Читать книгу Milly Darrell - Мэри Брэддон, Мэри Элизабет Брэддон - Страница 5

III. Kapitel.

Zu Thornleigh.

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Die gewöhnlichen Sommerferien begannen endlich und Mr. Darrell kam in eigener Person, um seine Tochter abzuholen, zu ihrer großen Freude. Sie sollte, wenn sie es nicht selbst wünschte, nicht mehr in das Institut zurückkehren, sagte er. Ihre neue Mama wünsche lebhaft, sie bei sich zu haben und sie könne Lehrer in Thornleigh erhalten, wenn ihre Erziehung nicht bereits vollendet sei.

Ihre Augen waren voll Thränen, als sie kam, um mir dies zu sagen und mich ins Besuchszimmer zu führen, wo sie mich ihrem Vater vorstellen wollte — eine Vorstellung, auf der sie trotz meiner Bitten bestand, denn ich war in dieser Zeit meines Lebens äußerst schüchtern und fürchtete die Begegnung mit einem Fremden.

Mr. Darrell empfing mich sehr freundlich. Er war ein schöner, schlanker Mann, der eine große Aehnlichkeit mit der Photographie in Millys Zimmer hatte und ich entdeckte auch den harten Zug um seinen Mund, den ich auf beiden Portraits bemerkt hatte. Er schien eine große Zuneigung zu seiner Tochter zu hegen und ich habe nie ein schöneres Bild gesehen, als sie darstellte, wenn sie an seiner Seite stand und mit liebenden Blicken ihrer dunkelbraunen Augen zu ihm emporsah.

Er fragte mich, wo ich meine Ferien zuzubringen gedachte und als er hörte, daß ich in Albury Lodge bleiben würde, fragte er mich, ob ich nicht für die Sommervacanz mit Milly nach Thornleigh kommen wolle. Das liebe Kind klatschte vor Freude in die Hände, als es diesen Antrag hörte und rief:

»O ja, Mary« nicht wahr, Du gehst mit uns? Du lieber guter Papa, das sieht Dir ganz gleich; Du erräthst immer, was man wünscht. Es gibt nichts in der Welt, was mir lieber wäre, als Mary zu Thornleigh bei mir zu haben.«

»So haben Sie also nur so schnell als möglich einen Koffer zu packen und mit uns abzureisen, Miß Crofton,« sagte Mr. Darrell; »der Zug geht in anderthalb Stunden ab und ich kann Ihnen deshalb nur eine Stunde Zeit geben.«

Ich dankte ihm, so gut ich konnte — wahrscheinlich linkisch genug — für seine Güte und eilte fort, um Miß Bagshots Erlaubniß einzuholen Sie ertheilte mir dieselbe bereitwillig genug trotz der Einwendungen, welche Miß Susan dagegen erhob und ich hatte nichts weiter zu thun, als meine wenigen Kleider zu packen, wobei ich mich der Besorgniß nicht erwehren kannte, ob ihre Einfachheit auch zu den — Herrlichkeiten von Thornleigh passen werde. Meine Vorbereitungen waren bald beendigt und ich eilte voll Aufregung und sehr glücklich, mit Hut und Shawl hinunter ins Besuchszimmer, um mich meiner Freundin anzuschließen.

Miß Bagshot befand sich dort, von ihrer Zuneigung zu ihrer lieben jungen Freundin und von dem Bedauern, sie zu verlieren, sprechend. Als Mr. Darrell fand, daß ich bereit war, schnitt er diese Klagen kurz ab und wir fuhren in dem Wagen, in dem er gekommen war, nach der Station.

Ich sah diesmal den kleinen Platz mit ganz andern Augen an, als sechs Monate zuvor, wo ich an dem düsteren Januarabend daselbst angelangt war.

Die Aussicht auf eine fünfwöchentliche Erlösung von der einförmigen Thätigkeit zu Albury Lodge machte mich nahezu ganz glücklich. Da ich wegen meiner Armuth meine eigene Heimath nicht zu besuchen vermochte, so konnte mir gewiß nichts Angenehmeres widerfahren, als diese Einladung nach Thornleigh.

Während der ganzen Reise war Mr. Darrell alle Aufmerksamkeit und Güte. Er sprach viel von seiner Frau, indem er besonders ihre Bildung und Liebenswürdigkeit hervorhob und seiner Tochter bei jeder Gelegenheit die Versicherung gab, daß sie ihre neue Mutter liebgewinnen werde.

