Читать книгу Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut! - Melanie Huber - Страница 13

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Kapitel 7

Rauchzeichen

Ich bin Herr meines Schicksals. Ich bestimme selbst was passiert, und nichts geschieht durch Zufall! Mit diesen positiven Gedanken machte ich mich auf den Weg in Richtung Süden. Da meine Tankleuchte schon einige Zeit orange blinkte, hielt ich bei der nächstbesten Tankstelle. Ich tankte mein Auto voll, ging mal für ‚kleine Mädels‘, und als ich wartend an der Kasse stand, sah ich hinter der Kassiererin im Regal Zigaretten. An und für sich nichts Ungewöhnliches. Aber die Lust jetzt eine Zigarette zu rauchen, war für mich mehr als ungewöhnlich. Richtig geraucht hatte ich mein ganzes Leben noch nie; ab und zu halt beim Fortgehen. Mein einziges Laster – Schokolade.

Naja, zurück zu den Zigaretten.

Die Verlockung war groß.

Mein Verlangen total unnötig.

Aber mein Drang, etwas völlig Sinnloses zu tun, wurde stärker, und so kaufte ich mir ein Salamisandwich. Und für den Fall, dass mich die Melancholie doch noch einholen sollte, kaufte ich mir einen Schokoriegel, für den Vorrat Tutti-Frutti in Großmengen, dann noch einen Sechserpack Mineralwasser, einen Becher Kaffee und, ohne großartig zu überlegen, ein Päckchen Zigaretten.

Vollbepackt düste ich weiter in die italienische regione del Veneto, befand mich schon wieder einige Minuten auf der Autobahn. Zur Grenze war es nicht mehr weit, als mir die Zigaretten wieder einfielen. Mit dem Radio stand ich noch immer auf Kriegsfuß. Deshalb hatte ich mir zuvor eine alte CD aus dem Kofferraum gesucht und hörte mir jetzt zum gefühlten fünfzigsten Mal Hits aus den Neunzigerjahren an. Der Verkehr war nur mäßig und ich kramte in meiner Handtasche nach den Zigaretten. Wahnwitzig wippte ich zur Musik, die aus dem Radio trällerte, und zündete mir meine erste Zigarette nach zehn Jahren an. Ich zog kräftig daran und versuchte zu inhalieren. Hustend und keuchend stieß ich ein paar graue Wölkchen wieder aus dem Mund, inhalierte den Rauch aufs Neue. Der stieg mir aber gleich zu Kopf und vernebelte mein Hirn gründlich. Ich lachte vor mich hin, obwohl es definitiv keinen Grund dafür gab, fühlte mich ein bisschen high; und das von nur zweimal ziehen! Fröhlich grinsend passierte ich den Brenner und somit auch die Grenze. Ja, man konnte sich also Sorgen einfach wegrauchen, aber so etwas lernt man nicht in der Schulstunde. Anhand der Verkehrsschilder war mir klar, wo ich mich befand. Mit gemischten Gefühlen fuhr ich weiter. Einerseits freute ich mich wahnsinnig, die Beste endlich wiederzusehen. Andererseits bekam ich Migräne, wenn ich daran dachte, wem ich wieder alles begegnen würde. Als nur mehr der Filter meiner Zigarette übrig blieb, drückte ich auf einen Knopf, öffnete das Fenster neben mir einen Spalt und warf den Rest nach draußen – zumindest glaubte ich das … Mein Bauch schien leicht zu rebellieren und ein übles Gefühl stieg in mir hoch. Ein kräftiger Schluck Mineralwasser half auch nicht wirklich. Da mein Auto komplett eingenebelt war, öffnete ich alle Fenster, ließ frische Luft herein, dadurch auch alte nach draußen. Kaum waren die Fenster wieder zu, stank es trotzdem noch. Es roch eigenartig – wie nach verbranntem Gummi und im Rückspiegel sah ich plötzlich, wie von hinten eine kleine Rauchschwade hochstieg. Ohne zu überlegen, fuhr ich panisch an den Straßenrand. Ich riss heftig die Hintertür auf, suchte zwischen aufgespannten Leinwänden und Malsachen nach dem Grund … doch ich fand nichts. Wie von Sinnen drehte ich mich um und bemerkte plötzlich, dass der Rauch aus der Kapuze meiner gelben Regenjacke kam. Der Filter war nicht nach draußen gefallen, sondern gloste im Futter meiner Jacke munter weiter. Schnell zog ich meine Jacke aus, suchte nach dem glühenden Übeltäter, und entfernte ihn aus dem Loch, das er bereits gebrannt hatte.

Völlig betreten spazierte ich am Straßenrand auf und ab – ich hätte mich fast selbst abgefackelt!

Ein Desaster folgte dem Nächsten.

Das konnte nicht mehr so weitergehen! Ich muss jetzt wirklich mehr achtgeben, ansonsten würde ich nie lebend bei meiner besten Freundin ankommen. Danach knöpfte ich die Kapuze ab und schüttete eineinhalb Liter Mineralwasser darauf. Sicher war sicher.

