisend klar.
Durchdringend musterte er mich, was mich nervös machte. Das brauchte er allerdings nicht mitzubekommen. Mit verschränkten Armen starrte ich zurück. Seine Mütze und seine Zigarettenpackung mitsamt seinem Schlüsselbund, lagen neben ihm auf dem Tisch. Seine etwas längeren, dunkelbraunen Haare standen kreuz und quer, was ich zu meiner Verzweiflung auch noch süß fand.
„Und ich muss sagen, mit langen Haaren siehst du noch viel hübscher aus.“ Genervt rollte ich die Augen.
„Glaub mir, könnte ich … ich würde dich liebend gerne von meiner Festplatte löschen!“
Leider hatte er recht. Damals sah ich wirklich etwas anders aus. Meine Haare waren nicht ganz so lang und ich hatte seinerzeit gerade meine Glätteisen-Phase. Wollte halt auch mal wissen, wie das so war mit glatten Haaren. Irgendwann wurde es mir dann doch zu blöd, unzählige Stunden im Bad zu verbringen, und ich ließ sie mir wieder länger wachsen. Lockig und ein bisschen crazy – das passt ganz gut zu mir. Es kommt die Zeit, da arrangiert man sich eben mit seinem Schicksal.
Aber auch er hatte sich verändert, zumindest äußerlich. Er war muskulöser geworden und sehr viel männlicher. Ansonsten war Tom immer noch derselbe Scheißkerl wie früher.
Dass er sich an meine Haare erinnern konnte …
Hatte absolut keine Bedeutung!
„Ach, so ist das.“ Er richtete sich auf, stützte seine Ellbogen wieder auf dem Tisch ab, spielte mit seinen Händen an seinem Schlüsselbund herum und schenkte mir ein schiefes Grinsen.
„Ich spuke dir also in deinem süßen Kopf herum … schön zu wissen!“
Auf was der nicht alles kommt?!
Ich bekomm gleich einen Lachkrampf!
„Der Kleinstadtcasanova hält sich wohl für unwiderstehlich!“
Doch er lächelte nur versonnen vor sich hin. Ab dem Zeitpunkt ignorierte ich ihn. Kurz darauf kamen Gianni und Malou mit Maria zurück. Sie stellten uns mehrere Platten mit italienischen Köstlichkeiten auf den Tisch. Genüsslich aßen wir Mozzarella mit Tomaten, gewürzt mit frischem Basilikum, schwarze Oliven, getrocknete Tomaten, köstliche Salami und natürlich Prosciutto mit Ciabatta, und tranken dazu immer mehr Rotwein. Langsam ging die Sonne unter, und der heiße Tag ging in einen lauwarmen Sommerabend über. Malou zündete ein paar Gartenlichter an, ihr geliebter Ehemann holte die nächste Weinflasche aus dem Keller, und da er schon auf dem Weg war, machte er auch gleich noch Musik an. Es war echt schön, wir lachten und redeten viel, natürlich auch über alte Zeiten. Streiften wir aber nur ein wenig ein bestimmtes Thema, schmunzelten drei am Tisch sitzende Personen in ihre Rotweingläser, und meine Wenigkeit guckte stumm und leicht beklommen aus der Wäsche. Wie seit Jahren ließ ich kommentarlos diesen Spott über mich ergehen. Aber zum ersten Mal in Anwesenheit von El-Macho. Was es nicht gerade leichter machte.
Gianni schenkte uns wieder allen großzügig ein. Nur Tom deckte sein Glas mit der Hand ab.
„Ist schon gut Alter, ich muss ja noch fahren.“
In mir keimte die Hoffnung, er würde bald mal abschwirren, aber da hatte der Super-Ehemann seine Einwände.
„Ach was, du kannst ja im Hotel übernachten. Du hast morgen Vormittag sowieso Dienst.“ Er nahm ihm das Glas aus der Hand und schenkte zu meiner Enttäuschung auch nochmal gehörig ein. Nach dem köstlichen Essen zündeten sich die beiden Jungs eine Zigarette an. Gianni rauchte, im Gegensatz zu El-Macho, nur ab und zu, wenn er gerade in Stimmung war. Ich musste mich zwingen, meinen Blick, von Toms Händen zu lösen, als mich der Ehemann von der Besten auch schon fragte: „Hey Mia, wie geht es eigentlich Niklas? Ist er noch immer so viel in New York unterwegs?“
Die Frage traf mich völlig unvorbereitet und war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, mir wurde richtig unwohl. Ich wollte nicht lügen, aber genauso wenig wollte ich über Niklas sprechen. Zumindest jetzt noch nicht. Und außerdem schon gar nicht vor Tom. Gespannt schauten mich alle fragend an.
