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Alles ändert sich

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Nach dieser ersten Nacht änderte sich mein Dasein von Grund auf.

Charly wirbelte durch mein Leben wie der Hurrikan Katrina durch New Orleans. In mein puristisch eingerichtetes Penthouse zogen neue Möbel ein. Die Wände bekamen einen farbigen Anstrich oder wurden – Sie erinnern sich noch an mein Wohnzimmer? Mit sündhaft teuren Seidentapeten bespannt.

Ich weiß nicht mehr, wie viele Tage wir durch die hippen Kunstgalerien unseres schönen Frankfurt gezogen sind. Doch am Ende hatte ich für Bilder, Skulpturen und anderweitige Dekorationsartikel den Gegenwert eines deutschen Mittelklassewagens ausgegeben.

Es wird für mich immer ein Rätsel bleiben, wieso manche Menschen Unsummen für ein einziges Gemälde ausgeben. Geldanlage hin oder her. Kann es wirklich sein, dass Dali, Monet, Picasso, van Gogh oder Kandinsky so außergewöhnliche Kunstwerke erschufen, dass man heute dafür Millionen zahlen muss?

Ein altes Sprichwort sagt: Jeden Morgen steht ein Dummer auf, du musst ihn nur finden.

Gehen Sie einmal auf eine Kunstauktion. Da sitzen Hunderte von diesen Trotteln und gieren danach, einen Haufen Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ergeht, doch ich kann über solch eine Torheit nur verständnislos den Kopf schütteln.

Warum kaufen sich diese Menschen von dem schönen Geld nicht lieber einen Porsche, einen Ferrari oder einen Lamborghini? Da hätten sie wenigstens was davon.

Charlys Geschmack war zum Glück nicht ganz so erlesen. Sie bevorzugte die Impressionisten der Gegenwart, die jedoch – zu meinem Leidwesen – auch schon recht kräftig an der Preisschraube drehten. Doch ich will mich wirklich nicht beklagen. Mein Penthouse verwandelte sich in ein gemütliches Zuhause, während mein Konto beachtlich zusammenschrumpfte.

Exakt zwei Monate nach unserem ersten Rendezvous zog Charly mit Sack und Pack bei mir ein. Was aus ihren Möbeln wurde, weiß ich nicht. Ich habe sie auch nie danach gefragt. Das einzige Möbelstück, das sie mitbrachte, war ihr stabiles, metallenes Doppelbett.

Hierzu möchte ich eine kleine Anmerkung machen: Charly stand – Gott, war das aufregend! – total auf Fesselspiele. Ich kann mich an keinen Sex mit ihr erinnern, an dem nicht einer von uns zum Finale an das Bettgestell gefesselt wurde. Meistens fiel diese Rolle allerdings mir zu. Charly ritt für ihr Leben gerne, und ich liebte es, von ihr geritten zu werden.

Doch lassen wir dieses Thema besser außen vor. Sie sitzen ja nicht an meinem Bett, um sich die violenten Sexfantastereien eines Koma-Patienten anzuhören. Ich habe dies auch nur erwähnt, weil Charlys Vorlieben – Sie wissen schon, Fesselspiele, Reiten, in mein Ohrläppchen beißen – und ihr stabiles Bettgestell zum Ende dieser Geschichte eine tragende Rolle spielen werden.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ob Sie wollen oder nicht, Sie müssen sich noch ein klein wenig in Geduld üben. Ich komme Ihnen aber gerne etwas entgegen und versuche, die Zeit für Sie ein wenig zu komprimieren.

Das würde dann allerdings bedeuten …?

Hmm …, ja so könnten wir es machen. Ich fasse die Ereignisse bis zu unserer Hochzeit einfach in wenigen Worten für Sie zusammen.

Glauben Sie jetzt aber bitte nicht, dass ich dies tue, weil nichts Spannendes in diesem Zeitraum passiert wäre. Nein wirklich, für mich waren es schöne, erfüllte Monate, die mich restlos davon überzeugten, dass ich in Charly die Frau fürs Leben gefunden hatte.

Sie verpassen einiges. Echt jetzt. Zum Beispiel unseren ersten gemeinsamen Urlaub auf den Malediven. Oder die Geschichte, in der wir mit einem Heißluftballon über Paris geflogen – oder sagt man gefahren? – sind. Auch unsere Verlobung, die wir in London feierten, böte genügend Stoff für eine amüsante Unterhaltung.

All diese kleinen Episoden spuken als bunte Fotografien, als stumme Zeugen einer längst vergangenen Epoche in meinem Kopf herum. Sie sind die Erinnerungen an eine Vergangenheit, in der das Glück mich zu umarmen schien.

Gott, manchmal ist das Leben echt zum Kotzen! Und manchmal wünscht man sich, man sei besser nie geboren oder wäre dem Monster, das sich hochtrabend Liebe nennt, nie persönlich über den Weg gelaufen.

Frage: Können Sie gut Witze erzählen? Ich könnte jetzt nämlich, bei Gott!, eine kleine Aufmunterung vertragen. Das Ganze hier nimmt mich doch mehr mit, als ich im Vorfeld vermutet habe. Aber da muss ich jetzt wohl durch, oder? Und wenn ich ehrlich bin, tut es wirklich gut, einmal mit jemanden über den ganzen Schlamassel zu plaudern.

Hochzeit, Hochzeit? Wo fange ich nur an, Ihnen die Geschichte weiterzuerzählen?

Winni! Ja, ich denke, dass das damalige Gespräch zwischen Winni und mir ein guter Wiedereinstieg wäre.

Knapp zwei Wochen vor meiner Vermählung sprachen Winni und ich über die rechtlichen Konsequenzen, die eine Eheschließung mit sich brachten. Das Aufgebot hatten wir bereits bestellt, Winni würde als mein Trauzeuge fungieren, und die Ringe – Bulgari natürlich, knapp 15.000 Euro jeder – lagen sicher in meinen Safe.

