Читать книгу Milly Darrell - Мэри Брэддон, Мэри Элизабет Брэддон - Страница 6
IV. Kapitel.
Mrs. Thatcher.
ОглавлениеEs war Millys Gewohnheit gewesen, ehe sie nach Albury Lodge ging, einen Tag der Woche dem Besuche der Armen zu widmen und sie nahm jetzt diese Gewohnheit, von mir begleitet, wieder auf. Ich hatte Aehnliches bereits zu Hause gethan und die Sache mochte mir Vergnügen. Es war ein sehr angenehmer Anblick, zu sehen, wie Milly Darrell mit diesen Leuten verkehrte — das vollkommene Vertrauen zwischen ihnen und ihr und die Freude, die ihnen ihre erheiternde Gegenwart einflößte. Eines Tags, als wir bereits in mehreren Häusern des Dorfes gewesen waren, fragte mich Milly, ob ich mir einen etwas langen Gang zu machen getraue und auf meine bejahende Antwort schlugen wir einen einsamen Pfad ein, der über das Moor in einer Richtung führte, die mir bis jetzt ganz unbekannt war. Wir gingen etwa zwei Meilen ohne eine menschliche Wohnung zu sehen. Dann kamen wir an ein Häuschen, das einen öden und traurigen Anblick darbot. Es war ein wenig besser als eine Hütte und bestand nur aus zwei Räumlichkeiten — einer Art von Küche oder Wohnzimmer und einem kleinen dunkeln Schlafgemach, das damit in Verbindung stand.
»Ich werde Dich jetzt mit einer nicht besonders angenehmen Persönlichkeit bekannt machen, Mary,« sagte Milly, als wir in die Nähe des einsamen Häuschens kamen; »aber die alte Rebecca ist ein Charakter in ihrer Art und ich bin gewohnt, sie von Zeit zu Zeit zu besuchen, obschon sie nicht immer sehr freundlich gegen mich ist.«
Es war ein heller warmer Sommertag; aber die Thüre und Fenster der Hütte waren fest verschlossen. Milly klopfte und eine dünne, alte, schwache Stimme hieß uns eintreten.
Wir gingen hinein. Die Luft des Platzes war heiß und hatte einen unangenehmen apothekenartigen Geruch, welcher, wie ich entdeckte, von Kräutern herrührte, die in einem Topf auf einem kleinen Ofen in einer Ecke kochten. Bündel von getrockneten Pflanzen hingen von der niedrigen Decke und auf einem Brette am Fenster lagen noch mehr Kräuter und Wurzeln zum trocknen.
»Mrs. Thatcher ist eine sehr geschickte Doctorin, Mary,« sagte Milly, gleichsam, um mich vorzustellen, »alle unsere Dienstleute lassen sich von ihr Kuriren, wenn sie an Katarrh und Rheumatismus leiden. — Und wie befinden Sie sich in diesem schönen Sommerwetter, Mrs. Thatcher?«
»Nicht sehr wohl, Miß,« brummte die alte Frau, »ich liebe den Sommer nicht, er bekommt mir niemals gut.«
»Das ist sonderbar,« sagte Milly fröhlich, »ich hätte geglaubt, Jedermann liebe den Sommer.«
»Nicht Diejenigen, die so leben wie ich, Miß Darrell. Im Somme; gibt es keine Krankheiten — keine Erkältungen, keinen Husten, kein Halsweh und Aehnliches. Ich glaube, ich würde geradezu verhungern, wenn es keine Wechselfieber gäbe und auch damit ist es nicht mehr so wie früher.«
Ich war ganz entsetzt über diese empörende Aeußerung; Milly aber lachte fröhlich über die Offenherzigkeit der alten Frau.
»Wenn die Aerzte so aufrichtig wären wie Sie, Mrs. Thatcher, so würden sie ganz ebenso sprechen. Was macht Ihr Enkel?«
»O, er befindet sich ganz wohl. Unkraut verdirbt nicht. — Peter komm heraus und laß Dich den jungen Damen sehen.«
Ein armer, schwacher, blasser und halb blödsinnig aussehender Knabe kam langsam aus dem kleinen dunkeln Schlafgemach hervor und stand grinsend vor uns. Er hatte das bleiche krankhafte Aussehen eines Wesens, das ohne Licht und Luft ausgezogen wird und er erregte mein tiefstes Mitleid.