„Mmh … zurzeit ist er ziemlich eingespannt“, gab ich zögerlich von mir.
Ein schriller Ton, der aus meiner Handtasche zu kommen schien, lenkte von meiner Stotterei ab. Da meine Handtasche unmittelbar neben Malou lag, kramte sie mir mein Handy hervor und reichte es mir.
‚Niklas ruft an‘, leuchtete uns das Display entgegen.
Auch das noch!
Wenn man vom Esel spricht, kommt er auch gleich gerannt! Sowas Blödes!
Außerdem würde das jetzt absolut kein harmonisches Gespräch werden, daher drückte ich ihn gleich wieder weg, so wie ich es schon die ganze Zeit über konsequent gemacht hatte.
„Willst du denn nicht rangehen? Er macht sich bestimmt Sorgen um dich!“, fragte mich die Beste.
Oh ja, ganz bestimmt!
„Später, … ich werde ihn später zurückrufen“, stammelte ich. Das klang schwer nach Erklärungsbedarf. Meine beste Freundin bemerkte sofort, dass da was faul war, und meinte einlenkend: „Mia komm, ich muss dir ja noch unser Wohnzimmer zeigen und dein Bild!“ Mit einem aufgesetzten Lachen sprang sie auf, zerrte mich am Arm hoch und schob mich regelrecht ins Wohnzimmer. Die kleine, zierliche Malou hatte ganz schön viel Kraft und ich wusste auf Anhieb, was jetzt auf mich zukommen würde.
Frage-und-Antwort-Spiel!
Juhu! Wie ich es liebe!
Sie führte mich in den großen Wohnbereich mit dem Kamin und den dunkelbraunen Ledersofas. Fast alle Räume waren offen miteinander verbunden und nur durch Rundbögen optisch getrennt. Also Fluchtmöglichkeit bestand.
Warme Farbtöne schafften eine angenehme Atmosphäre. Vorm Kamin standen zwei weiße Sofahocker, ein uriger Holztisch in der Mitte und in der Ecke ein Schachtisch mit Figuren aus edlem, geschliffenem Glas. Daneben hing ein großer Flachbildschirm. Außerdem war noch Platz für große Palmen in Übertöpfen. Oberhalb des Kamines hing mein Bild, das ich ihr vor kurzem per Paketdienst geschickt hatte. Alles perfekt harmonisch aufeinander abgestimmt. Dieses romantische Nest sollte eigentlich nur für gemütliche Stunden verwendet werden.
Im Moment aber fühlte ich mich, als wäre ich in einem Gerichtssaal gelandet.
Außerhalb der Hörweite der Jungs drückte sie mich an den Schultern nach unten in eines der schweren Ledersofas und musterte mich eindringlich. Sie blieb stehen und starrte mir fest in die Augen.
Jetzt fühlte ich mich etwas klein, auch ein bisschen hilflos.
In einem beinahe militärischen Ton fing sie dann auch schon an: „Mia Becker, seit Jahren überrede ich dich schon, naja besser gesagt bettle ich vergebens, dass du mich mal besuchen kommst. Und plötzlich stehst du vor meiner Tür! Spielst mir Friede, Freude, Eierkuchen vor!“, sie holte tief Luft, „fang erst gar nicht damit an! Ich kenne dich in- und auswendig – du bist meine beste Freundin! Also du sagst mir jetzt auf der Stelle was los ist!“
Ihr Blick hing an mir, zugleich abwartend und fordernd. Das stimmte, sie kannte mich wirklich gut. Ich konnte ihr nichts vormachen, also musste die Wahrheit auf den Tisch.
