Читать книгу Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut! - Melanie Huber - Страница 9

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Kapitel 3

Die dümmste Idee von allen

„Jetzt ruckle doch nicht so herum, mir wird schon ganz schwindelig!“, schimpfte ich mit einem Lächeln im Gesicht.

„Ja, ja, warte, ich hab´s gleich … ist die Verbindung noch gut?“

„Bestens.“

„So, und jetzt mach deine Augen zu. Und nicht blinzeln – okay?“

Ich hörte nichts, wartete auf ein Zeichen und wurde langsam ungeduldig.

„Ich dachte du wolltest …“, sagte ich, konnte aber meinen Satz nicht beenden, da sie mich schon unterbrach.

„Ist das Franzl da hinten?“, fragte sie erstaunt. Vorsichtshalber drehte ich mich um, um sicher zu gehen, aber er schwamm immer noch traurig in seinem runden Goldfischglas herum.

„Ja, das ist Franzl“, bestätigte ich.

„Was hast du mit ihm gemacht?“

Franzl war mein Goldfisch. Vor zwei Wochen hatte er seine einzige wahre Liebe, seine Sissi verloren. Ihre Reste schwammen jetzt in der Münchner Kanalisation herum. Ich weiß es ist hart, und es gibt bestimmt etwas Schöneres, als in einer Klomuschel beerdigt zu werden, aber ich wusste im ersten Moment nicht, wohin mit Sissi …

„Nichts, er trauert eben immer noch, frisst deshalb nicht so viel. Ich habe ihm ein Foto mit einem weiblichen Goldfisch aufs Glas geklebt, damit er Trauerarbeit leisten kann.“

„Du hast echt einen Vogel Mia!“

„Nein – ich habe einen Fisch!“

„Geh und kauf IHM einen echten Fisch! … Der Arme tut mir ja richtig leid!“ „Er trauert Malou!“ „Fische können nicht trauern!“ „Ach komm schon, du wolltest mir ja etwas zeigen – oder nicht?“ „Na gut, dann nochmals von vorne, mach die Augen zu! … Mia, mach sie zu!“ „Okay, ich habe sie jaaa schon zu!“ „Eins, zwei und drei – taratata!“ Und da sah ich auf dem Display meines Laptops einen kleinen Ausschnitt von einem Kamin, über dem mein Bild hing. Ich war echt gerührt. „Du kannst deine Augen aufmachen … Mia? … Was sagst du?“ „Weiß nicht, ich sehe nichts, die Verbindung ist weeeeg … ich kann dich nuuuur mehr hööören“, scherzte ich. „Was wirklich?“ Jetzt sah ich wirklich nur mehr grob verschwommen ihr Auge und ihre Nase, weil sie irgendetwas an ihrem Laptop herumdrückte. Oh Mann, waren das etwa Nasenhaare? „Das war ja nur ein Witz! … Geh mir aus der Sicht Malou!“

„Mensch Mia, das ist nicht lustig! … Aber was sagst du, passt perfekt – oder?“

„Ich bin … sprachlos und ich fühle mich … äußerst … geehrt! Zeig mir doch mal das ganze Wohnzimmer.“

Sie drehte ihren Laptop langsam einmal um ihre eigene Achse. Eines musste man ihr wirklich lassen, die Beste hatte wirklich Geschmack. Ihr neues Wohnzimmer war äußerst stilsicher eingerichtet. Warme, helle Farben ließen den Raum gemütlich erscheinen und luden zum Kuscheln ein.

„Echt schön geworden“, gab ich ehrlich von mir.

„Du kannst gerne auch mal persönlich vorbeikommen und dir unser Haus anschauen!“

„Willst nur wieder angeben! … Ach nö – ich bleib lieber hier im verregneten, trostlosen München! Da gefällt´s mir viel besser.“

Marie-Louise war meine beste Freundin, eigentlich mehr noch, sie war wie eine Schwester für mich – unzertrennlich – bis sie Gianni heiratete. Unsere Freundschaft begann schon relativ früh, da sie nur ein paar Häuser entfernt von uns wohnte. Ihre Eltern führten ein sehr nobles, aber traditionelles Vitalhotel. Sie war oft bei uns und wir spielten häufig zusammen mit meinem kleinen Bruder. Zu seinem Leidwesen Vater-Mutter-Kind. Denn Malou war ein Einzelkind, was die Sache nicht gerade leichter machte, als sie mit Gianni nach Italien auswanderte.