»Armer Peter! er ist leider nicht besser,« sagte Milly sanft.
»Nein, Miß, er wird es auch niemals werden. Er weiß indeß mehr, als die Leute glauben und ist in seiner Art oft verschlagen genug. Besser und klüger wird er aber niemals werden, als er jetzt ist. Ich habe mir viele Mühe mit ihm gegeben, als er noch ein kleiner Junge war, aber er ist mir nur zu einer Plage und Last aufgewachsen.«
Der Knabe trat einige Schritte zurück und sein Kinn fiel tiefer auf seine schmale Brust nieder. Seine Haltung war von Anfang an eine gebeugte gewesen; aber er sank unter dem Tadel seiner Großmutter sichtbar in sich zusammen.
»Läßt er sich denn in keiner Weise zu etwas verwenden?«
»Nein, Miß, außer daß er zuweilen Kräuter und Wurzeln für mich sammelt. Dies kann er thun und er kennt sie auch von einander.«
»So ist er Ihnen also doch einiger Maßen von Nutzen?« sagte Milly.
»Wenig genug« antwortete die alte Frau mürrisch. »Ich brauche keine Hilfe, ich habe hinlänglich Zeit, sie selbst zu sammeln. Aber ich habe ihm das Sammeln gelehrt und es ist das Einzige, was er jemals lernen konnte.«
»Armer Junge! Nicht wahr, Mrs. Thatcher, er ist Ihr einziger Enkel?«
»Ja, der einzige, Miß und das ist noch das Beste. Ich wüßte nicht, wie ich noch einen erhalten sollte. Sie können sich meiner Tochter Ruth nicht erinnern? Sie war ein so schönes Mädchen, wie man eines sehen kann. Sie war Hausmagd in der Priorei zur Zeit der Mrs. Egerton und sie heirathete den Hausmeister. Sie fingen eine Schenkwirthschaft im Dorfe Thornleigh an und er ergab sich dem Trunk bis Alles zu Grunde ging. Mein armes Mädchen nahm sich das Unglück zu Herzen und ich glaube, daß der Kummer sie getödtet hat. Sie starb drei Wochen nach der Geburt dieses Knabens und ihr Mann lief am Tage nach ihrem Begräbniß davon und man hat seitdem nichts mehr von ihm gehört. Einige sagen, er habe sich in dem Clem ertränkt, aber dazu war ihm seine kostbare Person viel zu lieb. Er stak bis am Hals in Schulden und ließ keinen Sixpence zurück. Auf diese Weise wurde mir Peter aufgebürdet.«
»Komm her, Peter,« sagte Milly sanft und der Knabe ging sogleich zu ihr und ergriff die dargebotene Hand.
»Du hast mich doch nicht vergessen, Peter? Miß Darrell, die vor langer Zeit zuweilen mit Dir gesprochen hat?«
In dem ausdruckslosen Gesicht des Knaben zeigte sich etwas wie Verständniß.
»Ich kenne Sie, Miß,« sagte er, »Sie waren stets gütig gegen Peter.«
Sie nahm ihre Börse heraus und gab ihm eine halbe Krone.
»Da, Peter, da ist ein großes Silberstück, das Dir allein gehört, um Dir damit zu kaufen was Du willst — Zuckerpflaumen, Pfefferkuchen, Schusser — Irgend etwas.«
Seine plumpe Hand schloß sich über der Münze und ich zweifle nicht daran, daß ihn das Geschenk erfreute; aber er verwandte kein Auge von Milly Darrells Gesicht. Dieses freundliche liebliche Gesicht schien eine Art von Zauber aus ihn auszuüben.
»Glauben Sie nicht, daß es Peter gut thun würde, wenn Sie ihm ein wenig mehr Luft und Sonnenschein gäben, Mrs. Thatcher?« fragte darauf Milly; »dieses Schlafgemach scheint ein ziemlich dunkler und dumpfer Platz zu sein.«
»Er braucht nicht dort zu bleiben, wenn er nicht will,« sagte Mrs. Thatcher gleichgültig.
