Читать книгу Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut! - Melanie Huber - Страница 7

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Kapitel 1

Vielleicht JA … vielleicht NEIN …

Ganz ehrlich. Jetzt war ich richtig froh, endlich in diesem überfüllten Bus zu stehen. Obwohl ich mit zu wenig Platz und Enge durchaus meine Probleme hatte.

Zwei Stationen noch.

Absichtlich blieb ich neben der Tür stehen, um gleich loszustürmen, wenn es so weit war. Wie fast immer war ich schon einige Minuten zu spät dran. Nebenbei bemerkt befand sich meine Laune ziemlich weit unten im Keller.

Jedes Mal, wenn der Busfahrer auf die Bremse trat, hatte ich Panik, ich würde auf den Typen vor mir knallen und mir dabei eine Extraportion an Grippeviren abholen, die er mit seinem ständigen Niesen in den Kosmos verteilte. Ich krallte die Finger meiner linken Hand noch fester in den Kunststoffriemen. Die andere war voll mit wichtigem Krimskrams, der nicht mehr in meine Handtasche gepasst hatte und einem Pappbecher, gefüllt mit meinem morgendlichen Lebenselixier. Ohne Koffein ging schon mal gar nichts.

Etwas seitlich von mir saß ein kleiner, rothaariger Junge mit Sommersprossen breit grinsend auf seinem Sitzplatz, und anstatt mich freundlich zu grüßen, streckte er mir tatsächlich seine Zunge entgegen. Wie nett. Für einen kurzen Augenblick wollte ich glatt dasselbe tun. Ignorierend wandte ich mich von ihm ab. Ich ahnte es heute Morgen schon, als ich noch in den Federn lag, dass das heute einer dieser Tage werden würde, an denen es am besten war, gar nicht erst aus dem Bett zu kriechen. Das nächste negative Gefühl überrollte mich, als ich einen verschlafenen Blick auf meinen Wecker warf. Dem war so gegen fünf Uhr zehn der Saft ausgegangen. In meinem Kopf tauchte wahrhaftig dieser rosarote Duracell-Hase auf. Tja, hätte ich doch die teuren Batterien gekauft.

Nur noch eine Station.

Ein Blick auf meine Uhr ließ mich verzweifelt feststellen, dass ich die 5-Minuten-Toleranzgrenze schon längst überschritten hatte. Ben würde nicht gerade glücklich sein, so viel stand schon mal fest. Am liebsten wäre ich selbst zum Fahrer vorgestürmt und hätte ihm mal gezeigt, wo sich das Gaspedal befand. Wäre da nicht dieses überflüssige Schild: Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen. Ich seufzte tief.

Mit Geduld hatte ich auch so meine Probleme.

Natürlich, die Möglichkeit mit meinem roten Miniflitzer in die Arbeit zu fahren bestand, hätte aber absolut nichts gebracht. Um diese Zeit noch einen freien Parkplatz zu finden, – da war ein Hauptgewinn beim Bingo noch wahrscheinlicher.

Endlich war es soweit und der Bus hielt. Hektisch stürmte ich in die Freiheit und im Laufschritt eilte ich die Straße hinunter. Vorbei an Passanten und einer Gruppe von Asiaten, die auf Klick-Klick-Reise waren. Der Gehsteig war rutschig. Es regnete schon seit Tagen und teilweise drohten die Gullys überzulaufen. Für Mitte August war es viel zu kalt und ganz eindeutig zu nass. Mir war trotzdem heiß unter meiner dicken Lockenpracht, die zum Teil in meiner Kapuze steckte. Ich spürte langsam, wie sich die Hitze staute. Einerseits wurde mir heiß vom Laufen, und andererseits deshalb, weil der Pappbecher in meiner linken Hand meine Finger dermaßen erhitzte, dass ich schon schmerzhaft spürte, wie sich kleine Brandblasen auf meinen Fingerkuppen bildeten.