Malou war nur ein paar Monate älter, besuchte den gleichen Kindergarten und dieselbe Schule wie ich. Wir verstanden uns auch ohne Worte, weinten zusammen bei Free Willy, hatten eine Schwäche für Comiczeichnungen, wünschten, es würde Batman wirklich geben, und Tom Cruise ließ unsere Mädchenherzen im Film Top Gun gleich zweimal höher schlagen. Wir spielten die Videokassette so oft rauf und runter, bis der Videorecorder das Band fraß, und wir nur mehr schreiend den Kampf der Ameisen mit ansahen, der am Bildschirm flimmerte. Die Tragödie war sozusagen ziemlich perfekt! Mit dreizehn nahmen wir, wie fast alle Mädchen, Reitunterricht. Träumten von großen Springreitturnieren und Preisen. Mit unseren Müttern zusammen kauften wir uns das erste Handy. Damals noch, heutzutage kaum vorstellbar, mit einem schwarz-weißen Mini-Display, und als Fluffy, Malous Hamster, das Zeitliche segnete, trauerten wir gemeinsam. Eine ganze Woche lang trugen wir nur schwarze Klamotten. Letztlich waren wir unzählige Stunden füreinander da; in guten und auch in schlechten Tagen. Wir wurden älter und auch die Jungs wurden allmählich interessanter. Einst hatten wir uns felsenfest geschworen, dass sich niemals ein Junge oder ein Mann zwischen uns drängen würde, und heute denke ich, dass dies viel schneller passierte, als es uns lieb war. Meine beste Freundin war äußerst hübsch, hatte langes, blondes Haar, ein sonniges Wesen und die Jungs standen Schlange. Sie war ziemlich stolz und ließ sie reihum abblitzen. Natürlich gab es auch bei mir ab und an eine kleine Schwärmerei, aber nach dem ersten Kuss dachte ich meistens, wie werde ich den schnell wieder los. Bis es mich dann doch irgendwann ziemlich heftig erwischte. Im Gegensatz zu Malou war ich plötzlich in einen voll süßen, dunkelhaarigen Jungen verliebt (insgeheim schwärmte ich immer schon für dunkelhaarige Typen. Wie ich an einen semmelblonden Mann geraten konnte, ist mir bis heute schleierhaft). Hätte es das Klassenbuch nicht gegeben, hätte er vermutlich nicht mal gewusst, dass auch ich in derselben Klasse saß. Irgendwann, so nach eineinhalb Jahren, fiel ich ihm dann doch auf. Am Semesteranfang, im Maturajahr, auf der Geburtstagsparty eines Schulkollegen. Naiv wie ich war, glaubte ich damals noch ernsthaft, Träume von der großen Liebe könnten wahr werden. Die Realität traf mich hart. Nach kurzer Zeit war die Beziehung vorbei. Vielleicht hätte ich den Schmerz in meinem Herzen schneller überwunden, wenn ich ihn nicht jeden Tag hätte sehen müssen. Wenn ich einfach flüchten hätte können. Aber ich hatte noch beinahe zwei ganze Semester vor mir, sodass ich gezwungen war jeden Tag mit anzusehen, wie er andere Mädels anmachte und mich mit blöden Sprüchen erniedrigte. Ich steckte meine ganze Energie ins Lernen, was nicht gerade ein Nachteil war. Malou spendete mir unzählige Stunden des Trostes, war immer für mich da, ohne sich auch nur einmal zu beschweren (dafür gab es andere in unserer Clique). Sie glaubte trotzdem noch an die Liebe. Sie war überzeugt, ich hätte mich nur in den falschen Kerl verliebt. Mit ihrem Optimismus hoffte sie, mich aus meiner Depri-Wolke zu holen, bis sie selbst ein ähnliches Abenteuer erleben durfte. Und so kam es, dass das Lied ‚Männer sind Schweine‘ von den ‚Ärzten‘ zu unserer persönlichen Hymne wurde! Das Thema Jungs war für die nächste Zeit definitiv abgeschrieben – dachten wir zumindest … Sozusagen hatten wir sämtliche Härtetests durch, die eine echte Freundschaft eben aushalten musste, tja, und auch den ersten gemeinsamen Urlaub – natürlich ohne Eltern! Keine Ahnung, wer damals die Blitzidee hatte. Aber in den Sommerferien, mit einem ausgezeichneten Abschluss in der Tasche und bevor wir zu studieren anfingen, beschlossen wir gemeinsam ans Meer zu fahren. Ich denke, es war Malou, die mich aus meinem Trott reißen wollte. Im Nachhinein betrachtet war das von allen Ideen die dümmste, die wir je hatten. Wir waren süße neunzehn Jahre jung, und völlig planlos ließen wir einfach unsere Finger auf einer Landkarte über den Ort, wo unsere Reise hingehen sollte entscheiden, und damit auch über unser Schicksal. Hauptsache weit weg von unserem Heimatort, irgendwohin wo es Sonne, Strand und Meer gab. Das Ganze war natürlich topsecret. Nicht mal unsere Eltern wussten Bescheid. Auch nicht mein Bruder. Sie glaubten, wir würden eine ganze Woche bei einer Freundin zelten. In Wirklichkeit machten wir – und jetzt kommt´s – Italien unsicher. Aus dem Meer wurde ein See, da unsere Finger unbegreiflicherweise am Gardasee festhingen. Genau genommen in Bardolino. Wir besaßen beide kein Auto, demzufolge brauchten wir einen Platz in einem Flieger, und natürlich auch noch ein Hotel. Bevor es losgehen konnte, benötigten wir Geld. Also haben wir fast jeden idiotischen Job angenommen, den wir bekommen konnten. Wir verteilten in überdimensional großen Weintrauben- und Erdbeerkostümen Flyer an Passanten für eine Fruchtmesse. Wiesen Autos in freie Parkplätze ein, mangels Berufserfahrung wurden wir da allerdings gleich wieder gefeuert. Zuletzt arbeiteten wir bei einer Imbisskette, wodurch wir, wenn wir abends heimkamen, von weiten schon nach Pommes rochen. Als wir jeden Cent zusammengekratzt hatten, buchten wir einen Flug und ein Zimmer in einem Zwei-Sterne-Hotel. Mehr war einfach nicht drin. Anhand der Fotos schaute das Hotel eigentlich ganz passabel aus. Die Poolanlage und die Zimmer waren auch ganz nett abgebildet. „Traumurlaub, wir kommen!“, riefen wir noch, als wir Anfang August am Flughafen auf unseren Flug warteten. Aus dem Traum wurde leider ganz schnell ein Albtraum. Wie sich herausstellte, waren die Fotos ein Fake. Die Zimmer waren ja noch akzeptabel, bis auf die kleinen Mitbewohner – auch Kakerlaken genannt. Böse Zungen behaupten, ich wäre nicht gut zu Haustieren, und das wurde diesen Biestern mehr als nur einmal zum Verhängnis. Das Essen ging gar nicht, deshalb ernährten wir uns anfangs nur von Wassermelonen. Die kleinen Mengen an Grappa, die wir uns täglich gaben, brachten unser Immunsystem auf Vordermann und waren wohl der Grund dafür, dass wir nicht ernsthaft erkrankten. Naja, bei den massenhaften Freizeitangeboten des Hotels wurde es uns bald zu langweilig, und an blöden, aber manchmal auch an guten Ideen, mangelte es uns eigentlich nie wirklich. So fuhren wir mit dem Taxi in die nächste Stadt und ließen uns zu einem angesehenen Club, der von außen wie ein Schloss ausschaute, kutschieren. Laute, gute Musik, die uns gefiel, dröhnte nach außen, und wir waren echt in Stimmung. Der Einlass verlief nicht ganz unproblematisch, aber Malou – langhaariges, blondes Girl, Traum eines jeden Italieners – ließ ihr verführerischstes Lächeln spielen und ich schaute mir vergnügt ihr Spektakel an. Nach elendslangem Zögern ließ uns der Türsteher doch noch passieren – was ich ein paar Stunden später allerdings ziemlich bereute … Der Club wirkte urig, aber äußerst edel. Es kam uns vor, als würden wir eine Gruft betreten. Überall Gewölbe, und an den grauen Mauern befestigte schwarze Wand-Kronleuchter spendeten gedämpftes Licht. In der Mitte waren eine riesige Tanzfläche und mehrere Bars. Es war ziemlich voll, die meisten Tische belegt. Überall wimmelte es nur von wohlhabenden, süßen, italienischen Männern, mit jeweils einem Rudel hübscher Damen. Wir fielen ganz schön auf, denn irgendwie waren wir die einzigen Touristen. Bei uns zu Hause würde man sagen, wie zwei Kasnocken spazierten wir durch den Club. Malou und ich schlängelten uns, vor Selbstbewusstsein nur so strotzend, an mehreren Tischen vorbei, und gingen in Richtung der Bar neben der Tanzfläche. Wir bestellten uns eine Cola, die wir gleich mal austranken, und als der DJ Hits von ‚Cypresshill‘ auflegte, fanden wir uns schon auf der Tanzfläche wieder. Wir bildeten uns tatsächlich ein, dass wir gut tanzen könnten. Im Nachhinein schäme ich mich bis heute für die spastischen Verrenkungen, die wir da abgezogen haben. Aber es war scheißegal, denn es kannte uns ja niemand, was sich bedauerlicherweise schnell änderte. Am Rand der Tanzfläche standen ein paar Jungs, die an Bierflaschen nippten. Ständig schielten sie zu uns rüber und ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie sich über uns köstlich amüsierten. Vom Aussehen her waren sie ja ganz süß, und einer von ihnen, ein blonder Typ, hatte wohl Gefallen an meiner besten Freundin gefunden. Das merkte man schon daran, wie intensiv er sie beobachtete. Außerdem war er unter dem schwarzhaarigen Haufen mit seiner blonden Haarpracht nicht zu übersehen. Guckte Marie-Louise mal scheu in seine Richtung, sah er anfangs verlegen weg, lachte laut und quatschte gleich mit seinem Freund, der nur beharrlich zu nicken schien. Nach einer Weile traute er sich dann doch, drehte den Kopf schief und lächelte ihr verlegen zu. Wohl auch deshalb, weil sie ihn ununterbrochen anstarrte. Malou hüpfte nervös herum. Geschickt drehte sie sich um, um auszuschließen, dass er an ihr vorbei grinste. Sie konnte gar nicht so recht glauben, dass das süße Lächeln ihr gegolten hatte. Ich hatte sie noch nie so erlebt, dachte noch, sie würde mir gleich zusammenbrechen. Blondi ging an uns vorbei, schenkte der Besten nochmals einen Blick, der mehr sagte, als er eigentlich sollte, und ging zum Pult des DJs hoch. Kaum hatte der DJ etwas rhythmische Musik aufgelegt, kam Blondi wieder zurück auf die Tanzfläche und fing mit Malou zu tanzen an. Hätte ich es damals nur annähernd geahnt, dass sie diesen Typ gleich heiraten würde, ich hätte sie gepackt und wäre schreiend mit ihr aus dem Lokal gerannt.