»Er setzt sich vor die Thüre, wenn er Lust dazu hat.«
»Dann würde ich immer an schönen Tagen vor der Thüre sitzen, wenn ich Du wäre, Peter,« sagte Milly.
Darauf plauderte sie noch ein wenig mit Mrs. Thatcher, während ich dasaß und die alte Frau mit einem Gefühle betrachtete, welches ganz das Gegentheil von Bewunderung war.
Sie war von kurzer untersetzter Gestalt, mit breiten Schultern und kurzem Halse und ihr Kopf schien zu groß für ihren Körper zu sein. Ihr Gesicht war lang und mager mit scharfen Zügen und von spärlichen grauen Haaren eingerahmt. Ihre Augen waren von häßlichem Rothbraun und hatten einen höchst unheimlichen Ausdruck. Ich hätte sehr krank und ganz ohne Arzt sein müssen, ehe ich mich hätte entschließen können, meine Gesundheit der Obhut von Mrs. Rebecca Thatcher anzuvertrauen.
Ich sagte dies Milly auf dem Heimwege und sie gab zu, daß Mrs. Thatcher selbst unter dem Landvolk nicht beliebt sei obgleich deshalb fest an ihre Geschicklichkeit glaube.
»Ich bin überzeugt,« setzte Milly hinzu, »daß sie sich auch mit Wahrsagen und andern abergläubischen Künsten abgibt; aber sie ist listig und schlau und man kann diese Art Geschäfte nicht so leicht beweisen, weil Diejenigen, die sie zu Rathe ziehen, sich wohl hüten, etwas davon verlauten zu lassen.
* *
*
Die Tage und die Wochen gingen zu Thornleigh sehr angenehm hin und das Ende dieser schönen Sommerferien kam nur zu bald heran. Es war eine bittere Aufgabe, Milly Darrell Lebewohl zu sagen und allein nach einem Ort zurückzukehren, der für mich ohne sie doppelt langweilig und traurig sein mußte. Sie war zu Albury Lodge meine einzige Freundin gewesen und bei meiner innigen Liebe zu ihr hatte ich nie daran gedacht, ein anderes Freundschaftsband zu knüpfen.
Der gefürchtete Tag kam endlich heran, gefürchtet, wie ich wußte, von uns Beiden und ich sagte meiner theuren Milly so ruhig Lebewohl, daß ich überzeugt bin, Niemand habe den Schmerz ahnen können, den ich bei diesem Scheiben empfand. Mrs. Darrell war bei dieser Gelegenheit sehr freundlich und gütig gegen mich, indem sie mich bat, ich möchte zu Weihnachten wieder nach Thornleigh kommen, im Falle sie selbst ihre Weihnachten dort zubrächten.
Milly blickte sie, als sie dies sagte, verwundert an.
»Ist eine Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß wir die Weihnachten anderwärts zubringen werden, Augusta?« fragte sie.
Mrs. Darrell hatte ihre Stieftochter überredet, sich dieses familiären christlichen Namens zu bedienen statt der formelleren Form der Anrede.
»Ich weiß es nicht, meine Liebe. Dein Papa hat zuweilen von meinem Hause in der Stadt gesprochen, oder vielleicht sind wir auch auswärts. Ich kann nur sagen, daß wir, wenn wir hier in Thornleigh sind, uns freuen werden, Miß Crofton wieder bei uns zu sehen.«
Ich dankte ihr, küßte Milly noch einmal und eilte so rasch ich konnte, aus dem Gemach. Als ich in dem stattlichen Wagen nach der Station fuhr, blickte ich traurig nach dem schönen alten Hause zurück, wo ich so glücklich gewesen.
Wieder kehrte ich zu dem trockenen Einerlei von Albury Lodge zurück, wo meine einzige Abwechselung darin bestand, daß ich bald Geschichte, bald Geographie, bald englische Grammatik so lange mit meinen jugendlichen Schülerinnen einübte, bis mich mein milder Kopf und meine Brust schmerzte. Und wenn ich eine Gouvernante würde, so würde sich natürlich dieselbe Danaidenarbeit immer und immer wieder in kleinerem Maßstab wiederholen. Dieses waren meine Aussichten für die Zukunft — ohne Hoffnung einer Aenderung oder der Erlösung, bis ich ein altes Weib geworden, erschöpft durch die ewige Plackerei des Unterrichts!