»Ich gestehe, Milly,« sagte er im Laufe dieser Gespräche, »ich war in dieser Sache etwas verzag und hatte nicht den Muth, Dir etwas davon zu sagen, bis sie geschehen war und dann hielt ich es für das Beste, die Mittheilung durch Julian machen zu lassen.«

»Du hättest mir mehr Vertrauen schenken sollen, Papa,« sagte Milly zärtlich und ich begriff, welche vollkommene Selbstverleugnung in dem glücklichen Lächeln lag, mit dem sie ihm ihre Hand gab.

»Und Du bist nicht ungehalten auf mich, mein Herzenskind?« fragte er.

»Ungehalten auf Dich« Papa? als ob ich ein Recht dazu hätte. Wenn Du mich nur ein wenig lieben willst, wie früher, so werde ich vollständig glücklich sein.«

»Ich werde Dich niemals weniger lieben, Milly.«

Die Reise dauerte nicht sehr lang und die Gegend, durch die wir fuhren, bot an dem heitern Juniabend einen lieblichen Anblick dar. Als wir nach etwa 30 Meilen von unserer Bestimmung entfernt waren, wechselte die Landschaft. Das fruchtbare Ackerland und die grünen wogenden Saaten machten einem offenen Moor Platz und ich fühlte aus der Ferne den frischen Hauch des Oceans. Dieses ausgedehnte wellige Moorland war mir neu und ich dachte es liege eine wilde Art von Schönheit in seiner Einsamkeit. Was Milly betraf, so blickte sie mit Entzücken auf das Moor und strengte ihre Augen an, um den ersten Blick aus die Hügel von Thornleigh zu erhaschen — die Hügel, von denen sie mir so oft gesprochen hatte.

Die Station, wo wir anhalten mußten, lag zehn Meilen von Mr. Darrells Haus und ein offener Wagen mit zwei Pferden wartete draußen auf uns. Wir fuhren auf einer Straße, die über das Moor führte, bis wir an ein Dorf von zerstreuten Häusern mit einer schönen alten Kirche gelangten. Wir fuhren, an den Thoren von zwei oder drei größeren Häuser, welche halb verborgen in Gärten lagen, vorüber und bogen dann in einen Weg ein, der einen Hügel hinauf führte, auf dessen Spitze wir an ein paar schöne eiserne Thore kamen, die mit Wappen verziert und auf beiden Seiten von massiven, mit Epheu überwachsenen, steinernen Pfeilern getragen wurden.

Ein alter Mann trat aus einem hübschen ländlichen Häuschen und öffnete die Thore. Wir fuhren hieran durch eine Allee von einiger Ausdehnung, welche in grader Linie nach der Vorderseite des Wohnhauses führte, dessen Anblick mich entzückte. Es war sehr alt, massiv gebaut und hatte, wie ich dachte, ganz ein adeliges Aussehen. Auf drei Seiten befand sich eine breite Terrasse mit steinernem Geländer und an jeder Ecke führte eine große steinerne Treppe zu einer zweiten Terrasse herunter, mit schönen frischen Grasböschungen, die sich mit dem Rasen des Gartens verschmolzen. In Folge seiner hohen Lage gewährte das Haus eine herrliche Aussicht auf die See.

Eine Dame trat aus dem schönen alten Portal, als der Wagen verfuhr und blieb oben auf der Terrassentreppe stehen, uns erwartend. Ich dachte mir sogleich, daß es Mrs. Darrell sein müsse.

Milly zögerte ein wenig, als ihr Vater sie die Treppe hinauf führte. Sie war sehr blaß und ich konnte wahrnehmen, daß sie zitterte. Mrs. Darrell trat rasch auf sie zu und küßte sie.

»Meine liebe Emily,« rief sie, »ich bin sehr erfreut, Dich endlich zu sehen. — O William, Du hast mich nicht getäuscht, als Du mir seine reizende Tochter versprachst.«

Milly wurde roth und lächelte bei diesem Compliment, drängte sich aber noch immer mit scheuen, niedergeschlagenen Blicken an ihren Vater.

Während diese Vorstellung stattfand, hatte ich Zeit, Mrs. Darrell zu betrachten.