Nein – natürlich nicht!

Ich war eine gute Freundin und ich gönnte ihr das Glück von Herzen.

Es dauerte nicht lange und der Wackeldackel, ich meine den nickenden Kumpel mit dem er noch zuvor geredet hatte, näherte sich auch mir – tänzerisch. Oh Mann – zu unserem Bedauern konnten die beiden das auch noch richtig gut! Jedenfalls viel besser als wir. Langsam, aber doch bestimmt, tastete sich Blondi an Malou heran. Mit einem Blick bat er um Erlaubnis seine Hand auf ihre Hüften zu legen, dann verkeilte er sein Bein mit ihrem und beide folgten den Klängen der Musik. Hallo?! War das wirklich noch Malou?

Erstaunlicherweise haben im Gegensatz zu unseren österreichischen Männern italienische Jungs keine Angst vorm Tanzen und auch fast keine vor Berührungen.

Es machte wirklich Spaß, sich ganz leicht und unbekümmert zur Musik zu bewegen. Mittlerweile befanden sich immer mehr Leute auf der Tanzfläche, dabei auch ein Pärchen aus dem Freundeskreis von unseren beiden Tanzlöwen. Das Paar stach aus allen anderen hervor. Der dunkelhaarige Tänzer gab dem DJ ein Zeichen, der ihm kumpelhaft zunickte. Macho! Es dauerte nicht lange, und der DJ machte eine Ansage, die wir natürlich nicht verstanden. Aber irgendwie schaffte er damit einen gekonnten musikalischen Übergang zur lateinamerikanischen Musik. Tja.

