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Einkaufsbummel und Geständnis
ОглавлениеIch nippte an meinem doppelten Espresso, leckte mir die schaumige Crema von der Oberlippe und schlug den Lokalteil der FAZ mit einem theatralischen Seufzer zu.
»Oh, Mann, Zufälle gibt’s, nee, nee, nee …«, sagte ich grinsend und wackelte betrübt mit meinem Kopf.
»Was meinst du?«, fragte Winni, doch in seiner Stimme klang Desinteresse mit.
Wir saßen in einem Café und genossen eine kleine Auszeit, bevor meine Shopping-Wahn-Tour in die zweite Runde starten sollte.
»Ich meine diesen Artikel in der FAZ«, sagte ich und tippte mit meinem Zeigefinger auf die Zeitung. »Da hat sich doch so ein lebensmüder Student einen riesigen Stein um die Füße gebunden und ist damit schwimmen gegangen – im Main. Sie haben am Flussufer seine Kleidung und einen Abschiedsbrief gefunden. Er soll die Trennung von seiner Freundin einfach nicht verkraftet haben, der Arme.«
Winni, noch immer abgelenkt von den zahlreichen weiblichen Schönheiten um uns herum, blickte kurz zu mir herüber und schielte dann, mit hochgezogenen Brauen, auf die zusammengefaltete Zeitung.
»Er war aber nicht rein zufällig zwei Meter groß und hatte Arme wie Schwarzenegger in seinen besten Jahren, oder?«
»Hmm, keine Ahnung. Könnte aber gut möglich sein.«
»Himmel, Tobias, bist du wahnsinnig? Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass der Typ nur eine kleine Abreibung erhält«, zischte Winni mit aschfahlem Gesicht über den Tisch.
»Na und? Die Abreibung ist eben ein bisschen größer ausgefallen. Ist nicht auf meinem Mist gewachsen, ehrlich. Orloff meinte, dass man bei solchen Dingen besser Nägel mit Köpfen machen sollte«, sagte ich achselzuckend.
»Jesses. Und du hast dem wirklich zugestimmt? Hast zugelassen, dass der arme Kerl brutal ermordet wird?«
»Klar doch. Ein Problem weniger auf der To-do-Liste«, sagte ich, schlürfte den erkalteten Rest meines Espressos aus der Tasse und lächelte versonnen.
In Gedanken war ich bereits bei heute Abend. Ich würde Charly um exakt acht Uhr zuhause abholen. Anschließend wollten wir zu ihrem Lieblings-Italiener gehen. Kerzenschein, ein guter Rotwein, der verführerische Duft von Pasta und frischer Pizza. Ich konnte die mediterrane Atmosphäre schon deutlich spüren, konnte den Abend kaum noch erwarten.
»Du bist doch echt krank in der Birne, Tobias. Du kannst doch nicht …«
»Oh, nun hab dich nicht so! Muss ich dich wirklich an letztes Jahr erinnern? Ich sage nur Herzinfarkt!«
»Das … das … das war doch etwas … also, das ist jetzt aber …«, stotterte Winni aufgebracht.
»Herzinfarkt.«
»Ach komm, Tobias, das ist nicht fair. Der Alte hatte ein schwaches Herz. Woher hätte ich das wissen sollen?«
»Vielleicht aus seiner Krankenakte, die irgendwo in einem Papierstapel auf deinem Schreibtisch lag«, antwortete ich spitz.
»Du vergleichst hier jetzt aber Käse mit Schinken. Das stinkt zum Himmel!«
»Ach, tut es das? Ist der Alte gestorben oder nicht?«
»Ja, ist er«, gab Winni kleinlaut zu.
»Ah ja. Dann ist ja alles klar, oder? Du hast ihm die Schläger auf den Hals gehetzt. Wenn ich von solchen Typen Besuch bekäme, wäre ich, glaube ich jedenfalls, auch stark herzinfarktgefährdet, mein Lieber.«
Winni wand sich – wie unter starken Krämpfen – auf seinem Stuhl. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und sein sonst so rosiges Gesicht hatte einen ungesunden grauen Farbton angenommen.