Beinahe rammte ich, als ich nach links in eine Seitengasse abbog, eine alte, gebrechliche Dame mit ihrem Mercedes, sprich Rollator. Stolpernd rettete ich mich an ihr vorbei, indem ich mich an einem Laternenmast festhielt und entschuldigte mich kurz. Die Gute wirkte sehr verärgert und ließ ihrem Frust über junge, respektlose Leute wie mich freien Lauf. Was sie wohl zu dem Rotzbengel mit der lockeren Zunge gesagt hätte? Mal nebenbei erwähnt: Hätte sie mich nur besser gekannt, würde sie wissen, dass ich im Grunde ältere Menschen eigentlich gerne mochte. Tja, was soll´s, ich kann es eben nicht jedem recht machen. Ich? Ja ich. Ich heiße Mia Becker, bin Fotografin und seit kurzem 27 Jahre alt. Also habe ich noch genau 2,9 Jahre vor mir um erwachsen zu werden und panische Angst vor der magischen Drei zu entwickeln.

Nur noch ein paar Meter musste ich durchhalten, und ich würde da sein. Von Weitem konnte ich mein Ziel, ein altes Backsteingebäude, bereits sehen. Komplett außer Puste kam ich endlich an der großen Eisentür an und wollte den Schlüssel aus meiner Handtasche hervorholen. Aber außer benutzten Taschentüchern, meinem eingepackten Salami-Sandwich für die Mittagspause, Tampons, einem Labello, meinem Handy, einer angerissenen Tutti-Frutti-Schachtel und meinen eigenen Wohnungsschlüsseln fand ich nichts. Niente. Um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, steckte ich mir die kleine Papiertasche mit dem Frühstück zwischen die Zähne, zwickte den Coffee-to-go-Becher samt meinem wichtigen Briefumschlag in den linken Ellbogen, und lockerte mir mit meiner freien Hand erstmal die Jacke. Seufzend setzte ich die Suche in meiner Jackentaschen fort – aber nichts. Dann begann ich erneut in meiner Handtasche zu suchen und … wieder nichts. Was ich fand, war einen verlorenen geglaubten Mascara, aber keine Schlüssel! Wütend über mich selbst stampfte ich in den Boden. Das war wieder eine von diesen Situationen, in denen ich es wirklich bereute, mich immer in die falschen kleinen, lederbraunen Handtaschen zu verlieben – die Platz für gar nichts hatten! „Mischt, wo habe ich den bedammten Schlüssel wieder!?“, nuschelte ich mit Packpapier zwischen den Zähnen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als eben zu klingeln. Ich hasste es! Genervt drückte ich auf den kleinen, beleuchteten Knopf an der Sprechanlage. Zuerst ein langes Räuspern, dann krächzte mir eine allzu gut bekannte schrille Stimme im blechenden Sound durch die Sprechanlage ein „Hallo, wer ist denn da?“, entgegen. Immer noch die Pappe zwischen den Zähnen, maulte ich: „Mmh jetscht mach schon auf, … ich binsch, Mia, wer denn schonst?“ Ständig diese blöde Fragerei – das war ja komplett sinnlos! Erstens konnte er mich ja durch die Kamera am Bildschirm sehen und zweitens war ich unverwechselbar mit meiner sonnengelben Regenjacke und mit meiner wilden, lockigen Mähne. Das machte er nur, um mich zur Weißglut zu bringen! „Ich hoffe, du hast auch für mich ein Rosinenbrötchen mit dabei“, ertönte es wieder zurück. „Mensch Ben, jetscht mach´ endlich diese Scheischtür auf, ich bin schon komplett nassch!“ Wie ein kleines Kind stampfte ich wütend vor der Tür herum und … ‚Plumps!‘, da lag es nun, unser Frühstück vom Café Bald Neu – bis zur Hälfte in einer kleinen Pfütze. Na super, was für ein Tag! Das fängt ja alles wieder ganz toll an! Genervt hob ich alles wieder auf. Da ich noch immer vollbepackt vor einer geschlossenen Tür stand, suchte ich mir noch eine saubere, vor allem aber trockene Papierecke und zwickte mir die Papiertasche erneut zwischen die Zähne, bis endlich das ersehnte Geräusch ertönte. Mit dem Rücken drückte ich die Tür auf. Von montags bis freitags, vorausgesetzt es gab keine derartigen Zwischenfälle, ging ich durch diesen aus Backsteinen gemauerten Tunnel und gelangte über eine Wendeltreppe aus Metall ins oberste Stockwerk, wo ich meist von Ben sehnsüchtig erwartet wurde. „Guten Morgen mein Schnauzebärchen“, gluckste er mir fröhlich mit einer für ein männliches Wesen viel zu hohen, schrillen Stimme entgegen. „Da bist du ja endlich! … Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“ Warnend schaute ich ihn an. Nur am Rande bemerkt: An manchen Tagen hasste ich diese Kreativität bei Kosenamen über alles. Und heute war so ein Tag – ohne Zweifel! Ben stand angelehnt an der Tür, bekleidet mit einem hellblauen Overall, der mich immer an Superman´s Gummianzug erinnerte, und wippte mit seinem linken Fuß auf und ab. Sein Blick war fest auf den Sekundenzeiger seiner pinken Ice-Watch gerichtet und es schien, als würde er leise mitzählen. „Warte … du bist neunzehn Minuten und genau … achtundzwanzig Sekunden zu spät! Meine Liebe, das ist definitiv ein Rückschlag!