Neugierig darauf was uns bevorstand, starrten wir ein wenig blöd vor uns hin. Malou und ich hatten ja absolut keine Ahnung, wie man zu so einer Musik tanzte. Natürlich absolvierten wir einen Grundkurs bei Dirty Dancing, aber halt auch nur, wenn es um Filme gucken ging. Da wurde außer auf Play und im richtigen Augenblick auf Pause drücken, beziehungsweise wieder retour spielen, nicht viel verlangt. Nebenbei bemerkt fraß auch dieses Video unser Recorder. Echt ein verfressenes Ding! Also, dieser dunkelhaarige Macho zog mit seiner Freundin eine Show ab, da ging echt die Post ab! Mit verführerischen Blicken zog er sie immer wieder an sich, sie verkeilten ihre Beine ineinander und mit kreisenden Bewegungen drehten sie sich fließend im Rhythmus der Musik. Rundherum machten die tobenden Leute ihnen Platz, bildeten einen Kreis und schauten ihrer Darbietung amüsiert zu. Auch wir stellten uns in den Kreis und klatschten ebenfalls mit. Locker und sexy schüttelte sie ihre schwarzen Haare nach hinten, er beugte sie direkt vor mir nach unten, dabei warf er mir für eine Sekunde einen funkelnden Blick zu, was mir unvermittelt die Galle hochtrieb. Im nächsten Augenblick zog er sie aber auch schon wieder hoch. Zärtlich legte sie ihre Arme um seinen Nacken. Die beiden zogen mit ihrer Tanzeinlage die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Fast niemand in dem Lokal kreischte ihnen nicht zu, begleitet von Pfiffen. Immer noch klatschend, wippten wir von einem Bein zum anderen und mein Blick schien an diesem Tänzer festzukleben. Dieser Kerl sah nicht wirklich gut aus, um genau zu sein, überhaupt nicht. Außerdem bildete er sich für meinen Geschmack viel zu viel ein.

Okay ist ja schon gut – ich fand ihn hübsch.

Blöderweise.

Aber auch seine Freundin war hübsch. Er strotzte nur so vor Lässigkeit und Coolness wie ein Cowboy, aber am meisten imponierten mir seine dunkelbraunen Augen und die Art, wie elegant er sich bewegte.

Die Leidenschaft, die sie beide versprühten, war beeindruckend, die Show war einfach heiß und wahnsinnig sexy. Verblüfft, fast schon neiderfüllt, starrte ich die beiden immer noch an, war quasi festgefroren. Mein Tanzpartner, dem meine Unaufmerksamkeit ihm gegenüber nicht entging, überrumpelte mich, packte mich an der Hand und fing mit mir wieder zu tanzen an. Persönlich bevorzuge ich eigentlich offene Tänze, diese Jungs hier anscheinend nicht. Der nächste Song erklang, die Menge beruhigte sich und es herrschte wieder normaler Trubel auf der Tanzfläche. Auch das beeindruckende Tanzpaar mischte sich unter die Leute. Selbst Malou wagte einen weiteren Tanz mit ihrem Blondi. Höflich versuchte ich mich wieder auf meinen Partner zu konzentrieren, aber als er mir dann doch etwas zu aufdringlich wurde, versuchte ich mich, aus seinem Klammergriff zu lösen, wobei ich tollpatschig nach hinten stolperte. Fast wäre ich auf dem Boden gelandet, hätte mich da nicht ein starker Oberkörper abgebremst.

Irritiert blickte ich mich um, meine Gesichtsfarbe wechselte zu Tomatenrot, das Gefühl – seltsam.

Betreten gab ich nur ein „Sorry“, von mir. Zu mehr kam ich auch gar nicht, denn mein Tanzpartner schnappte meine Hand und wirbelte mich auch schon in die entgegengesetzte Richtung der Tanzfläche. Ehrlich gesagt kam ich mir vor, als würde ich im Ring stehen und einen Boxkampf bestreiten, und nicht tanzen. Es gefiel mir absolut nicht, unangekündigt von einer Ecke zur anderen geschleudert zu werden, und ich hatte wirklich Angst, ich würde mit diesem Schwung, den ich drauf hatte, erneut irgendwo landen. Zum Glück blieb mir ein weiteres Mal erspart.

Der Song wurde ruhiger und er zog mich abermals an sich. So fing ich mich einigermaßen wieder und nutzte die Gelegenheit, mich suchend nach demjenigen umzuschauen, mit dem ich kurz davor zusammengestoßen war. Oh nein, wie peinlich! Es war der Macho, der leidenschaftliche Tänzer. Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand er nun am Rand, angelehnt an einem Geländer, hielt sich seine rechte Seite fest und warf mir boshafte Blicke zu. Seine Freundin stand mitfühlend neben ihm und redete auf ihn ein. Es schien, als hätte er beim Atmen Probleme, aber nach einer kurzen Pause raffte er sich wieder auf.

So ein Weichei aber auch! Da streifte man ihn nur ein kleines bisschen, und dann machte der gleich einen auf Schlaffi!

