Читать книгу Sie wollen doch betrogen werden! - Michael Aulfinger - Страница 6
Kapitel 3
ОглавлениеDas Altersheim lag am Rande der Möllner Altstadt. Es war im Villenstil gebaut, machte aber im ganzen einen etwas herunter gekommenen Eindruck. Ein neuer Außenfarbanstrich hätte Wunder gewirkt, und das Gebäude würde gleich viel freundlicher erscheinen. Aber dem Betreiber war eine Renovierung zu kostspielig, so daß er es lieber ließ wie es war. Daher übergriff die trostlose Stimmung die von dem Gebäude ausging, auf die Stimmung der Senioren und Beschäftigten. Die älteren Leute machten auch dadurch einen apathischen Eindruck.
Harry hatte hier eine Anstellung als Altenpfleger gefunden. Harry kam mit seiner netten Art gut an. Auch mit dem Pflegerpersonal gab es zuerst keine Probleme. Doch es sollte nicht allzu lange dauern, und Harry hatte wieder das Gefühl, daß er sich mehr rausnehmen konnte, als ihm zustand. Petra, seine Kollegin von der Frühschicht hatte sich eines Tages gewundert, daß ihr Handy verschwunden war. Eine intensive Suche blieb erfolglos, einen Verdacht hatte sie auch nicht. An Ihre Kollegen hatte sie nicht gedacht. Auch Harry, der Neue, machte doch einen netten Eindruck. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich ein neues Handy zu kaufen.
Petra kam morgens um 6 Uhr zur Frühschicht, als sie die Gartenpforte aufmachte, um die fünf Meter bis zur Eingangstür des Altersheim zurück zulegen. Die Eingangstür befand sich in einem kleinen Wintergarten, wo die älteren Leute nachmittags saßen, und aus dem Glasfenster dem Treiben auf der Straße zusahen. Rattanmöbel waren aufgestellt, ein Dreisitzer, ein Zweisitzer, mehr Platz war nicht vorhanden. Auf dem Dreisitzer lag friedlich eingeschlafen der neue Kollege Harry, der die Nachschicht hatte. Als Petra die Tür aufschloß, drang ihr sein Schnarchen an das Ohr. Wütend darüber, daß Harry in seiner Nachtschicht geschlafen, und nicht seiner Arbeit nachgegangen war, sprang sie wie ein Pantherin auf Harrys Ruhelager zu, und weckte ihn unsanft indem sie seine Schulter schüttelte.
„Harry, aufwachen. Du pennst während der Arbeit. Frechheit. Was machen die Alten?“ Petra war wirklich erbost.
„Uaaaaah“, er streckte sich, öffnete überrascht seine Augenlider, und fragte die Augen reibend:
„Was ist, wo bin ich?“
Petras Wut wurde immer größer.
„Du spinnst, wenn das der Chef sieht, kannst du fliegen. Du hast aber auch Nerven, dich hier so offen auf den Präsentierteller hinzulegen, wo jeder von außen reinsehen kann.“
„Mach dir mal nicht ins Hemd.“ Harry hatte sich allmählich gesammelt. Mühsam war er dabei sich aufzurichten. Grinsend fügte er hinzu „Du mußt ja nichts sagen. Wie soll der Alte es denn rauskriegen.“
„Indem der Alte es selbst gesehen hat. Herr Flosbol, sie sind in zehn Minuten in meinem Büro.“
Harrys Herz blieb fast stehen, als er aus der Richtung der Tür den Chef sprechen hörte. Dieser hatte noch von der Straße her, durch das große Glasfenster mitangesehen, wie Petra ihn geweckt hatte, und sich dann der Tür genähert.
Zehn Minuten später fand sich Harry im Büro des Alten ein, um seine fristlose Kündigung entgegen zu nehmen. Seine Arbeitspapiere konnte er auch gleich in Empfang nehmen.
In diesem September des Jahres 2001 fand er noch einen Job in der Kleinstadt, als Konfektionierer. Seine Aufgabe bestand nur darin Werbeartikel zusammen zustellen. Da er nicht sehr unter Aufsicht stand, konnte er seinen Rucksack mit wertlosen Werbeartikeln füllen, die er mitgehen ließ. Einige verschenkte er, andere wiederum warf er nach kurzer Zeit weg. An seinem zweiten Tag, in der Mittagspause, als er sich unbeobachtet wähnte, huschte er eiligst in das Büro, welches sich gleich neben der Halle befand, und entwendete vom Schreibtisch einen einfachen Taschenrechner, der ihm vom Design her gefallen hatte. Da ihm diese monotone Arbeit keineswegs zusagte blieb er dem Job auch nach nur drei Tagen fern. Das war nichts für ihn.