“ Natürlich versuchte er dabei, ein ernstes Gesicht zu machen, was ihm allerdings schwerfiel. Außerdem gingen fünf Minuten auf sein Konto! Ben hatte sich seit ein paar Monaten fest vorgenommen, mich zu einem pünktlicheren Menschen zu erziehen. Hoffnungslos! Das wäre so, als würde man den Schiefen Turm von Pisa geraderücken wollen. Er dokumentierte meine Verspätungen jeden Tag mit präziser Genauigkeit, erstellte in seiner Freizeit sogar Diagramme darüber und nur gelegentlich konnte er eine kleine Besserung erkennen, die aber nur im Sekundenbereich lag, also absolut nicht nennenswert war. Tja, manchmal war ihm wirklich langweilig … Kopfschüttelnd ging ich an ihm vorbei, verkniff mir, ihm einen guten Morgen zu wünschen und verteilte meinen wichtigen Krimskrams auf seinem Schreibtisch. Unser durchweichtes Frühstück legte ich neben seinen Computer auf den Tisch und stellte meinen Becher daneben. Dabei schüttete ich mir etwas heiße Flüssigkeit auf meine ohnehin schon schmerzenden Finger. „Fuck! Arrghh!!!“, war das heiß! Aufmerksam wie er war, reichte er mir gleich ein Taschentuch. „Hier, für dich.“ Ich schob ihm das ganze Paket zu, denn mir war der Hunger sowieso schon vergangen. „Lass´ es dir schmecken. Ist halt schon ein bisschen … naja … vollgesabbert!“ Aber wie ich dieses gefräßige, kleine und liebe Monster kannte, machte ihm das nichts aus. Essen stand auf seiner Rangliste so ziemlich ganz oben. Ich zog meine nasse Jacke aus, hängte sie an der Garderobe auf, zupfte meinen Jeansrock etwas nach unten, meine bunt geringelte Strumpfhose wieder nach oben und ließ mich erschöpft in seinen Bürosessel plumpsen. Unsere neumodernen Bürosessel mit Hightech-Ausstattung sind zwar äußerst gemütlich, aber auch … nennen wir es mal … sehr speziell in ihrer Handhabung. Sie verfügen über eine echt tolle Wippfunktion, die ich bei jeder Gelegenheit ausnutze. Anfangs waren sie vor allem für Ben ein bisschen gewöhnungsbedürftig, da seine Gewichtsmasse eher unregelmäßig verteilt ist. Das meiste lagert vorne an seiner Körpermitte. Das hat zur Folge, dass sein süßer Waschbärbauch eben kugelrund ist. Außerdem ist er noch einen ganzen Kopf kleiner als ich, was ihn aber wiederum knuddelig wirken lässt. Beim Gehen machte er ein leichtes Hohlkreuz und ich könnte wetten, vielleicht auch noch viel Geld dabei verdienen, dass er das nur deshalb tut, um nicht ständig auf die Nase zu fallen. Tja … und die Kombination seines dezent leichten (um nicht gemein zu wirken) Übergewichtes, zusammen mit dem Hightech-Bürosessel, konnte schon fatal enden wenn man, so wie Ben, eben zu sehr von A nach B schaukelt. Da hatte es schon ein paar Mal ein lautes ‚Rums!‘, gegeben und unser Ben landete mit Schwung und einem erschrockenen Blick äußerst unsanft mit seinem Hinterteil auf dem Boden. Ich lehnte mich in seinem Sessel soweit wie nur möglich nach hinten, legte meinen Kopf in den Nacken und streckte meine Beine aus. Jetzt hat der Tag noch gar nicht richtig angefangen, und ich war schon total erledigt! Meine Beine schmerzten ein bisschen. Es war eben nicht empfehlenswert, mit Stiefeln mit hohen Absätze zu laufen. Ausgepowert schaute ich auf die weiße Decke über mir. „Sorry, mein Wecker hat den Geist aufgegeben. Ich kam viel zu spät aus den Federn und habe dann auch noch den Bus verpasst! Anschließend musste ich nochmal zehn Minuten auf den nächsten Bus warten und im Bald Neu war die Hölle los!