Erschöpft und mit zittrigen Händen ließ ich mich auf meinen Sitz fallen. Jetzt war die richtige Zeit für meinen Schokoriegel. Fassungslos starrte ich auf meine gelbe Kapuze, die noch draußen am Bankett lag. Ich beschloss, mit dem Rauchen gleich wieder aufzuhören. Lust, die Aufmerksamkeit anderer mit peinlichen Erstickungsanfällen auf mich zu ziehen, hatte ich sowieso keine. Um endlich den ekligen Rauchgeschmack wieder aus dem Mund zu bekommen, putzte ich mir die Zähne, spülte mit Mineralwasser nach. Gleich darauf, leicht neben der Spur mampfte ich meinen Schoki. Mir fiel auf, dass die Sonne richtig stark vom Himmel brannte, wobei mir meine Klamotten allmählich zu warm wurden, deshalb suchte ich mir etwas Frisches zum Anziehen. Da ja fast alles in meinen Koffern nass war, war meine Auswahl eher beschränkt. Trocken waren nur mehr die Cocktailkleider geblieben, die ich in den untersten Koffer gepackt hatte. Immer noch in leicht geschocktem Zustand quetschte ich mich, wohlbemerkt versteckt hinter meinem Mini, in ein cremeweißes, knielanges Chiffonkleid mit einem schwarzen Taillenbund. Im Grunde ein sehr edles Kleid, und eigentlich stand es mir ganz gut. Ich wunderte mich selbst, warum ich es nur einmal getragen hatte. Ich räkelte mich ein wenig hin und her und stakste wieder zum Kofferraum. Vorbeifahrende männliche Autofahrer hupten, was ich mit einem Augenrollen quittierte. Nach passenden Schuhen suchend fiel mir auch schon wieder ein, warum ich es nicht öfter getragen hatte. Der runde Halsausschnitt war mit einer Blume und einer schwarzen Feder verziert, die mich ständig am Hals kitzelte. Eine Weile hielt ich das ja auch aus, aber mit der Zeit trieb es mich echt zum Wahnsinn. Es war eines der ersten Kleider, die mir Niklas geschenkt hatte. Im Gegensatz zu den restlichen Kleidern, ein paar raffinierten, schreiend roten mit ausgiebig viel Spitze rundherum, und ein paar schwarzen, hautengen und viel zu knappen Abendkleidern, wirkte es fast schon bieder. Also keine Alternative.

Außerdem fand ich noch passende schwarze High Heels, die ich aber auf dem Beifahrersitz neben Franzl ablegte, um barfuß weiterzufahren.

Nach fünf Stunden Autofahrt bekam ich Hunger, richtigen Kohldampf, und einmal am Tag brauchte ich unbedingt eine warme Mahlzeit. Gelangweilt fuhr ich noch immer die Hauptstraße entlang, immer wieder nach einer Gaststätte oder einem Imbisslokal Ausschau haltend, bis mir beim Vorbeidüsen an meiner rechten Seite ein kleines Shoppingcenter mit einem Restaurant auffiel. Da mir meine Topfpalme immer wieder die Sicht versperrte und ständig hin und her wackelte, konnte ich die Leuchtreklamen nicht gleich erkennen. Trotzdem stieg ich in auf die Bremse und beschloss umzukehren und mir eine Pause zu gönnen. Von der Straße aus sah ich schon von Weitem, dass nur mehr ein Parkplatz neben einem schwarzen Cabrio frei war. Also musste ich mich beeilen. Ein blauer Family-Van vor mir dachte sich wohl dasselbe, und wollte auch den letzten Parkplatz für sich ergattern.

Aber keine Chance!

Nö, nö, das war schon meiner! Meiner! Meiner!

Ha, ha, MEINER!

Siegessicher stieg ich aufs Gaspedal, drückte es bis zum Anschlag durch, und mit leicht übertriebenem Schwung donnerte ich mit Ach und Krach in die freie Lücke – bis es wirklich lautstark krachte! Automatisch wechselte mein Fuß vom Gaspedal zur Bremse, allerdings zu spät. Mein Körper erstarrte und mein Gewinnerlächeln von vorhin fror in meinem Gesicht ein! Jetzt war es soweit … meine Topfpalme fiel nach vorne, quoll über, sodass sich nun das Tongranulat auf meinem Beifahrersitz verteilte und meinen Autositz in ein schönes Terrakotta-Orange färbte. Tja, und mein Goldfisch klatschte in seiner Salatschüssel gegen den Deckel, glücklicherweise, denn ansonsten hätte ich seine Überreste von meiner Windschutzscheibe abkratzen können. Der blaue Van fuhr langsam hinter mir vorbei. Mein Gehirn registrierte erst langsam, dass das Krachen eindeutig nichts mit meiner Palme zu tun gehabt haben konnte. Geschockt von der kleineren Katastrophe im Inneren meines Autos stieg ich aus, um das Äußere zu begutachten. Mit Puddingbeinen und flauem Magen trottete ich barfuß nach vorne zur Motorhaube. Mein Herz setzte aus. Die rechte Seite meines geliebten Babys steckte fest verkeilt in der Tür des schwarzen Cabrios. Dieser Vollidiot neben mir musste gerade in dem Moment, in dem ich in die Parklücke fuhr, die Autotür geöffnet haben. Höchstwahrscheinlich, um auszusteigen; und ich krachte ihm erbarmungslos rein.

Genau genommen gab es mehrere Möglichkeiten, meine Ist-Situation zu beurteilen. Man konnte das Glas halbleer oder halbvoll sehen. Die Variante halbvoll dürfte für jemanden wie mich, der dazu neigt die Sachlage oder die jeweilige Situation meist so realistisch wie möglich zu betrachten, etwas schwierig werden – also klar ausgedrückt, mein Glas war kurz davor überzulaufen.

Ich schlug mir die Hände vors Gesicht, drehte mich gleich wieder um. Ich konnte nicht hinsehen, es war einfach zu schmerzhaft! Mein armer, armer Mini! Währenddessen kletterte der Mann auf seine Beifahrerseite, da ja seine Fahrertür unglücklicherweise nun von mir blockiert war, und schwang sich lässig, ohne dabei die Tür zu öffnen, aus dem Cabrio.

Na toll! Auch noch so ein Angeber!

Hätte er das nicht vorher schon so machen können?!

Er trat ebenfalls nach vorn, und mit schmerzverzerrtem Gesicht betrachtete er das Dilemma an seinem Auto. Fast schon verzweifelt rubbelte er seine Mütze, kam langsam näher an meine Seite. Er musterte mich von oben bis unten, blieb etwas länger an meinen nackten Füßen hängen, als er dann auch schon loslegte. Supersauer sah er aus und begann auch gleich wütend mit mir auf Italienisch loszuschimpfen. Ich verstand natürlich kein Wort. Völlig durch den Wind blickte ich baff in seine vor Wut funkelnden, dunkelbraunen, bemerkenswerten, viel zu hmm … hübschen Augen. Ich schluckte laut. Diese Augen erinnerten mich an etwas … An tiefstes Schokobraun, und ich liebte Schokolade.