Sie war keineswegs eine schöne Frau, aber sie war, was man so nennt, ungemein interessant. Sie war groß und schlank, zierlich gebaut und graziös, hatte einen hübschen Hals und schöngeformten Kopf. Ihre Züge mit Ausnahme ihrer Augen zeigten nichts Bemerkenswerthes; aber diese letzteren waren auffallend genug, um einem Gesichte Ausdruck zu verleihen, das man außerdem für unbedeutend hätte halten können. Es waren große, glänzende, graue Augen mit großen dunkeln Wimpern und scharf gezeichneten Brauen von weit dunklerem Braun als ihr Haar. Dieses hatte eine unbestimmte Färbung, indem es weder hell- noch dunkelbraun war, aber seine seidenen Massen paßten gut zu ihrer blassen Gesichtsfarbe. Lavater hat uns gesagt, man solle Niemanden trauen, dessen Haare und Augenbrauen von verschiedener Farbe seien. Ich erinnerte mich an diesen Ausspruch, während ich Mrs. Darrell betrachtete.

Sie war weiß gekleidet und ich dachte mir, daß das durchsichtige Musselingewand mit keinem andern Schmuck als einem Lillaband um den Hals ganz besonders gut zu ihrem zarten Gesichte stehe. Ihr Gemahl schien ebenso zu denken, denn er sah sie mit einem liebenden, bewundernden Blicke an, als er ihr seinen Arm bot, um sie ins Haus zu führen.

»Ich darf nicht vergessen, Dir Miß Crofton vorzustellen, Augusta,« sagte er. »Sie ist eine Schulfreundin von Milly, die so freundlich war, meine Einladung, die Ferien mit ihr zuzubringen, anzunehmen.«

Mrs. Darrell reichte mir ihre Hand, aber, wie ich mir einbildete, sehr kalt und ich hatte ein unbehagliches Gefühl, daß ich der neuen Gebieterin von Thornleigh nicht sehr willkommen sei.

»Du wirst Deine früheren Zimmer vollkommen in Bereitschaft für Dich finden, Milly,« sagte sie, »und ich glaube, es dürfte das Beste sein, wenn wir der Miß Crofton das blaue Zimmer neben den Deinigen anweisen.«

»Wenn Sie die Güte haben wollen, Mrs. Darrell.«

»Wie, Milly, willst Du mich nicht Mama nennen?«

Milly schwieg einige Augenblicke mit einem schmerzlichen Ausdruck in ihrem Gesicht.

»Bitte, entschuldigen Sie mich,« sagte sie mit leiser Stimme, »ich kann Niemand mit diesem Namen anreden.«

Augusta Darrell küßte sie wieder schweigend.

»Es sei wie Du wünschst, Liebe,« sagte sie nach einer Pause.

Ein rosenwangiges Mädchen mit angenehmem Gesicht, welches früher Milly bedient hatte, stellte sich uns dar und führte uns nach unsern Zimmern, auf dem Wege dahin seine Freude über die Rückkehr seiner jungen Gebieterin ausdrückend.

Die Zimmer waren sehr hübsch und im ersten Stock auf der Seite des Hauses gelegen, welche die Aussicht nach der See hatte. Mein eigenes, das durch eine Thür mit Millys Wohnzimmer in Verbindung stand, hatte ein sehr behagliches Aussehen mit einem altmodischen Bett und blauen Damastvorhängen.

Als meine einfache Toilette beendigt war, ging ich in Millys Ankleidezimmer und plauderte mit ihr, während sie ihr Haar ordnete. Sie entließ sogleich ihr Mädchen, als ich eintrat und ich wußte, daß sie mir etwas zu sagen habe.

»Nun« Mary,« begann sie sofort, »was denkst Du von ihr?«

»Von Mrs. Darrell?«

»Natürlich.«

»Welche Meinung kann ich mir von ihr bilden, nachdem ich sie kaum drei Minuten gesehen habe, Milly. Sie hat, wie ich glaube, ein sehr elegantes Aussehen. Das ist die einzige Ansicht, die ich bis jetzt von ihr hege.«

»Glaubst Du, daß sie aufrichtig aussieht, Mary? Glaubst Du, daß sie Papa geheirathet hat, weil sie ihn liebt?«

»Mein liebes Kind, wie vermag ich das zu sagen? Sie ist zwar viele Jahre jünger als Dein Papa, aber ich kann nicht einsehen, daß dieser Unterschied des Alters für sie ein Hinderniß sein muß, ihn zu lieben. Er ist ein Mann, für den, wie ich glaube, jedes Weib eine Zuneigung hegen könnte, abgesehen von der natürlichen Dankbarkeit gegen den Mann, der sie aus einer abhängigen Stellung befreit hat.«

»Dankbarkeit ist nichts als Unsinn,« antwortete Miß Darrell ungeduldig. »Ich will wissen, ob mein Vater so geliebt ist, wie er geliebt zu werden verdient. Ich werde diese Frau niemals leiden können, so lange ich dessen nicht sicher bin.«

»Ich glaube, Du bist bereits gegen sie eingenommen, Milly,« sagte ich vorwurfsvoll.