“ In einer ungeraden Woche war es meine Aufgabe, für unser Frühstück aus unserem Stammcafé Bald Neu zu sorgen. Bedrückt knetete ich meine feuchten Haare durch. „Das weiß ich doch Süße, … aber wir arbeiten ja daran, dass du es vielleicht einmal im Jahr pünktlich zur Arbeit schaffst!“ Verständnisvoll tätschelte er meine Hand. „Hey! … Also soweit ich mich erinnern kann, bin ich bei Weihnachtsfeiern immer noch pünktlich gewesen!“, verteidigte ich mich, und da hätten wir ja schon das eine Mal, von was weiß ich wie vielen Arbeitstagen im Jahr – definitiv! „Tztztzt“, wie eine Gouvernante wackelte er mit seinem Zeigefinger hin und her. „Das zählt aber nicht meine junge Dame!“, konterte er kopfschüttelnd und ein wenig spitz. Er rieb sich die Hände und freudestrahlend packte er das erste Rosinenbrötchen aus, beobachtete es aber dann äußerst kritisch. „Igittigitt! Mia, du sabberst ja schon fast wie ein Bernhardiner!“ Anscheinend machte es ihm doch etwas aus. Er nahm das Brötchen mit zwei Fingern, spreizte dabei den kleinen Finger wie eine feine Lady, ging damit geradeaus in den kleinen Abstellraum, der uns als Teeküche diente, steuerte direkt den Mülleimer an und ließ es angewidert in den Eimer plumpsen. Gleich hinterher folgte der Rest des Papiersäckchens. Was für eine Verschwendung! Rasch trippelte er zurück zu mir, zog sich ein Desinfektionstuch aus einem Päckchen, das immer griffbereit neben seiner Tastatur lag, lehnte sich gegen den Tisch neben mich, und säuberte damit gründlich seine Hände und auch den Platz, auf dem zuvor noch unser Frühstück gelegen hatte. „Sorry, ist mir runtergefallen“, murmelte ich genervt. Mit einem scannenden Blick wanderten die Augen von Mr. Sauberkeit über meine verteilten Habseligkeiten auf seinem Schreibtisch, und erst jetzt fiel ihm mein dickes Kuvert auf. Neugierig zog er es unter meiner Tasche hervor. „Oh, was haben wir denn da?!“ Seine blauen Augen funkelten vor Spannung und er versuchte vergebens, den Absender zu entziffern. Seufzend zog ich die oberste Schublade von seinem Schreibtisch auf und reichte ihm wortlos seine pinkfarbene Lesebrille. Pink war absolut seine Farbe. Seit ich dieses Kerlchen kannte, trug er eine wasserstoffblonde Igelfrisur mit eingefärbten, pinken Spitzen. Aber irgendwie passte es zu ihm. Er war eben ein schriller Vogel; trotzdem hatte ich ihn sehr gerne und er war einer meiner besten Freunde, seit ich in München lebte. Dieses kleine, nervige Gezanke gehörte zu unserem Morgenritual; und obwohl es bestimmt keiner von uns beiden jemals zugegeben hätte, liebten wir es insgeheim. „Merci!“, sagte er bestimmt. „Hmm … Werbeagentur Stoller … wofür brauchst DU bitte eine Werbeagentur?“ „Kannst aufmachen Ben!“ Das ließ sich mein Dickerchen nicht zweimal sagen und öffnete das Kuvert mit seinem Brieföffner. Wie in einem Karussell drehte ich mich mit dem Sessel im Kreis herum, spielte nervös mit dem Saum meines Jeansrockes und wartete gespannt auf seine Reaktion. Ben war nun der Erste, der von meinem zukünftigen (nennen wir es jetzt mal) Ereignis erfuhr. Eigentlich wollte ich das Kuvert zusammen mit Niklas öffnen, aber der war ja, wie so oft, seit er den neuen Job vor drei Jahren angenommen hatte, nicht anwesend. Fünf Jahre ist es bereits her, dass ich nach meinem Studium für Mikes Fotoatelier als Fotografin zu arbeiten anfing. Damals war Ben schon da. Sowie Bürolocher und sämtliches Fotomaterial, gehörte auch Ben fix zum Inventar. Als Assistent war er zuständig für das Lager, für Terminvereinbarungen und er organisierte benötigtes Equipment. Ebenso schaffte er es immer wieder, dass zickige No-Name-Models das taten, was sie eben tun sollten. Nämlich brav ihren Job erledigen, der darin bestand, im richtigen Augenblick zu lächeln, ohne dabei viel zu murren. Im Grunde keine allzu schwere Aufgabe; aber manchmal eine schwierigere Herausforderung, als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Ben war einer, der seine Arbeiten akribisch genau abwickelte, dem gut nicht gut genug war, und er machte neben guter Laune auch noch den weltbesten Kaffee! Er war Mädchen für alles. Ohne ihn lief der Laden einfach nicht. Würden wir optisch besser zusammenpassen, und wäre Ben nicht schwul, hätte ich ihn wahrscheinlich von Fleck weggeheiratet.