Wenn er am Möllner Bahnhof den Zug verließ, ging er langsamen Schrittes an dem Fahrradunterstand entlang, der auf einer Länge von zwanzig Meter überdacht war. Da in der Schulzeit viele Berufspendler, Schüler und Berufsschüler ihre Fahrräder dort abgestellt hatten, war der Fahrradunterstand immer gut ausgenutzt. Harrys geübter und scharfer Blick erkannte sofort, welches Fahrrad abgeschlossen, und welches wegen fehlendem Schloß nicht mit einer Kette gesichert war. Wenn es sich um ein Fahrrad seiner Größe und seines Geschmackes handelte, so blickte er sich unauffällig um, ob er beobachtet wurde. War dies nicht der Fall, so griff er zielstrebig nach dem Fahrrad, zog es aus dem Ständer, und schwang sich auf dieses, um locker auf den Straßen zu seinem jeweiligen Ziel zu gelangen. An diesem angekommen, stellte er es wieder ab ohne abzuschließen, bis er es wieder benötigte. Sollte es mal der Fall sein - was auch vorkam – daß sein geklautes Fahrrad ebenfalls geklaut wurde, so weinte er ihm keine Träne nach. Es gab ja so viele Fahrräder die unabgeschlossen, unachtsam und gedankenlos abgestellt werden. Diese Menschen scheinen zu verwöhnt zu sein, weil sie es nicht als nötig erachteten, besser auf ihr Eigentum aufzupassen. Mit solchen Leuten hatte er kein Mitleid, und vergriff sich gerne an deren Fahrräder.
Einmal geschah es, als Harry eine breite Straße, den Wasserkrüger Weg, mit seinem geliehenen Fahrrad entlang fuhr. Da er sich auf der Vorfahrtstraße Richtung Süden befand, achtete er nicht auf den Verkehr, der von den Seitenstraßen einfloß. Ein dunkelbrauner Ford mißachtete die Vorfahrt des Radfahrers, um noch schnell vor diesem heraus scheren zu können, aber der Versuch scheiterte, indem Harry und sein Fahrrad von der linken Stoßstange erfaßt, und zu Boden gerissen wurden. Es krachte. Harry schrie erschrocken auf, um sofort das Fahrrad, welches auf ihm lag zur Seite zu schieben. Danach faßte er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an sein Knie.
Der Autofahrer stieg sofort mit blassem Gesicht aus, und trat sogleich zu Harry, um ihn zu Hilfe zu kommen.
„Entschuldigung. Ist ihnen was passiert?“ Der junge Mann war sehr um Harrys Wohlbefinden besorgt. Erschrocken sah er, daß Harrys Hose im Kniebereich zerfetzt war, und ein großes Loch aufwies. Darunter schimmerte es rot, und ein paar Tropfen Blut kamen zum Vorschein.
„Aua.“ Harry versuchte aufzustehen, was ihm aber schwerlich gelang. Er wollte von der Straße runter, damit der Verkehr weiter ungehindert fließen konnte.
„Wie geht es Ihnen?“
„Es geht schon. Es schmerzt halt, und brennt. Ist die Polizei schon informiert?“ Harry sah den Autofahrer fragend an.
„Bitte keine Polizei.“ Der Autofahrer winkte ab, und in diesem Moment dämmerte es Harry. Aus irgendeinem Grunde wünschte der Verursacher keine polizeiliche Aufnahme des Verkehrunfalls. Sofort begriff er, daß aus diesem Umstand Kapital zu schlagen war. Er mußte nur das Gespräch in die nötige Bahn lenken. Schließlich war nicht sein kluges Köpfchen verletzt, sondern nur sein Knie. Das bekam er schon hin.
„Moment mal, aua,“ Harry bildete ein schmerzverzerrtes Gesicht. „Die Polizei muß doch kommen, um den Unfall aufzunehmen. Schließlich bin ich auf dem Weg zur Arbeit. Bei Arbeitsunfällen muß die Berufsgenossenschaft informiert werden. Es kann ja ein bleibender Schaden werden.“ Harry log, um das schlechte Gewissen und die Zahlungsbereitschaft des Autofahrers zu vergrößern.
„Können wir uns nicht anders einigen. Nur bitte keine Polizei.“ Es war dem Autofahrer anzusehen, wie wichtig ihm das war. Das konnte er gut gebrauchen. Deshalb ging Harry darauf ein. Äußerlich gab er sich zwar schwerfällig, doch innerlich frohlockte er. Denn schließlich war sein Fahrrad auch geklaut. Das brauchte die Polizei nicht zu wissen, und der Autofahrer auch nicht. Deshalb ging er darauf ein.