Scheiße, das war gar nicht gut!

Er war mindesten zwanzig Zentimeter größer als ich, braungebrannt, aber nicht zu stark. Hatte dunkelbraune, fast schon schwarze Haare, die er in einer schwarzen Mütze zu verstecken versuchte. Bloß ein paar Haarspitzen standen seitlich ab, das sah irgendwie süß aus, und sein kräftig leuchtendes, cyanblaues Shirt mit einem fetzigen Aufdruck passte perfekt zu seiner nicht zu tief sitzenden, legeren Jeans. Wäre die Situation nicht so prekär und er kein Italiener, wäre er eigentlich genau mein Typ Mann, aber das nur nebenbei bemerkt.

Mir blieb der Mund offen stehen und ich konnte im ersten Moment überhaupt nichts sagen. Vermutlich schaute ich aus der Wäsche wie der sprichwörtliche Uhu nach dem Waldbrand. Mein Gesichtsausdruck verriet offenbar, dass ich nicht eine Silbe verstand, und nach einem raschen Blick auf mein Kennzeichen schimpfte er plötzlich mit mir in einwandfreiem Deutsch weiter.

Seit wann können den eigentlich alle Italiener Deutsch?

„Sagen sie mal kleine Lady, haben sie ihren Verstand völlig verloren?“, fuhr er mich an. „Das gibt´s ja nicht!!! … Schauen Sie, was Sie mit meinem Auto gemacht haben!“

Er tippte sich mit seinem Finger an die Stirn und im nächsten Moment verschränkte er seine Hände hinter seinem Nacken, streckte sich einmal kurz durch, möglicherweise um Kraft zu sammeln für seinen nächsten verbalen Angriff, und stieß dabei einen Urschrei aus. Gorilla lässt grüßen!

Ich holte tief Luft und dann begann ich.

„Kleine Lady?! Sie waren wohl zu lange in der Sonne! Das ist so was von typisch. Konnten Sie denn nicht einen Blick in ihren Seitenspiegel werfen, bevor Sie ihre bescheuerte Tür öffnen – Sie braungebrannter Großkotz, Sie?“, schrie ich zurück. Ich richtete mich auf, um etwas größer zu wirken. Mit meinen 1,72 m war ich bestimmt nicht klein, trotzdem reichte ich diesem Angeber nur bis zur Brust.

„Sie müssen doch nicht wie eine Irre in eine Parklücke fahren! Wo haben Sie denn eigentlich ihren Führerschein gemacht, oder gewinnt man den neuerdings in Deutschland? … Und warum fahren Sie eigentlich barfuß?“

Während wir so dastanden, mit Händen und Armen stark artikulierten und uns lautstark beschimpften, hüpften meine widerspenstigen Locken wild umher, als würden sie gerade einen Freudentanz aufführen. Dabei kitzelte mich auch noch diese blöde schwarze Feder in meiner Halsgegend. Es reichte! In diesem Augenblick reagierte ich über, riss mir das bescheuerte Accessoire wütend vom Kleid, warf es zu Boden und stampfte wie wild darauf herum. Oh wie ich Cocktail-Kleider hasste!

Also wirklich, wäre ich eine Figur im Batmans weltberühmten Comicstreifen, würde über meinem Kopf anstatt ‚WUMM!!!‘, und ‚PENG!!!‘, eine dicke Rauchwolke mit Totenköpfen umherschwirren. Wäre das alles nicht schon genug, fuhr auch der blaue Family-Van nochmals im Schritttempo an uns vorbei. Um ja nichts zu übersehen, starrte uns die ganze Familie samt Oma verdutzt an. Das Allerschlimmste war, die wollten die freie Parklücke nicht einmal. Mit einem vernichtenden Blick schaute ich sie an, konnte es mir absolut nicht verkneifen und rief ihnen lautstark zu: „Was gibt es hier so blöde zu glotzen!“ Der Fahrer fuhr eilig das Fenster hoch, stieg aufs Gas und weg waren sie.

Was ich ebenfalls nicht ausstehen konnte, waren neben blöden Machos Schaulustige, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren!

Eigentlich war es nicht meine Art, fremde Leute derartig anzumotzen. Ich war im Grunde ein freundlicher und netter Mensch, vermischt mit einer Portion Sarkasmus. Aber meine Lage war kaum zu toppen, und mir war einfach nur mehr zum Heulen zumute. Mein Gegenüber grinste mich überrascht an. Ehrlich gesagt verstand ich nicht im Geringsten, was daran lustig sein sollte. Mit verschränkten Armen setzte ich mich auf meine Motorhaube und schnaubte vor mich hin.

Was zu viel war, war zu viel!

Ich war müde, hungrig, traurig, wütend.

Und ich zog Bilanz.

In den letzten zwei Tagen hatte ich mein Zuhause und meinen Verlobten an ein vollbusiges Monster verloren.

Die Reihenfolge war irgendwie doch interessant …

Naja, wie dem auch sei. Meinen geliebten Job war ich vermutlich ebenfalls los. Dann wäre ich auch noch fast abgebrannt und, als wäre das alles nicht schon genug, fuhr ich jetzt auch noch meinen geliebten Mini zu Schrott.

Da stellt sich mir doch glatt die Frage, was morgen noch so alles schiefgehen würde?