»Wahrscheinlich bin ich es« Mary. Wahrscheinlich thue ich ihr Unrecht; aber ihr Gesicht gefällt mir nicht.«

»Was liegt in ihrem Gesicht« das Dir nicht gefällt?«

»Ich vermag es nicht zu sagen — ein unerklärbares Etwas. Ich habe eine gewisse Ueberzeugung, daß sie und ich einander niemals lieben können.«

»Es ist sehr hart für Mrs. Darrell, daß Du mit einem solchen Gefühl gegen sie beginnst, Milly.«

»Ich kann es nicht ändern. Natürlich werde ich mich bestreben, meine Pflicht gegen sie zu thun um Papas willen und mich bemühen, alle diese unchristlichen Gefühle zu bemeistern; aber wir können nicht über unsere Herzen gebieten, Mary und ich glaube nicht, daß ich meine Stiefmutter jemals lieben kann.«

Wir gingen darauf in das Wohnzimmer hinunter. Es war halb Sieben und um sieben Uhr sollten wir speisen. Das Wohnzimmer war ein langes Gemach mit fünf Fenstern, die auf die Terrasse gingen. Es hatte ein alterthümliches Aussehen — getäfelte Wände und eine schöne gewölbte Decke. Die Fenstervorhänge und Ueberzüge der Sophas und Stühle bestanden aus grünem Sammt.

Ein Herr stand an einem der offenen Fenster und blickte in den Garten hinaus. Er drehte sich um, als Milly und ich eintraten und ich erkannte Mr. Stormont. Er ging auf uns zu, um seiner Cousine die Hand zu reichen und lächelte in seiner eigenthümlichen Weise über den Ausdruck ihrer Ueberraschung.

»Du wußtest also nicht, daß ich hier sei, Milly?«

»Nein; ich dachte nicht daran, Dich zu sehen.«

»Ich wundere mich, daß Dein Vater Dir nichts von meinem Besuch gesagt hat. Ich bin diesen Morgen herübergekommen, um ein Paar Wochen Ferien zu halten. Ich habe in der letzten Zeit ein wenig härter als gewöhnlich gearbeitet und mein Onkel ist gütig genug zu sagen, ich hätte etwas Ruhe verdient.«

»Ich wundere mich nur, daß Du der Veränderung wegen nicht einen Ausflug unternimmst.«

»Ich mache mir nichts aus einer solchen Ortsveränderung. Ich wollte lieber nach Thornleigh gehen.«

Er blickte sie, während er dies sprach, sehr ernst an. Ich wußte, was alles dies zu bedeuten hatte. Ich hatte an jenem Nachmittag in der Gartenlaube zu Albury Lodge mich hinlänglich davon überzeugt; aber Milly selbst besaß keine Ahnung von der Wahrheit.

»Nun« Milly, was hältst Du von Deiner neuen Mama?« fragte er darauf.

»Ich möchte es Dir lieber jetzt nicht sagen.«

»Hm, das klingt kaum günstig für die Dame. Ich halte sie für eine höchst liebenswürdige Person; aber sie ist nicht meine Stiefmutter und das macht einen Unterschied. Dein Vater hegt eine große Zuneigung zu ihr.«

Mr. Darrell trat wenige Minuten darauf in das Gemach und seine Frau folgte ihm fast unmittelbar aus dem Fuße. Milly stellte sich neben ihren Vater; und es gelang ihr, seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, nicht ganz zur Zufriedenheit der älteren Dame, wie ich glaubte. Diese glänzenden grauen Augen schossen einen Blick des Zornes auf ihre Stieftochter, der im nächsten Augenblick in den einer ruhigen Wachsamkeit überging.

Mrs. Darrell stand an einem der Tische, nachlässig in einigen Büchern und Zeitungen blätternd, und da sie mich in ihrer Nähe sitzen sah, so begann sie mit mir in sehr freundlicher Weise zu sprechen, indem sie mich fragte, wie mir Thornleigh gefalle, wie ich die Gegend auf der Reise gefunden und dergleichen mehr; aber selbst während sie sprach, waren ihre wachsamen Augen stets nach dem Fenster gerichtet, an welchem der Vater und die Tochter neben einander standen. Während sie so mit mir sprach, trat Mr. Stormont zu ihr und nahm an der Unterhaltung Theil, die bald darauf durch den Eintritt eines Dieners, der das Essen anmeldete, unterbrochen wurde.