»Schwamm drüber, mein Freund«, sagte ich großmütig. »Wo gehobelt wird, fallen nun einmal auch Späne. Manchmal muss unsereins eben auf unkonventionelle Methoden zurückgreifen. Der Erfolg heiligt die Mittel, und der Erfolg gibt uns ja schließlich auch Recht. Ich gebe ja zu, es ist nicht immer angenehm. Aber was will man machen? The Show must go on …«
»Das ist doch alles Wahnsinn.« Winni senkte die Stimme, flüsterte aufgeregt: »Ich habe mit dieser Sache nichts zu tun. Hörst du Tobias, ich will davon nichts wissen. Das ist dein Mädel, deine Entscheidung, dein Leben. Für eine Frau einen Mord in Auftrag zu geben! Du hast doch echt nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
Ich verzog meinen Mund zu einer freudlosen Grimasse, schnappte mir meine Einkaufstüten und erhob mich vom Stuhl.
»Zweite Runde, Winni. Ich brauche noch ein paar Schuhe und neue Unterwäsche könnte auch nichts schaden«, sagte ich ohne auf seinen Vorwurf weiter einzugehen.
Damals dachte ich, dass Winni sich wie ein Waschlappen verhielt, wie ein Kerl ohne Eier. Statt sich für mich zu freuen, nervte er mich doch tatsächlich mit seinem hirnrissigen Geplapper.
Bist du wahnsinnig, will davon nichts wissen, du kannst doch nicht einen Mord in Auftrag geben …
Wann braucht man denn einen echten Freund? Richtig, in der Not oder wenn man sein Glück mit jemanden teilen möchte.
Jaja, ich kann mir schon denken, was Ihnen gerade durch den Kopf spukt. Und soll ich Ihnen etwas sagen? Sie haben Recht! Ja ehrlich, Sie haben Recht. Ich bin ein gemeiner Mörder. Hinterlistig, verschlagen, ein primitives, selbstverliebtes Arschloch.
Aus heutiger Sicht bedaure ich natürlich den Tod des jungen Mannes. Er ist – im Nachhinein betrachtet – völlig umsonst gestorben. Muskelprotz war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Ist dem Falschen, nämlich mir, in die Quere gekommen. Er war ein Baueropfer, eine Randfigur bei einem Strategiespiel, das Winni und Charly gemeinsam ersonnen hatten.
Doch leider macht ihn das auch nicht wieder lebendig. Manchmal trifft man eben vorschnelle Entscheidungen, plappert drauf los, stimmt einer Sache zu, ohne vorher richtig darüber nachgedacht zu haben.
Die Macht mancher Worte ist wirklich unheimlich. Sie entscheiden über Leben und Tod, Glück oder Unglück, Liebe oder Hass. Die Zauberkraft eines einzelnen Wortes vermag Ihr Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal ein wenig in Rage sind und sich mit einem anderen Menschen ein verbales Gefecht liefern.
Doch was soll’s? Jetzt ist einfach nicht der richtige Zeitpunkt für sentimentale Anwandlungen. Die Geschichte nimmt ja gerade erst Fahrt auf.
Sie wird jetzt erst so richtig interessant.
Unter uns, ich verwette hier und jetzt eine Wochenration meiner leckeren, flüssigen Nahrung. Wenn Sie sich meine Erzählung erst bis zum Ende angehört haben, wenn Sie das ganze Ausmaß dieser Tragödie erfassen, erst dann können Sie verstehen, warum ich meine Frau ermorden musste. Ich bin mir ganz sicher, dass ich, stünde ich noch einmal vor der gleichen Entscheidung, wieder ganz genauso handeln würde.
Sind Sie jetzt schockiert? Schütteln Sie Ihren Kopf?
Sie tun es schon wieder. Sie bilden sich eine vorschnelle Meinung, verurteilen mich, obwohl Sie noch gar nicht wissen, was dieses abgebrühte Miststück und ihr – ich bin dein bester Freund, Tobias! – Casanova, mir alles angetan haben.
Ganz ehrlich, gegen diese beiden bin ich das reinste Unschuldslämmchen.
Doch alles zur seiner Zeit.
Winni und ich setzten unseren Einkaufsmarathon fort. Wir stürmten die Geschäfte des Nordwestzentrums und ließen uns im Strom der anderen Kaufwilligen dahintreiben. An diesem Tag spürte ich das allererste Mal so etwas wie eine Kluft zwischen Winni und mir. Doch ich war natürlich viel zu aufgeregt, viel zu abgelenkt, um mir darüber ernsthaft den Kopf zu zerbrechen.
Mein Handeln, meine Denken, mein Tun, waren auf ein einziges Ziel fokussiert: Um acht Uhr würde ich vor meiner Charly stehen und bis dahin wollte ich, zumindest optisch, ein ganz neuer Tobias Schlierenbeck sein …