Unsere Eventmanagerin Mia Bender – eine tolle Frau und zu Winnis Entsetzen seit 16 Jahren glücklich verheiratet – hatte alle Komponenten unserer exklusiven Hochzeitsfeier akribisch geplant und auf unsere Wünsche abgestimmt. Die Gäste waren geladen, der Junggesellenabschied organisiert und die Hochzeitsreise nach Hawaii war auch schon gebucht. Es gab eigentlich nur noch zwei offene Fragen, die nach einer Klärung verlangten. Erstens, wie würde das Wetter werden am Tag unserer Hochzeit? Und zweitens, sollte ich wirklich auf einen Ehevertrag bestehen?

Letzterer bereitete mir seit Wochen erhebliches Kopfzerbrechen. Mein juristischer Verstand pochte beharrlich auf ein Schriftstück, das alle finanziellen Angelegenheiten ausführlich regelte. Mein Herz hingegen wollte dies nicht. Es suggerierte mir permanent, dass das bei meiner Charly nicht vonnöten sei.

Sollte ich unsere gemeinsame Zukunft wirklich mit einem solchen Vertrag belasten?

Ich konnte ja wohl schlecht vor meine zukünftige Frau treten und sagen: Schatz, ich verspreche dir ewige Treue. Ich werde dich lieben und ehren, bis dass der Tod uns scheidet. Sollte das wider Erwarten doch nicht so sein, dann bekommst du laut Ehevertrag keinen Cent von mir. Du weißt, ich liebe dich – im Moment jedenfalls. Unsere Hochzeit wird bestimmt toll, du musst nur noch hier unten links deine Unterschrift unter diesen Knebelvertrag setzen. Küsschen

Unmöglich! Das konnte und wollte ich meiner Charly auf keinen Fall zumuten. Wie sah das denn aus, wenn ich unsere Ehe schon im Vorfeld mit dem Makel einer Trennung befleckte?

Charly und ich waren perfekt füreinander geschaffen. Unsere Liebe war ein Versprechen auf die Ewigkeit. Vielleicht würde sich der Mond aus der Erdumlaufbahn davonschleichen oder die Sonne implodieren. Doch Charly und mich, da war ich mir sicher, würde nie etwas entzweien.

Hören Sie gefälligst mit dem dümmlichen Gegrinse auf! Winni hatte, als wir über dieses Thema sprachen, einen ganz ähnlichen Gesichtsausdruck.

Damals dachte ich allerdings, Winni wäre vor Neid zerfressen. Ich dachte, er wollte bloß einen Keil zwischen Charly und mich treiben. Er pochte förmlich auf diesen Ehevertrag, warf seine ganze Überzeugungskraft in die Waagschale.

Dass er mir so seinen idiotischen Plan unterschob, mich in meinem Denken manipulierte, gekonnt mit meinem Ego spielte habe ich damals natürlich nicht durchschaut. Je länger unser Streitgespräch dauerte, je mehr er auf diesen vermaledeiten Ehevertrag pochte, desto größer wurde meine Abneigung gegen solch eine Vereinbarung.

Nach einer Stunde hatte er mich genau an dem Punkt, an dem er mich haben wollte. Ich zerriss den Vertrag vor seinen Augen und erklärte feierlich, dass das für mich nie infrage käme.

Wenn dein Gegenspieler dein bester Freund ist, hast du eigentlich keine Chance. Er kennt deine Schwächen, kennt deine Grenzen, kennt genau den Punkt, an dem du zu einem kopflosen Idioten wirst.

Ich habe mich Winni gegenüber immer überlegen gefühlt. Physisch konnte ich zwar nicht mit ihm Schritt halten, doch intellektuell, so dachte ich jedenfalls, könnte ich ihn jederzeit in die Tasche stecken.

Mann, war ich blöd! Mann, war ich ein Einfaltspinsel! Ich habe in all den Jahren unserer Freundschaft nicht mitbekommen, welch kriminelle Energien in ihm schlummerten. Habe es nie geschafft, hinter seine aufgesetzte Fassade einen Blick zu werfen. Der gutmütige – ich kann keiner Fliege was zuleide tun – Kerl, den ich als meinen Freund und Geschäftspartner so schätzte, hat in Wirklichkeit nie existiert. Er war genauso wenig real wie die Liebe, die Charly mir so erfolgreich vorgespielt hat.

Kennen Sie den Film Die Truman Show? In dieser Hollywood-Produktion wird einem Mann ein nicht existierendes Leben vorgegaukelt. Seine Frau, seine Freunde, sein Leben sind eine einzige Fälschung, eine einzige große Lüge. Als ich mir den Film das erste Mal im Kino ansah, dachte ich voller Verachtung: Was für ein Trottel!

Heute weiß ich es besser. Der einzige Trottel in diesem Kino war wohl ich selbst, denn ich vertraute einem Freund, der nie mein Freund gewesen war. Er hat mich all die Jahre nur benutzt, hat auf meine Kosten einen faulen Lenz geschoben.

Ja, jeden Morgen steht ein Dummer auf, du musst ihn nur finden – und für die eigenen Zwecke vor deinen Karren spannen.

Denken Sie daran, erinnern Sie sich an meine Worte, wenn Sie das nächste Mal mit Ihren Freunden in einer gemütlichen Runde beisammensitzen. Es wird höchste Zeit, dass Sie aufwachen und damit aufhören, Ihren Freunden blind Vertrauen zu schenken.

Jeder ist sich selbst der Nächste. Und wer Ihnen etwas anderes erzählt, der lügt Ihnen frech ins Gesicht.


Der Hölle so nah

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