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Schluss

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E. Norden hat gezeigt, dass für die römischen Redner – ähnlich wie für die Dichter – zunächst der hellenistische Stil und nicht etwa der klassisch-griechische maßgebend war.98 Was Gracchus bei Diophanes von Mytilene99 oder Menelaos aus Marathus100 gelernt hat, war in seiner Zierlichkeit und Geschliffenheit mehr dazu geeignet, italischen Formsinn anzusprechen als römischer gravitas und gracchischer Leidenschaftlichkeit101 ein angemessenes sprachliches Gefäß zu bereiten.102 In den scharf ziselierten Sätzen kam das Temperament des Gracchus nur unterschwellig zum Vorschein; es musste sich zusätzlich in der intensiven actio, in Haltung und Gebärde, entladen, und dies war es, was dem Publikum an dem Redner Gracchus am meisten auffiel.103 Entsteht doch, für jeden aufmerksamen Leser der Fragmente feststellbar, in den knappen und betont einfachen Formulierungen eine Stauung des Temperaments. Daraus ergibt sich eine besondere Art nervöser, ironischer Gespanntheit, wie wir sie insbesondere in der Wortstellung der scheinbar so schlichten und sachlichen Erzählungen feststellen konnten. Die Anwesenheit des Mahners mit der Stimmpfeife hatte wohl den Zweck, eine Überanstrengung der Stimme zu verhüten, denn in die Überforderung des Organs flüchtete sich bei Gracchus die zurückgedrängte Dynamik nur allzu leicht. In dieser selbstauferlegten rationalen Kontrolle finden wir eine äußere Spiegelung jener Kombination von starkem Temperament und scharfem Verstand, die den Reiz der Redenfragmente des Gracchus ausmacht. Die Spannung zwischen heftiger Emotion und diszipliniertem Stil beruht bei ihm – so müssen wir abschließend feststellen – nicht auf Unvermögen und auch nicht auf der Unvollkommenheit des damaligen Lateins, sondern gehört zum Wesen dieses Mannes.

In diesem Sinne bedürfen sowohl der Topos vom „leidenschaftlichen“ Gracchus als auch die Ansichten über die ubertas beziehungsweise die egestas seines Stils einer abwägenden Nuancierung.

Gracchus gegen Cicero? Cicero gegen Gracchus? Urtümliche Kraft gegen Dekadenz? Künstlertum gegen Roheit?

All diese Antithesen sind verfehlt. Wie Leeman104 gesehen hat, ist der Stil des Gracchus vielfältig. Was wir darüber hinaus zeigen konnten, deutete mehr auf den Geist und die Art, wie die Mittel verwendet werden, als auf eine einseitige Auswahl.

Noch mehr gilt solches von Cicero. Die kunstvolle narratio aus De suppliciis darf man nicht für den einzigen Typus einer ciceronischen Erzählung halten. Das Pathos ist hier dadurch gerechtfertigt, dass es sich um einen besonders schwerwiegenden Fall handelt; die künstlerische Ausarbeitung kann auch mit dem Charakter der Buchrede zusammenhängen.

Sonst weiß auch Cicero, dass Schlichtheit die Glaubwürdigkeit einer narratio erhöht. Selbst eine so kunstvolle Rede wie die Miloniana erzählt den Hergang betont einfach.105

Auch die Sprachhaltung zeigt verwandte Züge. Bei Gracchus, der nach einem Wort Friedrich Münzers106 nie aufgehört hat, „der große Herr zu sein“, ist das natürliche und durch Bildung107 verfeinerte Stilgefühl eine Komponente seines grandseigneuralen Wesens, bei Cicero durch Studium und Selbstdisziplin zweite Natur.

Die höhere künstlerische Vollendung erklärt sich nicht allein durch die strengeren Forderungen einer veränderten Umwelt, sondern auch durch die stärkere literarische Neigung des Späteren. Aber spricht aus dem Eingehen der Leidenschaft ins Wort nicht auch ein vielleicht weniger kraftvolles, aber mehr nach Ausgleich strebendes Naturell? Nicht mehr glühende Lava unter der Eisdecke schneidender Rationalität, sondern ins Wort gehobener Affekt und das Seelische bewusst durchdringende künstlerische Ratio.108

Meister römischer Prosa

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