Seine Freundin nahm ihn bekümmert bei der Hand, und wollte mit ihm runter von der Tanzfläche. Er aber wollte das anscheinend nicht. Gekonnt und mit nur einer Handbewegung, drehte er sie wieder zu sich. Mit zusammengebissenen Lippen legten die beiden erneut eine Tanzshow hin, bei der uns allen die Spucke ein weiteres Mal wegblieb. Beide wirkten hochkonzentriert, aber manchmal schien er doch Schmerzen zu haben, da er dabei mitunter sein Gesicht verzerrte, dennoch tanzte er weiter. Mir war, als würden wir Dirty Dancing live erleben. Mit unseren krampfhaften Bewegungen kamen sich Malou und ich gleich zweimal doof vor. Unsere Tanzschritte wurden immer langsamer, wir blickten suchend in der Gegend herum und Blondi, der Malou nicht mehr aus den Augen ließ, nutze die Gelegenheit, und deutete zur Bar hin. Wir verließen die tanzende Menge mit unseren männlichen Begleitern, die uns nun auf ein Getränk einluden. Giovanni stellte sich und seinen Freund Marco vor. Erstaunlicherweise sprachen beide sehr gut unsere Sprache. Wir unterhielten uns, darüber woher wir kamen, welche Pläne wir nach der Schule hätten und was wir eigentlich hier machten. Wobei ich ehrlich gesagt auf Letzteres auch selbst keine Antwort hatte. Andauernd schielte ich zu Malou rüber und je länger sich die beiden unterhielten, umso mehr strahlten ihre Augen. Man könnte fast schon sagen, beide vergaßen alles um sich herum. Gianni ließ sich auch nicht von seinem Kumpel, dem tollen Tänzer von vorhin, ablenken. Ständig versuchte er, ihn immer wieder in ein Gespräch zu verwickeln, schielte dann auch noch blöd zu mir rüber, was mir erneut die Röte ins Gesicht trieb. Doch es nützte alles nichts; Gianni hatte nur mehr Augen für Malou, bedauerlicherweise sie auch nur mehr für ihn. Als beide ausgetrunken hatten, meinten sie, sie würden schnell mal an die frische Luft gehen. Bevor sie gingen, drückte mich die Beste noch und flüsterte mir ins Ohr: „Mach dir keine Sorgen, ich weiß schon was ich tue.“ Im Gegensatz zu ihr war ich mir da weniger sicher. Tja, und das schnell mal ganze drei Stunden bedeuten würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht. Mir war nicht ganz wohl dabei, wir kannten diese Jungs ja gar nicht, und jetzt wollte sie allen Ernstes auch noch mit ihm alleine sein, wohlgemerkt in einem fremden Land. Ich schaute auf meine Uhr. Es war schon zwei Uhr morgens; in anderthalb Stunden würde der Club schließen. Aus Angst, alleine dazusitzen, verwickelte ich Marco, der auch nicht von schlechten Eltern war, in ein Gespräch. Er sah nicht gerade aus, als hätte er in seinem Leben schon mal jemanden abgemurkst, also begann ich auf ihn richtig einzureden, redete quasi um mein Leben. Der Arme machte nicht den glücklichsten Eindruck, und als ich dann auch noch über Kunst und Fotografie zu sprechen anfing, meinte er trocken, wir sollten vielleicht doch noch mal tanzen gehen. Langsam wurde ich nervös und blickte immer besorgter auf die Uhr. Die Beste war jetzt schon beinahe eine Stunde weg. Die Zeit verging wie im Flug, doch Malou kam nicht. Hoffentlich machte sie keinen Scheiß – hoffentlich machte er keinen Scheiß mit ihr. Das leichte Unbehagen von vorhin wurde immer stärker, stieg in mir hoch und mittlerweile machte ich mir schon ernsthafte Sorgen. Mein Gegenüber versicherte mir, dass Gianni anständig wäre und ich keine Angst zu haben brauchte. Aber konnte ich ihm trauen? Ich wusste es nicht so recht. Außerdem verging mir die Lust am Tanzen. Meine Bewegungen wurden nur noch dämlicher, und die Angst in meinem Bauch stieg von Minute zu Minute. Es machte keinen Sinn mehr, länger auf der Tanzfläche wie ein steifgewordenes Känguru herum zu hopsen, deshalb verlagerten wir unsere Position an einen freien Tisch. Genervt und gelangweilt drehte ich meine Heineken-Flasche hin und her. Ständig schweiften unsere Blicke suchend durch den Club, wir wussten schon längst nicht mehr, was wir uns noch hätten erzählen sollen. Der tolle Tänzer kam mit seiner Freundin händchenhaltend zu Marco, und sie unterhielten sich angestrengt auf Italienisch. Immer wieder warfen sie einen Blick auf die Uhr und dann auch wieder auf mich. Ich verstand kein Wort; sie ließen mich nur vermuten, dass sie sich ebenfalls um ihren Freund Gedanken machten. Der tolle Tänzer war eigentlich gar nicht so toll. Ständig glotzte er mich mit seinem durchdringenden, arroganten Blick an.

Boah hey, dieser Typ!

Also, schön langsam ging mir der echt auf die Nerven.

Marco erklärte mir, dass sie alle mit Gianni hier wären und er die Autoschlüssel hätte. Im Gegensatz zu ihnen dachte ich nur: Gott sei Dank! Ansonsten würde ich hier alleine hocken.

Die Musik hörte auf zu spielen und grelle Lichter wurden eingeschaltet. Es waren nur mehr wenige Leute im Club; die meisten stark betrunken. Ein paar Alkoholleichen lagen herum. Manche lieferten sich noch lautstarke Diskussionen mit dem Türsteher, andere bettelten noch um ein letztes Getränk vom Barkeeper. Wiederum andere zerrten ihre Lebensabschnittspartner in Richtung Ausgang. Die wollten aber in den meisten Fällen partout nicht nach Hause und verkrallten sich vehement in allem, was gerade in ihrer Nähe war.

Es dauerte nicht lange, und wir warteten dieses Mal VOR der Eingangstür. Da stand ich nun mit zwei wildfremden Männern und einer Frau in einem fremden Land.

