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Mord, Gefühle und eine Verabredung
ОглавлениеAuf das Gespräch mit Herrn Orloff möchte ich an dieser Stelle lieber nicht weiter eingehen. Doch ich kann Ihnen versichern: Wir trafen eine – für meine Mandantin – höchst zufriedenstellende Übereinkunft.
Ich spüre Ihren tadelnden Blick. Ich kann Ihre Entrüstung beinahe mit den Händen greifen.
Doch manchmal muss man dem vermeintlichen Glück einfach ein wenig auf die Sprünge helfen. Man schubst es ein bisschen an, weist ihm den Weg, den es nehmen soll.
Sagt der Volksmund nicht auch, in der Liebe und im Spiel sei alles erlaubt? Sagen Sie jetzt bitte nicht, Sie hätten das noch nie gemacht. Ich würde Ihnen das nämlich nicht abnehmen.
Sie machen auf mich einen recht aufgeweckten, pfiffigen Eindruck und scheinen genau zu wissen, auf was es im Leben letztendlich ankommt. Würden Sie nicht auch mit beiden Händen fest zupacken, wenn das Glück Ihnen mit breitem Grinsen auf der Straße entgegenschlendert?
Na …? Sehen Sie. Genau so erging es mir damals auch.
Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und überließ es Orloffs Schlägern, den anhänglichen Muskelprotz dauerhaft aus Charlys Leben zu entfernen.
Mehr möchte ich an dieser Stelle aber nun wirklich nicht verraten. Eigentlich habe ich schon viel zu viele Worte darüber verloren. Ich kann mich hoffentlich auf Ihre Diskretion verlassen, kann darauf vertrauen, dass das Ganze unter uns bleibt. Es wäre mir wirklich sehr unangenehm, wenn Orloff wegen dieser Sache Schwierigkeiten bekäme oder, schlimmer noch, wenn Sie von seinen Mordbuben heimgesucht würden.
Also pssst …! Über manche Dinge breitet man besser den Mantel des Schweigens und tut so, als habe man noch nie etwas davon gehört.
Nach diesem – na, Sie wissen schon – Gespräch zog sich der Vormittag dahin wie ein zu lange gekautes Kaugummi. Ich war nervös, voller Vorfreude und erwischte mich ständig dabei, wie ich an meinem Daumennagel zu knabbern versuchte.
Winni war nach seiner Konferenz mit Orloff wieder aus der Kanzlei verschwunden. Er hatte wohl bewusst darauf verzichtet, unserem privaten Gespräch beizuwohnen und sich mit Dingen zu belasten, die ihn eigentlich auch nichts angingen. Dennoch hätte ich es begrüßt, wenn er mir in der schwierigen Situation des untätigen Wartens ein wenig beigestanden wäre.
Obwohl die Zeit eine feste Konstante darstellt und die Sekunden im Gleichtakt des Universums verrinnen, nehmen wir die Zeit sehr unterschiedlich war. Manchmal läuft sie uns durch die Finger, verrinnt im Strom von Hektik und Betriebsamkeit. Und dann gibt es solche Tage, an denen sich eine Sekunde zur Ewigkeit ausdehnt.
Ein kleines Beispiel gefällig?
Ich sage nur Sex oder Zahnarzt …
Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, Sie liegen mit dem Partner Ihrer Begierde nackt im Bett. Ihr Hormonpegel ist voll am Anschlag, das Blut pulsiert in Ihren Adern, Ihr Gehirn hat das Denken auf ein Minimum reduziert. Die Minuten werden zu einem einzigen Augenblick, und ehe man sich’s versieht, grunzt der Mann zufrieden auf, und die Frau liegt – meist frustriert und noch immer hormongepeitscht – heftig nach Luft ringend neben ihm.
Und jetzt denken Sie bitte an einen Zahnarzt. Denken Sie an latexfreie Handschuhe. An das singende Geräusch des Bohrers. An den Geruch der Praxis. An die gemeinen, pochenden Schmerzen in Ihrem Backenzahn.
Muss ich noch weiterreden, noch mehr ins Detail gehen?
Bestimmt nicht!
Ich saß ergo den ganzen Vormittag auf einem imaginären Zahnarztstuhl und litt Höllenqualen. Die Zeit weigerte sich beharrlich zu verstreichen und mein Nagelbett wies bereits blutige Bissspuren auf.