Mein Gegenüber streifte sich seine Mütze vom Kopf, fuhr sich mit den Händen durch seine dunklen Haare, und schenkte mir ein schiefes Lächeln. Erstaunlicherweise wirkte er fast erheitert von meinem Wutanfall, steckte seine zerknüllte Mütze in die hintere Hosentasche und kramte entspannt ein rotes Päckchen aus seiner vorderen Hosentasche hervor. Er bot mir auch eine Zigarette an. Dankend schüttelte ich den Kopf, zu jung waren die letzten Eindrücke, als ich eine geraucht hatte. Ich wollte hier jetzt nicht auch noch dieses Restaurant in die Luft fliegen lassen.

Dieser eingebildete Macho lehnte sich ebenfalls gegen die Motorhaube seines schwarzen Maserati, und meinte mit einer ruhigen, tiefen Stimme: „Naja, so schlimm ist es jetzt auch wieder nicht! Nichts, was die Versicherung nicht zahlen würde.“

Ich seufzte tief.

„Ach mir passiert so leicht nichts!“, war mein stärkstes Argument, als ich meine Kaskoversicherung in eine Haftpflicht umschreiben ließ. Meinen Schaden musste ich so oder so selbst bezahlen. Er zündete sich eine Zigarette an, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger, zog genüsslich daran und blies den Rauch nach unten wieder aus. Dann drehte er seinen Kopf zu mir, und lächelte mich nochmals verschmitzt an. Da traf es mich wie der Blitz. Kannte ich diesen Typen auch noch vielleicht?

Nein, das konnte gar nicht sein.

So viel Pech hatte selbst ich nicht, oder vielleicht doch?

Unerträgliche Hitze stieg in mir hoch. Flehend blickte ich zum Himmel und schlug mir erneut die Hände vors Gesicht.

Nein, sowas war wissenschaftlich doch völlig unmöglich!

Bitte nicht.

Neeeeinnnn!

Was für ein Albtraum!!!

Kann mich bitte mal jemand zwicken!

„Sie schauen etwas erschöpft aus. Wie wäre es mit einer Tasse caffè? Dann könnten wir auch unsere Adressdaten austauschen“, meinte er trocken. „Ihre dummen Anmachsprüche können Sie für sich behalten!“, war meine bissige Antwort. „Naja, … die Sache ist die, für die Versicherung geht es leider nicht ohne Daten.“ Lässig zog er wieder an seiner Zigarette.

Oh, wie peinlich!

Was war das denn wieder?

Glaubte ich dummes Huhn wirklich, er wollte sich gerade an mich heranmachen? Kein Mann dieser Welt würde eine Schnecke anbaggern, die gerade sein Auto in Schrott verwandelt hatte! Jetzt schoss mir gehörig Rot ins Gesicht und womöglich konnte ich ernsthaft mit einer überreifen Paprikaschote konkurrieren. Um meine Verlegenheit nicht allzu publik zu machen, landete mein Blick wieder auf meinem beschädigten Auto. Außerdem konnte ich den Typen nicht mehr länger ansehen aus Angst, meine schlimmsten Befürchtungen könnten wahr werden.

„Verdammte Scheiße!“, gab ich leise von mir. Warum läuft denn zurzeit alles so beschissen, was habe ich denn verbrochen?

Ich seufzte nochmals.

Tief im Inneren klopfte mein schlechtes Gewissen an und mir wurde immer klarer, dass der Crash eigentlich auf meine Kappe ging …

Eine Weile saßen wir noch wortlos auf unseren Motorhauben und starrten wie zwei Irre auf das Restaurant vor uns. Pizzeria Massimo stand geschwungen geschrieben auf einer Holztafel über der Eingangstür. Klein darunter war der Familienname Salvatore zu lesen. Den Salvatores gehörte wohl ganz Italien. Köstliche Gerüche nach Pizzen drangen nach außen, und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Mein Magen begann zu knurren und nach langem Zögern rutschten mir dann doch folgende Worte über meine Lippen. Ganz leise, kaum hörbar, murmelte ich: „Sorry … wegen … hmm … Ihrem Auto, meine Versicherung wird das natürlich übernehmen.“ Ob und wie, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich. Kopfschüttelnd über mich selbst stieß ich mich ab, setzte mich in mein Auto und kramte meine Fahrzeugpapiere, einen Stift und Post-its aus dem Handschuhfach hervor. Darauf schrieb ich meinen Namen, meine Adresse und alle anderen benötigten Daten. Grimmig überreichte ich ihm den kleinen Notizblock und den Stift, damit auch er mir seine Daten aufschreiben konnte. Als wir unsere kleinen gelben Zettel austauschten, studierte ein jeder für sich die jeweilige Adresse. Dachte ich gerade noch, meine Lage wäre nicht zu toppen, lehrte mich das Schicksal jetzt eines Besseren.

Oh, mehr geht immer!!!

Da hatte ich es nun schwarz auf weiß – oder besser gesagt schwarz auf gelb!

[…]

Tom Corneli.

Jetzt war mein Glas definitiv am Überschwappen!

Wie war das nochmal?

Ich konnte ihm ja aus dem Weg gehen, müsste mich ja nicht einmal mit ihm unterhalten … Natürlich! Italien wäre groß genug für uns beide …

Und was mache ich?

[…]

Ich Riesen-Rindvieh?!

Ich musste ihm gleich ins Auto donnern!

War ich noch ganz dicht?!

Es war mir klar, dass ich ihn treffen würde. Aber dass das gleich passieren würde, nachdem ich gerade mal die große Zehe über die Grenze streckte, das nicht.

Eine unsichtbare, fast unerträgliche Last drückte auf meine Schultern herab. Ich dusseliges Huhn war wirklich nach Italien gefahren. In ein Land, das ich eigentlich nie mehr betreten wollte und nun begann der Wahnsinn erneut! Was hatte ich mir nur dabei gedacht?

Dazu konnte man wirklich nichts mehr sagen. War es denn nicht schlimm genug, dass meine Beziehung, mein Auto und vielleicht auch noch mein ganzes Leben den Bach runterging?