Ich hingegen bin, was Ordnung halten betrifft, ein sehr chaotischer Mensch. Eines der Hauptprobleme in meiner Beziehung mit Niklas. Ich bin halt sehr kreativ, auch wenn es um Dinge geht, die verstaut werden müssen. Trotzdem konnte man mir Ungenauigkeit bei meiner Arbeit keinesfalls vorwerfen.

Ein geschultes Auge für bestimmte Szenen plus der perfekten Kamera und einer Portion Glück für die richtigen Momente. Das war schon die halbe Miete für einen Fotografen. Und von diesen Optionen hatte ich in den letzten Jahren sehr viel von Mike gelernt, sodass ich für einige Stammkunden völlig selbstständig arbeiten durfte, was mir wahnsinnigen Spaß machte, denn ich liebte meine Arbeit über alles.

„Mia!“, schrie er, und riss seine kleinen, blauen Glubschaugen so weit auf wie es nur ging. „Das sind ja … Hochzeitseinladungen! … Und da steht überall M & N … drauf!“

Langsam beendete ich meine letzte Drehung und ließ sie vor ihm ausklingen. Fassungslos schaute er mich an.

„Wollt ihr etwa … hei … heiraten?“ Er brachte das Wort kaum aus dem Mund, wurde dabei von Sekunde zu Sekunde blasser um die Nase, und sein Teint war gerade dabei, sich in ein ungesundes Grün umzufärben.

„Mmh“, brummte ich mit einem beklommenen Gefühl und versteckte mein Gesicht in meinen Handflächen. Ich konnte es ja selbst kaum glauben. Zögerlich beobachtete ich ihn durch meine gespreizten Finger.

„Warum guckst du so?“, fragte ich ihn und verschränkte meine Arme schützend vor mir.

„Wie gucke ich denn?“, erwiderte er mit einem leicht schnippischen Unterton.

„Na so eben, … so … bestürzt?“

Einige Sekunden lang sagte keiner von uns beiden etwas.

„Ich weiß auch nicht Mia, das ist schon … eine … sehr wichtige Entscheidung!“ Bei diesem Satz klang er gar nicht mal so schrill wie sonst, sondern eher wie mein Stiefvater.