In Gedanken hatte ich den Moment, in dem Charly mein Büro betreten würde, schon Tausende Male durchgespielt. Ich würde hektische Betriebsamkeit vortäuschen, ungehalten aufschauen und nachdenklich die Augenbrauen hochziehen.
Zeige einer Frau nie, wie sehr du sie begehrst! Wenn sie herausfindet, dass du sie liebst, wird sie bis in alle Ewigkeit mit dir spielen.
So weit die Theorie.
In der Praxis hüpfte ich beinahe vor Begeisterung aus dem Chefsessel, als meine Sekretärin, Frau Sommer, Charly endlich über das Telefon ankündigte. Ich eilte durch den Raum und riss die Tür zu meinem Büro bereits auf, als Charly ihren Fuß auf die erste Treppenstufe stellte.
Sie trug einen beigefarbenen Rock, der kurz über ihrem Knie endete. Eine ärmellose Bluse im gleichen Farbton vervollständigte ihre schlichte, aber ungemein aufreizende Garderobe. Eine grünschimmernde Kette aus unzähligen kleinen Perlen schmiegte sich um ihren schlanken Hals und betonte die faltenlose Bräune ihrer zarten Haut. Der Hauch eines betörenden Parfums eilte ihr voraus und kroch, einem arglistiger Dämon ähnlich, durch die Nase in mein Gehirn.
Sie können sich sicher denken, dass mein Herz wie wild in meiner Brust herumhüpfte, während ich mit einem dümmlichen Grinsen vom oberen Treppenabsatz auf sie hinabstarrte. Ich genoss jede Nanosekunde, genoss das verführerische Spiel ihrer hauchzarten Muskeln, genoss die Schönheit, die Wärme, die Aura ihrer Erscheinung.
Diese Frau hatte mich gefangen. Sie hatte ihr Netz – unbewusst oder in voller Absicht – ausgeworfen und mich aus den Tiefen des Atlantiks gefischt. Mir war es egal. Ich wollte für den Rest meines Lebens in ihrem Aquarium schwimmen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen.
Tobias Schlierenbeck starb in dem Moment, als sich ihre sinnlichen Lippen öffneten und sie mit funkelnden Augen ein Lächeln zu mir heraufschickte. Ich mutierte zu einem männlichen Jeannie, wurde zu einem willenlosen Sklaven, zu einer Marionette in ihren schlanken Fingern. Mir war sofort klar: Für diese Frau würde ich ohne Zögern einen Mord begehen oder mich mit dem Teufel höchstpersönlich anlegen.
Das mit dem Mord hatte ich ja bereits in Auftrag gegeben. Das Spiel mit dem Teufel durchleide ich zurzeit.
Sie sehen also, der Kreis des Lebens hat sich geschlossen. Jedem widerfährt seine gerechte Strafe. Ich bezahle den Preis für meine Dummheit, meine Arroganz, meine Liebe, für meinen Glauben an das ewige Glück.
Ich weiß nicht, was Sie im Leben schon alles angestellt haben. Doch seien Sie sich bewusst, dass niemand der gerechten Strafe entgeht. Das Schicksal lauert schon, wartet auf den richtigen Moment. Es ist ein hungriger Wolf, der seine Fangzähne unbedingt in Ihr Fleisch schlagen will. Nutzen Sie Ihre Chance, tun Sie gute Dinge! Dann werden Sie vielleicht verschont und können Ihr Leben als glücklicher Mensch genießen.
Diese Erkenntnis kommt in meinem Fall leider zu spät, doch Ihnen könnte sie noch nützliche Dienste erweisen. Ich mag Sie. Ja, wirklich. Sie sind mir sehr sympathisch.
Ich muss wohl nicht erst erwähnen, dass die Stunde, die ich mit Charly verbrachte, in einer gefühlten Sekunde vorüberging. Die Zeit raste wie ein ICE der Deutschen Bahn, durchbrach ihre Konstante und schien aus dem Gleichgewicht des Universums ausbrechen zu wollen.
Viel zu schnell nahte der Abschied. Zurück blieben ihr atemberaubender Duft sowie eine Verabredung für den kommenden Abend.
Die Würfel waren gefallen, ich war in das Spiel des Lebens eingetreten. An meinen Nebenbuhler, den gutgebauten Muskelprotz, verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Im eigentlichen Sinne war er bereits tot und würde mir bestimmt nie wieder in die Quere kommen.