Oh Mann, war das beschissen!!! Beschissener konnte dieser Urlaub gar nicht mehr werden!!! Gedanklich sah ich schon die Schlagzeilen vor mir: „Junges, erst neunzehnjähriges Mädchen, tot aus dem Gardasee geborgen. Ihre dunkelhaarige Freundin, Name unbekannt, immer noch vermisst.“

Ich lehnte mich an die hölzerne Eingangstür, winkelte ein Bein ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Noch so ein männliches Wesen gesellte sich zu uns. Er gehörte anscheinend auch zur Truppe und fing mit mir ein Gespräch an. Er war etwas mollig, hieß Olli und wirkte eigentlich ganz nett.

Hier draußen war es doch etwas frisch; ich rieb mir die Oberarme. Der arrogante Tänzer setzte sich mit seiner Freundin auf die Bordsteinkante. Fest kuschelte sie sich in seine Arme, und er streichelte ihr sanft über ihre langen, pechschwarzen Haare. Für einen waschechten Italiener war seine Hautfarbe zwar schön braun gebrannt, aber nicht zu intensiv, wie es bei den meisten der Fall war.

Er musste sie wirklich sehr gern haben. Die Harmonie und die Leidenschaft, die sie füreinander empfanden, war nicht zu übersehen. Mit der anderen Hand warf er gelangweilt vereinzelte Kieselsteine auf die Straße. Dann zündete er sich eine Zigarette an und blies den Rauch nach unten.

Dauernd zog er genüsslich an seiner Zigarette, die er mit Daumen und Zeigefinger festhielt. Es gefiel mir, wie er rauchte, und wie er seine Hände dazu bewegte.

Das Bad Guys auch immer so eine magische Wirkung auf Frauen haben müssen!

Manchmal trafen mich seine Blicke, in denen ich nichts als Verachtung las. Fast so, als wäre ich schuld an dieser Misere. Er schien sauer zu sein. Marco nahm es gelassen, lehnte sich auch gegen die Tür, schloss seine Augen und sagte so gut wie gar nichts mehr. Wahrscheinlich hatte ich ihn mit meinen Gesprächen zu sehr ermüdet.

Eine Stunde standen wir noch so blöd herum, als Gianni und Malou endlich händchenhaltend, glücklich und mit verliebten Blicken um die Ecke schlenderten.

Die anderen verdrehten nur genervt die Augen und mir … mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als ich meine beste Freundin bei bester Gesundheit wiedersah. Malou hatte Giannis Jeansjacke um; es war ja wirklich frisch geworden. Der arrogante Tänzer würdigte Gianni keines Blickes. Mit einem Kuss auf die Stirn weckte er seine Freundin, die eingenickt war, liebevoll. Zusammen schlenderten sie wortlos zu Giannis Auto, das nicht weit von uns, auf dem bereits verlassenen Parkplatz stand. Gianni ließ es sich nicht nehmen und wollte Malou und mich unbedingt ins Hotel zurückfahren, was zu lautstarken Diskussionen mit dem arroganten Tänzer führte. Wir verstanden kein einziges Wort, und ehrlich gesagt war auch ich echt sauer. Ich wollte nur mehr zurück ins Hotel. Olli mischte sich ein und begann zwischen den beiden zu schlichten. Dennoch, es war Giannis Auto, und so quetschte er uns zu siebent!, in seinen weißen Alfa Romeo Sportwagen. Malou sollte neben ihm auf dem Beifahrerplatz sitzen, und ich durfte mich auf Marcos Schoß auf den engen Rücksitz gesellen. Neben uns reingezwickt saß der mollige Olli, der kaum Luft holen konnte. Dann folgte der Tänzer mit seiner Freundin auf seinem Schoß. Beleidigt verzerrte er sein Gesicht und schaute stur aus dem Fenster.

Ach, hatte ich schon erwähnt, dass er wirklich arrogant war?

Zusammengepfercht wie die Ölsardinen saßen wir nun im Wagen, und Gianni startete den Motor. Als wir endlich bei unserer, naja, nennen wir es mal, Behausung ankamen, (Hotel scheint mir etwas zu hochtrabend), stieg ich aus dem Auto, nuschelte ein „Danke“ und ging schnurstracks, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen, auf unser Zimmer. Gefolgt von Malou, die in einer dichten, rosaroten Wolke schwebte. Ich wollte diesen Abend nur noch vergessen.

Todmüde sank ich in mein Bett. Die Beste schien es nicht großartig zu stören, dass ich mir ihre Story nur mehr im halbwachen Zustand anhörte. Da fast alle Sätze, die von ihr kamen, mindestens dreimal den Namen Gianni beinhalteten, war es auch nicht so tragisch, dass ich nicht alles so genau mitbekam. Gedanklich führte ich Selbstgespräche und redete mir ständig ein, dass die Welt nach einigen Stunden Schlaf wieder anders aussehen würde, und die Beste wieder die Alte werden würde.

Anfangs war es ganz leise. Ein Geräusch, oder doch eher ein Klopfen, das mich unbarmherzig aus dem Schlaf riss. Äußerst benommen öffnete ich langsam meine Augen. Es war alles verschwommen und das grelle Sonnenlicht machte es mir noch schwerer. Gemächlich tasteten meine Hände nach dem Handy auf meinem Nachttisch. Ich wollte wissen, wie spät es war. Aber anstatt meines Handys ertastete ich etwas ganz anderes. Es fühlte sich härter, rundlicher und lebendiger an. Langsam drehte ich meinen Kopf auf die linke Seite, als mich eine mindestens Fünf-Zentimeter-Kakerlake mit ihren Glubschaugen anstarrte. Von einer Sekunde auf die andere war ich voll da und schrie um mein Leben. Ich hatte tatsächlich gerade eine lebendige Kakerlake gestreichelt. Malou erschrak so sehr, dass auch sie zu schreien begann, obwohl sie keinen blassen Schimmer hatte, worum es eigentlich ging, bis sie das Monstrum von Vieh erblickte. Die Beste stürmte aus ihrem Bett, nahm sich einen Schuh, der am Boden herumlag, und schlug solange auf die Bestie ein bis die, naja, zum letzten Mal glubschte. Erst als wir kräftig durchatmeten und unser Puls wieder langsamer wurde, bemerkten wir, dass jemand, mittlerweile schon ziemlich lautstark, an unserer Tür hämmerte. Also wenn das jetzt die Putzfrau war, die würde jetzt etwas zu hören bekommen, schoss es mir durch den Kopf.