„Ach, wirklich? Glaubst du ich weiß das nicht? Ich bin keine sechzehn mehr!“

„Darf man fragen, warum die zukünftige Braut dann so zermürbt dreinschaut, wenn alles o-k-i-d-o-k-i ist? Lass mich mal raten, mmh … vielleicht WEGEN dem zukünftigen Bräutigam?!“ Seufzend atmete ich tief durch und richtete mich kerzengerade auf. „Er hat mir hoch und heilig versprochen, dass er da sein wird, wenn das Kuvert mit den Einladungen kommt, dass wir es gemeinsam öffnen und jetzt …“ „Ist er wieder einmal NICHT da!“, beendete er meinen Satz. „Oohh, eine Dose Mitleid für Frau Becker bitte!“, rief er nach hinten, als würde ein Kellner mitten in unserem Büro stehen, und schnippte dabei mit den Fingern. „Oder sollte ich schon Frau Neumann sagen?“ „Hahaha, sehr witzig Ben!“ Eigentlich wusste er, wie er mich aufheitern konnte, aber heute wollte ich nicht so recht mitmachen. Diese Sache war mir zu wichtig und ging mir echt an die Nieren! Verbittert schlürfte ich an meinem Kaffee. „Jetzt im Ernst, wann kommt er denn wieder zurück?“ Ich zögerte. „Übermorgen“, gab ich, trotzig auf den Boden starrend, von mir. „Na, das ist ja gar nicht mal so lange hin Mia!“, kam es tröstend von ihm. Angespannt rubbelte ich an meiner Stirn. „Echt super! Ich kann mir genau vorstellen, wie das enden wird. Die ganze Planung von unserer Hochzeit wird an mir hängen bleiben, weil ER keine Zeit hat! Aber so etwas macht man doch zusammen, oder etwa nicht? Oder ist das jetzt zu konservativ? … Zum Schluss versetzt er mich noch am Standesamt.“ Wir hatten ja nicht mal Verlobungsringe! Geschweige denn einen richtigen Termin. Ernsthaft – es gab Zeiten, da überlegte ich mir schon, eine lebensgroße Pappfigur von Niklas anfertigen zu lassen und sie in seiner Wohnung aufzustellen. „Na, na, wer wird denn die Welt gleich so schwarzsehen? Und vielleicht wäre das ja auch nicht mal sooo schlimm …“, summte er leise seinen Satz zu Ende. „Bitte?“ „Ach, nichts weiter … jetzt erzähl mal, wie war denn der Antrag?“ „Der Antrag?“ Ach, da gab es eigentlich gar nicht viel zu erzählen. Zumindest nicht das, was Ben gerne gehört hätte. Für einen schwulen Mann konnte er sehr romantisch sein. Oder waren das alle schwulen Männer? Ich wusste es nicht. „Findest du das nicht zu … intim?“ „Also hör mal, ich habe dir auch schon öfters von meinen Bettgeschichten erzählt!“ Oh ja, das hatte er tatsächlich, und zwar jede deftige Kleinigkeit. Und da ich mir immer alles gleich in detaillierten Bildern in meinem Kopf vorstellte, mussten diese Erinnerungen mit einer größeren Alkoholmenge wieder von meiner Festplatte gelöscht werden. In solchen Momenten, in denen er mich daran erinnerte, schafften es durchaus wieder ein paar Bilder, erneut ein bisschen aufzuflackern.

Wichtig: Ich sollte dringend an meiner Verdrängungstechnik arbeiten!

Ständig zwei Männer, die gerade … naja, ihr wisst schon was ich meine, würde vielleicht auch noch ein neues Trauma hervorrufen. Und von denen hatte ich schon genug!

Der Antrag also … hmm … Vor ein paar Wochen hat Niklas mich nachts geweckt um mich zu fragen, ob ich glücklich mit ihm sei. Ich nörgelte ein bisschen herum, dass auch morgen noch Zeit wäre, um solche Gespräche zu führen. Er ließ aber dennoch nicht locker und so stammelte ich verzweifelt, vor allem weil ich müde war und ohne darüber groß nachzudenken, was er eigentlich hören wollte, ein „Natürlich Niklas!“

Dann meinte er etwas verlegen: „Sollten … wir, ich meine … wir sind ja … schon … eine Zeitlang zusammen … du und ich …“, und ich habe ihn wieder geschimpft, wälzte mich in meinem Bett hin und her und bestand darauf, endlich zum Punkt zu kommen. Da schoss es einfach aus ihm raus. „Sollten wir nicht vielleicht heiraten?“ Schlagartig war ich hellwach und riss meine Augen auf, was eigentlich keinen Sinn machte, denn es war ja immer noch dunkel.