Mr. Stormont bot seinen Arm der Dame des Hauses, während Mr. Darrell einen Arm mir, und den andern seiner Tochter gab. Wir schritten einen langen Gang hinab, an dessen Ende sich das Speisezimmer befand, ein edles altes Gemach mit dunkler Eichentäfelung und vielen Gemälden alter Meister. Wir speisten an einer ovalen Tafel, welche hübsch mit Blumen und werthvollem alten Silbergeräthe verziert war.

Die Unterhaltung während des Essens war ziemlich lebhaft. Mr. und Mrs. Darrell sprachen mit Julian Stormont den ihren Reisen und ich muß gestehen, daß die Dame gut zu erzählen wußte und daß sie die Gegenstände, von denen sie sprach, sehr gut zu würdigen wußte.

Nach dem Essen nahm mich Milly mit hinaus auf die Terrasse und von dort wanderten wir in den Gärten herum. Wir waren noch nicht lange aus, als sich Julian Stormont zu uns gesellte. Wir hatten bisher angenehm genug mit einander geplaudert, aber seine Ankunft machte uns beide still und er selbst sah gedankenvoll aus. Ich beobachtete sein blasses Gesicht, während er in der Dämmerung neben uns herschritt und es fiel mir wieder der sorgenvolle Zug auf seiner Stirn und der entschlossene Ausdruck um seinen Mund auf.

Er hegte eine große Zuneigung für Milly. Darüber konnte kaum ein Zweifel sein und allem Anschein nach war die Kenntniß, daß seine Liebe nicht erwiedert wurde, bereits eine Ursache tiefen Kummers für ihn. Daß er trotz dem die Hoffnung nicht aufgab, sie mit der Zeit noch zu gewinnen, wußte ich wohl. Er war aber zu klug, um die Dinge durch ein unzeitiges Bekenntniß seiner Gefühle zu überstürzen. Er wartete vielmehr mit jener ruhigen entschlossenen Geduld, die ein Theil seiner Natur war, die weitere Entwickelung der Sache ab.

Natürlich sprachen wir ein wenig, aber die Unterhaltung gerieth jeden Augenblick ins Stocken und ich glaube, es war für uns Alle eine Erleichterung, als wir nach Beendigung unseres Rundgangs durch eines der Fenster in das Wohnzimmer eintraten. Das Gemach war mit Lampen und Kerzen erleuchtet und Mrs. Darrell saß neben ihrem Gatten mit einer Handarbeit beschäftigt, während er die »Times« las.

Kurz nach unserm Eintritt wünschte er etwas Musik und sie erhob sich mit einer liebenswürdigen Unterwürfigkeit, um ihm zu willfahren. Sie spielte vortrefflich, mit einer Kraft und einem Ausdruck, die ganz neu für mich waren. Dann sang sie eine italienische Arie in einem reichen Mezzosopran und mit einer Art von gedämpfter Leidenschaft, die einen tiefen Eindruck auf mich machte. Nachdem ich sie spielen und singen gehört, wunderte ich mich kaum mehr darüber, daß Mr. Darrell von ihr bezaubert worden war. Diese glänzenden Gaben genügten an sich schon, einen Mann zu fesseln, der eine wahre Vorliebe für Musik hegte.

Milly war so bezaubert, daß sie ihre Vorurtheile ganz vergaß. Sie trat ans Piano und küßte ihre Stiefmutter.

»Papa hat mir wohl gesagt, wie geschickt Sie sind,« sagte sie, »aber er hat mir nicht gesagt, daß Sie ein Genie sind.«

Mrs. Darrell empfing das Compliment mit großer Bescheidenheit und dann suchte sie Milly zu bereden, ebenfalls zu singen oder zu spielen; aber diese lehnte es bestimmt ab. Nichts konnte sie nach dieser glänzenden Produktion dazu bewegen.

Der nächste und mehrere der folgenden Tage gingen sehr ruhig und in einer Art einförmiger Behaglichkeit hin. Der Pfarrer des Kirchspiels speiste an einem Tage mit uns und an einem andern ein benachbarter Gutsbesitzer mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Milly und ich brachten einen guten Theil unserer Zeit in den Gärten und am Seeufer zu mit Julian Stormont als Begleiter, während Mr. und Mrs. Darrell miteinander ausritten oder ausfuhren. Meine Freundin wurde nicht zu diesen Ausflügen zugezogen und das bestärkte sie in dem Gedanken, daß ihr Vater gewisser Maßen für sie verloren sei.