NEIN – war es wohl nicht. Ich musste auch noch in den Volltrottel des Jahrhunderts reinfahren! Nie und nimmer dachte ich, dass ich einem italienischen Macho meine Adressdaten geben würde, und schon gar nicht diesem Scheißkerl neben mir. Bemerkenswerterweise auch noch fast freiwillig. Keine Ahnung, welche Gesichtsfarbe ich hatte. Oder hatte ich gar Flecken bekommen? Aber was mich wirklich in Staunen versetzte war die Tatsache, dass ich immer noch aufrecht stand. Gespannt wartete ich auf seine Reaktion. Er musterte mich durchdringend und schmunzelte ein wenig. „Mia?“, meinte er, „ein sehr schöner Name … und ich glaubte fast, Gabriella Cilmi wäre mir höchstpersönlich ins Auto gekracht.“ „Sehr witzig!“ Was würde noch kommen? Anna F., Norah Jones, Katie Melua? War alles schon mal da. Natürlich, es gab Schlimmeres. Aber tatsächlich glaubten einige, seitdem ich mir meine Haare hatte wachsen lassen, eine Ähnlichkeit zu sehen. Ich persönlich hielt das für Schwachsinn und die Vergleiche stanken mir - besonders von dem da! Nachdenklich fügte er hinzu: „Ich kannte mal eine Mia, war echt süß die Kleine. Aber soweit ich mich erinnern kann, kam die nicht aus Deutschland.“

Ach, soweit ER sich erinnern konnte?

Wie nett.

Mir blieb der Mund offen stehen. „War eine ziemliche Zicke, verstand überhaupt keinen Spaß!“, fügte er noch hinzu.

Na wirklich toll! Diese ziemliche Zicke explodiert gleich!

Ich biss mir auf die Zunge und lächelte ihn tiefgekühlt an.

„Oh, na dann. War …“, es wollte mir kaum über die Lippen und ich räusperte mich „ … nett … hmm … Sie kennengelernt zu haben, aber ich sollte dann doch weiter!“

„Wollten Sie denn nicht etwas essen?“ Auch das noch, er hatte mein Magenknurren gehört.

„Das meinte ich ja – also dann.“

„Also dann. Wir hören voneinander.“ Ja leider. Nickend stieg ich in meinen Mini.

Nachdem wir beide noch ein paar Fotos mit unseren Handys von unseren demolierten Autos geschossen hatten, fuhr ich etwas zurück. Mit laut quietschenden Geräuschen schloss er, so gut es ging, seine kaputte Autotür. Er stemmte sich richtig dagegen, um sie zuzubekommen. Mensch, vor lauter Peinlichkeit versteckte ich mich hinter meiner Sonnenbrille und rutschte ein paar Etagen tiefer in meinen Sitz. Und dass er mir auch noch gequält zulächelte, machte es nicht gerade besser. Kopfschüttelnd dachte ich darüber nach, warum ausgerechnet m-i-r sowas passierte. Nach ein paar Verdauungssekunden parkte ich meinen Mini anständig in die Parklücke, ließ mir absichtlich noch etwas Zeit, um nicht mit ihm gemeinsam in das Restaurant gehen zu müssen, zog meine High Heels an und kramte gerade nach meiner Handtasche und nach meiner Straßenkarte, als plötzlich auch noch mein Handy klingelte. Niklas, schoss es mir durch meinen verwirrten Kopf. Der hatte mir gerade noch gefehlt! Doch es war eine Nummer, die ich nicht kannte, mit einer +39 Ländervorwahl. Das war eine italienische Nummer. Vielleicht Malou? Etwas irritiert hob ich dann doch ab. „Hallo?“ „Ciao bella, wollte nur mal sicher gehen, ob du mir auch die richtige Nummer gegeben hast“, raunte eine tiefe Stimme durchs Telefon. „Na dann. War´s das?“, fragt ich ihn genervt und verdrehte meine Augen dabei. „Vielleicht traust du dich doch noch ins Restaurant und lässt dich von mir auf einen caffè einladen.“ „Lass mich kurz nachdenken. NEIN! Ich mag keinen Kaffee!“ Entschlossen drückte ich ihn weg.

Also doch, er wollte mich wahrhaftig anbaggern!

So ein eingebildeter Idiot!

Mit flauem Magen stieg ich aus meinem Mini aus, zupfte mein Cocktailkleid zurecht, schüttelte meine widerspenstigen langen Haare durch und hängte meine Handtasche um. Wenn ich so an mir herabsah, wurde mir noch mulmiger zumute. Es stand außer Frage: Für diese Tageszeit war ich definitiv overdressed. Fest umklammerte ich den Riemen meiner Tasche, ganz so, als hinge mein Leben davon ab, und stöckelte durch die Eingangstür. Das kleine, aber feine Pizza-Restaurant war gut besucht. Es gab viele dunkle Holztische, dazu passende Stühle mit weinroten Überzügen, ein paar Stehtische und natürlich eine Bar. Die Wände bestanden aus mit Ziegelsteinen gemauerten Gewölben und waren mit edlen Lampen versehen, um eine romantische Atmosphäre zu zaubern. Neugierige Blicke der Gäste trafen auf mich. Um genau zu sein, – in diesem Laden gab es niemanden, der mich nicht anstarrte. Auch Tom, der bei seinen Kumpels an einem der Stehtische stand, drehte sich zu mir um. Fehlte nur noch, dass die Musik verstummte. Der Macho, der sich für unwiderstehlich hielt, um noch deutlicher zu werden, der mit dem kaputten Auto, lächelte mich freundlich an. Er nickte mir zu, was ich nicht im Geringsten erwidern konnte. Sein Blick fiel gleich auf meine Schuhe, und er begann wieder dämlich zu grinsen.

Eingebildeter Vollidiot!