„Darüber können wir gleich sprechen, aber wir sollten erst mal die Straße freimachen, weil es sonst noch einen größeren Stau gibt, und dann kommt die Polizei doch noch.“
Sofort machte sich der junge Mann auf, sein Auto an den Straßenrand abzustellen, und das ramponierte Fahrrad von der Straße zu bergen. Er wirkte sehr nervös. Harry hatte sich derweil auf dem Gehsteig mit schmerzverzerrtem Gesicht hin gesetzt. Er übertrieb ein wenig mehr, als es nötig gewesen wäre, aber er roch Geld, und dafür konnte man nun schon mal ein wenig leiden.
Bald kam der junge Autofahrer zurück, und setzte sich neben Harry. Der Verkehr floß nun wieder ungehindert.
„Ich weiß, daß es meine Schuld war. Sie waren auf der Vorfahrtstraße. Es tut mir leid, daß das passierte, nur brauchen wir keine Polizei. Wir können das doch auch so regeln. Das wäre mir lieb.“ Der Autofahrer brachte sein Anliegen merklich nervös hervor. Nach einigem vorgespieltem zögern ging Harry auf dessen Wunsch ein.
„Wenn sie meinen. Es scheint ihnen ja furchtbar wichtig zu sein, daß wir es ohne Polizei regeln.“ Harry stocherte noch ein wenig in der Wunde herum. Schaden konnte es nicht, sondern nur den Preis steigern.
„Oh ja, daß würde mir im Moment gar nicht passen, ehrlich gesagt. Also wie können wir uns einigen?“
Harry schien nachzugrübeln, und schlitzohrig wie er schon mit seinen neunzehn Jahren war, trieb er den ausstehenden Gewinn in die Höhe.
„Wie ich schon sagte. Sie sehen ja selbst. Es ist eine blutende Wunde. Das Knie kann ich nur unter Schmerzen bewegen. Von arbeiten kann die nächsten Tage keine Rede sein. Vielleicht wird es ein bleibender Schaden? Dann wäre es schon von Vorteil, wenn die BG es wüßte. Außerdem ist die Hose hinüber. Das Fahrrad ist Schrott. Nun, kurzum gesagt. Was ist es ihnen wert?“ Er sah den jungen Mann herausfordernd an. Dieser überlegte, und schien den Schaden abzuwägen.
„Hose, Knie, Fahrrad, Schmerzensgeld. Ich biete ihnen zusammen sechshundert Mark, und wir vergessen die Sache.“ Erwartungsvoll sah er Harry an.
„Na, das halte ich aber für untertrieben. Allein das Fahrrad hat mir schon vierhundert Mark gekostet. Darauf habe ich lange gespart. Die Hose kostete allein hundert Mark. Und wenn wir die Polizei aus dem Spiel lassen wollen, dann muß sich das auch noch lohnen, weil ich nämlich auch einen Verdienstausfall habe. Das haben sie nicht mit berechnet. Deshalb brauche ich eintausend Mark, oder ich ruf die Polizei an, und zwar augenblicklich.“ Harry konnte ein knallharter Verhandlungspartner sein.
„O.k, o.k...., schon in Ordnung. Dann machen wir es so. Ist mir trotzdem lieber. Sie brauchen dringend ärztliche Versorgung. Ich schlage vor, wir fahren an einem Geldautomaten. Ich hole das Geld, gebe es ihnen, und bringe sie dann ins Krankenhaus zur Notaufnahme, wo sie sich dann verbinden lassen können. Einverstanden?“
„Gut, das machen wir so.“ Harry versuchte unter Schmerzen auf zu stehen.
„Und was ist mit ihrem Fahrrad?“
„Das lasse ich erst mal hier. Ich hole es später ab. Ein demoliertes Rad klaut sowieso keiner. Das ist sicher.“ Er humpelte zum Ford, und stieg schwerfällig auf der Beifahrerseite ein. Das kaputte Fahrrad lehnte er an einem Zaun. Er sah es nie wieder.
Wie sie es besprochen hatten, so geschah es. Eine Stunde später hatte Harry einen ordentlich angelegten Verband um sein Knie, und freute sich über leicht verdiente eintausend Mark. Seitdem fuhr Harry mit dem Fahrrad nicht mehr auf Sicherheit bedacht. Vielleicht geschah so etwas ähnliches ja noch mal. Man weiß ja nie.
Das war nicht schlecht, schnell und leicht verdientes Geld. Verursachte zwar etwas Schmerzen, aber es lohnte sich allemal.