Malou öffnete in ihrem kurzen Pyjama unsere Zimmertür einen kleinen Spalt. Dass es nicht die Putzfrau war, konnte ich anhand der unmittelbar darauf folgenden Reaktion erkennen, weil sie die Tür freudig ganz aufriss.

Leider. Ich glaube, die hatten gar keine Putze. Dieser Urlaub war die reinste Katastrophe, und zum ersten Mal verstand ich die Leute, wenn sie sagten, sie bräuchten Urlaub vom Urlaub.

Es war Gianni der uns besuchte – was für eine Freude!

Jippie! Juhu!

Meine Freude jedenfalls hielt sich in Grenzen.

Alle drei machten wir einen geschockten Eindruck. Gianni, weil er dachte, es wäre etwas Schlimmes passiert, und wir wegen diesem Monstervieh. Malou wechselte schnell von Schockzustand zu extremer Aufgeregtheit. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf. Hätte ich ein Auto gehabt, wäre ich ohne zu zögern auf der Stelle nach Hause gedüst. Es kümmerte sie kein bisschen, dass ich eigentlich noch stinksauer auf sie war, nach der Aktion von letzter Nacht. Alles was zählte, war, dass Gianni auf einmal da stand. Allerdings wunderte ich mich schon, dass Einheimische so leicht in fremde Hotels gelassen wurden. Aber anscheinend nahmen das die Italiener nicht so genau. Genau so wenig, wie mit der genehmigten Anzahl von Autoinsassen.

Gianni war sprachlos, in welchem Zimmer wir einquartiert waren. Von der braun-gelben Brühe im Pool ganz zu schweigen. Er schlug uns vor unsere Sachen zu packen, und in ein Hotel, das seiner Tante gehörte bei der er aufgewachsen war, umzusiedeln. Wegen der Bezahlung müssten wir uns keinen Kopf machen und weil es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen konnte, siedelten wir tatsächlich um. Das war sehr großzügig von ihm. Gianni hatte uns wirklich nicht zu viel versprochen. Das Hotel Paradiso seiner Tante war ein echtes Schmuckstück, und obwohl hier und da schon etwas Renovierungsbedarf bestand, war es sehr liebevoll eingerichtet. Man konnte fast sagen, das Hotel strahlte irgendwie eine romantische Atmosphäre aus. Das Essen schmeckte lecker, das Zimmer war sehr sauber und äußerst gemütlich eingerichtet. Nachmittags trafen wir Gianni am Pool wieder, bedauerlicherweise auch den Rest seiner Freunde. Natürlich auch Olli, der Einzige, bei dem ich mich freute, ihn wieder zu sehen. Er arbeitete als Koch im Hotel und in seiner Pause gesellte er sich gerne zu uns. Es wäre ja zu gemütlich gewesen, wäre da nicht auch noch dieser arrogante Tänzer aufgekreuzt. Natürlich mit einem Motorrad, wie es sich für einen richtigen Macho gehörte. Obwohl ich zugeben muss; nach den ersten Tagen in unserer neuen Übernachtungsstätte schob ich meine Vorurteile gegen ihn für ein paar Stunden beiseite und wir führten sogar, abseits von den anderen, umgeben von einer gegenseitigen Schüchternheit, ein paar interessante Gespräche. Daran kann ich mich allerdings nur mehr vage erinnern. Er erzählte mir, dass Olli sein fünf Jahre älterer Bruder war und seine Mutter aus Wien stammte. Sein Vater, ein angesehener Architekt, war Italiener. Außerdem erfuhr ich, dass Oliver, so Ollis richtiger Name, nach seinem Wiener Großvater benannt wurde, deshalb der deutsche Name. Was allerdings als offenes Geheimnis bezeichnet wurde, war, dass er als einziges von seinen Geschwistern in Österreich geboren wurde. Und er, El-Macho, hieß Tom, weil er es zu eilig hatte, auf die Welt zu kommen. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus hatte ihn seine Mutter in einem Rettungsauto entbunden. Der Notarzt verhielt sich so bildlich, dass sie ihm seinen Namen gab – nur in verkürzter Form, denn der Name des Arztes war Tommaso, und das gefiel ihr nicht wirklich. Für ein paar Tage ließ er mich tatsächlich in dem Glauben, er wäre gar nicht so eingebildet, wie ich anfangs dachte. Kaum zu fassen, ich fand ihn sogar mal richtig nett und sogar witzig. Die Einzige, die sich nie blicken ließ, war seine hübsche Freundin, worüber eigentlich keiner beleidigt war. Auch das Geheimnis Giannis blonder Haarpracht wurde gelüftet. Giannis Mutter und seine Tante mussten während der Sommerferien in jenem Hotel aushelfen, in dem wir unseren Urlaub zu Ende brachten. Der Sommer war lang und ziemlich heiß, und seine Mom lernte einen Briten kennen, der auf der Durchreise war, ein bisschen Geld benötigte und deshalb vorübergehend im Hotel mitarbeitete. Aus Spaß wurde Ernst, oder besser gesagt Gianni. Dieser kleine, blonde Unfall passte nicht ganz in die Lebensplanung seiner Mom; also zog ihn seine Tante, die ebenfalls schon einen Sohn hatte, auf. Später verschlug es seine Mom nach Indien, wo sie sich dem Hinduismus zuwandte und wo sie bis heute lebt. Ich habe sie nur einmal gesehen, als sie mit ein paar Gleichgesinnten in orangefarbigen Kutten zu Malous und Giannis Hochzeit erschien. Ich sag´s euch, wirklich spirituell diese Frau. So gesehen hatte er ziemlich Glück, dass er von seiner Tante großgezogen wurde.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass sich Malou Hals über Kopf in Gianni verliebte. Die Heimreise rückte beharrlich näher und als wir wieder heimflogen, gab es dicke Kullertränen. Natürlich stand ich, ihr so gut es nur ging bei, aber ich war ja nicht Gianni und nachvollziehen konnte ich es auch nicht so recht. Im Gegensatz zu ihr war ich heilfroh, endlich wieder nach Hause zu kommen und alles Erlebte schnellstmöglich zu verdrängen. Wieder zurück im vertrauten Mondsee, erwartete uns eine saftige Standpauke von unseren Eltern, die in der Zwischenzeit mitbekommen hatten, dass wir die Fliege gemacht hatten. Das war das erste und bis heute das letzte Mal, dass ich in Italien war.