„Sollten wir?“, fragte ich ihn mit gebrochener Stimme und außerordentlich verblüfft.

Um Himmelswillen!

Wer rechnete denn mit einem Heiratsantrag mitten in der Nacht im Stockdunklen wenn sich, ganz nebenbei bemerkt, eine der betreffenden Personen im Land der Träume befand. Zerstreut versuchte ich, das gerade Gesagte in mein Hirn zu bekommen und überlegte kurz, ob ich mit vielleicht ja oder vielleicht nein antworten sollte. Ich ließ es letztlich doch sein, denn es war vermutlich kein Scherz. Bilder schossen mir durch den Kopf und ich sah mich schon im Standesamt, wo mich ein Beamter mit Schnauzbart und einer dicken Aschenbecher-Brille auf der Nase fragte: „Mia Becker, möchten Sie Niklas Neumann zu ihrem Ehemann nehmen?“ Und dann mich, wie ich kläglich darauf antwortete: „Ähm, vielleicht?“ „Und, was sagst du?“, fragte mich Niklas erneut. Nüchtern stellte ich fest, dass er es offenbar wirklich völlig ernst meinte. „O-kay?“, sagte ich mit einem mehr unsicheren als mit einem sicheren Gefühl. „Toll! … Das wird bestimmt schön!“, meinte er, drückte mir noch einen Kuss auf die Backe, drehte sich zur Seite und schlief ein. Im Gegensatz zu ihm konnte ich nun nicht mehr schlafen. Mit seinem romantischen Antrag hatte er mir eine Menge Grübelarbeit verschafft. Eigentlich müsste das doch jetzt der Moment sein, wo er mir sagte, wie sehr er mich lieben würde und gleich darauf müssten wir, uns heftig küssend, übereinander herfallen – dachte ich jedenfalls. Nicht aber Niklas. Nein. Denn er fand „ich liebe dich“ zu sagen viel zu schnulzig und betrachtete es als eine überbewertete Floskel. Von ihm kam lediglich ein „du weißt doch, wie wichtig du mir bist.“ Tja, und von WICHTIG hatten wir schon von Grund auf eine unterschiedliche Definition. Am nächsten Morgen kam ich total fertig aus dem Schlafzimmer. Mit einer Haarpracht von Locken, die nach Stehplätzen um die Wette buhlten, setzte ich mich in die Küche an unseren kleinen Frühstückstisch. Niklas war schon frisch geduscht, trug bereits seinen Anzug und war eigentlich schon auf dem Weg zur Arbeit. Pfeifend stellte er mir meine allmorgendliche SOS-Tasse Kaffee hin, drückte mir einen Guten-Morgen-Kuss auf die Stirn und reichte mir die Zuckerdose. Seit vier Jahren waren wir nun zusammen und er merkte es sich immer noch nicht, dass ich meinen Kaffee nur mit Milch trinke. Wortlos und todmüde ließ ich meinen Kopf auf den Tisch sinken, raffte mich dann aber doch auf, um einen kräftigen Schluck Kaffee zu nehmen. Niklas lächelte mir verstohlen zu. „Na, dann tschüss … Frau Neumann!“ Da hustete ich auch schon laut los, weil ich mich an meinem Kaffee verschluckte. „Heiß!“, keuchte ich noch und deutete auf die Tasse, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Höchstwahrscheinlich hätte er auch ohne meine peinliche Rechtfertigung keine ernsthaften Bedenken gehabt. Seit dieser Nacht konnte ich komischerweise nicht mehr so richtig gut schlafen.

Mia Neumann.

Mia … Neu … mann.

Neumann Mia.

Passte das überhaupt?

Also, da bestand auf jeden Fall noch Klärungsbedarf.

Ben musterte mich eindringlich und wartete immer noch gespannt auf meine Geschichte.

„Ähm ja …“, raunte ich und verzog mein Gesicht dabei. „Es war … naja … was soll ich sagen? … Es war schön …“

„Jetzt erzähl schon!“, forderte mich Ben erneut auf, dann ging plötzlich die Tür auf und Mike betrat schwungvoll mit seinem Aktenkoffer den Raum. Meine Rettung.

Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut!

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