„Tja also … wo soll ich nur anfangen … Niklas und ich wollten heiraten“, stammelte ich. Genau so war es am Besten, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Perplex setzte sie sich neben mich hin, ihr Gesicht sprach Bände. Sie wusste nicht, ob sie sich jetzt freuen sollte oder nicht. Das war definitiv nicht DAS, was sie wohl hören wollte. Verdutzt antwortete sie mir: „Das ist aber …“, sie schluckte so laut, dass ich es auch hören konnte, „ähm … schön.“ Dann atmete sie nochmals tief durch. Dass sie Niklas nicht besonders mochte, war kein Geheimnis, und sie machte auch nie eines daraus. Aber mehr Contenance hätte ich ihr schon zugetraut. „Nein, ist es nicht!“, sagte ich bestimmt. „Ist es nicht?“ Ich glaubte, fast mich zu verhören, aber mir schien, dass ein freudiger Unterton in ihrer Frage mitschwang. „Es sollte für alle eine Überraschung werden, dass wir heiraten. Und jetzt … Ich habe ihn zusammen mit seiner Sekretärin erwischt. Du weißt schon, diese Schnepfe, von der ich dir schon ein paar Mal erzählt habe. Die auf keiner Cocktailparty fehlte und deren Möpse immer fast aus dem Kleid kullern.“ Jetzt, da ich es mal laut gesprochen hatte, fiel eine kleine Last von mir ab und ich fühlte mich irgendwie erleichtert. Malou starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Dann nahm sie mich, ohne ein Wort zu sagen, in den Arm und drückte mich ganz fest an sich. Das tat echt gut und es war genau das, was mir gefehlt hatte. „Das ist ja schrecklich!“ „Ich wusste nicht wohin, deshalb bin ich Hals über Kopf mit meinem ganzen Krempel aus Niklas´ Wohnung in mein Auto gestiegen und bin zu dir gefahren – ziemlich egoistisch, ich weiß … tut mir echt leid.“ „Ach komm Mia, es ist doch völlig egal aus welchen Gründen du hier bist. Ich freue mich total dich zu sehen!“ Dieses Mal war ich es, die laut schluckte. Sie ließ mich los und wir beide atmeten mal kräftig durch. „Ich habe alles verloren Malou. Meinen beschissenen Freund, der auf Plastikbusen abfährt, mein Zuhause, und meinen Job bin ich vermutlich auch los!“, gab ich verzweifelt von mir. Jetzt kullerten mir ein paar Tränen über die Wangen, aber nicht wegen Niklas, sondern eher wegen meines Jobs, wegen meines Lebens, das ich gezwungenermaßen zurückgelassen hatte. Und das ausstehende Gespräch mit Mike, das mir trotz Bens Ausrede bevorstand, machte mir qualvolle Bauchschmerzen. Die Beste drehte sich kurz zur Seite, holte von einem gläsernen Beistelltisch eine Taschentücherbox, zupfte mir eines heraus und mit einem tröstlichen Blick reichte sie es mir. „Mensch Mia, das tut mir alles so leid für dich. Aber irgendwie bin ich von Niklas gar nicht mal so sehr enttäuscht. Ich meine, das was er getan hat, ist natürlich nicht okay. Aber der schreit doch schon von weitem, dass er nichts anbrennen lässt.“ „Super, aber diese Erkenntnis hilft mir jetzt auch nicht weiter!“ Schnäuzend fuhr ich mit verstopfter Nase fort: „Vielleicht hast du ja recht, aber er hatte auch seine positiven Seiten.“ Kräftig schnäuzte ich mich ein weiteres Mal in das Taschentuch.
Im Moment fallen mir gerade keine ein, aber er hatte welche, ganz bestimmt …
„Mia, wir schaffen das schon. Wir finden schon eine Lösung. Jetzt bleibst du vorerst hier, genießt unser schönes Land und machst einen entspannten Urlaub. Gönn´ dir mal eine Pause von allem, alles andere ergibt sich schon und wenn es dir zu langweilig wird, dann finden wir auch eine Aufgabe für dich.“
Aufmunternd fuhr sie mir durch die Haare und streichelte meinen Rücken. Sie war für mich die beste Freundin, die man sich nur vorstellen konnte.
„Ich kann gut verstehen, dass du nicht mehr mit ihm reden willst.“
„Irgendwann sollte ich bestimmt nochmal mit ihm reden. Aber jetzt im Moment kann und will ich nicht. Außerdem wäre das vorhin echt unschön geworden.“
„Unschön?“
„Ja, ich denke schon. Ich habe ihm nämlich eine nette Überraschung hinterlassen.“
„Eine Überraschung?“
„Ich habe seine ganze Bude auf den Kopf gestellt. Genau genommen findet er sein ganzes Hab und Gut auf der Straße wieder.“ Malou grinste, schaute mich erstaunt an und ich redete weiter.
„Tja, und außerdem habe ich sein geliebtes iPad und seine Zahnbürste ins Klo geworfen.“
Malou riss die Augen auf und lachte laut los. Sie rubbelte meine Arme und meinte dann: „Boah Mia, echt jetzt? Das hat der Scheißkerl wirklich verdient. Er soll ruhig etwas leiden. Was würde ich dafür geben sein Gesicht zu sehen!“ Da mussten wir beide lachen. Dieser Anblick wäre wirklich eine Genugtuung gewesen. Ich zupfte mir ein neues Taschentuch aus der Box und trocknete mir meine Augen.