»Ich muß mich an diesen neuen Zustand der Dinge gewöhnen, Mary,« sagte sie mit einem Seufzer. »Wenn mein Vater nur glücklich ist, so muß ich zufrieden sein. Aber o, meine Liebe, wenn Du uns vor einem Jahre beisammen gesehen hättest, so würdest Du begreifen, was ich verloren habe.«

Ich war etwas über eine Woche in Thornleigh gewesen, als Mr. Darrell eines Morgens eine Fahrt nach Cumber Priory, einer der Sehenswürdigkeiten der Gegend, vorschlug. Es sei ein sehr alter Platz, sagte er und eine der frühesten klösterlichen Niederlassungen in diesem Theile des Landes gewesen. Milly, ihr Vater und ihr Cousin kannten den Ort bereits hinlänglich und dieser Besuch wurde zu Gunsten von Mrs. Darrell und mir in Vorschlag gebracht.

Sie gab bereitwillig ihre Zustimmung dazu, wie sie es bei jedem Vorschlag ihres Gatten that und wir brachen nach dem Frühstück im viersitzigen Wagen auf, während uns Julian zu Pferd begleitete. Die Fahrt war herrlich, denn, nachdem wir die hügelige Gegend um Thornleigh verlassen hatten, ging unser Weg durch einen mit vielhundertjährigen Bäumen besetzten Wald. Ich erkannte Gruppen von Eichen und Buchen, die ich unter den Skizzen von Millys Portfolio gesehen hatte.

Auf der andern Seite des Holzes kamen wir zu einem Thore von verfallenem Aussehen, mit massivem eisernen Wappen und großen viereckigen Pfeilern. Es befand sich ein Thorhaus da, aber es war offenbar nicht bewohnt und Mr. Darrells Bedienter stieg vom Bock um die Thorflügel zu öffnen. Innen fuhren wir um einen Rasenplatz herum, der durch einen schadhaften Zaun vom Park getrennt war. Das Haus war ein langes niedriges Gebäude, auf beiden Seiten mit gothischen Thürmen flankiert. An den meisten Fenstern waren die Laden geschlossen und der Ort bot einen ziemlich verödeten Anblick dar.

»Die Priorei ist seit mehreren Jahren nicht bewohnt,« sagte Mr. Darrell. »Die Familie ist zu arm gewesen, um, wie früher, standesgemäß hier zu leben. Gegenwärtig ist nur noch ein einziges Mitglied derselben übrig und, wie ich glaube, führt er ein wanderndes Leben in fremden Landen.«

»Wodurch sind sie so arm geworden?« fragte Mrs. Darrell.

»Durch Ausschweifung und Verschwendung, wie ich vermuthe,« antwortete ihr Gatte mit Achselzucken. »Die Egertons sind stets ein wildes Geschlecht gewesen.«

»Egerton!« wiederholte Mrs. Darrell. »Ich dachte« der Name dieser Leute wäre Cumber.«

»Nein, Cumber ist nur der Name des Platzes. Er befindet sich seit Jahrhunderten in der Familie Egerton.«

»So!«

Ich saß ihr gerade gegenüber und ich war überrascht von dem sonderbaren Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie den Namen Egerton wiederholte. Dieser Ausdruck verschwand im nächsten Augenblick wieder und ihr Gesicht nahm wieder jene ruhige nachlässige Gleichgültigkeit an, die so gut mit ihrer blassen Farbe und ihren zarten Zügen im Einklang stand.

Die niedrige, eisenbeschlagene Thüre wurde uns von einer anständig aussehenden alten Frau geöffnet. Sie errieth augenblicklich den Zweck unseres Besuchs und sobald wir in der Halle waren, begann sie in der gewöhnlichen mechanischen Weise mit einer Beschreibung von Gemälden und anderer Merkwürdigkeiten, wodurch wir weit mehr irre geführt als aufgeklärt werden.

Wir gingen von Gemach zu Gemach, während die Frau die Läden der tiefen gothischen Fenster öffnete und eine Fluth von Sonnenschein auf die verschossenen Tapeten und beschmutzten Bilderrahmen fallen ließ. Es war ein edler alter Platz und der Anblick des Verfalls, der auf allen Gegenständen lag, stand ganz mit seiner Großartigkeit im Einklang.