Mmh …, ich denke, das waren jetzt genug Details von diesem Urlaub. Mehr möchte ich eigentlich gar nicht darüber erzählen, denn alles andere habe ich in meinem Kopf in einer Box verstaut!

Streng versiegelt mit einem Aufkleber:

AUF KEINEN FALL ÖFFNEN!!!!

Nach den Ferien begann unser Studium. Die gemeinsame Wohnung in Linz sorgte für erneute Diskussionen bei unseren Eltern. Sie gaben aber dann doch nach, denn jeden Tag von Linz nach Mondsee mit dem Zug zu pendeln, wäre zu aufwändig gewesen. Der Kontakt zwischen Malou und Gianni brach aber keineswegs ab. Nach unzähligen Liebesbriefen und überhöhten Handyrechnungen, kam Blondi zu uns, da er sowieso vorhatte, im Ausland sein Studium zu beenden. Er bewarb sich kurzerhand an unserer Uni und studierte Betriebswirtschaft. So hatte Malou ihren Gianni stets um sich, und alle waren glücklich und zufrieden. Nein, jetzt im Ernst, auch ich mochte Gianni immer mehr. Der Dank gebührt wohl allein seiner Tante, denn er war wirklich ein anständiger junger Mann, und wir freundeten uns mit der Zeit an. Er las ihr so ziemlich jeden Wunsch von den Augen ab. Zwischen uns veränderte sich vieles, denn ich hatte ja die Beste nicht mehr für mich alleine, aber sie waren wirklich süß miteinander. Ihre Ferien verbrachten sie meistens gemeinsam in Italien, reisten auch Mal nach Indien, ein anders Mal kamen seine Kumpels zu Besuch nach Österreich. Wenn ein bestimmter Kumpel mit von der Partie war, ich meine El-Macho Tom, hatte ich urplötzlich viel zu tun. Die anderen, also Olli, seine Frau Nora und sogar Marco, wurden mit der Zeit auch meine Freunde. Zugegeben, manchmal war es schon sehr deprimierend, neben einem verliebten Pärchen herzulaufen. Aber c‘est la vie – so war das Leben eben. Was blieb, waren unsere gemeinsamen Erinnerungen, die uns keiner nehmen konnte. Tja, und nach nur zwei Jahren wurde aus Gianni der Super-Ehemann!

Als ich mit meinem Studium fertig war, begann ich bei Mikes Fotoatelier zu arbeiten, zog nach München und lernte nach einem Jahr Niklas auf einer Party kennen. Ganz unspektakulär – ganz normal verliebten wir uns, ohne ernstere Zwischenfälle. Seit einiger Zeit wohnten wir nun gemeinsam in derselben Wohnung. Im Großen und Ganzen war ich ganz zufrieden mit meinem Leben. Es war okay, ich hatte eine tolle Arbeit, die ich liebte, Franzl meinen Goldfisch, eine Topfpalme und hatte auch eine Menge Zeit für meine Hobbys, da Niklas aus beruflichen Gründen häufig nicht da war.

Eines konnte ich aber Gianni Salvatore nie wirklich verzeihen. Dass er Malou heiratete, verkraftete ich ja noch, aber dass er dann mit ihr nach Italien ging um das Hotel seiner Tante weiterzuführen, war für mich schon ein hartes Stück. Aber auch für Malous Familie.

Der einzige Sohn seiner Tante, sprich sein Cousin, war damals ums Leben gekommen. Deshalb bekam Gianni das Hotel am Gardasee und noch einige Grundstücke. Sie mussten ziemlich viel renovieren, neu planen. Aus dem Hotel Paradiso wurde Grand Hotel Paradiso. Zu dieser Zeit passierte bei uns beiden so viel, dass unser Kontakt etwas abbrach, was sich aber dann auch wieder änderte. Seit ein paar Jahren herrschte reger Hotelbetrieb. Bis heute konnte ich mich dennoch nicht dazu überwinden, die Beste und ihren Super-Ehemann zu besuchen, obwohl anhand der Fotos, die mir Malou immer mailte, das Hotel und ihr neu gebautes Haus atemberaubend schön geworden waren. Zeitweilig tat es schon sehr weh, sie nicht mehr, um mich zu haben, und manchmal erwischte ich mich bei dem Gedanken, was passiert wäre, wenn unser Finger auf der Landkarte uns nicht nach Italien geführt hätte. Nicht, dass ich ihr das Glück nicht gegönnt hätte, aber Russland wäre ja vielleicht auch ganz amüsant gewesen.

Back to Italy und der Wahnsinn beginnt erneut!

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