Das einzig Unwiderstehliche war im Moment der Geruch nach frischem Oregano, gemischt mit Käse und Tomaten, dazu schwerem Wein und natürlich nach selbstgemachter Pizza, der mir gründlich in die Nase stieg. Ganz vorne neben der Theke war ein urig gemauerter, weißer Pizzaofen, dessen Hitze ich sogar von meinem Standort aus noch spüren konnte. Hier wurde also noch traditionell in einem Steinofen gekocht und gebacken. Im Hintergrund, wie hätte es auch anders sein können, lief die Musik von ‚Al Bano Carrisi ‘, und alles in allem war es sehr gemütlich und von unaufdringlichem italienischem Flair. Wäre meine Lage im Moment nicht so beschissen gewesen, hätte ich das ganze Drumherum vielleicht sogar noch genießen können. Aber dem war nicht so. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, das Lokal gleich wieder zu verlassen. Aber mein Magen machte mir einen völlig anderen Vorschlag.

Ich setzte mich an einen leeren Tisch an einem Fenster, um einen Blick auf den Parkplatz zu haben. Immer wieder sah ich zu meinem demolierten Auto hinaus. Manchmal war ich eben ein echter Kontrollfreak. Alles was passiert war, wollte mir überhaupt nicht in den Kopf. Genau genommen die letzten achtundvierzig Stunden. Anscheinend verschmerzte Tom sein kaputtes Auto viel leichter. Denn sichtlich erheitert stand er bei seinen Kumpels, unterhielt sich angeregt. Dabei lachte er auch noch lautstark, was mir natürlich nicht entging.

Um meine Gedanken von ihm abzulenken, studierte ich die Speisekarte rauf und runter. Sämtliche italienische Spezialitäten wurden angeboten. Von köstlichen Vorspeisen mit Prosciutto, bis zu Pizzen und natürlich auch die traditionellen Spaghetti.

Ein Kellner kam zu mir und nahm freundlich meine Bestellung auf. Obwohl ich mich über eine Pause von meinen aufregenden Erlebnissen eigentlich hätte freuen müssen, überkam mich nahezu Langweile. Alleine in einem fremden Restaurant in einem fremden Land zu sitzen, in dem man buchstäblich niemand kannte und, noch schlimmer, diejenigen die man kannte, lieber hätte vergessen wollen, war dann doch nicht ganz so meine Sache. Ich vermisste mein geliebtes Asia-Restaurant, wo Wang-Li, der Chef, immer einen Witz für Ben und mich auf Lager hatte, sein erfrischendes Personal und natürlich auch sein leckeres Sushi. Und selbstverständlich fehlte mir mein Gummizwerg, der mich mit seinem ‚Juhu, Mia!‘, ausgelassen nervte. Der Kellner brachte mir meinen Teller Spaghetti mit Salat und eine Cola. Ein Koffeinschub konnte ja nicht schaden. Zu gerne hätte ich ein Glas Rotwein getrunken, aber ich musste ja noch weiterfahren und ich wollte mein Schicksal nicht noch mehr herausfordern. Mir war auch ohne Alkohol schon genug passiert. Genüsslich verschlang ich den letzten Bissen Spaghetti, bestellte mir noch einen echten italienischen Cappuccino mit Milchschaum und fischte aus meiner Handtasche meine Straßenkarte heraus, um einen weiteren Blick darauf zu werfen. Im Grunde war ich froh, den größten Teil der Strecke bereits hinter mich gebracht zu haben und nicht mehr allzu weit entfernt zu sein von meiner besten Freundin. Das Kakaopulver auf meinem Kaffee war zu einem Herz verziert worden, und dazu gab es noch eine kleine Kakaobohne. Liebe zum Detail mochte ich schon immer. Gedankenverloren steckte ich einen Löffel voll mit Milchschaum in meinen Mund und studierte die Straßenkarte, als sich El-Macho, ohne mich zu fragen, und frech wie er war, mir gegenüber rittlings auf einen Stuhl und an meinen Tisch setzte.

Oh Mann, wie cool er sich dabei auch noch vorkam!

Fast wollten meine verspeisten Spaghetti schon wieder den Retourweg einschlagen, doch ich hielt sie im Zaum.

„Du magst also doch caffè und erstaunlicherweise hast du auch noch schicke Schuhe“, stellte er blöde lächelnd fest. Mögen war völlig untertrieben – ich liebte Kaffee. Er winkte dem Kellner zu und bestellte sich einen Espresso. So, und jetzt waren wir auch schon per Du, das ging ja ganz schnell. „Wie man sieht“, gab ich gelangweilt zurück und studierte meine Karte weiter. „Die ganze Zeit über frage ich mich, was so eine hübsche Frau wie du hier in Italien alleine macht?“

Mein Verstand: Um ehrlich zu sein, frage ich mich das auch, seitdem sie losfuhr.

„Naja, dann frag dich doch noch ein Weilchen weiter, am besten von da hinten!“ Um meiner Aussage mehr Nachdruck zu verleihen deutete ich mit dem Löffel zu der Stelle, von der er gekommen war.

„Warum so grimmig? … Komm schon, sag was machst du hier? Du siehst nicht gerade aus als würdest du Urlaub machen wollen?“ Erschreckend, dass man mir das so ansieht.

„Weißt du, das hast du völlig richtig erkannt. Ich wollte schon immer mal einem italienischen Macho ins Auto krachen!“, fauchte ich ihn an. Außerdem fand ich es einfach nur seltsam, dass er mich gar nicht erkannte. Ich hatte wohl eher keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

„Hast du etwas Persönliches gegen Italiener?“

„Vielleicht?“

„Na, diesen Wunsch hast du dir ja nun erfüllt. So gesehen könntest du zufrieden nach Hause fahren.“

Theoretisch könnte ich.

Der Haken … hmm, ich hatte leider kein Zuhause mehr.