Wir waren durch alle Zimmer des Erdgeschosses gegangen, von denen die meisten miteinander in Verbindung standen und im Begriff nach der Vorhalle zurückzukehren als Mr. Darrell seine Frau vermißte und mich, um sie zu suchen, nach der einen Richtung absendete, während er eine andere einschlug. Ich eilte durch drei oder vier leere Zimmer, bis ich in ein kleines Gemach am Ende des Hauses kam und hier fand ich sie. Ich hatte dieses Zimmer nicht besonders beachtet, denn es war in einem mehr modernen Styl als die übrigen ausgestattet und die alte Haushälterin hatte dasselbe mit der Aeußerung, es sei das Studierzimmer ihres Gebieters, das in der Regel Fremden nicht gezeigt werde, ohne Aufenthalt wieder verlassen, um uns im nächsten Gemach einige alte Waffen zu zeigen.

Es war ein kleines gewölbtes Zimmer, an dessen Wänden ans schweren, geschnitzten, eichenen Gestellen Reihen von alten Büchern standen, ohne andere Möbel als einen massiven Schreibtisch und drei oder vier Armstühlen. Ueber dem Kamin befand sich das Portrait eines jungen Mannes mit einem dunkeln schönen Gesicht und dieses Bild war es, das Augusta Darrell betrachtete. Ich konnte ihr Gesicht im Profil sehen, wie sie dastand mit ihren geballten Händen aus dem Kaminsims, und ich hatte niemals einen solchen Ausdruck in den Zügen irgend eines Menschen wahrgenommen.

Was war es? Verzweiflung, Reue, Betrübniß? Ich weiß es nicht; aber es war jedenfalls ein Ausdruck des tiefsten Schmerzes, oder eines unbeschreiblichen Grams. Das Gesicht zeigte eine tödtliche Blässe, die Lippen waren fest geschlossen, während die großen grauen Augen zu dem Portrait aufblickten.

Sie vernahm meinen Tritt nicht und erst als ich sie anredete, drehte sie sich mit ihrem marmorbleichen Gesicht gegen mich um und fragte, was ich wünsche.

Ich sagte ihr, daß Mr. Darrell mich schicke.

»Ich wäre ohnedies sogleich gekommen,« sagte sie, mühsam ihre gewohnte Haltung wieder annehmend.

»Ich habe mich nur bei Betrachtung dieses Portraits etwas aufgehalten Nicht wahr, Miß Crofton, es ist ein hübsches Gesicht?«

»Schön ist es jedenfalls,« antwortete ich in zweifelhaftem Tone, denn diese hochfahrenden dunkeln Züge hatten für mich eher etwas Abstoßendes.

»Das heißt, Sie wollen damit sagen, daß Sie es für kein gutes Gesicht halten. Nun Sie mögen vielleicht Recht haben. Es erinnert mich an Jemand, den ich vor langer Zeit gekannt habe und deshalb hatte es ein Interesse für mich. Und dann verfiel ich in eine Art Träumerei und vergaß, daß mein theurer Gatte mich vermissen könnte.«

Während sie dies sprach, trat er ins Gemach. Sie sagte ihm, daß sie sich bei Betrachtung des Bildes aufgehalten habe und fragte, wessen Portrait es sei.

»Das von Angus Egerton, des gegenwärtigen Eigenthümers der Priorei,« antwortete Mr. Darrell »und es ist wirklich ein sehr ähnliches Bild der Züge eines schlimmen Mannes,« setzte er mit leiserer Stimme hinzu.