„Kannst du dich noch erinnern, als Giovanni bei uns zu studieren anfing und ich ihn noch nicht meinen Eltern vorstellen wollte, weil ich Angst hatte, dass sie ziemlich sauer werden würden, wenn ich mit einem Italiener ankomme?“
Automatisch nickte ich. Malou erwartete keine Antwort, ich konnte mich noch sehr gut daran erinnern.
„Damals hast du uns beiden unsere gemeinsame Studenten-Wohnung überlassen. Du bist dann drei Wochen lang jeden Tag von Linz nach Hause zu deinen Eltern gefahren, hast dort geschlafen und in der Früh bist du wieder in die Uni mit dem Zug getingelt, ohne dich auch nur ein einziges Mal zu beschweren! Das haben wir dir immer hoch angerechnet. Das war echt lieb von dir und jetzt können wir uns endlich bei dir revanchieren.“
Oh ja, ich erinnerte mich noch gut daran. Damals musste ich jeden Tag um fünf Uhr in der Früh aufstehen, um rechtzeitig den Zug zu erwischen. Für einen Morgenmuffel wie mich war diese Uhrzeit ein absolutes No-Go. Deswegen schlief ich sogar an einem Montag mal in der ersten Stunde ein. Herr Wojak, mein Lehrer, kam auf mich zu, ließ neben mir einen Stapel Bücher auf den Tisch knallen und brüllte mich wie ein Offizier an: „ENTSCHULDIGUNG! ICH WOLLTE SIE NICHT WECKEN!!!“
Das waren echt lange drei Wochen, aber was tut man nicht alles für das Glück seiner besten Freundin, die damals gerade im siebten Himmel schwebte.
„So!“ Malou schlug sich mit den Händen auf die Knie und stand energisch auf. „Und jetzt müssen wir nur noch eine passende Unterkunft für dich finden! Denn hier, meine Süße, so leid es mir auch tut, kannst du nicht bleiben. Unser Gästezimmer ist noch nicht fertig und das Sofa wird dir auch bestimmt zu unbequem werden. Kann ich dich kurz mal alleine lassen, ich muss mal dringend telefonieren?“
Fragend starrte ich sie an, nickte nur und sie verschwand in Richtung Küche. Meine Augen schweiften im Wohnzimmer umher. Ich betrachtete die Glasfiguren am Schachtisch, blieb aber schließlich an meinem Gemälde kleben. Im Hintergrund hörte ich lautstark die Beste in Italienisch plappern.
Als sie nach einer Weile strahlend zurückkam, fragte ich sie zu allererst: „Wo hängt eigentlich das zweite Bild?“
„Oh!“ Da kam sie etwas ins Schleudern und für einen Moment entglitt ihr das Lächeln. „Also, das … naja … um ehrlich zu sein, das hängt wo anders.“
„Wo denn?“
„Ich meinte bei j-e-m-a-n-d anderem.“ „Du hast mein Bild verkauft? Das war mein Lieblingsbild Malou, ich musste mich echt durchringen, dass ich es dir überhaupt überlassen habe.“ „Naja“, fuhr sie fort und mied meinen Blick, „derjenige hat mich wochenlang damit genervt. Richtig tyrannisiert hat er mich. Er wollte das Bild unbedingt haben … Dieser Jemand hat sich regelrecht in das Bild verliebt Mia! Ich verstand es nicht und irgendwann wurde es mir zu bunt, und ich habe es ihm einfach geschenkt.“ „Du hast mein Bild auch noch verschenkt?!?!“ „Tut mir leid. Aber wenn es dich tröstet, es ist jemand, der von Kunst auch etwas versteht. Glaub mir, er weiß es zu schätzen; und manche Geschenke kann man mit Geld nicht bezahlen.“ „Und das aus deinem Mund! Du Kunstbanause! Kenne ich denjenigen vielleicht?“
Vielleicht könnte ich ihn bequatschen, damit er mir das Bild wieder zurückgibt.
„Also … nein … eigentlich nicht wirklich“, antwortete sie, und blickte verlegen auf den Kamin. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, als wäre das nur die halbe Wahrheit. Aber da packte sie mich schon wieder am Arm und zerrte mich lächelnd zu den Jungs auf die Terrasse.