Bevor ich ihm antwortete, nahm ich einen Schluck aus meinem Wasserglas, das neben meinem Cappuccino stand. Dann griff ich nach der Tasse. Mein Blick blieb kurz an der weinroten Kerze haften, die in der Mitte auf dem Tisch stand, und meine Gedanken hingen dem letzten Satz noch etwas hinterher. Nach Hause …

„Ich besuche … Freunde“, gab ich ihm bestimmt zur Antwort und stellte meine Tasse wieder zurück in den Unterteller. „Und, habe ich jetzt deine Neugierde befriedigt? Ich habe echt keine Lust auf noch mehr dämliche Anmachsprüche!“ Genervt atmete ich tief durch. Verdutzt blinzelte er mich mit seinen dunkelbraunen, tiefgründigen Augen an.

Hmm … braune Augen – sind gefährlich, aber in der Liebe ehrlich, heißt es in einer Volksweisheit.

Was für eine ungeheure Verschwendung für diesen Mann!

„Freunde? Wo soll es denn hingehen? Ich kenne mich hier bestens aus. Ich kann dir gerne helfen!“ Jetzt möchte er auch noch den Fremdenführer für mich spielen! Unverschämt schnappte er sich meine Landkarte, und sein Blick fiel natürlich gleich auf die Stadt, die ich rot eingekreist hatte.

„Bardolino. Bella, das ist heute dein Glückstag!“ Wenn der wüsste … „Das ist meine Heimatstadt.“ „Danke, ich verzichte gerne auf jegliche männliche Hilfe!“, sagte ich kühn und riss ihm die Karte aus der Hand. Völlig unerwartet, dabei auch komplett unvorbereitet, fesselten seine Hände meinen Blick. Er hatte noch immer sehr schöne, starke, männliche Hände, die mich früher schon faszinierten. Er schenkte mir ein kleines Lächeln und fragte mich mit einem Dackelblick: „Warum bist du nur so zickig?“

Höchstwahrscheinlich, weil du mich einfach ankotzt!

Nachdenklich nippte ich an meinem Kaffee, der nebenbei bemerkt echt lecker schmeckte, und ertappte mich dabei, dass ich über den Kerl auch noch nachdachte. Seine Freundin von damals hatte er wohl nicht mehr, ansonsten würde er hier kaum sitzen. Bambini traute ich ihm irgendwie ebenso keine zu. Verlegen räusperte ich mich. „Ich hatte schon bessere Tage“, gab ich bockig zur Antwort in der Hoffnung, er würde mich endlich in Ruhe lassen. „Ah, ja. Also ich muss sowieso gleich nach Bardolino einen Freund besuchen. Wenn du willst, kannst du dich hinten anhängen. Ist auch gar nicht weit von hier, nur zwanzig Minuten Fahrtzeit.“ Soso, ein Freund. Zugegeben, für eine Nanosekunde kam ich kurz ins Schwanken und überlegte mir sein Angebot. Wie ein verkorkstes Huhn in der Gegend herumzuirren und irgendwo zu landen, wo ich meinen größten Feind nicht hinschicken würde, fehlte mir gerade noch. Bei meinem momentanen Glück würde ich wahrscheinlich auch noch von der Mafia gekidnappt werden. Da ich nicht die ganze Zeit wie besessen auf seine Hände starren wollte, ließ ich meinen Blick durchs Lokal schweifen und merkte, wie seine Freunde andauernd feixend zu uns herübersahen und uns gespannt beobachteten. Es war fast schon so, als wollten ein paar von denen Tom innerlich anfeuern. Andere schüttelten wiederum ungläubig den Kopf und lachten in sich hinein.

Da machte es umgehend Klick – dieser blöde Arsch!

Dieser Mistkerl wollte mit mir vor seinen Kumpels angeben! Tom Corneli wollte wohl beweisen, was für ein unwiderstehlicher Hengst er doch war, und dass er eine Wildfremde anbaggern konnte, ohne dabei einen Korb zu kassieren. Wahrscheinlich hatten sie sogar noch gewettet. Aber nicht mit mir Freundchen! Das war doch echt die Höhe!

Ich nahm einen großen Schluck von meinem Cappuccino. War es mein Verstand oder mein Gefühl – keine Ahnung – aber irgendetwas sagte mir, dass ich baldigst die Fliege machen sollte.

Ganz langsam stellte ich meine Tasse zurück in den Teller. Erwartungsvoll guckte er mich immer noch an. Ein künstliches Lächeln huschte mir über die Lippen. Zuerst zupfte ich mir mein Dekolleté leicht nach oben, um zu verdecken, was e-r auf keinen Fall sehen sollte. Dann beugte ich mich zu ihm vor. Erwartungsvoll, mit einem Siegerlächeln, beugte er sich ebenfalls zu mir. Sein Aftershave vermischt mit seinem männlichen Geruch drang in meine Nase. Leicht benebelt schaute ich auf seine Halsbeuge. Meine Augen wanderten zu seiner Wange weiter und blieben dann an seinen dunklen, braunen Augen hängen. Jetzt fingen auch noch meine Hände zu zittern an und ein ungutes Gefühl überkam mich. Naja, auf diese Sache war ich nicht ganz so vorbereitet.

Die Stimme meines Verstandes meldete sich erneut: Mensch Mia! Mädel, was machst du da?

Seine Nähe machte mir doch mehr zu schaffen, als ich es in meinen schlimmsten Albträumen vermutet hätte. Ich schaute ihm zum ersten Mal nach Jahren wieder richtig ins Gesicht, was mich ehrlich gesagt ein wenig aus dem Konzept brachte und mich stocken ließ. Tom hatte sich verändert, war männlicher geworden. Ein Dreitagebart zierte dezent sein Gesicht, was ihm, zugegeben, ganz gut stand, und insgesamt wirkte er erwachsener. Außerdem sportlicher. Aufmerksam guckte er mich beharrlich an. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich wieder im Griff zu haben, und begann dann mit verstellter, tiefer Stimme ganz nah an seinem Ohr zu flüstern. Dabei versuchte ich einigermaßen cool zu wirken.