»Eines schlimmen Mannes?«

»Ja, er hat das Herz seiner Mutter gebrochen.«

»Auf welche Weise?«

»Er verliebte sich in ein Mädchen von niedriger Geburt, das er auf einer Fußreise in Westengland traf und war in Begriff, es zu heirathen, als Mrs. Egerton von der Sache Wind bekam. Sie war eine sehr stolze Frau und besaß dabei einen höchst entschlossenen männlichen Charakter. Sie reiste sofort nach Devonshire, wo das Mädchen lebte und es gelang ihr, auf irgend eine Weise die Heirath zu verhindern. Erst nach einem Jahre entdeckte Angus Egerton den Antheil seiner Mutter an der Sache. Plötzlich und unerwartet traf er eines Abends in später Stunde in der Priorei ein und ging geraden Wegs in das Zimmer seiner Mutter. Ich habe die alte Frau, die uns das Hans gezeigt hat — sie war damals Mrs. Egertons Kammerjungfer — sein todtenbleiches Gesicht beschreiben hören, als er sie zur Seite stieß und in das Gemach trat, wo seine Mutter saß. Es fand ein furchtbarer Austritt zwischen ihnen statt und noch demselben verließ Angus Egerton das Haus, indem er einen Schwur ausstieß, es nie mehr, so lange seine Mutter lebte, betreten zu wollen. Und er hat sein Wort geholten. Von diesem Tage an kam Mrs. Egerton nicht mehr über die Schwelle ihres Hauses und verkehrte mit Niemanden mehr als mit ihrem Arzte und mit ihren Dienern. Sie führte dieses einsame Leben fast noch drei Jahre und dann starb sie an einer abzehrenden Krankheit,für die der Arzt keinen Namen finden konnte.«

»Und wohin ging Mr. Egerton, als er sie in jener Nacht verlassen hatte?«

»Er schlief in einem kleinen Wirthshause zu Cumber und kehrte am folgenden Morgen nach London zurück. Er verließ bald darauf England und hat seitdem stets im Ausland gelebt.«

»Und Du hältst ihn für einen sehr schlimmen — Menschen?«

»Sein! Benehmen gegen seine Mutter gilt mir als hinlänglicher Beweis dafür.«

»Er mag geglaubt haben, daß ihm schweres Unrecht geschehen sei.«

»Er mußte wissen, daß seine Mutter nur in seinem Interesse gehandelt hatte, als sie es verhinderte, daß er die Thorheit einer niedrigen Heirath beging. Sie war seine Mutter und noch dazu eine liebende und höchst nachsichtige Mutter.«

»Und schließlich hat sie ihm das Herz gebrochen — nichts von dem Mädchen zu sagen, das ihn liebte, das vielleicht ein Stück gewöhnlichen Thons war und keine Berücksichtigung verdiente.«

»Ich hätte nicht geglaubt, daß Du so viel Romantik hättest, Augusta,« sagte Mr. Darrell lachend. »Es scheint aber bei Frauen nur eine natürliche Sache zu sein, für unglückliche Liebende Partei zu nehmen, so töricht auch die Sache sein mag. Ich glaube indeß, daß dieses Devonshire-Mädchen der ehrenhaften Zuneigung eines Mannes ganz unwürdig war. Ich konnte und achtete Mrs. Egerton und ich wußte, wie sehr sie ihren Sohn liebte. Ich kann ihm deshalb sein Benehmen gegen sie nicht vergeben; auch lauten die Nachrichten von seinem Leben im Ausland nichts weniger als günstig für seinen Charakter. Seine Laufbahn ist allem Anschein noch eine sehr wilde und zügellose gewesen.«

»Und hat er niemals geheirathet?«

»Nein.«

»So ist er wenigstens treu geblieben« sagte Mrs. Darrell in leisem gedankenvollem Tone.

Während ihr Gatte seine Geschichte erzählte, waren wir in dem kleinen Studirzimmer zurückgeblieben. Jetzt kehrten wir nach der Halle zurück, wo wir Milly und Mr. Stormont fanden, wie sie schweigend einige alte Portraits der Egerton-Familie betrachteten. Nach dem, was ich gehört, wünschte ich sehr, ein Bild der verstorbenen Mrs. Egerton zu sehen und auf meinen Wunsch führte mich die Haushälterin in eines der Wohnzimmer.

Sie war sehr schön und hatte eine auffallende Aehnlichkeit mit ihrem Sohne. Ich konnte mir das Resultat denken, wenn diese beiden stolzen Persönlichkeiten an einander geriethen.

Wir brachten noch eine Stunde damit zu, die übrigen Merkwürdigkeiten des alten Hauses zu besichtigen. Dann gingen wir ein wenig in den vernachlässigten Garten, wo eine merkwürdige alte Sonnenuhr halb verfallen auf dem Boden lag. Auf den Wegen wuchsen überall Gras und Moos und die Rosen waren fast in Unkraut erstickt. Ich sah Mrs. Darrell eine von diesen Rosen pflücken und an die Brust stecken. Es war das erste Mal, daß ich sie eine Blume pflücken sah, obwohl es in Thornleigh eine Masse von Rosen aller Art gab.

So endete unser Besuch in Cumber Priory, einem Platze, der bestimmt war, für Einige von uns in Zukunft sehr merkwürdig zu werden.

Milly Darrell

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