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4. Sonderfall: Weisung/Verwaltungsvorschrift

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Eine weitere besondere Situation liegt vor, wenn der Amtswalter aufgrund einer innerdienstlichen Weisung oder einer Verwaltungsvorschrift durch seinen Dienstherrn/Vorgesetzten gehalten ist, eine im Verhältnis zum Bürger rechtswidrige Entscheidung zu treffen. Diese im Außenverhältnis zum Bürger rechtswidrige Entscheidung ist im Innenverhältnis zum Dienstherrn/Vorgesetzten rechtmäßig, die Amtspflicht im Innenverhältnis und die Rechtspflicht im Außenverhältnis fallen auseinander.

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Die oben erläuterte Konstruktion der Amtshaftung führt also dazu, dass der Amtswalter im Innenverhältnis korrekt handelt und es damit an einer Pflichtverletzung fehlt, die auf den Staat übergeleitet werden kann. Der von der im Außenverhältnis rechtswidrigen Maßnahme betroffene Bürger bleibt so hinsichtlich eines Amtshaftungsanspruches schutzlos. Diese Rechtsschutzlücke wird über eine Haftungsverschiebung innerhalb der Verwaltung gelöst. Der Amtswalter ist dabei nicht isoliert zu betrachten, sondern die Verwaltung als Ganzes. Dies umso mehr als der Bürger die verschiedenen Verwaltungsebenen und -hierarchien im Regelfall nicht unterscheidet. Deshalb ist das rechtswidrige Verhalten des Amtswalters im Außenverhältnis zum Bürger demjenigen zuzurechnen, der die innerdienstliche Weisung erteilt bzw. die Verwaltungsvorschrift erlassen hat. Der Amtshaftungsanspruch ist dann gegen ihn (Dienstherrn/Vorgesetzten) zu richten und sodann auf den Staat überzuleiten.[54]

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Abweichend von dieser Lösung wird unter Bezugnahme auf den Wortlaut des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG „einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht“ die Ansicht vertreten, dass sich die Amtspflichten direkt auf das Verhältnis zum Bürger beziehen. Amtspflichten und Rechtspflichten entsprechen sich.[55]

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Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass es ausdrücklich „Amtspflichten“ heißt, so dass derselbe Wortlaut wie auch die historisch bedingte Konstruktion der Amtshaftung gegen eine Gleichsetzung von Amts- und Rechtspflichten sprechen.

Beispiel 1

Auf Weisung des Regierungspräsidenten der Bezirksregierung/Regierungspräsidiums erlässt der Oberbürgermeister einer kreisfreien Stadt eine rechtswidrige Ordnungsverfügung gegenüber einem Bürger. Der Bürger erleidet dadurch einen Schaden und macht nun einen Amtshaftungsanspruch geltend.

Der Oberbürgermeister handelt zwar im Außenverhältnis zum Bürger rechtswidrig, aber im Innenverhältnis weisungsgemäß und damit amtspflichtgemäß. Der Regierungspräsident dagegen hat eine Amtspflichtverletzung begangen, da er eine rechtswidrige Weisung erteilt hat. Ihm wird im Wege der Haftungsverschiebung das Verhalten des Oberbürgermeisters zugerechnet. Der Amtshaftungsanspruch richtet sich dann gegen den Regierungspräsidenten und wird übergeleitet auf das Land. Im Gegensatz dazu würde ein Amtshaftungsanspruch gegen den Oberbürgermeister auf die Gemeinde/Stadt übergehen.

Damit wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen Amtspflichten im Innenverhältnis und Rechtspflichten im Außenverhältnis praktische Konsequenzen haben kann.

Davon unabhängig richtet sich die Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung selbst gegen den Oberbürgermeister, soweit § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eingreift, ansonsten gegen die Gemeinde/Stadt nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.[56]

Entsprechendes gilt, wenn der Erlass eines Verwaltungsaktes von der Zustimmung bzw. dem Einvernehmen einer anderen Behörde oder eines anderen Verwaltungsträgers abhängt, sog. mehrstufiger Verwaltungsakt. Beispiel ist hierfür § 36 BauGB.[57]

Im umgekehrten Fall, dass der Amtswalter im Innenverhältnis gegen eine innerdienstliche Weisung bzw. Verwaltungsvorschrift verstößt, aber im Außenverhältnis gegenüber dem Bürger rechtmäßig handelt, liegt ebenfalls eine Amtspflichtverletzung vor, wenn auch nur im Innenverhältnis. In diesem Fall muss im Außenverhältnis zum Bürger, der keine Rechtsverletzung erlitten hat, eine objektive Widerrechtlichkeit als Merkmal hinzugenommen werden, um unsinnige Ergebnisse zu vermeiden.[58]

Beispiel 2

Wie im Beispiel 1 zuvor, nur weigert sich der Oberbürgermeister, die Weisung des Regierungspräsidenten der Bezirksregierung/Regierungspräsidiums umzusetzen. Der Oberbürgermeister erlässt eine rechtmäßige Ordnungsverfügung, durch die der Bürger gleichwohl einen Nachteil/Belastung erleidet. Diese Belastung macht der Bürger nun als Schaden über einen Amtshaftungsanspruch unter Berufung auf den Verstoß gegen die Weisung des Regierungspräsidenten geltend.

Hier liegt in der Missachtung der Weisung des Regierungspräsidenten im Innenverhältnis eine Amtspflichtverletzung vor, nicht jedoch eine Rechtsverletzung im Außenverhältnis zum Bürger, da ihm gegenüber im Einklang mit der Rechtsordnung gehandelt wurde. Um vorliegend einen Amtshaftungsanspruch annehmen zu können, muss aber eine Rechtsverletzung und nicht nur ein Nachteil/Belastung beim Bürger hinzutreten. Nur unter dieser Voraussetzung ist das Verhalten des Oberbürgermeisters auch als objektiv widerrechtlich anzusehen und damit als unrechtmäßig. Vorliegend fehlt es daran, da die Ordnungsverfügung, trotz Verletzung der Amtspflicht im Innenverhältnis, im Außenverhältnis zum Bürger objektiv rechtmäßig ist.

Ein Amtshaftungsanspruch des Bürgers besteht deshalb nicht.

Hinweis

Zu Ihrer Beruhigung: Die Unterscheidung zwischen Amtspflicht im Innenverhältnis und Rechtspflicht im Außenverhältnis spielt nur im dargestellten Sonderfall eine Rolle. Zur Lösung des Sonderfalles merken Sie sich bitte die Begriffe Haftungsverschiebung bzw. objektive Widerrechtlichkeit. Mithilfe dieser beiden Begriffe löst die h.M. diesen Fall. Folgen Sie hingegen der abweichenden Ansicht von Papier,[59] müssen Sie sich mit dem Wortlautargument und der historischen Konstruktion der Amtshandlung auseinandersetzen. Im Ergebnis sollten Sie aber die Ansicht von Papier ablehnen.

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Der Sonderfall einer Weisung bzw. Verwaltungsvorschrift ist einerseits abzugrenzen gegenüber Erlassen, die der nachgeordneten Verwaltung allgemein eine bestimmte Gesetzesauslegung vorschreiben. Sie begründen regelmäßig keine Amtspflicht gegenüber dem einzelnen Bürger, wenn unbestimmt viele Sachverhalte geordnet werden. Erlasse mit allgemeiner Wirkung sind gerade keine Weisungen und begründen keine Amtspflichten.[60]

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