„Du bist ja ein ganz Süßer, aber danke, nein“, säuselte ich ihm ins Ohr.

Das war ja mal eine Ansage – echt toll Mia!

Wirklich tough!

Hoffentlich hatte er wenigstens meinen ironischen Unterton mitbekommen.

Mein Verstand und mein Gefühl gleichzeitig: Kaum zu glauben, dass wir in dieser Person festsitzen!

Erstaunlicherweise waren sie sich da mal einig, denn meistens standen sie sich im Weg.

Kribbelig nahm ich wieder etwas Abstand von ihm. Schmunzelnd war er es nun, der mir langsam näherkam. Mit seiner Wange streifte er kurz, meine was mir einen superlativen Stromschlag versetzte. Ich wollte schon fast ‚Aua‘ schreien. Ich wurde immer nervöser, aber ich ließ mir, so gut es ging nichts anmerken. Seine Augen blitzten geheimnisvoll und ich glaubte zu schwitzen. „Wieso glaube ich dir das jetzt nicht?“, flüsterte er zurück. „Vielleicht weil meine Arschlöcher-Sammlung zurzeit vollständig ist? Ich bin schon ein großes Mädchen und schaffe das auch ohne männliche Hilfe!“, pflaumte ich ihn an. „Diese bissige Freundlichkeit … kommt mir so bekannt vor. Sag mal, kann es sein, dass wir uns schon mal begegnet sind? … Du erinnerst mich an jemanden …“ Dabei kniff er seine Augen zusammen, musterte mich eindringlich und dachte angestrengt nach. Nein, bitte nicht noch so einen dämlichen Anmachspruch. Obwohl er im Grunde genommen ja recht hatte. Kopfschüttelnd und mit verschränkten Armen ließ ich mich in meinen Stuhl sinken. Wir kannten uns, auch wenn es schon einige Jahre her war, dass wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Aber wir kannten uns. „Ich steh´ auf Wildkatzen!“ Für einen Moment dachte ich, ich hätte mich verhört! Mit gesenktem Blick redete er betont ruhig weiter. „Das Treffen mit meinem Freund könnte ich auf später verschieben.“ Kurz räusperte er sich und blickte mich innig an. „Wir beide könnten an einen schönen Ort fahren, wo wir ein bisschen für uns wären … na Lust?“ Oh Mann, hatte er sie noch alle? Mit diesem Idioten gehe ich nirgendwohin! Mit weit aufgerissenen Augen und offenstehendem Mund starrte ich ihn an, dann auf mein Wasserglas. Ich spürte, wie die Wut in mir hochstieg. Dieser Großkotz war sich seiner Sache so sicher, was mich nur noch mehr kochen ließ. Vielleicht war diese blöde Anmache das Tüpfelchen auf dem I, das mich für ein paar Sekunden unzurechnungsfähig machte. Auf jeden Fall lief mein Gehirn auf Standby-Modus und ich handelte einfach, ohne wirklich nachzudenken. Was nicht allzu oft in meinem Leben vorkam.

Mein Verstand wimmerte noch leise: Mia, lass es sein, bleib einfach mal ganz ruhig, er ist es nicht wert.

Aber ich ließ mich nicht abbringen, nahm mein Wasserglas und leerte ihm den Inhalt geschmeidig über den Kopf.

„Brauchst du eine noch deutlichere Antwort, oder war das jetzt klar genug für dich?“

Es war ja nur ein kleines Glas, das nur mehr halbvoll war; und es war ja auch nur Wasser, wodurch sich wiederum der Schaden in Grenzen hielt. Trotzdem war sein Blick unbezahlbar.

„Wofür war das denn bitte?“ Seine nassen Haare tropften und er wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Sein Ausdruck war irgendwie überrascht, vermischt mit einer gehörigen Portion Wut. „Ein einfaches Nein hätte auch gereicht!“ Doch ich fühlte mich unsagbar gut! Zum ersten Mal spürte ich sowas wie Gerechtigkeit. Im Hintergrund hörte ich seine Kumpels lautstark lachen, allerdings ignorierte er das komplett und fixierte mich mit seinem Blick.

„Zahlen bitte!“, rief ich dem Kellner zu und verdrehte wieder meine Augen.

Kopfschüttelnd lehnte er sich schnaubend in seinem Stuhl zurück. Sein Blick blieb trotzdem unverwandt auf mich gerichtet. Im nassen Shirt beäugte er mich eingehend. Auch ich lehnte mich zurück und kramte nervös in meiner Handtasche nach meinem Portemonnaie. Mir gefiel es nicht, wie er mich die ganze Zeit über anstarrte.

Der Kellner kam und musterte den eingeweichten, eingebildeten Macho mir gegenüber, verkniff sich aber so gut es ging das Lachen. Ich hatte es geschafft, ihn vor seinen Bekannten und Freunden zu blamieren, und das war mehr als eine Genugtuung für mich. Beide bezahlten wir unsere Rechnungen, stapften vorbei an seinen verdutzt dreinschauenden Kumpels, und verließen zusammen grimmig das Lokal.

„Eine Sache hast du nicht bedacht, bella“, meinte er, als wir vor unseren demolierten Autos standen. „Im Leben sieht man sich immer zweimal.“ Wie recht er doch hatte … „Kann schon sein – ich hoffe nicht!“, murmelte ich, setzte mir die Sonnenbrille auf und stieg, ohne ihn ein weiteres Mal anzusehen, in mein Auto. Beide fuhren wir aus der Parklücke. Zuerst Tom mit seiner klappernden Tür, dann kam ich mit meinem Schleifgeräusch und dem hängenden Scheinwerfer. Angelangt an der Kreuzung, bogen wir in einander entgegengesetzte Richtungen ab. Ein zusätzlicher Beweis dafür, dass wir in jeglicher Hinsicht doch unterschiedlicher Meinung waren.

Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut!

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